Eine (neue) Hoffnung - Orts- und Berufswechsel

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Daniel1986
Beiträge: 43
Registriert: 7. Feb 2016, 20:34

Eine (neue) Hoffnung - Orts- und Berufswechsel

Beitrag von Daniel1986 »

Liebe Forengemeinde,

ich habe im Frühjahr unter dem Titel "Wandern gegen die dunklen Wolken" bereits einen kleinen Bericht verfasst, wie es aktuell in meinem Leben aussieht und über mein Wanderprojekt berichtet, das leider ins Wasser gefallen ist. Kurz darauf hat sich, unabhängig von der Wanderung, eine Situation eingestellt, mit welcher ich wirklich nicht gerechnet habe und die in den letzten Monaten sehr viel in meinem Leben verändert hat. Hierzu möchte ich nun gerne Berichten:
Ich bin seit Ende 2014 in einer Verhaltenstherapie - Diagnose: mittelschwere Depression, Angst-und Panikstörung, Abgrenzungsproblematik. Die letzten Jahre war ich zudem immer unzufriedener in meinem Beruf, bis ich schlussendlich auch irgendwann keinen Sinn mehr darin gesehen habe und nicht verstehen konnte, wieso sich Menschen gegenseitig das Leben schwer machen, wenn es doch nur um die Produktion von Autoteilen geht, an denen kein Leben und auch keine grundsätzliche Notwendigkeit besteht. Dieser Mikrokosmos auf der Arbeit hat im Prinzip mein Weltbild auf einen kleinen Raum projiziert und mir jeden Tag gezeigt, dass sich ein paar wenige auf Kosten anderer die Taschen voll machen, obwohl grundsätzlich genug für alle da ist...
Kurzum - ich musste raus aus dem Beruf und zwar schnellstens. Außerdem habe ich mit meiner Freundin seit mittlerweile fast zehn Jahren eine Fernbeziehung und sie hat nun ihr Studium beendet und einen festen Arbeitsplatz für die nächsten Jahre, so dass auch ein Zusammenziehen endlich in Frage kam. Bloß stand mir meine Depression und diese verdammte Angst und Panik im Wege. Ich habe mich nicht getraut zu bewerben oder sonst etwas zu unternehmen. Ich hatte einfach solche Angst.
Meine Liebste war aber sehr besorgt um mich und hat immer wieder nach Stellen für mich gesucht und mir auch gesagt, sie würde die Bewerbung für mich schreiben, auch absenden und alles tun, was sie kann, damit es mir besser geht. Eines Tages hat sie mir dann eine Stelle zugeschickt, die genau so beschrieben war, wie wir es uns in einem Gespräch über meine berufliche Zukunft ausgemalt hatten. Außerdem liegt der Ausbildungsort in der Stadt in der sie schon wohnte. Sie übte durchaus Druck auf mich aus, aber ich empfand keine Gewalt darin. Es war dann schlussendlich so, dass ich sie nicht enttäuschen wollte.
Also haben wir zusammen eine Bewerbung verfasst und mir war klar, dass ich aufgrund meines Alters (30) ohnehin keine Chance hätte und fühlte mich vor der Veränderung noch recht sicher. Also schickte ich die Bewerbung ab und fuhr kurz darauf auf ein Musikfestival um auch mal wieder richtig abzuschalten und den Stress, den Alltag und die Depression zu "vergessen". Dies hat auch ganz gut funktionier und ich hatte seit langem im Leben mal wieder das Gefühl von Freude und Spaß.
Dann habe ich den "Fehler" gemacht und eines abends nach der letzten Band nochmal nach meinen E-Mails gesehen um zu sehen, ob die Absage schon da ist. Es war dann aber eine Einladung zum Vorstellungsgespräch und ich konnte diese Nacht dann kaum schlafen. Mein Umfeld hat mich gefeiert und ich war recht verständnislos. Hatte ich doch Panik vor dem Gespräch.
Am Tag des Gesprächs fuhr ich dann völlig nervös und zitternd zu dem vereinbarten Termin. Vollgepumpt mit Bachblüten und Beruhigungstee und mir immer wieder laut sagend, dass ich es schaffe und mir nichts passieren kann, kam ich dann fast eine halbe Stunde zu früh an. Zu meinem Leid war meine Freundin zu dem Zeitpunkt noch nicht von ihrer 4-wöchigen Geschäftsreise zurück und ich musste alles alleine bewältigen.
Das Gespräch selbst war für mich der Horror. Ich habe mich schlecht gefühlt, der Ohnmacht nahe, hing doch auch so vieles daran. Einerseits die Frage ob ich zu meiner Liebsten ziehen kann, andererseits die Frage ob ich zu Hause in dem Umfeld, welches mir nicht gut tut, ich aber so gewohnt bin und dem ich ohne Angst begegnen kann, bleiben kann. Ich habe gezittert und geschwitzt und nach einer knappen Stunde war es vorbei.
Zwei Tage später hatte ich die Zusage.
Ich habe daraufhin meinen alten Job gekündigt und zwar so, dass ich noch zwei Monate arbeitslos bin und zusammen mit meinem restlichen Urlaub dann elf Wochen frei habe. Diese elf Wochen habe ich so gut es ging genossen. Und es geschafft, den Umzug so stressfrei wie es wohl möglich ist über die Bühne zu bringen. Der letzte Tag in meiner alten Heimat, in dem Dorf meiner Kindheit war sehr seltsam. Ich bin dann noch ein wenig alleine durch die Straßen gelaufen und habe mit der Stadt "gesprochen". Ich habe mich von ihr verabschiedet, ihr gesagt, dass ich hier alles getan habe, was es zu tun gab und sie nun bereit sei ohne mich klar zu kommen. Das hat mir geholfen zu gehen.

