Depression bei Partner, Baby & Grenzen der Möglichkeiten

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Marzipan81
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Registriert: 9. Jan 2017, 03:37

Depression bei Partner, Baby & Grenzen der Möglichkeiten

Beitrag von Marzipan81 »

Es ist irgendwie sehr schwer, dass hier aufzuschreiben. In Worten klingt das nochmal soviel härter. Ich bin 35 Jahre alt, seit 1,5 Jahren verheiratet und gerade dabei in den schlimmsten Alptraum meines Lebens zu rutschen, ohne zu wissen wie es wieder besser werden soll.

Ich würde gerne etwas von der Geschichte erzählen bevor ich am Ende zu meinen Fragen komme. Weil so richtig jemanden zum reden habe ich leider nicht.

Meine Frau leidet - seit ich sie kenne - an Depressionen. Wir haben uns vor 4 Jahren kennengelernt, verliebt, zusammengezogen, geheiratet. Eigentlich ziemlich toll. Mit ihrer Krankheit sind wir offen umgegangen. Abgesehen davaon, dass sie mit Stress vorsichtig sein musste und deutlich mehr über andere Leute gegrübelt hat als ich, hatten wir ein schönes Leben. Ich habe, glaube ich, vor allem am Anfang eine Menge falsch gemacht (vor allem was die Streitkultur angeht, da sind wir nämlich sehr unterschiedlich). Aber ich konnte ihr auch oft Wärme, Nähe, Geborgenheit und den Rahmen geben, Glück zu empfinden.

Irgendwann vor 2 Jahren fing es an ihr immer schlechter zu gehen. Das schnelle Lebenstempo mit all den Meilensteinen im Leben und vor allem auch ihr Job haben auf einmal angefangen einzuschlagen und immer tiefere Spuren zu hinterlassen so dass es ihr immer schlechter ging. In ihrem Job hat sie einen ziemlich cholerischen Chef; ein großes No-Go für jemanden wie sie, fand ich auch schon damals. Ich habe ihr geraten, zu kündigen und sich lieber einen anderen Job zu suchen. Mein Gehalt hätte auch für uns beide gereicht. Aber sie wollte sich durchbeißen und hat lediglich ihre Stunden reduziert.

Nach unser Hochzeit, als es ihr noch ganz gut ging, haben wir mit der Kinderplanung begonnen. Für uns beide war klar, dass wir Kinder wollen. Das war im Sommer 2015. Ab da ging es dann rapide bergab mit ihr. Im Herbst saß sie auf der Arbeit und konnte nur noch heulen. Daraufhin war sie 6 Wochen krank geschrieben, hat sich mit meiner Hilfe in kurzer Zeit einen neuen Therapeuten gesucht und nach den 6 Wochen ihre Stunden noch etwas weiter reduziert.

Ich hatte zu der Zeit gedacht, dass wenn erstmal der Job wegsortiert ist, kommt sie zur Ruhe und kann sich auf sich und die sehnsuchtsvoll erwartete Zukunft konzentrieren. Wie gesagt, ich hatte zu der Zeit noch viel Möglichkeiten und auch Kraft für sie. Leider ging es immer weiter bergab. Es gab eine Fehlgeburt (die sie toll gehandhabt hat, dafür bewundere ich sie), weiter Stress im Job und eine Familie (meine wie auch ihre) die Null Verständnis für sie hatten und mit Liebe und Rücksicht gegeizt haben.

Familie ist eh ein Thema. Die sind bei uns sehr mit sich beschäftigt. Ihr Vater ist Choleriker, ihre Mutter ein emotionsloses Wesen ohne eigene Interessen. Beide waren früher Alkoholiker und hoffnungslos mit dem Leben überfordert, jetzt als Rentner sind sie immerhin trocken. Meine Eltern sind ähnlich dysfunktional. Meine Mutter war, glaube ich, selber lange depressiv seit ihrer Scheidung... empfindlich ohne Ende und teilt selber gnadenlos aus. Als Beispiel... weil ich meinen Vater zur Hochzeit eingeladen habe, hat sie während des Brautkleidkaufs erst meine Frau als dick bezeichnet und ist dann heulend zusammengebrochen. Meine Schwestern sind nur auf sich fixiert und leider auch nicht wirklich herzlich. Der Beste ist fast noch mein Vater, der will wenigstens nur alle 3 Monate mal Kaffee trinken, belanglos quatschen und man kann sich tatsächlich mit ihm streiten ohne dass es in grenzenlose eskaliert. Bin ich tatsächlich positiv überrascht, weil ich als Kind ohne Vater und nur mit Horrorgeschichten aufgewachsen bin.

