'Du musst'?!

[Persephone]

Hallo,

der eine oder andere von uns wird sicherlich wie ich eine To-do-Liste führen. Meine füllt gerne zwei A4-Seiten und sie liegt jede Nacht auf meinem Nachtschrank und wenn ich schlaflos bin und mir wieder irgendetwas einfällt was erledigt werden muss, dann notiere ich es darauf, damit es mir nicht weiter im Kopf herumgeistert.
Was ich damit eigentlich sagen möchte, ich drücke mich nicht vor Aufgaben, ich erledige alles umgehend und jeder kann sich auf mich verlassen, dass ich seine an mich übertragenen Aufgaben erledige.
Nun ist mir aber die Aufgabenlast einfach zu viel geworden und um meiner selbst Willen versuche ich es jetzt einzudämmen. Aber was soll ich sagen, die Mitmenschen treten an einen heran und da wird nicht gefragt ob man die Aufgabe übernehmen will/möchte/kann, sondern es wird gleich festgelegt ‚Du musst‘. Da bin ich jetzt selbst nicht ganz unschuldig daran, weil ich es bisher immer toleriert habe, aber jetzt wo ich dem vermehrt Aufmerksamkeit schenke, stößt es mir immer mehr unangenehm auf.
Das geht mittlerweile schon so weit, dass ich auf diese Aussage ‚Du musst noch….‘ einfach kurz und bündig, ohne den anderen ausreden zu lassen, geantwortet habe: ‚Ich? Ich muss gar nichts!‘
Das kommt natürlich nicht so gut rüber. Aber in dem Moment hatte ich so einen Druck im Hals (Kloßgefühl), ich konnte einfach nicht anders. Das schlucken fiel mir regelrecht schwer, dann kam die Wut und dann später die Tränen und ich fühlte mich so hilflos.
Eigentlich hatte ich mir vorgenommen die Aufgaben zu selektieren und mich immer vor Aufgabenübernahme zu fragen, ob ich es übernehmen darf, will, kann, möchte etc.
Aber die Frage stellt sich einem gar nicht, wenn der andere einem ein ‚muss‘ schon vorher aufdrückt.
Ich weiß nicht, ob ihr versteht was ich hiermit eigentlich sagen will.
Messe ich dem zu viel Bedeutung bei? Reagiere ich zu sensibel? Ist es dem Zeitgeist geschuldet und die Aussage ‚Du musst‘ ist gleichbedeutend wie einst ‚Könntest du bitte...‘?

Mir kommt gerade so der Gedanke, ob es nicht sogar eine Form von Respektlosigkeit darstellt….

Sind meine Empfindungen hierzu meinem Krankheitsbild geschuldet?

Was meint ihr?

[qwertzuiopII]

...

[Persephone]

Punktlandung. Danke für den treffenden Link/den treffendem Lied. Habe ich zuvor noch nie gehört, nun ja, ist vielleicht auch nicht so meine Musikrichtung
LG
Persephone

[Zarra]

Hallo Persephone,

ich kann Deine Empfindungen gut verstehen. Die Krankheit macht eindeutig empfindlicher - das ist das eine. Sie zeigt aber halt auch "sensible" Punkte, über die man sonst vielleicht hinweggehen würde, die aber nicht an den Haaren herbeigezogen sind. "Unhöflichkeit" finde ich sogar noch nett ausgedrückt. Ich empfinde das als keinen angemessenen Umgangston, so generell wie es in Deiner Beschreibung wirkt.
Und klar hängt es auch noch davon ab, wer was zu wem in welchem Ton sagt. Oder wie das gesamte Umfeld tickt; meines scheint glücklicherweise nicht so zu ticken.

"Nein" sagen zu lernen, steht öfters mal auf der Agenda für zwischenmenschliches Lernen bei Depressiven ...

Dir alles Gute auf Deinem Weg weg vom "Du mußt" zum "Ich will, ich will gerne".

Zarra

[Katerle]

@ Persephone

" Du musst garnichts". Lass dir das nicht aufdrücken. Letztens sagte z. B. mein M. zu mir, er muss.... und ich darauf: "Du musst garnicht". Mit dieser Aussage wirst du nur von anderen unter Druck gesetzt oder du setzt dich selber unter Druck.

Gruß Katerle

[Rosalia]

Hallo!
Einer der liebsten Sätze meines Mannes nach der Reha lautet:"einen scheiß muss ich..."
Vielleicht nicht deine Wortwahl, aber vermutlich ein guter Denkanstoß...
Alles Gute!