Nun kam also irgendwann der Tag, an dem die elf Wochen Freizeit vorbei waren und der Abend vor dem ersten Tag in meiner neuen Firma. Die Nacht davor war für mich der Horror. Ich konnte kaum einschlafen und wenn, dann plagten mich Albträume. Irgendwann gegen zwei Uhr nachts wurde ich wach, habe geschwitzt und gezittert, einen Knoten im Bauch und bekam kaum Luft - Panikattacke. Meine Liebste wollte ich nicht wecken, da sie dann immer wieder schlecht einschlafen kann, auch wenn sie mir gesagt hat, ich solle sie wecken, wenn es mir schlecht gehen sollte.
Sie wurde dann aber von alleine wach. Hat mir Bachblütentropfen und etwas zu trinken gebracht. Dann haben wir uns unterhalten, sie hat mich in den Arm genommen und mir gesagt, dass sie mich zur Arbeit begleiten würde. Das dies auch vollkommen in Ordnung wäre und ich mich nicht schämen müsse, nicht schämen für die Person, die ich bin und die Krankheit, die ich habe.
Ich bin dann irgendwann wieder eingeschlafen und war sehr müde, als der Wecker klingelte. Ich habe mich mit Bauchschmerzen hoch gequält und meine Liebste hat mich zur Arbeit begleitet. Vor dem Tor hat sie mich lange in den Arm genommen, mir Bachblütenbonbons gegeben und eine Karte mit einem sehr hoffnungsfrohen Text.
Nach einer weiteren langen Umarmung habe ich tief durchgeatmet und bin zu dem vereinbarten Treffpunkt gekommen. Um mich herum bloß fremde Gesichter, aber darunter auch freundlich schauende. Diese haben mir den Druck und die Nervosität sehr gemildert.

