KEINE Medikamente

Philosophin
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KEINE Medikamente

Beitrag von Philosophin »

Hallo zusammen,

ich wollte mich mal erkundigen, ob es auch Menschen in diesem Forum gibt, die eine eher kritische bis ablehnende Haltung gegenüber Antidepressiva haben. Ich selbst bin von mittelschweren bis schweren Depressionen betroffen und habe bisher Fluoxetin und Sertralin über jeweils ein halbes Jahr genommen. Nachdem beide Medikamente jedoch recht schnell ihre Wirkung verloren haben, habe ich es ganz gelassen und nehme seit drei Monaten nichts mehr ein. Das Absetzen war hart! Fatal finde ich besonders bei Fluoxetin, das Loch, in dass man nach etwa 5 Tagen stürzt. Man glaubt, es sei die Depression die mit voller härte zurückschlägt, dabei bin ich mir sicher, dass es allein durch das schrittweise (!) absetzen kommt. Wenn man durchhält, ist es nach ein paar Wochen wieder wie gewohnt.

Ich schaffe es gerade so meinen Alltag zu bewältigen. Oft fühle ich mich sehr traurig und weine viel, was ich unter AD´s nie konnte. Es war mit Medikament eher eine Leere und alles schien nicht von Bedeutung zu sein. Wenn ich ganz leise den Drang verspürt habe, meine Situation zu reflektieren, war es als geriete ich in einen Nebel. In meinem Kopf war es still, die Gedanken waren klar und geordnet, bis zu dem Punkt, an dem ich eben etwas tiefer reflektieren wollte. Ich bin einfach nicht durch diesen Nebel gedrungen und es war mir eigentlich auch gar nicht mehr so wichtig.

Jetzt denke ich sehr viel über die Vergangenheit nach, bin sehr angreifbar und verletzlich und vor allem traurig. Ich habe nur wenig Mut und mag an meine Zukunft gar nicht denken. Ich fühle mich schwach und mitunter hilflos. Die typischen Anzeichen der Depression- die allerdings nicht aus heiterem Himmel gekommen ist. Ich frage mich, wie eine "normale" Krisenverarbeitung aussieht, und wie es passiert, dass man unbemerkt in eine Depression abrutschen kann. Ich habe mich zurückgezogen, klar war dies ein großer Fehler. Aber selbst jetzt wenn ich versuche, zu einer "normalen" Verarbeitungsphase überzugehen, in der ich mir erlaube, traurig zu sein aber auch unter Leute gehe, Sport mache und all das andere tue, dass gut sein soll, lässt mich die Depression nicht los. Sie wird und wird nicht besser, eher im Gegenteil. Ich bin verzweifelt!

Ich mag keine Medikamente nehmen. Ich finde diesen Nebel im Kopf schlimmer als die ungeordneten Gedanken, die dennoch weiterreichen können. Es kann doch kein Leben sein, mit einer gleichbleibenden Grundzufriedenheit zu leben- die Traurigkeit und all die anderen "negativen" Gefühle haben doch eine Berechtigung, da zu sein, wenn die Depression auf ein auslösendes Ereignis gefolgt ist!!! Wie kann man eine Tablette schlucken, und sich selbst dermaßen unterdrücken!?

Es wird immer wieder Krisenhafte Situationen im Leben geben, deswegen ist die Idee, Medikament nur für ein paar Monate zu nehmen, um die akute Zeit eben besser überstehen zu können, doch der reinste Fehlschluss. Etwas das die Pharmakonzerne gnadenlos ausnutzen. Wenn ich einen Hang zur depressiven Erkrankung habe, wird mich auch das nächste schlimme Ereignis im Leben umwerfen- und wieder wird zu Medikamenten gegriffen!?

Wie soll eine Therapie funktionieren, wenn Medikamente die "Spitzen" der Krisen nehmen. In dieser Zeit kann ich doch gar nicht mehr nachempfinden, wie sehr ich gelitten habe. Erinnerungen sind mitunter verfälscht, da sie nicht mehr in den satten Farben daliegen, wie sie ohne Medikament vorhanden wäre.

Von den Nebenwirkungen und möglichen Langzeitschäden ganz zu schweigen.