[T Ally]

Hallo Persophone und alle anderen,

dies ist genau mein Thema. Innerlich gibt es bei mit ständig die Dauerschleife, die mir sagt "Du musst"
Ob es sich ums Arbeiten handelt, Wohnung putzen, essen, Eltern besuchen, Freunde treffen, Sport treiben, anderen einen Gefallen tun... Diese Liste ließe sich unendlich fortsetzen.
Die andere Seite ist "du darfst nicht" - krank werden, an Dich denken, Dich wichtig nehmen...

Es gibt bei mir kein "ich will", denn dies durfte ich als Kind nie sagen, wurde dafür verbal und ab und an auch körperlich abgestraft. Kinder haben nichts zu wollen und Mädchen schonmal gar nicht.
Dies ist wohl dem damaligen Zeitgeist auch ein wenig geschuldet, ich mache meinen Eltern keinen Vorwurf. Leider habe ich mich dadurch aber vollständig aus den Augen verloren, weiß gar nicht, was ich überhaupt möchte. Von wollen kann ich gar nicht sprechen.
Ich mache es allen recht, nur mir nicht.

Einen Weg gegen diese Einstellung habe ich noch nicht gefunden. Gerade zeigen mir Magenschmerzen und Appetitverlust an, dass es steil bergab geht. Meine Therapiestunden sind aufgebraucht und ich komme doch überhaupt noch nicht klar.
Aber ich muss ja...

Das geht mittlerweile schon so weit, dass ich auf diese Aussage ‚Du musst noch….‘ einfach kurz und bündig, ohne den anderen ausreden zu lassen, geantwortet habe: ‚Ich? Ich muss gar nichts!‘
Das kommt natürlich nicht so gut rüber. Aber in dem Moment hatte ich so einen Druck im Hals (Kloßgefühl), ich konnte einfach nicht anders.

Ich finde, dass ist doch schon ein total guter Ansatz.
Ich spüre zwar, dass ich etwas nicht möchte, aber ich kann nicht über meinen Schatten springen. Mein "Ja" kommt schneller als ich denken kann. Und dann ärgere ich mich.
Zudem komme ich mit dem schlechten Gefühl nicht klar, dass sich einstellt, wenn ich doch einmal meine Ansicht vertreten oder meine Meinung durchgesetzt habe.

Persephone, bleibt dem o.a. Ansatz treu und verfolge ihn weiter. Du bist auf dem richtigen Weg. Andere stoßen uns ständig vor den Kopf, das dürfen wir auch.
Das Aushalten der damit verbundenen Gefühle werden wir auch noch lernen.

[malu60]

Hallo Zusammen,
grüß Dich TAlly,schön von Dir zu lesen.
Was ich lese,ist ein trauriges Ergebnis eines hoffentlich überholten
Erziehungsstiels.Ich hab das ähnlich erlebt,wie Du und das sitzt tief und fest in mir.

Wenn wir soweit sind,dass wir die volle Verantwortung übernehmen für unser
Wohlbefinden gibt es vielleicht auch wieder ein gesundes Bauchgefühl,das klar
andeutet,das will ich und jenes will ich nicht.

Dann wird" das Muß "von innen und außen uns nichts mehr anhaben,weil wir
nun das Ziel verfolgen können,was uns guttut.
Da kann ich auch sagen oder denken:Ich muss Garnichts und schon garnicht,wenn ich dadurch manipuliert werden soll,oderes den anderen zu Pass kommt.

Ein langer Weg,der nur durch üben,vielleicht mal antrainieren immer wieder gelingen wird.
Schönes Wochenende wünscht Euch Malu

[Bittchen]

Hallo liebe Persephone und liebe T Ally,

ich will nicht, ich muss auch nicht ,aber ich kann,dass sage ich mir sehr oft .
Nicht nur in Krisen, wenn mir jeder Handgriff schwer fällt.
Wenn ich gebeten werde oder freiwillig was gerne mache ,dann geht es mir ganz gut dabei.
Ansonsten habe ich gelernt nein zu sagen,wenn ich spüre es wird zuviel .
Das ist heute für mich viel leichter, im Beruf früher war das schwieriger und hat nicht oft geklappt.
Da war die Angst groß, nicht zu genügen, den Job zu verlieren durch zuviel krank sein .
Ja,auch unbeliebt zu sein , wenn ich nur nein sagte ,spielte eine Rolle.
Ob das an meiner Erziehung liegt ,weiß ich nicht,gefällig bin ich gerne.
Das Maß ist wichtig und der Ton, dann entscheide ich, ob ich es mache.
Bei meinen Depressionen ist seelische und körperliche Überforderung ein großes Thema.
Heute muss ich aufpassen, dass ich mich nicht unterforder,weil mein Antrieb ist nicht so gut.
Wenn es mir schlecht geht sage ich zu oft nein,auch bei Dingen die mir gut täten.
Es ist immer ein schmaler Grad.
Wie Malu scheibt ,da hilft nur üben und auf den Bauch hören.
Aber ich muss,will ich aus meinem Wortschatz streichen,weil das Wort auf mich Druck ausübt.