Wenn man sich fragt, wie ich bei so einer Familie so lange glücklich sein konnte und soviel Kraft haben konnte... ich hatte eine tolle Zeit im Studium. Mit ein paar Freunden, die mir geholfen haben zu lernen dass der eigene Wert unabhängig von dem ist was andere von dir halten und dass Glück und Freude immer nur von innen nach außen strahlen. Und dass man nicht sovie grüben und das Leben nicht so ernst nehmen braucht. Das war eine tolle Zeit (und dank angehängter Promotion auch wohltuend lang).

Weihnachten 2015 fing bei meiner Frau die Schlaflosigkeit an. Und mit ihr kam nachts die Verzweiflung. Wir haben gelernt damit umzugehen so gut es ging. Aber es fing an immer mehr Kraft zu Kosten. Den Kinderwunsch wollten wir hintenan stellen und lieber etwas warten. Doch - Ironie des Schicksals - sie war schon schwanger. Das haben wir dann Ende Januar gelernt. Und uns trotzdem zusammen gefreut.

Im Februar/März war sie in einer Tagesklinik. Das hätte toll sein können, leider haben genau in der Zeit fast alle Therapeuten gekündigt weil immer mehr gespart wurde. Trotzdem ging es ihr besser, ein Beschäftigungsverbot ihrer Gynäkologin half weiter. Was nicht besser wurde, wär die Ignoranz unserer Familie. Denn es ging ihr immer noch nicht wirklich gut. Durch die viele Zeit zuhause hat sie sich leider einsam gefühlt und sich so sehr gewünscht, dass sich unsere Familie bei ihr meldet um zu fragen wie es ihr und ihrem Baby geht. Doch es kam nichts. Wir haben uns Mühe gegeben, unseren Eltern liebevoll und süß ihre neue Enkelin anzukündigen... mit dem Ergebnis dass meine Mutter drei Monate beleidigt war.

Im Herbst kam dann der neue Erdenbürger auf die Welt. Pupsgesund und wunderschön. Wir waren anfangs ziemlich überfordert (wohl normal), haben uns so versucht so gut wie möglich auf die kleine einzustellen und für sie da zu sein. Jetzt ist sie 3,5 Monate, aktiv, aufgeweckt und glücklich. Das haben wir, glaube ich, bis jetzt echt gut hingekriegt.

Der Rest ist leider immer schlimmer geworden. Die Schlafprobleme meiner Frau sind leider auch wärend der Schwangerschaft nicht weggegangen. Wenn sie nachts einma wach ist, schläft sie oft nicht mehr ein. Mit Baby ist das natürlich unmöglich durchzuschlafen. Seit 2 Monaten kümmere ich mich nachts exklusiv um die Kleine (geht da sie nicht gestillt wird). Ich schlafe im Schlafzimmer neben der Kleinen und meine Frau auf dem Sofa. So kann sie so viel wie möglich schlafen damit sie Kraft für den Tag hat. Meine Tage bestehen aus um 7 Uhr zur Arbeit gehen, um 18 Uhr nach Hause kommen, sofort die Kleine versorgen, nebenbei etwas Essen, um 20 Uhr die Kleine ins Bett bringen, sicherstellen dass sie tief schläft. Dann zu meiner Frau um 21 Uhr aufs Sofa, oft ihre Sorgen anhören, dann um 22:30 Uhr ins Bett, 3 Uhr Fläschchen, 6 Uhr Fläschchen, zwischendurch mal beruhigen oder am Finger saugen lassen und dann um 7 Uhr wieder zur Arbeit. Wenn es meiner Frau in der Nacht schlecht geht, dann weckt sie mich leider oft... ich versuche ihr dann zu helfen damit ihr Gedankenkarussel aufhört. An guten Tagen klappt das, an schlechten nicht.

