Depression und Druck

Antworten
Saskia67
Beiträge: 29
Registriert: 9. Jun 2015, 23:16

Depression und Druck

Beitrag von Saskia67 »

Ihr Lieben,

Ich hätte gern mal aus erfahrener Quelle erklärt, wie sich das mit dem Druck verhält, dem sich ein depressiver Mensch ausgesetzt fühlen kann. Ich weiß von meinem derzeit leider immer noch depressiven Freund, dass er sich so sehr unter Druck fühlt. Er will, dass es besser wird und das allein ist schon Druck. Weil es ja leider nicht besser wird. Er nimmt von den Menschen aus seinem Umkreis wahr, dass sie wollen, dass es besser wird. Und das ist dann noch zusätzlicher Druck.

Ich gebe mir in meinen Mails, mit denen ich ihn immer wieder anspreche, Mühe, keinen Druck zu machen. Ich schreibe ihm also nicht, jetzt muss es mal wieder besser werden oder sowas in der Richtung. Aber er interpretiert trotzdem Druck aus meinen Mails. Schicke ich ihm mal ein etwas beschwingteres Lied und schreibe dazu: "Hier mal eine Portion Energie", dann leitet er schon daraus ab, dass ich ja will, dass es besser wird und das wäre Druck. Schreibe ich ihm etwas darüber, was ich in einer Sache erreicht habe, für die wir uns mal zusammen eingesetzt haben, dann leitet er daraus Druck ab, dass ich will, dass er wieder mitmacht. - Im Prinzip hat er ja Recht. Ich will es natürlich. Warum sollte ich es nicht wollen? Ich habe es ihm aber in dem Moment geschrieben, damit er sich freuen soll, dass sich alles regelt auch ohne dass er sich anstrengen muss.

Im Prinzip steht doch hinter Allem, was man jemandem, der depressiv ist, schreibt, der Wunsch, dass es wieder besser wird. Stelle ich ihm die Frage nach einem Computerproblem, dann wäre dahinter auch der Wunsch, dass es besser wird. Also in dem Fall wäre es so ein kleiner Stubs, denke mal an was Anderes, damit es dir besser geht.

Für mich leitet sich daraus das Dilemma ab, dass ich schon gar nicht mehr weiß, was ich schreiben soll. Denn alles wäre im Prinzip Druck. Also könnte ich gar nichts mehr schreiben. Gar nichts mehr schreiben würde doch aber aufgeben heißen. Und ich will ihn nicht aufgeben.

Was könnte ich also noch versuchen, was ihn nicht unter Druck setzt?

Und warum schreibt er von angegriffenen Kraftreserven, wo er doch seit Monaten eigentlich nur zu Hause ist und an sich selber denken muss? Werden nicht gerade dadurch die Kraftreserven schon angegriffen? Vom nur so Herumsitzen muss man doch auch ganz kraftlos werden. Müsste er nicht eigentlich noch viel mehr Aufunterungen bekommen, dies oder jenes auch mal zu tun?

Danke für´s Lesen und vielleicht Antworten.
lucky8
Beiträge: 476
Registriert: 20. Jun 2014, 23:41

Re: Depression und Druck

Beitrag von lucky8 »

Hallo Saskia,
das mit dem Druck ist so eine Sache.... mein Lebensgefährte ist seit vier Jahren depressiv. Mache ich Druck, geht manchmal etwas vorwärts, mache ich keinen Druck, sitzt er nur rum und schaut aus dem Fenster oder in den Fernseher. Die Dinge des täglichen Lebens, wie essen und trinken, Hygiene usw. schafft er natürlich auch alleine.
Ich mache Druck, wenn wir etwas unternehmen wollen und er nicht weiß, ob er es sich zutrauen kann oder nicht. Dann sage ich ihm, dass er es ausprobieren muss, damit er weiß, was er alles schaffen kann. Wenn er dann wirklich mitkommt, dann geht es ihm anschließend besser. Von alleine unternimmt er nichts. das ist echt ein Problem. Er möchte, wenn, dann mit mir aus dem Haus.
Manchmal mache ich auch Druck, der ihm nicht gut tut. Nämlich, wenn ich mit seiner Krankheit nicht mehr zurecht komme und ausflippe. Danach tut es mir zwar Leid, aber es ist nun mal passiert. Es wirft ihn aber nicht weiter zurück.
Ich habe den Vorteil, dass ich mit ihm zusammen wohne, er aber, wenn es ihm zuviel wird (oder mir) zu sich nach Hause gehen kann.

