Terroranschläge - Stigmatisierung von Depressiven

Melisse
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Re: Terroranschläge - Stigmatisierung von Depressiven

Beitrag von Melisse »

In einem Interview äußerte eine Politikerin von den Grünen, es brauche eine spezielle Notrufnummer bei psychischen Krisen. Das verwundert, zeigt aber auch deutlich, welcher Mangel an Wissen und Information in der öffentlichen Aufmerksamkeit noch existiert. Aber auch, wie wenig sich Politiker, wenn sie zu einem Thema interviewt werden, sich selber Wissen (anscheinend?) aneignen.
Zum Thema "Traumatherapie", der Hinweis auf die Psychoanalytikerin Luise Reddemann, die auf diesem Gebiet geforscht und gearbeitet hat. Aufmerksam bin ich auf diese Analytikerin geworden, als sie ein Interview auf Domradio gab und über ihre Arbeit mit traumatisierten Menschen sprach, deren Eltern Kriegskinder oder Enkel von Kriegskindern sind. Das Thema ist also nicht neu und bedarf nur des näheren Hinhörens.

Hier das Interview
http://www.br.de/radio/bayern2/politik/ ... l-100.html" onclick="window.open(this.href);return false;
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Christiane1
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Re: Terroranschläge - Stigmatisierung von Depressiven

Beitrag von Christiane1 »

Moin,
ich warte nun darauf bald vom eigentlich (armen) depressiven IS in der Presse zu lesen oder zu hören..
Woran liegt es nur, dass viele Erklärungsversuche von Medien und Menschen, die sich öffentlich äussern in Interviews etc., am Ende häufig bei Depression=Gewalt landen?
Vielleicht, weil in unserem Land jeder schon mal etwas von Depression gehört hat und solche Verhaltensmuster wie die Täter sie zeigen, in keines unserer üblichen Wertevorstellungen passt.
Ich weiss nicht, aber ich bin froh, dass genau so öffentlich dagegengesteuert wird.

Liebe Grüsse
Christiane
Selea

Re: Terroranschläge - Stigmatisierung von Depressiven

Beitrag von Selea »

:hello:

Schlimm die ganzen Greueltaten. In Frankreich, in Bayern......Amok, IS....persönliches Durchdrehen.......


Ich meine, ganz genau diese Gewalttaten hat es schon immer, und zu jeder Zeit gegeben.
Lest doch mal in Geschichtsbüchern nach.
Die Welt ist halb friedlich und auch halb gewalttätig.

MIT dem ALLEREINZIGEN UNTERSCHIED, dass heutzutage eine jegliche Greuletat via Medien, also Internet ,Fernsehen, social medias breitgetreten und emotionshaft kommentiert wird.
Es wird so, als würde z.B. ein Amoklauf in einem anderen Erdteil zum Problem vor der eigenen Haustüre.

Weit gefehlt.

ABER____Es erzeugt manchmal viel Angst, eine hohe Unsicherheit.....


Immer wieder befremdet mich persönlich in der Berichterstattung, dass der Täter PSYCHISCHE PROBLEME gehabt haben muss . Täter, die sich ja selber ins Jenseits befördert haben.
Selbstredend. So wird es wohl sein.
Wer befördert sich denn freiwillig ins Jenseits.

Es ist falsch, das alles auf den Formenkreis der Depression zu reduzieren.

DDL und Hegerl haben ja hierzu gute öffentliche Statements abgegeben.


Zu allen Zeiten und in allen Kulturen auf Gottes Erden hat es Morde, Gewalttaten etc. und Kriege gegeben, religiös motiviert, persönlich motiviert.
Auch trägt meines Erachtens ein jeder Mensch ein gewisses, gut verschlossenes inneres Gewaltpotential in sich.

Der Mensch ist nicht nur lieb perse, sondern auch schwierig, kompliziert etc. etc.

Wie oft wird ja in den Medien berichtet, "warum hat X oder Y denn diese Gewalttat gemacht, er, sie war doch so ein lieber , so ein angepasster und freundlicher Mensch. Niemand hat etwas geahnt.

Ja, es gibt eben diese seelischen und menschlichen Abgründe. Leider.

Und nicht immer kann ein Umeld, oder gar die richtige Politik das alles im Vorfeld erkennen, aus dem Weg räumen.

Leider sind wir hier in Deutschland ein Einwanderungsstaat mit allen positiven und auch negativen Konsequenzen.


Nein, ich selber fühle mich durch dies Vorkommnisse nicht stärker diskrimiert als vorher.
Um die Eingangsfrage der Threaderöffnerin zu beantworten.
Mein persönlicher Arm reicht nicht soweit, diese vielen Vorkommnisse zu beseitigen.

