Gefühle benennen - geht nicht!

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igelchen2
Beiträge: 52
Registriert: 8. Jun 2016, 08:08

Gefühle benennen - geht nicht!

Beitrag von igelchen2 »

Hallo,

bei einer Therapie wird man ja häufiger gefragt, was man gerade fühlt, wie es einem geht. Meistens kann ich darauf keine Antwort geben: ich fühle gerade nichts!!
Das finde ich immer sehr erschreckend, da ich im Alltag sehr wohl Gefühle spüre und auch meistens auslebe (z.B. Wut, Ärger; aber auch Freude).

Warum kann ich sie in der Therapie häufig nicht wahrnehmen??
Warum schwebe ich da immer in einem scheinbar luftleeren Raum??

Kennt das jemand?
Und wie geht ihr damit um?

Dieser Zustand macht mich gerade richtig fertig!!

Gruß
igelchen
Tink
Beiträge: 419
Registriert: 6. Jan 2016, 09:54

Re: Gefühle benennen - geht nicht!

Beitrag von Tink »

Hey igelchen,
Ist das nur in der Therapie so oder auch so manchmal??
Ja ich kennen das viele andere bestimmt auch. Das nichts fühlen, innerlich quasi Tod sein ist das schlimmste... Was hilft? Im Gründe das selbe wie bei anderen Dingen auch... Bei mir ist es das weitermachen, funktionieren ablenken... Irgendwann wird es besser...
Gruß Tink
Zarra
Beiträge: 5734
Registriert: 12. Mär 2010, 15:16

Re: Gefühle benennen - geht nicht!

Beitrag von Zarra »

Hallo igelchen,

platt würde ich jetzt antworten: Wenn das im Alltag ausreichend funktioniet, ist doch alles gut.

Was irritiert Dich also so?!? Daß Du keine Antwort geben kannst? Oder stimmt die Aussage hinsichtlich des Alltags nicht? Oder ...?

Das Einzige, was ich noch "sehe", mir vorstellen könnte, wären - je nach gemeinter Therapiesituation - zwei unterschiedliche Szenarien:
1. Du erzählst in einer Therapiestunde wirklich belastende Ereignisse aus Deinem Leben - und sendest z.B. nonverbal andere Signale aus; ... hast da keine wirkliche emotionale Verbindung dazu.
2. Z.B. in Eingangsrunden von Therapiegruppen: Wenn man nicht gerade völlig von einem Problem aufgewühlt ist, kann da das "Gefühl" ja eher auch "ausgeglichen" sein, und ohne daß man gefühllos wäre, gibt es da auch für mich keine so rechte Bezeichnung dafür.

Keine Ahnung, ob Dir das irgendwie weiterhelfen kann.

LG, Zarra
somebody
Beiträge: 221
Registriert: 3. Jul 2014, 10:55

Re: Gefühle benennen - geht nicht!

Beitrag von somebody »

Hallo igelchen,
ich weiß nicht genau, ob ich weiß, was du meinst.

Was mir dazu in den Sinn gekommen ist, ist folgendes: Ich erlebe in der Zeit zwischen den Therapiestunden unterschiedlichste Dinge und habe dementsprechend Gefühle. Wenns auch manchmal das Gefühl der Gefühlslosigkeit ist. Aber das nenn ich jetzt auch mal Gefühl. Und dann sitz ich in der nächsten Therapiestunde und leier ziemlich trocken herunter, was geschehen ist und so ganz grob, wie das für mich war.

Aber ich komme dann oft erstmal überhaupt nicht mehr an die Situation heran. Ich habe ganz viel Abstand dazu, habe das Thema oft schon verdrängt bis zur Stunde. Ich kann 2 Tage zuvor tausend Gedanken und starke Gefühle gehabt haben... und dann leier ich das runter, woran ich mich noch erinnern kann. Dann an dem Thema zu arbeiten, Fragen zu beantworten, sich reinzufühlen fällt mir dann recht schwer. Erst mit der Zeit des Erzählens und Seins in der Stunde kommen meine Gefühle und Gedanken dazu zurück. Ich merke das dann richtig, wenn meine Gefühle und Gedanken beim Erzählen irgendwann angeschwemmt werden. Und dann kann ich auch besser dran arbeiten.

Ich denke mal, dass das auch von der Art der Therapie abhängt. Ich selbst mache psychoanalytische Psychotherapie.

War es das, was du meintest?