Ich glaube nicht, dass du ihn ohne Druck aufmuntern kannst. Aber eine gewisse Portion Druck ist nötig, damit die Kranken nicht ganz in der Isolation versinken. Das ist meine Meinumg, nichts weiter.
Wäre schön, wenn jemand von der Betroffenenseite dir antworten würde... Gedanken der anderen Seite lesen ist sehr oft sehr hilfreich.

Eine Beziehung aus der Ferne mit schreiben halte ich für eine schwierige Gratwanderung. Seht ihr euch ab und zu oder telefoniert ihr? Wie reagiert er denn, wenn du anrufst? Hat er Hilfe, einen guten Therapeuten oder so?

Ich wünsche dir viel Mut, Kraft und Geduld.....
Schönen Sonntag
lucky
Zarra
Beiträge: 5734
Registriert: 12. Mär 2010, 15:16

Re: Depression und Druck

Beitrag von Zarra »

Hallo Saskia,

ich antworte mal als Betroffene.

Das Problem ist, daß man als Depressiver als "Bessergehen" ja eben nicht machen kann; also eben nicht analog zu: Du saugst die gesamte Wohnung, dann wischt Du die Böden, und dann ist sie schon mal viel sauberer. Wenn es so einfach wäre, wären nicht so viele so lange depressiv und würden so viel leiden. (Und das Mittel gegen fehlenden Antrieb hätte ich auch gerne ;-).)

Du gehst von Deinem undepressiven Erleben und Empfinden aus und was bei Dir ggf. hilft, wenn Du mal trübe oder schlechtere Stunden hast. Und das Problem ist, daß es bei wirklich Depressiven eben anders ist, das nicht hilft, manchmal sogar etwas verschlechtert.

Wenn ich nur ganz leicht depressiv bin (falls man das so überhaupt sagen kann), helfen mir Gewohnheiten oder durchaus der Stups einer anderen Person - "los, nun komm schon mit! :-)" oder: "Komm, wir machen das zusammen, das kriegen wir zusammen schon hin!" -; und das Dortsein ist in diesem Fall dann aber gut für mich. ... und es gibt eben Situationen, die sich mehren, je stärker die Depression ist, daß es mir auch nach einem solchen Aufraffen nur schlecht und schlechter dort geht und ich eher noch alles verfluche.

Und man will in seinen momentanen Gefühlen ernst genommen werden. Deshalb u.U. auch die "Ablehnung" von Aufmunterungen. - Und klar ist das eine Gratwanderung, auch in ggf. der Therapie: Die "schlechten", unangenehmen Gefühle ernst zu nehmen, ohne sich von ihrem Sog wegschwemmen zu lassen; daneben auch wieder Positives zu sehen.
Und warum schreibt er von angegriffenen Kraftreserven, wo er doch seit Monaten eigentlich nur zu Hause ist und an sich selber denken muss? Werden nicht gerade dadurch die Kraftreserven schon angegriffen? Vom nur so Herumsitzen muss man doch auch ganz kraftlos werden. Müsste er nicht eigentlich noch viel mehr Aufunterungen bekommen, dies oder jenes auch mal zu tun?
Die Depression greift die Kraftreserven an. Du gehst bei Deiner Beschreibung von einem halbwegs Gesunden aus. Würdest Du das gleiche bei jemandem mit Krebs oder jemandem, der gerade Chemotherapie macht, auch sagen? - Klar gibt es auch einen depressiven Sog oder daß er auch nichts Positives mehr erlebt, wenn er keine Gelegenheit mehr dazu hat. Die Frage ist halt, was er gerade als angemessen, als halbwegs gut noch machbar erleben würde. Vielleicht kannst Du ihn da mal fragen, auch nachhaken, bei ggf. Deinen Vorschlägen "runterstapeln" - denn das erste "geht alles nicht" von ihm kann durchaus übertrieben depressiv sein, Deine eigene Idee aber vielleicht zu gesund-"normal"(-schön :-)), zu "hochgestapelt" für ihn.

LG, Zarra
Botus
Beiträge: 2096
Registriert: 29. Mär 2014, 06:36

Re: Depression und Druck

Beitrag von Botus »

Hallo Saskia,

die Menschen sind ja nicht alle gleich. Sie sind auch nicht alle automatisch so, wie man selber ist.

Einige fühlen sich beispielsweise nur dann gut, wenn ihr Telefon unentwegt klingelt oder sie haufenweise Nachrichten kriegen. Aber es gibt auch Menschen, die in der Hinsicht ganz anders sind und genervt reagieren, wenn sie ständig gestört werden.

Bevor man überlegt, was man einem anderen vielleicht als nächstes auf sein Handy schickt, ist es auf jeden Fall ratsam, erstmal nachzuforschen, ob die andere Person genauso ist, wie man selbst oder vielleicht doch eher ein anderer Mensch.