Sich einfach nur aufregen darüber, das bringt nichts.

Kritisch bleiben steht bei mir auf den Fahnen. Genau gucken, welche Parteien für mich wählbar sind.
Meine Augen aufhalten hier im engsten Umfeld, sehe ich jemanden in eine psychische Krise abdriften. Können wir Nachbarn was tun.
Gesprächsbereit bleiben.

Bescheidene Möglichkeiten____in der Tat.
Aber besser, als sich einfach nur in diffuse Ängste und Hilflosigkeitsgefühle fallen zu lassen.



Soweit meine Gedanken
über eine NIE friedlich gewesene Welt
Selea
Christiane1
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Re: Terroranschläge - Stigmatisierung von Depressiven

Beitrag von Christiane1 »

Ja, es gab immer Gewalt und wird sie höchstwahrscheinlich auch so lange geben wie Menschen existieren.
Aber, ich zum Beispiel lebe jetzt, nicht in hundert Jahren oder vor hundert Jahren, sondern jetzt und empfinde es als normal, in meiner Lebenszeit auf Vorkommnisse zu reagieren.
Das macht jeder anders und das ist auch gut so.
Insa40
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Registriert: 25. Mär 2011, 20:44

Re: Terroranschläge - Stigmatisierung von Depressiven

Beitrag von Insa40 »

Am vergangenen Freitag sagte eine Nachbarin, die durch Zufall vor einiger Zeit erfuhr,
dass ich Depression und Angststörung habe :" na, in Dir schlummert hoffentlich keine
Zeitbombe" und grinste dabei nach dem Motto "ist ja nur Spass."
Ist es das?
Morbus
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Re: Terroranschläge - Stigmatisierung von Depressiven

Beitrag von Morbus »

Bei solchen Bemerkungen müsste man fast kontern das besagte Person die erste sein wird, die es erfahren wird.
Und dann böse zurückgrinsen.

Es gibt einfach zu viele dumme Menschen..
Let go your earthly tether. Enter the void. Empty, and become ...
Melisse
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Re: Terroranschläge - Stigmatisierung von Depressiven

Beitrag von Melisse »

Christiane1 hat geschrieben: Woran liegt es nur, dass viele Erklärungsversuche von Medien und Menschen, die sich öffentlich äussern in Interviews etc., am Ende häufig bei Depression=Gewalt landen?
(...)
Ich weiss nicht, aber ich bin froh, dass genau so öffentlich dagegengesteuert wird.
Hier kann nur spekuliert werden, warum und weshalb auf diese Erklärungsversuche zurückgegriffen wird. Denkbar einfach und bequem kann es sein, wenn ein Erklärungsmodell, für all das Erschreckende und Unkontrollierbare, gleich parat zu haben. Man nimmt sich zu wenig Zeit, um Geschehnisse in ihrer Komplexität überhaupt zu begreifen und, wenn überhaupt, ihre Auslöser und Hintergrund zu erforschen. Hernach werden Lösungsstrategien der Öffentlichkeit vorgelegt, die weder angemessen noch praktikabel sind, da die Realität verkannt wird.

Anmerkung: Eine positive Wirkung kann sich durchaus ergeben, in dem Fall, wenn sich mehr Menschen für dieses Thema interessieren, also sensibilisiert werden und Wissen aneignen.
Zuletzt geändert von Melisse am 30. Jul 2016, 11:28, insgesamt 1-mal geändert.
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Seide
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Re: Terroranschläge - Stigmatisierung von Depressiven

Beitrag von Seide »

Insa40 hat geschrieben:Am vergangenen Freitag sagte eine Nachbarin, die durch Zufall vor einiger Zeit erfuhr,
dass ich Depression und Angststörung habe :" na, in Dir schlummert hoffentlich keine
Zeitbombe" und grinste dabei nach dem Motto "ist ja nur Spass."
Ist es das?
Genau deswegen erzähle ich niemandem von meiner Krankheit.
Ich habe schon sehr oft mit meinen Vermietern darüber diskutiert.

Ich schließe mich Eurer Meinung an.

Die Nachrichten ägern mich auch jedesmal sehr.
Damit werden die Vorurteile geschürt.