Nun sind zwei Arbeitstage vorbei und die nächste Woche wird eine volle Arbeitswoche. Die erste seit langem. Ich bin gespannt was auf mich zu kommt. Doch im Hinterkopf behalte ich mir die Unterstützung meiner Freundin, die mir auch immer wieder gesagt hat, dass sie mich liebt und stolz auf mich ist und auf das was ich bisher geschafft habe und ich nicht scheitern kann, denn selbst wenn ich die Ausbildung abbreche, weil ich es psychisch nicht kann bin ich nicht gescheitert, sondern eben immer noch krank und darum nicht in der Lage.
Mit diesem "Notfallplan" im Hinterkopf und der Gewissheit, dass meine Liebste zu mir steht kann ich die Ausbildung schaffen.

Vielen Dank für Euer Interesse

Herzlichst
Daniel
Selea

Re: Eine (neue) Hoffnung - Orts- und Berufswechsel

Beitrag von Selea »

:hello: Guten Morgen Daniel.

Deinen Beitrag habe ich mit Interesse gelesen, ebenso deinen Beitrag im Thread" Umzug von Tränchen".
Deine Beiträge bezüglich der Wanderung habe ich nicht gelesen.

Da bist du also mutig zu anderen Ufern aufgebrochen. Bravo und Gratulation hierfür. :)

Nicht im alten Sumpf steckengeblieben. Nicht im alten Leid sich gemütlich eingerichtet. Bravo.

Du berichtest von dem Dorf, in dem du gelebt hast, und das dir wohl viel Leid beschehrt hat.
Und du meintest_____30 Jahre sind genug.
Dreißig Jahre.

Und jetzt bist du mit der Nase über den Tellerrand hinaus. :)

Du bist mit deiner Freundin zusammengezogen____und hast in dieser Stadt eine neue Ausbildung angefangen.

Wir Menschen brauchen in unserem Leben IMMER Veränderungen und Umbrüche, selbst herbeigeführt, oder manchmal auch schmerzlich erlitten.
Sonst würden wir nämlich nicht reifen. Oder nicht zufriedener werden. Oder gewisse Wünsche und Ziele nicht verwirklichen können.

Nun steht dir manchmal die Verletztlichkeit durch die Depression im Weg. Also in dem Sinne, dass du halt sehr genau spürst, sehr ängstlich bist, etwas zu wenig Selbstwertgefühl hast. u.s.w.

Aber glaub mir, selbst diese angeblichen Normalos *lach* gehen auch mit bibbernden Knien in Vorstellungsgespräche und fühlen sich auch angespannt und gestresst beim Antritt eines neuen Ausbildungs_oder Arbeitsplatzes.
Dies ist KEIN PRIVILEG eines Menschen, der mit Depressionen kämpft ;)

Gut finde ich, dass du dir diese 2 Monate Zeit genommen hast für den Übergang.

Übergänge brauchen Zeit, Geduld.

Ich würde mich sehr freuen, wärest du mehr von deiner Selbstwirksamkeit überzeugt.
Schließlich liebt dich deine Freundin____und du hast diesen Ausbildungsplatz sofort bekommen.


In diesem Sinne kann ich dir nur alles Gute für deinen NEU_Beginn wünschen.
Selbstredend wird dort jetzt auch nicht alles Gold sein, was glänzt.
Aber du machst andere Erfahrungen.
Das halte ich für so wichtig, nicht erstarren im Bekannten, und seine Depressionen NIE loswerden,
sondern auch mal einen mutigen Schritt wagen.


Herzlich
Selea
Katerle
Beiträge: 11305
Registriert: 25. Sep 2014, 10:30

Re: Eine (neue) Hoffnung - Orts- und Berufswechsel

Beitrag von Katerle »

Hallo Daniel,

das ist sehr mutig von dir, einen Orts-und Berufswechsel in Angriff genommen zu haben und du kannst dich sehr glücklich schätzen, so einen wunderbaren Menschen (deine Frendin) an deiner Seite zu haben, die um dich besorgt ist und dich dabei unterstützt, damit es dir besser geht. Meinen Glückwunsch!