Ich denke, das könntest du dann auch mit deinem Therapeuten versuchen zu erörtern, warum es dir so ergeht. Geht es dir mit anderen Personen/in anderen Situationen auch so? Wenn nicht, was ist in der Therapie anders für dich?

liebe Grüße,
somebody
igelchen2
Beiträge: 52
Registriert: 8. Jun 2016, 08:08

Re: Gefühle benennen - geht nicht!

Beitrag von igelchen2 »

Guten Morgen,

danke, dass ihr versucht mein Problem zu verstehen - auch wenn das etwas schwierig ist ...!

Ich mache eine tiefenpsycholog. fundierte Psychotherapie und mir geht es ähnlich wie somebody, ich erzähle erst mal emotionslos was passiert ist. Das ist für mich auch anfangs kein Problem. Im Fortgang der Stunde merke ich auch, wie es in mir arbeitet ... ABER: ich kann dann immer noch keine Gefühle benennen ...!!! Und das ist das, was mich gerade völlig verunsichert und fertig macht! Einige erzählen, dass sie bei Erkenntnissen über sich selbst anfangen zu weinen - kann ich nicht!

Komme ich nach Hause kann ich auf die unterschiedlichsten Situationen gefühlsmäßig reagieren (Wut auf unseren Hund weil er mal wieder was angestellt hat, Freude über/mit den Kindern wegen einer guten Note ...).

Der Mensch ist schon kompliziert!!
Würde alles dafür geben, mich besser zu verstehen!
Im Moment macht es mich einfach nur fertig!

Liebe Grüße
igelchen
mime
Beiträge: 1321
Registriert: 6. Sep 2013, 13:28

Re: Gefühle benennen - geht nicht!

Beitrag von mime »

Hallo Igelchen,

achja, die berühmtberüchtigte Frage nach den Gefühlen... die kenne ich, und auch, dass man in der Therapiestunde darauf oft nichts zu antworten weiß. Vielleicht liegt es daran, dass man sich auf das Berichten konzentriert und die Gefühle da erstmal keinen Raum haben - ob bewusst oder unbewusst: sie wandern erst mal in den "Ich-spür-momentan-gar-nix-Modus". Zu Hause kann das dann wieder anders aussehen.

Ich kann jetzt nur mal herunter schreiben, was mir geholfen hat: Zeit. Ich habe erst im Laufe der Therapie gelernt, in gewissen Situationen überhaupt Gefühle zuzulassen bzw. zu spüren (und dann nach einer noch längeren Zeit, sie zu benennen, mitzuteilen, verbal zu äußern). Das war für mich ein langer Lern- und Übungsprozess.

Hm, was könnte dir helfen?

Vielleicht schreibst du mal eine Art "Gefühlsprotokoll", in dem du Situationen von zu Hause, in denen du etwas spürst, in wenigen Stichworten notierst (beispielsweise: Hund wirft Futternapf um - bin sauer, weil ich erst geputzt hatte; fühle Wut, schimpfe ihn; mir wird heiß und bin den Tränen nahe, weil mich das Putzen schon so viel Kraft gekostet hat und würde am liebsten... oder: Kind schreibt gute Note - ich freue mich; lobe mein Kind, fühle Stolz, dass es sich so gut macht in der Schule, bin erleichtert...). Den Zettel mit den Stichworten könntest du dann zur nächsten Therapiestunde mitnehmen und deiner Therapeutin zeigen (sie lesen lassen oder du liest ihn vor). So könntet ihr euch dem Thema "Gefühle" langsam nähern und vielleicht etwas leichter und detaillierter darüber ins Gespräch kommen, wenn ihr erst mal das Thema im häuslichen Rahmen bearbeitet. Dann musst du aktuell in der Stunde nichts fühlen, ihr sprecht aber trotzdem über das wichtige Thema.

Später kannst du vielleicht auch während der Therapiestunde Gefühle spüren und benennen - bei mir klappte das dann irgendwann, als ich gelernt hatte, in mich hinein zu fühlen und zu sagen, was ich gerade empfinde.

Möglicherweise geht das bei dir auch, oder du findest einen anderen Weg, der für dich passt.

Wie gesagt, das Ganze ist Prozess, der nicht gerade einfach ist. Vielleicht brauchst du eben noch ein bisschen Zeit, um in dich mehr in dich hineinspüren zu können. Ich glaube, dass noch eins wichtig ist: Sich nicht unter Druck zu setzen. Wenn wir auf Kommando Gefühle spüren wollen bzw. sollen, klappt das erfahrungsgemäß eher schlecht - mit ein bisschen mehr Freiraum und ohne Druck, mehr so nebenbei das Spüren lernen ist da sicherlich von Vorteil.