Liebe Grüße Eure Seide :hello:
Christiane1
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Re: Terroranschläge - Stigmatisierung von Depressiven

Beitrag von Christiane1 »

Ich glaube, ich würde auf einen vorurteilsschwangeren Kommentar antworten mit "Ja, schön vorsichtig sein, seid nett zu uns Depressiven, denn sonst...." Manchmal kann man eine Bratpfanne auch kurz zweckentfremden, wenn man sprachlos ist.
fendtsepp
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Re: Terroranschläge - Stigmatisierung von Depressiven

Beitrag von fendtsepp »

Vor einiger Zeit war in dem Windows Nachrichtenportal (MSN) eine Meldung in der ein Forscher zitiert wurde, der sagt, dass viele islamistische Attentäter erst auf Grund einer psychischen Erkrankung (ich glaube es viel auch das Wort Depression) und Perspektivlosigkeit in diese gewalttätige Richtung abgedriftet sind.
Ich finde dieses Analyse durchaus glaubwürdig. Gesunde Menschen werden nicht zu Selbstmordattentätern.
Der Umkehrschluss ist damit überhaupt nicht ausgedrückt. Deshalb finde ich so eine Aussage auch nicht stigmatisierend.
Die Folge einer solchen These wäre vielmehr an den Ursachen was zu ändern.
Aber, nachdem man Teile der islamischen Welt, beim Versuch des "Nation Buildings" zu zerstörten Staaten gemacht hat, weiß keiner mehr wie man Afghanistan, Syrien, Irak und die afrikanischen Mittelmeerländer retten kann. Dass aus dieser Tragödie und Perspektivlosigkeit maßlose Gewalt entsteht war zu erwarten.
Wenn dann noch eine weltumspannende Echtzeitkommunikation mit oberflächlicher Sensationshascherei mit dem Ziel Auflage zu machen dazukommt ist an eine positive Entwicklung kaum zu denken.
Bill Bonner hielt das Fernsehen für die schädlichste technische Erfindung des 20. Jhd.
Vielleicht sind die "sozialen Netzwerke" im Internet der Nachfolger des Fernsehens.
Ein arabischer Bekannter, der hier geboren ist und gut integriert ist, sagte mir letzten Sonntag, dass es keine Möglichkeit gibt die Menschen die Afrika unter Perspektivlosigkeit leiden davon abzuhalten sich auf den Weg nach Norden zu machen.
Sorry, jetzt bin ich vielleicht abgeschweift. Ich habe nur mal meine Gedanken getippt.
Und das sind auch keine Behauptungen sondern nur Gedanken, deshalb bitte ich um Nachsicht und um keine harten Zurückweisungen.
Salvatore
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Re: Terroranschläge - Stigmatisierung von Depressiven

Beitrag von Salvatore »

Ich hatte in den letzten Tagen auch Gespräche, die ungefähr so gingen:
Gegenüber (GÜ): Naja, der hatte ja auch Depressionen.
Ich: Die habe ich auch.
GÜ: Okay, aber der war in der Psychiatrie!
Ich: Das war ich auch. Ambulant gehe ich da immer noch hin.
GÜ: Naja, aber DU hast ja nicht vor, jemanden zu erschießen. Oder doch? *zwinker, zwinker* Hahaha.


Gesunde Menschen tun sowas nicht. Denn das übersteigt jegliche Vorstellungskraft. Also müssen "die" krank sein, und zwar im Kopf - wo sonst. Lasst uns aber nicht vergessen, dass wir in einer Zeit leben, in der man sehr schnell bei der Hand ist mit der Einschätzung "psychisch krank". Trauer kann bereits nach zwei Wochen eine psychiatrische Diagnose bekommen, dabei ist es etwas ganz Natürliches und Normales zu trauern, wenn man z.B. einen geliebten Menschen verloren hat, früher hat man dafür ein Jahr veranschlagt und daran war nichts Krankes. Aber wer anderen absichtlich Schaden zufügt, der muss krank sein und wenn es dafür noch keine Diagnose gibt, dann müssen wir eine schaffen. Und wenn wir dafür sorgen, dass gut und gerne dreiviertel der Bevölkerung zu irgendeiner Diagnose passen würde, dann kann man bei jeder Straftat sagen, das war weil der psychisch krank war. Wenn Antidepressiva schon bei leichtesten Befindlichkeitsstörungen verschrieben werden, kann man mit großer Wahrscheinlichkeit sogar sagen: guck, der hat ja sogar Psychopharmaka genommen. Oder nicht genommen obwohl er es hätte sollen oder gerade abgesetzt - alles lässt sich instrumentalisieren.
Der IS ist genauso wenig geschlossen psychisch krank wie seinerzeit die Nazis. Klar gibt es psychische Erkrankungen bei den Mitgliedern des IS, wahrscheinlich in weit größerer Zahl als in der sonstigen Durchschnittsbevölkerung. Das eigentlich Interessante ist doch: was ist mit den anderen?
Dieser Zug mit den Depressionen, auf den jetzt alle aufspringen, ist nur ein Trend - bis vor ein paar Jahren waren noch Ego-Shooter die Wurzel allen Übels. Die Diskussionen waren dieselben, die Gamerszene geriet unter Universalverdacht und wehrte sich wütend und wer weiß, welches Erklärungsszenario in der Zukunft auf uns wartet. Kindheitstrauma war ja auch schon mal ne zeitlang dran, müsste so ca. Ende der 90er gewesen sein.