Ich fände es interessant, eure Meinungen zu hören. Gibt es hier jemanden, der sich genau wie ich, gegen eine medikamentöse Behandlung entschieden hat? Wie sind eure Erfahrungswerte? Kann eine Psychotherapie allein auch schwere Depressionen in den Griff bekommen, und das vielleicht sogar dauerhaft?

Liebe Grüße

Philosophin
Inertia
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Re: KEINE Medikamente

Beitrag von Inertia »

Hallo Philosophin,

ich habe da eine ganz ähnliche Meinung wie du. Bisher habe ich zwar nur Sertralin "ausprobiert", aber das hat mir gereicht. Das Absetzen war unfassbar schwierig, und kein Mensch hat es mir geglaubt. Gewirkt hat es auch nicht, die Leere und den "Nebel im Kopf" kann ich glaube ich auch nachvollziehen. Allerdings habe ich es nicht lange genug genommen, um wirklich sicher zu sein dass es am Sertralin lag.

Mittlerweile bin ich auch der Meinung, dass ADs mir nicht helfen können. Mag sein dass sie anderen Leuten helfen, aber mir nicht. Das ist vielleicht auch von Person zu Person unterschiedlich, eventuell hat es auch etwas damit zu tun, welche Ursachen bzw. Auslöser die Depression hat. Oder zu welchen Symptomen man neigt. Ich habe auch schon einige positive Geschichten über ADs gelesen, daher will ich sie nicht völlig verteufeln.

Kritik daran wird übrigens auch hier im Forum nicht allzu gerne gesehen, manch einer ignoriert dich sogar sobald du dich zu kritisch äußerst. Von daher, jedem das Seine. :)
Zarra
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Re: KEINE Medikamente

Beitrag von Zarra »

Hallo Philosophin,

ich schaffe gerade Deinen Deinen längeren Text nicht, von daher nur zu diesem Aspekt:
Fatal finde ich besonders bei Fluoxetin, das Loch, in dass man nach etwa 5 Tagen stürzt. Man glaubt, es sei die Depression die mit voller härte zurückschlägt, dabei bin ich mir sicher, dass es allein durch das schrittweise (!) absetzen kommt. Wenn man durchhält, ist es nach ein paar Wochen wieder wie gewohnt.
- ich habe da ganz andere Erfahrungen! Vielleicht hat es sich auch "abgenützt", vielleicht war es weit von einer wirklich superguten Wirkung entfernt, doch es hat mir geholfen, sehr geholfen (und tut es inzwischen wieder)! Fluoxetin hat eine sehr lange Halbwertszeit. Keine Ahnung, was Du wirklich nach fünf Tagen spürst. Und es kann ja auch in verschiedenen Körpern mit unterschiedlichen Parametern Unterschiedliches ablaufen! (Die Forschung ist dran; doch für uns Verwertbares gibt es wohl nix, außer daß uns ggf. Ärzte eher glauben.)

Ich habe einmal aus ganz anderen Gründen mit vermutlich ganz wenig Ausschleichen abgesetzt - richtig und deutlich spürbar (ich bin damals in unpassenden Situationen in Tränen ausgebrochen und wußte ganz klar, daß das unter Fluoxetin nicht passiert wäre), wenn auch aushaltbar, war das bei mir nach ca. vier Wochen.

Vielleicht benötige ich allerdings relativ wenig von dem Stoff - ich habe mal (in einer relativ guten Phase o.ä.) runterdosiert ... und habe mich allerdings selbst lange gefragt, warum ich nicht bei null oder fast null gelandet bin, sondern nur bei einer Dosierung, die nicht mehr auf der Packungsbeilage erwähnt wird, die sich mein Psychiater aber bei mir gut vorstellen konnte. (Ich habe ihn so halb vorher und halb nach dem Versuch gefragt; nachher, weil ich keine echte Medikamente als Placebo-Medikation einnehmen wollte.)