Wünsche dir bei deinem weiteren Weg alles Gute.
Katerle
ndskp01
Beiträge: 2874
Registriert: 9. Feb 2008, 19:34

Re: Eine (neue) Hoffnung - Orts- und Berufswechsel

Beitrag von ndskp01 »

Hallo Daniel,

die Angst kann einem manchmal ganz schön im Weg sein.
Ich finde es toll, dass du die Veränderung gewagt hast!

Du hast keine Garantie, dass das Leben nun perfekt wird, aber es sind neue Möglichkeiten da.
Die Depression nimmst du im Hintergrund mit, sie kann wieder kommen, ebenso die Angst. Aber es kann auch ein gutes Leben auf dich warten.

Alles Gute, deine Puk
Bittchen
Beiträge: 5430
Registriert: 2. Feb 2013, 18:02

Re: Eine (neue) Hoffnung - Orts- und Berufswechsel

Beitrag von Bittchen »

Lieber Daniel,

es liest sich wirklich gut ,was du gewagt und verändert hast.
Du bist ein Glückspilz,so eine liebe Freundin zu haben.
Du bist es 100% Wert,denn nur eine sehr große gegenseitige Zuneigung kann Berge versetzen.
Alles Gute weiterhin ,ihr werdet es schaffen.

Liebe Grüße Bittchen
Jeder Tag ist ein neuer Anfang.
Daniel1986
Beiträge: 43
Registriert: 7. Feb 2016, 20:34

Re: Eine (neue) Hoffnung - Orts- und Berufswechsel

Beitrag von Daniel1986 »

Vielen Dank für Eure schönen und mutbringenden Worte.
Selea hat geschrieben: Ich würde mich sehr freuen, wärest du mehr von deiner Selbstwirksamkeit überzeugt.
Schließlich liebt dich deine Freundin____und du hast diesen Ausbildungsplatz sofort bekommen.
Mit einer Depression im Kopf ist es leider oft sehr schwer seine Selbstwirksamkeit zu erkennen, dann bin ich mir dieser bloß auf rationaler Ebene bewusst, aber das Gefühl hierzu fehlt. Als ich den Text geschrieben habe, hat mir das Gefühl dafür auch gefehlt. Aber meine rationale Seite hat mir gesagt, dass ich das nun unbedingt schreiben muss, um anderen hier im Forum eine Hoffnung zu geben, dass es hinter der Wand weiter geht, man nur die Türe finden muss, oder den schmalen Steg, der über den Abhang führt.
Ich habe selbst gemerkt, dass diese Tür oder dieser Steg da sind, sie jedoch im Nebel liegen und man sich dann auf jemanden verlassen muss, der durch diesen Nebel hindurch blicken kann und einen selbst führt.
Wenn man an dem Punkt ist, an dem man weiß, dass es nicht mehr schlimmer kommen kann, spätestens dann ist es an der Zeit einen Umbruch zu wagen, im schlimmsten Fall ist danach alles noch genauso beschissen wie zuvor. Aber man kann sich selbst wieder im Spiegel ansehen, mit dem Wissen es zumindest versucht zu haben. Ich kann nach langer Zeit mein Spiegelbild wieder ruhigen Herzens betrachten und ich erkenne mich selbst darin. Stück für Stück finde ich zu mir zurück.
Ich gebe mich keiner Illusion hin, ich weiß, dass noch ein langer Weg vor mir liegt und ich auch Rückschläge hin nehmen muss und ich hoffe, dass ich in der nächsten Zeit die Energie dafür tanken kann. Momentan geht es mir ganz gut und ich bin schaffe es auch ab und zu nach der Arbeit noch raus. Obwohl sich meine neue Arbeit - im Gegensatz zur alten - dauerhaft im freien abspielt. Früher habe ich mich nach acht Stunden Fabrik zum Feierabend in meiner Wohnung verkrochen. Heute gehe ich aber, nach 9 Stunden Arbeit im Freien noch eine Runde im Bodensee schwimmen.

Herzlichst

Daniel
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