Die aktuelle Berichterstattung finde ich deswegen höchst problematisch, weil es einen Kausalzusammenhang herstellt oder andeutet, den es nicht gibt. Und es gaukelt einfache Erklärungen vor, die es ebenfalls nicht gibt.
Psychische Erkrankungen führen nicht zu Gewaltausbrüchen; es gibt jedoch eine Reihe von Umständen, die, wenn mehrere zusammenkommen, eine psychische Erkrankung verursachen und unter ungünstigen Bedingungen letztlich in Gewalttaten enden können, wobei manche Personen sicher anfälliger sind als andere. Diejenigen unter den psychisch Kranken, die einen gewaltsamen Akt gegen andere durchführen, dürften statistisch gesehen aber eine winzige Menge ausmachen im Verhältnis zu denen, die nicht auffällig werden.
In amerikanischen Gefängnissen sitzen mehr Schwarze als Weiße in den Gefängnissen - aber nicht die schwarze Hautfarbe macht Menschen zu Straftätern.
Egoshooter produzieren keine Amokläufer, sondern potenzielle Amokläufer fühlen sich in der Regel zu diesen Spielen hingezogen.
Die Medien verkaufen es uns aber in falscher Einfachheit. Aaaaach soo, er hat Counterstrike gespielt. Verstehe, er ist gemobbt worden. Alles klar, er hat ein Trauma. Klar, war ein Muslim. Man hat Angst, wenn ein arabisch aussehender Mann mit Rucksack in den Bus einsteigt. Ein dunkelhäutiger Mann alleine mag gerade noch gehen, aber alles mehr als einer ist bedrohlich.

Die Bigotterie der Medien ist lange bekannt. Besonders entsetzt bin ich (leider mal wieder) von den Öffentlich-Rechtlichen. Klar, Krawall schafft Quote. Aber wir haben das System der Rundfunkgebühren, damit diese Fernsehanstalten eben gerade nicht auf Quote oder Geldgeber angewiesen sind und unabhängig berichten können. Es nicht nötig haben, mit allen Mitteln um die Gunst der Zuschauer zu buhlen. Neutrale Berichterstattung gibt es aber immer weniger, was man an dem Amoklauf von David S. sehr gut sehen konnte. Thomas Roth erging sich eine Stunde lang in wildesten Mutmaßungen über den IS, um dann zu kommentieren "Spekulationen bringen ja jetzt auch niemanden weiter" - ja, ganz genau! Wozu dann also? Wie wir gesehen haben, war er weit von dem entfernt, was sich wirklich zugetragen hat. Die Außenreporter wissen rein gar nichts zu berichten, trotzdem werden sie allei paar Minuten ins Studio geschaltet und können nur hilflos mit den Schultern zucken und in die Kamera stammeln, dass seit der letzten Live-Schalte nichts passiert ist und man auch seitdem nichts neues erfahren hat, es aber sicher bald was geben wird. Die könnten sich ja auch im Studio melden, wenn sie was zu sagen haben, so dass sie auch nur dann auf Sendung sind?
Es werden "Zeugen" vor die Kamera gezerrt, die rein gar nichts gesehen haben. Es werden "Experten" angekarrt von denen man nie erfährt, was sie eigentlich zu einer Meinung qualifiziert, aber es gibt für alles welche, Terrorismusexperten, Islamexperten, Schusswaffenexperten, Polizeitaktikexperten, Experten für psychische Erkrankungen,... Wer tecnisch in der Lage ist, schnell einen passenden Wikipedia-Eintrag zu googeln, ist heutzutage gleich Experte. Warum werden in einer Sendung der Tagesschau Twitter-Meldungen vorgelesen, was für einen Informationswert hat das?
Aber man muss ja unbedingt der erste sein, der brisante News verkündet, auch wenn es nur Gerüchte sind. Also lieber raten statt zu recherchieren und zu verifizieren, Hauptsache schnellschnell, muss ja vor den anderen sein. Dann hören wir auf der Pressekonferenz vom Münchener Polizeichefs, es mögen bitte keine Fotos oder Videos ins Internet gestellt werden und was macht kurz darauf die Tagesschau? Zeigt genau so ein Video und überlegt, welche Schlüsse man daraus ziehen kann.