LG, Zarra
Zarra
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Re: KEINE Medikamente

Beitrag von Zarra »

Bruchstückhaft noch:
Wie soll eine Therapie funktionieren, wenn Medikamente die "Spitzen" der Krisen nehmen.
Wie der Stand heute ist, weiß ich nicht wirklich. In den 1990er Jahre haben viele Psychoanalytiker diese Meinung vertreten. (Da gab es allerdings viele der heute verschreibungsfähigen Medikamente gar nicht und es war viel mehr noch mit massiven Nebenwirkungen zu rechnen. Allerdings war man vermutlich auch etwas vorsichtiger bei den Verschreibungen, tat das nicht sofort.)
Wie soll eine Therapie funktionieren, wenn Medikamente die "Spitzen" der Krisen nehmen. In dieser Zeit kann ich doch gar nicht mehr nachempfinden, wie sehr ich gelitten habe. Erinnerungen sind mitunter verfälscht, da sie nicht mehr in den satten Farben daliegen, wie sie ohne Medikament vorhanden wäre.
Ich bin teils trotz Medikation gefragt worden, wie Therapie funktionieren soll, wenn ich in der Dauerkrise wäre und fast dauernd - angeblich! - Krisenintervention notwenig sei. (P.S. Nein, ich war nicht suizidal, aber ich war "persönlichkeitsstörungsbedingt" u.U. zickig, meine Stimme ging bei Wut hoch, ich habe mich über banale, nicht hilfreiche Antworten aufgeregt, z.B. daß ich doch froh sein solle, nicht alleinerziehende Mutter mit Problemen zu sein - war ich auch, doch das ging an meinen Problemen und eventuell Beziehungs- und Kontaktwünschen vorbei). - Richtig ist allerdings, daß Therapie gewinnbringender sein kann, wenn man sich nicht nur in seiner Depressionsspirale eindreht. Damit meine ich nicht, daß man nicht als schlechte Erfahrung benennen soll, was eine schlechte Erfahrung war. Doch deshalb kann es daneben eben auch gute geben - und das sieht man in der "Depressionsspirale" oft nicht.

Außerdem: Woher willst Du wissen, daß Deine Krise der Situation angemessen ist?!

Ich bin sicher nicht für komplettes Runterdämpfen. ... bevor sich jemand vom Dach stürzt, aber schon. - Also: Alles relativ. Und wie so oft: Es kommt darauf an!

Außerdem: Irgendwie muß man sein Leben bewältigen. Klar kann man mal ein paar Monate krank sein. Doch irgendwann ist es einfach auch befriedigender, halbwegs arbeiten zu können und damit halbwegs Geld zu haben, halbwegs Kontakte pflegen zu können.

Und klar ist es immer ein Abwägen. Ich habe auch irgendwann ein bestimmte AD wieder abgesetzt, weil ich nach ein paar Wochen den einschlaffördernden Effekt nicht mehr so dringend brauchte (vorher aber schon), die leichte Stimmungsstabilisierung mit diesem AD hob sich mit dem leicht erhöhten Lebendigkeitsgefühl ohne dieses AD irgendwie auf - und in jener Situation habe ich mich gegen dieses AD entschieden (ich nahm wohl eh noch ein zweites) und es war gut bzw. leicht besser so :-).
Es wird immer wieder Krisenhafte Situationen im Leben geben, deswegen ist die Idee, Medikament nur für ein paar Monate zu nehmen, um die akute Zeit eben besser überstehen zu können, doch der reinste Fehlschluss. Etwas das die Pharmakonzerne gnadenlos ausnutzen. Wenn ich einen Hang zur depressiven Erkrankung habe, wird mich auch das nächste schlimme Ereignis im Leben umwerfen- und wieder wird zu Medikamenten gegriffen!?
Klar gehören Krisen zum Leben. Und natürlich ist es besser, anders gut mit diesen umgehen zu können. Doch wenn ich schlicht absolut nicht mehr schlafen kann - dann kann ich mich gar nichts mehr stellen, dann drehe ich nur noch durch. - Medikamente sollen nicht Tränen bei Trauer verhindern. Doch wenn ich vor lauter Angst keine neue Wohnung suchen kann, dies aber dringend müßte, kann es neben Psychotherapie auch sinnvoll sein, Medikamente als Notlösung zu schlucken.

... bruchstückhaft.
LG, Zarra
qwertzuiopII
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Re: KEINE Medikamente

Beitrag von qwertzuiopII »

...
Zuletzt geändert von qwertzuiopII am 8. Jan 2017, 14:35, insgesamt 1-mal geändert.
Wenn das Lichtspiel des Lebens keine Schatten mehr wirft
Salvatore
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Re: KEINE Medikamente

Beitrag von Salvatore »

Hallo Philosophin,

ich sehe AD zwar ebenfalls kritisch, aber auch deutlich differenzierter. Sie wirken eben bei jedem anders und es empfiehlt sich, das bei seiner Bewertung zu berücksichtigen. Und es ist allzu leicht, in eine Doppelmoral zu verfallen, indem man die einseitige Betrachtung der Verfechter verurteilt und dann selbst einseitig AD verteufelt. Die Wahrheit liegt irgendwo dazwischen.