Liebe Grüße
Bittchen

PS.T Ally,besondere Grüße an dich,passe gut auf dich auf.

[Persephone]

Hallo T Ally,
Deine Zeilen sprechen mir aus der Seele.

Zudem komme ich mit dem schlechten Gefühl nicht klar, dass sich einstellt, wenn ich doch einmal meine Ansicht vertreten oder meine Meinung durchgesetzt habe.

Anderen Gefallen wollen, der Wunsch geliebt zu werden und bloß nicht irgendwo anecken, dass scheint bei mir sehr ausgeprägt zu sein. Zumindest kann ich es nicht ertragen, wenn andere vielleicht dann Kritik an mir üben, weil ich vielleicht einmal gegen den Strom geschwommen bin. Kritik kann ich ganz schlecht aushalten, ich bin so dünnhäutig und harmoniebedürftig und Kritik an meiner Person tut mir einfach nur weh. Das schlimme für mich ist die Erkenntnis, dass ich es selbst verschuldet habe. Wenn man jahrelang immer für alle da war, immer alle Aufgaben übernommen hat, sich für alles zuständig fühlte, dann brauch es einen nicht wundern, das man auf Unverständnis stößt, wenn man es auf einmal nicht mehr macht.

Leider habe ich mich dadurch aber vollständig aus den Augen verloren, weiß gar nicht, was ich überhaupt möchte. Von wollen kann ich gar nicht sprechen.
Ich mache es allen recht, nur mir nicht.

Diese Zeilen hätten von mir sein können. Meine Gedanken kreisen immer um alles andere, aber nicht um mich. Als ich einmal auf Reha war, da hatte ich zwischen den Therapien Zeit über die ich selbst verfügen konnte. Das war ein seltsames Gefühl. Am Anfang wusste ich garnichts mit mir anzufangen, aber dann bin ich spazieren gegangen, bin an den Schaufenstern langgeschlendert in einem Tempo das mir zusagte und habe mir ein Eis geholt und habe es mit Genuss und in aller Ruhe gegessen. Das mag für viele selbstverständlich sein, für mich war es das nicht. Ich habe es sehr genossen. Jetzt könnte man sagen, warum machst du das nicht ab und an wieder, die Zeit dafür wirst du doch erübrigen können. Ja, ich könnte die Zeit erübrigen, aber andere Dinge haben einfach mehr Wichtigkeit für mich. Dinge die nicht viel mit mir zu tun haben. Nun, zumindest habe ich schon einmal erkannt, dass da was gewaltig schief liegt, der Weg zur Besserung ist allerdings sehr mühsam.
LG Persephone

[Katerle]

Hallo Persephone,

Kritik konnte ich schon vertragen, aber wenn es "NUR" in Kritik ausartete, dann war bei mir auch mal Sense... Hatte dann Grenzen gesetzt, was anfangs auch nicht so ernstgenommen wurde, aber dann zeigte es seine Wirkung.
Ja, du stößt erstmal auf Unverständnis, wenn du vorher immer für alle da warst und alles gemacht hattest und es dann plötzlich nicht mehr machst oder kannst. Andere finden dich gut, wenn du so bist, wie sie dich wünschen.

LG

[Katerle]

Was ich nicht verstehe, dass sich dieses "Unverständnis" dann weiter fortsetzte und so weitergemacht wurde wie bisher.
Mein M. hatte zwar in letzter Zeit mal erwähnt, dass er Vorurteile hatte gegenüber der Erkrankung, aber das sich mal irgendwelche Informationen darüber eingeholt wurden, dass konnte ich bis heute nicht erkennen. Seit ich die r. T. herbeigeführt hatte, wird allerdings besser mit mir umgegangen, was ich von der Sm. nicht sagen konnte. Ich wurde auch nicht in Schutz genommen.
Ausserdem setzt er sich nach wie vor weiter selber unter Druck, obwohl er gesundheitlich eigene Probleme hat inzwischen. Es wird einfach weitergemacht und ich weiß nicht, wie ich ihm da am Besten raushelfen kann.
Es wird einfach nicht verstanden, warum ich auf meine Grenzen achten muss.