Berichterstattung gerät sehr leicht zur Meinungsmache und die Medien (alle, nicht nur die ÖR) sollten sich ihrer immensen Verantwortung bewusst sein. Ist immer toll, wenn man Bilder hat - aber man darf nicht alles zeigen. Als einen Tag nach dem Amoklauf eine Hausdurchsuchung stattfand, waren Straße, Haus und Hausnummer bestens zu erkennen. Ich mag mir gar nicht ausmalen, was die Folge für sämtliche Be- und Anwohner bedeutet hat.
Kann man als Medienmacher feststellen, dass es Amokläufern häufig darum geht, im wahrsten Sinne des Wortes mit einem ganz großen Knall abzutreten, also sich gezielt um die Aufmerksamkeit möglichst der Weltbevölkerung bemüht - und dann gleichzeitig diesem Wunsch nur allzu gerne nachkommen, mit stundenlangen Sondersendungen, Handyvideos und -fotos, Interviews mit jedem, der sich dazu bereit erklärt, Titelthemen etc. pp.? Ich nenne das Doppelzüngigkeit, noch mehr dann, wenn man auch noch auf den Werther-Effekt hinweist, sich also bestens bewusst ist, dass es Nachahmer heraufbeschwört.
Flächendeckende Einigkeit herrschte bei Journalisten und Konsumenten darüber, das Marcus da Gloria Martins großartige Arbeit geleistet hat, weil er in den Pressekonferenzen aufgeklärt hat, ohne zu spekulieren und ohne Panik zu machen, dabei unaufgeregt und zurückhaltend. Dieser Meinung schließe ich mich an und ich wünschte, so manch ein Reporter würde sich von seiner Attitüde eine gehörige Scheibe abschneiden. So kann man das auch machen.

Wir sind Konsumenten, wir haben eine gewisse Marktmacht. Wenn ich mich beschwere, ist das ein Tropfen auf den heißen Stein. Wenn sich aber vier oder fünf Millionen Depressive beschweren, plus noch einige Nicht-Betroffene, die sich einfach nur so ärgern... Das kann so einen heißen Stein schon gewaltig abkühlen und würde viel Dampf verursachen.

Ich persönlich fühle mich jetzt nicht stärker stigmatisiert als vor den jüngsten Ereignissen. Die Leute wissen, dass ich Depressionen haben und verbinden mich nicht mit potenzieller Gewalttätigkeit. Ich habe auch keine Angst, zukünftig weiter offen damit umzugehen, weil ich nicht davon ausgehe, dass beim anderen sofort die Verbindung da ist, oha, Depression = gewaltbereit/eine Gefahr für andere. Ich bin mir aber fast sicher, dass es viele Betroffene, die sich noch nicht "geoutet" haben, davon abhalten wird es zu tun. Ich fürchte auch, dass sich viele scheuen könnten, sich Hilfe beim Arzt o.ä. zu holen aus Angst, in denselben Topf wie Amokläufer geworfen zu werden. Das wäre eine Katastrophe. Ich habe vor, bei meinem nächsten Therapeutentermin am Montag über meine Suizidfantasien zu sprechen und ich habe das Bedürfnis, dazu ganz deutlich zu erwähnen, dass es sich bei diesen Fantasien ausschließlich um meine Wenigkeit dreht und in keinster Weise um irgendjemanden sonst, ich weit davon entfernt bin, jemandem zu schaden.
Ist die Angst vor Stigmatisierung weniger schlimm als Stigmatisierung selbst?

Lg, Salvatore
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Frauhamster
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Re: Terroranschläge - Stigmatisierung von Depressiven

Beitrag von Frauhamster »

Ein hervorragender Beitrag.
Danke Salvi!

Liebe Grüße von der Hamsterin

Wer das Glück nicht entlang des Weges sieht,
findet es auch nicht am Ende des Weges. (Hartmut Lohmann)
Christiane1
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Re: Terroranschläge - Stigmatisierung von Depressiven

Beitrag von Christiane1 »

Cool, Salvi.
DieNeue
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Registriert: 16. Mai 2016, 22:12

Re: Terroranschläge - Stigmatisierung von Depressiven

Beitrag von DieNeue »

Finde deinen Beitrag auch sehr gut, Salvatore.
Könnte man glatt veröffentlichen...
Melisse
Beiträge: 58
Registriert: 30. Jun 2016, 09:32

Re: Terroranschläge - Stigmatisierung von Depressiven

Beitrag von Melisse »

empfehlenswerter Beitrag zum Thema

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