Fakt ist, es gibt alle Ausprägungen. Die einen profitieren von einer antidepressiven Wirkung ohne lästige Nebenwirkungen. Andere verspüren zwar eine gute Wirkung, leiden aber unter den NW. Wieder andere haben weder eine Wirkung, noch eine NW. Bei einigen geht das Ausschleichen super, bei einigen okay, bei einigen mit kurzzeitigen Absetzsymptomen, bei einigen mit heftigen Absetzsymptomen. Nichts davon lässt sich wegargumentieren.
Wie kann man eine Tablette schlucken, und sich selbst dermaßen unterdrücken!?
Du gehst davon aus, dass es alle so empfinden. Das ist aber nicht der Fall. Viele berichten auch, dass sie sich mit AD erst wieder wie sie selbst fühlen und auch so erst therapiefähig sind.
 Medikament nur für ein paar Monate zu nehmen, um die akute Zeit eben besser überstehen zu können, doch der reinste Fehlschluss
Du gehst wieder nur von dir selbst aus. Ich hätte die dunkelste Zeit ohne beruhigende und sedierende Medikamente nicht überlebt. "Die Spitze nehmen" hieß in meinem Fall, dass ich noch am Leben bin. Therapiefähig war ich auf keinen Fall, ich wollte nur noch sterben und nichts sonst.
Das heißt nicht, dass ich jede daher gelaufene Krise auf diese Weise angehe. Ich denke nun schon seit ziemlich genau einem Jahr jeden verdammten Tag an Selbstmord, mit Plan und allem. Ich betäube es nicht weg, klingt vielleicht komisch, aber es war schon mal schlimmer. Ich nehme eine kleine Dosis eines AD, weil ich ohne leider angstbedingt nichts essen konnte und bis auf 40kg abgenommen hatte. Mit AD ist wenigstens der Knoten im Magen kleiner und ich konnte 7kg zunehmen; eine antidepressive Wirkung habe ich leider nicht, aber auch sonst keine unerwünschten NW und ich bin eine von denen, die in großen Schritten und kurzer Zeit absetzen kann.

Also, Fazit: AD sollte man weder glorifizieren noch verteufeln. Und auf keinen Fall sollte man von sich auf andere schließen. Wenn du dich fragst, "warum machen Leute sowas?"... - dann frag die Leute doch mal...?

LG,Salvatore
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Mione
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Re: KEINE Medikamente

Beitrag von Mione »

Hallo zusammen,

ich schließe mich Salvatore an. Danke, du hast alles formuliert, was mir beim Lesen auf der Seele brannte. Kritisch Medikamente hinterfragen, absolut ja, Verallgemeinerungen egal in welche Richtung definitiv nein, das ist auch meine Sicht.

Ich hatte ebenfalls bei einem Absetzversuch mit sehr heftigen Symptomen zu kämpfen und war damals relativ ungehalten, von ärztlicher Seite nie darüber aufgeklärt worden zu sein, dass das in dieser Form passieren kann. Da würde ich mir mehr Aufklärung wünschen. Definitiv auch mehr Reflexion dabei, was die generelle Verschreibungspraxis von ADs angeht: Teilweise habe ich im Bekanntenkreis mitbekommen, wie diese von Hausärzten schnell verschrieben wurden, z.B. bei jemandem, der gerade arbeitslos geworden war... Kein Kommentar :|

Wichtig ist mir aber auch hervorzuheben: Die beiden ADs, die ich bisher genommen habe bzw. das eine, das ich aktuell nehme, haben bei mir nie Gefühle unterdrückt oder klares Nachdenken verhindert. Im Gegenteil, erst durch die Medikamenteneinnahme war ich nach einer Zeit überhaupt erst zur Therapie und wieder geordnetem Denken fähig.
Vorher hatte ich so wenig Antrieb, dass alltägliche Dinge wie Essen kochen und Wäsche machen mich überfordert haben, ich hatte starke Panikattacken und Weinkrämpfe, meine Gedanken waren sehr hoffnunglos und kreisten irgendwann immer stärker um Suizid.
Bitte nicht pauschalisieren, finde das in diesem Punkt gefährlich. Medikamente können auch Leben retten.