Die Familie ist immer noch nutzlos und verletzend. Meine ältere Schwester redet nicht mehr mit uns (weil ich meinen Vater zu meiner Hochzeit eingeladen habe); meine jüngere Schwester versteht nicht dass es uns schlecht geht und ist beleidigt weil ich verzweifelt war und Hilfe verlangt habe. Zur Geburt hat sie mich noch nichtmal umarmt. Meine Mutter hat sich auch zurückgezogen. Von dem Vater meiner Frau hört man nichts und ihre Mutter hat angeboten zu helfen. Aber als sie hier war, hat sie nichts gemacht, nur auf dem Sofa gesessen und sich bedienen lassen (stellte sich raus, sie wollte nur von ihrem Mann weg).


Mir geht es mittlerweile auch richtig schlecht. Ich habe immer weniger Kraft; wir streiten uns immer öfter und auch schlimmer... ich habe manchmal nicht mehr die Kraft einfach nachzugeben. recht behalten zu wollen ist leider meist das falscheste. Ich glaube, dass mich die Situation psychisch auch immer mehr belastet. Meine Frau will mir Raum geben wenn uns beiden gerade gut geht. Aber dann brauche ich den ironischerweise nicht, denn dann will ich die wenige Zeit schön mit ihr verbringen damit wir uns nicht zu sehr entfernen.

Meine Frau denkt mittlerweile, es sei zwischen uns etwas kaputt gegangen und ist deswegen nochmal mehr verzweifelt. Ich verstehe, dass das meiste ihres Verhaltens aus ihrer Verzweiflung kommt. Bei mir versteht sie das leider oft nicht bzw. versteht nicht warum ich mich nicht besser zusammenreiße.

Nun kommen meine Fragen...

Ich weiß nämlich nicht mehr wie es weitergehen soll. Sie fängt in einer Woche wieder mit ihrer Therapie an (tiefenpsych.) aber ich habe nicht viel Vertrauen zu ihrem Therapeuten. Sie auch nicht, sie meint kein Therapeut könnte ihr helfen. Ich bin bereit alles zu tun was hilft. Wenn wir die Kinderbetreuung am Tag geregelt kriegen würden, könnte sie im Extremfall auch bis zu vollstationär in eine Klinik; 2 Monate alleinerziehend kriege ich locker geregelt (die Bedürfnisse meiner Tochter sind nämlich so erfrischend elementar und greifbar).

Was mache ich für mich? Wie schaffe ich es, dass es mir wieder besser geht. Und wie schaffe ich das im Konsens mit ihr? Ich weiß, man muss gut zu sich sein, aber es gibt keinen Raum. Auf jeden Fall sehe ich ihn nicht (das einzige gute was ich mir tue, ist es 1x/Woche in der verlängerten Mittagspause mit zwei Kollegen Sport zu machen).

Was machen wir mit unserer Familie? Links liegen lassen? Für mich OK, aber sie empfindet die Leere als so schlimm und denkt sich "aber die müssten doch netter sein".

Ich bin ratlos. Und leider auch ein wenig verzweifelt.

Wow, das ist jetzt lang geworden. Man merkt wohl, dass ich sonst nicht wirklich jemanden zum reden habe. Vielen Dank fürs Durchlesen und jeden lieben Kommentar!

P.S.: Geschrieben mitten in der Nacht, kurz 5. Hochgeladen aber erst jetzt.
Zuletzt geändert von Marzipan81 am 10. Jan 2017, 18:51, insgesamt 1-mal geändert.
Birko
Beiträge: 501
Registriert: 20. Apr 2015, 13:33

Re: Depression bei Partner, Baby & Grenzen der Möglichkeiten

Beitrag von Birko »

Hallo marzipan


Ich weiss nicht, ob dir das jetzt gut tut eher nicht, aber ich bin von deinem bericht erschüttert.
Ich bin selber oma und mutter und schäume über vor liebe. Ich kann eure angehörigen nicht verstehen. Deine frau hat depressionen das ist klar. Die müssen behandelt werden.