Ich wünsche dir alles Gute, und dass du dich wegen des Themas nicht zu sehr stressen musst. Manchmal muss man eben erst wieder (oder überhaupt im Leben) lernen, was es heißt, auf seine Gefühle zu achten. Lass dir, wenn möglich, die Zeit dafür, die du dafür brauchst.

Viele Grüße
Mime
Wir müssen lernen,
die Menschen weniger auf das, was sie tun und unterlassen,
als auf das, was sie erleiden, anzusehen.

(Dietrich Bonhoeffer)
Succubus
Beiträge: 357
Registriert: 9. Aug 2016, 06:44

Re: Gefühle benennen - geht nicht!

Beitrag von Succubus »

Hallo igelchen,

Wie lange machst du die Therapie bei dem jetzigen Therapheuten denn schon?
Wie sieht es mit dem Vertrauen aus?

Das Problem des nichts-fühlen ist mir bekannt...bei mir war/ist es eine Schutzfunktion. Je mehr ich meiner Therapheutin vertraue und das Therapiezimmer als einen sicheren Ort empfinde, umso eher kann ich meine Gefühle zulassen.

Seit Jahren habe ich nurnoch funktioniert und eine Maske getragen, Emotionen gezeigt die erwartet wurden und als angemessen betrachtet wurden...und im Inneren war es einfach nur tot,kein Gefühl. Diese Gewohnheit abzulegen empfinde ich als sehr schwer.

Ich kann dir auch nur empfehlen dieses Thema in der Therapie anzusprechen und Geduld zu haben.
Don't feed the troll :-)
Christiane1
Beiträge: 583
Registriert: 19. Dez 2013, 09:10

Re: Gefühle benennen - geht nicht!

Beitrag von Christiane1 »

Hallo Igelchen,

ich empfand es auch oft so was du beschreibst.
Real befindet man sich in einer Therapiestunde auch in einem anderen Raum als normalerweise, ich finde es nicht ungewöhnlich sich dann auch anders zu fühlen.
Mir ging es die Jahre meist so, dass ich schon beim Eintritt in die Praxis ruhiger wurde und später während des Gespräches Schwierigkeiten hatte meine Alltagsgefühle zu benennen.
Manchmal mochte ich nichts erzählen, sondern einfach nur mit dem Menschen mir gegenüber Normalität erleben wollen und oft erschien mir die Situation auch sehr schräg. Ich dachte oft, wieso soll ich jetzt über meine Probleme sprechen, wo es mir aktuell doch so gut geht auf dem gemütlichen Sessel.

Die Antwort darauf ist klar, es war nicht notwendig in diesem Moment. Ich habe so wie du keine nennenswerten Gefühle gehabt während der Therapie, was damit zusammenhing, dass ich mich schützte bewusst oder unbewusst oder beides. Wenn ich dann doch tiefe Gefühle zuliess musste ich sie nach der Stunde mit nachhause nehmen und das war eine Bedrohung, die ich nicht zulassen konnte. Das war bei mir immer die Sorge, ob ich pünktlich um zehn Uhr morgens
an einem Dienstag genau die Gefühle haben könnte, die ich im Alltag habe.

Was ich sagen will, lasse dir alle Zeit und versuche nicht krampfhaft etwas zu fühlen, wenn es
gerade nicht da ist.
Ich habe meine eigenen Emotionen jetzt einfliessen lassen und hoffe, es war in Ordnung für dich und hat dich nicht verunsichert.

Christiane
igelchen2
Beiträge: 52
Registriert: 8. Jun 2016, 08:08

Re: Gefühle benennen - geht nicht!

Beitrag von igelchen2 »

hmmm....

wenn ich das hier lese und nochmal gut drüber nachdenke, komme ich zu folgender Schlussfolgerung für mich:

- ja, Gefühle sind sehr wohl da während der Sitzung!
- sie entziehen sich aber (noch) meinem Zugriff!
- Vertrauen in Therapeuten ist da, aber vielleicht noch nicht genug Sicherheit!
- ich steh erst am Anfang meiner Therapie!
- ich muss mir wohl noch was Zeit geben!

Jedenfalls gibt mir diese Erkenntnis jetzt erst mal etwas mehr Zuversicht, dass ich doch noch an meine Gefühle komme - irgendwann! (hoffentlich)

Danke für eure Rückmeldungen!!

Gruß
igelchen
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