Das ist mit anderen Sachen das gleiche. Um zu verstehen, warum er zu Hause sitzt und gar nichts macht, müsste man sich in ihn hinein versetzen. Es bringt nichts, sich vorzustellen, der andere wäre eine Zweitausgabe von einem selber und demjenigen dann Tipps zu geben, die einem selber nützen würden, ihm aber gar nichts bringen.

Das ist oft auch das Problem in Partnerschaften. Meine Ex glaubte, ich sei eine Kopie von ihr. In jedes Wort von mir interpretierte sie Inhalte rein, die aus ihrem eigenen Fundus stammten. Wenn ich etwas sagte, habe ich das überhaupt nicht so gemeint, wie sie das verstanden hat.

Sie ist immer davon ausgegangen, ich wäre genau wie sie, sprich eine gleichaltrige Frau. So sah auch unser Leben aus. Wenn sie mir eine Freude machen wollte, machte sie etwas, das für sie (oder für eine gleichaltrige Freundin) etwas Schönes darstellt. Wenn ich mich nicht darüber freuen konnte, nahm sie an, dass mit mir wohl irgendwas nicht stimme oder ich etwas gegen sie hätte oder ihr mit fieser Ablehnung wehtun wolle. Man könnte sagen, dass unsere Beziehung daran scheiterte, dass ich nicht die erhoffte Kopie von ihr war, sondern ein anderer Mensch, der zusätzlich noch den Mangel aufweist, anderen Geschlechts zu sein.

Aus meiner Sicht ist schon viel gewonnen, wenn man immer daran denkt, dass der jeweils andere, mit dem man es zu tun hat, ein völlig anderer Mensch ist. Die meisten Errormeldungen fallen dann weg. Statt dessen steht man vor der Wahl, sich auf einen anderen Menschen einzustellen oder eben nicht.

Liebe Grüße vom Dobi
Hoffentlich
Beiträge: 136
Registriert: 18. Nov 2011, 09:26

Re: Depression und Druck

Beitrag von Hoffentlich »

Liebe Saskia,

ich schreibe dir als Depressive. Einen Rat kann ich dir leider nicht geben. Aber du hast das Thema "Druck" sehr treffend beschrieben. Egal, was Angehörige tun, es ist falsch. Ich stecke gerade selbst in einem schwarzen Loch und weiß, was du meinst. Nähe erzeugt Druck, Abstand auch......

Alles Gute und liebe Grüße Hoffentlich
Jojoko
Beiträge: 6
Registriert: 24. Apr 2016, 18:02

Re: Depression und Druck

Beitrag von Jojoko »

Hi zusammen,

mein depressiver Lebensgefährte hat genau das gleiche Druck-Problem. Als Angehöriger kann einend as ganz schön in den Wahnsinn treiben! Man bemüht sich so, investiert Kraft und Liebe und erntet nur den Vorwurf, man würde Druck ausüben.
Ich hab diesbezüglich zwei Dinge ausprobiert:

1.) Eine alternative Interpretation vom Depressiven fordern. Man hat sicher schon viel mit ihm gesprochen und nur zu sagen, dass man keinen Druck ausüben will, bringt nichts. Eine klare Ansage, wie man sich selbst dabei fühlt, kann helfen, da es wichtig ist, auch aufzuzeigen, dass einen das kränkt und traurig und verzweifelt macht, wenn der Gegenüber überall nur Druck sieht. Dies erfordert aber leider recht viel eigene Intitiative und Engagement vom Depressiven, die nicht jeder von ihnen erbringen wird. DIe zweite Methode ist vielleicht etwas einfacher:

2.) Wenn der Depressive sagt, etwas würde Druck auslösen, fragen warum, erklären, was man eigentlich sagen/auslösen wollte und dann fragen, wie man das erreichen kann, ohne Druck auszulösen. Das hat uns am besten geholfen bisher.

Ich finde es auf jeden Fall sehr wichtig, dass man sich als Angehöriger nicht zu sehr zurücknehmen darf, aus Angst, man könnte ja Druck auslösen. Dann legt man nämlich das gleiche, sich übergehende und sich selbst überfordernde Verhalten an den Tag wie der Depressive selbst. Das tut weser einem selbst, noch dem Depressiven gut. Und schlimmstenfalls entläd sich das alles, was sich angestaut hat, in einem Mal, weil man es nicht mehr aushält. Das ist nicht fair, nicht sich selbst und auch nicht seinem Lieben gegenüber.
Catrina
Beiträge: 91
Registriert: 2. Apr 2016, 09:32

Re: Depression und Druck

Beitrag von Catrina »

Ein interessantes Thema; gut, dass es wieder hochgeholt wurde!
Antworten