ABER DU hörst dich nach einem ganz lieben menschen an. Du darfst nicht auf der strecke bleiben. Weisst du,ich habe auch seit ca. meinem 30. Lebensjahr depressionen für meinen mann war es auch nicht leicht aber ich war immer, trotz depressionen, lieb zu ihm. Im gegenteil, sein traurigsein, hat mich belastet. Ich bin momentan nicht in der lage, dir zu raten, nur anhören bzw. lesen kann ich dich, verstehen kann ich dich, aber deine familie nicht. Gibt es etwas schöneres als enkel.
Lass dich drücken
Lolli2016
Beiträge: 1
Registriert: 2. Jan 2017, 19:03

Re: Depression bei Partner, Baby & Grenzen der Möglichkeiten

Beitrag von Lolli2016 »

Hallo Marzipan, es tut mir auch sehr leid was du durchmachen musst. Therapien sind aufjedenfall schon mal ein richtiger Weg. Auch wenn man erstmal denkt, dass sie nicht helfen und wenig Vertrauen hat. Ein bisschen was tut sich dadurch bestimmt. Könnt ihr nicht zu dritt einfach ein paar schöne dinge Unternehmen? Die dir dann auch gut tun? Liebe Grüße Lolli2016
M1971
Beiträge: 731
Registriert: 26. Apr 2014, 17:39

Re: Depression bei Partner, Baby & Grenzen der Möglichkeiten

Beitrag von M1971 »

Hallo Marzipan, Du trägst alleine die ganze Last. Es ist wichtig, dass Du etwas für Dich selber machst. Du gehst sonst kaputt und Dein eigenes Leben bleibt auf der Strecke.
Gruß
M
Botus
Beiträge: 2096
Registriert: 29. Mär 2014, 06:36

Re: Depression bei Partner, Baby & Grenzen der Möglichkeiten

Beitrag von Botus »

Ich würde als erstes damit beginnen, die eigene Unterlegenheit zu erkennen. Auch wenn Du den Eindruck hast, dass die anderen Beteiligten schwach sind, wird es dennoch auf lange Sicht darauf hinaus laufen, dass die mit diesem Klima besser zurecht kommen werden als Du. Die Absturzhöhe eines Menschen, der ein solches Klima nicht mag, nicht möchte und auch nicht gewohnt ist, wird höher ausfallen als die von Personen, für die ein solches Klima normal ist. Diese Unterlegenheit gilt es zu erkennen. Nur dann ist die Gefahr erkennbar.
gwendolyn
Beiträge: 2
Registriert: 7. Feb 2017, 17:57

Re: Depression bei Partner, Baby & Grenzen der Möglichkeiten

Beitrag von gwendolyn »

Hallo Marzipan,
mein Mann hatte einen Säugling und 2 Teenager alleine zu versorgen, während ich immer wieder in Kliniken war. War ich Zuhause, war es auch nicht besser; so wie Du es eben beschreibst.
Wir hatten immer eine Familienhelferin, auch wenn ich Zuhause war. Das wurde von der Krankenkasse übernommen. Sie kümmerte sich komplett um die Kinder und wuppte den Haushalt. Sie sind auch speziell ausgebildet und konnten auch beratend zur Seite stehen. Ich konnte mich so auch tagsüber ausklinken und war Nachts besser für das Baby da.
Gibt es diese Möglichkeit nicht auch für Euch? Man geht zur Kasse, die haben ein Formular. Das bringt man zum Arzt und der füllt es aus. Das dürfte bei Euch ja kein Problem sein, da Deine Frau ja auch schon eine lange Krankheitsgeschichte hat. Das Formular bekommt die Kasse zur Genehmigung zurück. Die Kassen haben auch oft schon Adressen für Familienhelferinnen. Unsere kam von der Diakonie am Ort. Ich denke, das würde Euch alle sehr entlasten!!!!!
Ich hatte oft monatelang eine Helferin neben mir. Ohne sie hätte ich das alles gar nicht geschafft und mein Mann auch nicht. Wenn Du noch Fragen hast dazu, schreibe mir einfach.
LG gwendolyn
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