Schönes Wochenende.
Katerle

[Bittchen]

Liebe Katerle,

ob sie sich mein Mann so richtig mit Depressionen auseinander gesetzt habt ,kann ich nicht sagen.
Er lässt mich in Ruhe, wenn es mir schlecht geht oder passt auf ,dass ich mich nicht überforder.
Aber immer klappt das ja nicht .
Manchmal wunder ich mich,wie dünn das Eis ist,auf dem ich mich bewege.
Mein Mann hat mich auch sehr lange nicht vor seiner Familie beschützt,bis er selbst es ab bekam.
Mit wieviel Hinterlist und Lügen da agiert wurde und durch seinen Bruder noch wird,hat er erst
nach vielen Jahren verinnerlicht.
Ihm tut es sehr leid, wie er sich Jahrzehnte verhalten hat.
Es ist vorbei,er kann es nicht mehr ändern.
Sein Verhalten und auch sein Vertrauen in seine Mutter und seinem Bruder wurde sehr erschüttert,eine Zeit lang war das irgendwie eine Genugtuung für mich.
Nach der Devise,warum hast du mir nicht geglaubt,das ich jetzt die Strafe.
Aber es hilft mir nicht,wenn ich das immer wieder erwähne und es ihm dann auch schlecht geht.
So gut es geht,sprechen wir nicht mehr über die Vergangenheit,aber manchmal lässt es sich nicht vermeiden.
Meine Schwiegermutter lebt in dem Heim in dem unsere jüngste Tochter Alltagsbegleitung macht.
Sie sieht ihre Oma jeden Tag als verwirrte alte Frau.
Der Bruder von meinem Mann begegnet ihr auch täglich ,wenn nicht im Heim,dann im Haus meines Mannes ,wo sie wohnt und was er verwaltet , so lange meine Schw.M.lebt .
Der Schaden ist sehr groß,von der Psyche mal abgesehen ,auch finanziell.
Es gibt sehr viele Gründe warum ich krank geworden bin.
In meinem Leben habe ich beim Verteilen von Tiefschlägen öfter hier gerufen.
Aber es gibt auch sehr viel Gutes und das ist es was zählt.
Du hast auch sehr viel Gutes liebe Katerle,du hast für dich die richtige Entscheidung für dich getroffen.
Du wirst deinem Mann nicht helfen können,du kanst ihn nicht ändern.
Du hast dich geändert und sorgst gut für dich.
Da hast du meinen Respekt für den Schritt den du gegangen bist.
Trotzdem wirst du von deiner Familie geliebt,das ist ein ganz großes Glück.
Sich selber unter Druck setzen ,da kennen wir uns doch sehr gut aus.
Nur durch Therapien,Kliniken und was wir selbst noch an Maßnahmen für uns machen,können wir den Druck auf uns selbst reduzieren.
Das war ein langer Weg und nur durch den hohen Leidenddruck,wollten oder konnten wir was
ändern.
Darum gilt für uns"Es geht um mich",denn wenn es uns schlecht geht können wir auch nicht mehr für Andere da sein,auch wenn wir das wollen.

Alles Liebe für dich,auch für die Mitleser

Deine Bittchen

[Katerle]

DANKE liebe Bittchen für deinen lieben und hilfreichen Beitrag.

Nun, inzwischen macht er das auch, mich in Ruhe lassen und das ich mich nicht überfordere. Für sich nicht so, denn er sagt zwar, er würde kürzer treten, macht es aber nicht. Setzt sich unter Druck.
Das es deinem Mann leid tut, wie er sich verhalten hat ist stark. Mein M. brach mal in Tränen vor mir aus und sagte, er hätte alles falsch gemacht. Da nahm ich ihn in Arm und gab ihm zu verstehen, dass nicht alles falsch war. Denke auch, dass es ihm leid tut, wie er sich manchmal mir gegenüber verhalten hatte und das war halt nicht i. O. Mir hatte das alles viel Angst gemacht.

Wir reden auch nicht weiter über die Vergangenheit. Es war halt so gelaufen und nun werden wir sehen, wie es weitergeht.

Kann mir schon denken, dass die Situation bei euch einen enormen Schaden angerichtet hat. Bei uns leider auch... Und da leidet nun mal auch die Gesundheit drunter.

Tiefschläge hatte ich auch viel bis jetzt. Und denke auch, dass ich meinem Mann nicht helfen kann, so gerne ich es auch möchte. Danke für deine ermutigenden Worte und für deinen Respekt, den du mir entgegenbringst. Ja ich bin sehr dankbar von meiner Familie geliebt zu werden, besonders von meinen Kindern, was mich sehr glücklich macht.

Du sprichst mir ganz aus dem Herzen.

Dir auch alles Liebe und Gute

Katerchen.