Herzliche Grüße
Mione
Zuletzt geändert von Mione am 21. Apr 2016, 10:18, insgesamt 1-mal geändert.
Salvatore
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Re: KEINE Medikamente

Beitrag von Salvatore »

Hallo Mione,

den Umgang mancher Ärzte mit Psychopharmaka finde ich auch erschreckend, da habe ich im Laufe der Jahre Dinge und Sachen gehört...
Meine eigene Erfahrung: ganz zu Beginn meiner Behandlung war ich bei einem Neurologen, der mir zuerst Johanniskraut aufschrieb mit dem Zusatz "Das bringt wahrscheinlich nichts" - aber ich wollte nicht direkt ein AD. Tolle Aussage, aber er konnte sich selbst toppen. Es brachte tatsächlich nichts und so schrieb er mir Sertralin auf, eine kleine Dosis (50 mg). Als ich nach vier Wochen keinerlei Veränderung bemerkte, meinte er, dass das schon sehr komisch sei, da es sein "hochwirksames Medikament" (Zitat) sei, und seine anderen Patienten "sehr davon profitieren". War total verunsichert und dachte, na toll, nicht mal das kann ich. Habe es dann weiter genommen, da dachte ich noch, es liegt halt an mir und kannte mich auch nicht aus. Bin aber auch nicht wieder zu ihm hin; etwa ein halbes Jahr später in der Psychiatrie wurde ich auf die Höchstdosis gesetzt und eine Blutspiegelanalyse ergab, dass es bei mir schon zwei Stunden nach der Einnahme so weit verstoffwechselt war, dass es keine medizinische Relevanz mehr hatte. So viel dazu, es konnte also auch gar nicht gewirkt haben, abgesehen davon, dass AD eben sowieso bei vielen überhaupt nicht wirken, was aber kaum je einer zugibt.

Im Nachhinein ist mir klargeworden, dass ich eigentlich schon immer von meinem recht aktiven Stoffwechsel wusste, nur nie so wahrgenommen hatte. Ich konnte z.B. schon immer so viel essen, wie ich wollte, ohne dass mein Gewicht davon dauerhaft gestiegen wäre (früher hatte ich mal einen guten Appetit). Ich brauche bei Kopfschmerzen auch grundsätzlich höhere Dosen als andere, damit ich überhaupt eine Wirkung spüre. Und ich kann trotz meiner Statur (160cm, 47kg) ziemlich viel Alkohol vertragen (ich trinke allerdings selten mal was).

Meine jetzige Psychiaterin ist ein wahrer Goldschatz. Sie arbeitet in einer Tagesklinik/Institutsambulanz und vergibt Termine nur für zwei Patienten pro Stunde, so dass man da bei ihr echt Zeit hat. Ich habe mich nach meiner ersten Erfahrung sehr viel über die verschiedenen Medikamente, Wirkformen etc. informiert und auch einige Metastudien gelesen. Nein, AD haben ganz und gar nicht die grandiose Wirkung, die einem meistens vermittelt wird und sind bei leichten bis mittelschweren Depressionen i.d.R. Placebos nicht überlegen. Und ich finde, bei der Auswahl sollte achtsamer vorgegangen werden - einer ohnehin schon stark übergewichtigen Patientin Mirtazapin zu verschreiben, finde ich schon grob fahrlässig. Habe auch schon gehört, dass Ärzte einen Zusammenhang zwischen AD und Gewichtszunahme abgestritten haben, das ist ganz schön heftig. Bei mir ist dieser Effekt ja nun gewünscht, aber ich bin da eine Ausnahme. Andere Nebenwirkungen, wie schlafanstoßende, sind ja z.T. durchaus günstig.
In der Psychiatrie waren auch Patienten, die Tavor- oder Zopiclon-Entzug machen mussten und, ehrlich, das war nicht schön anzusehen! Da herrscht wohl auch zu wenig Aufklärung, dass das abhängig macht und es wird nicht darauf geachtet, wie häufig die Patienten das einnehmen, es wird ohne nachzufragen Folgerezept auf Folgerezept ausgestellt. Einer 73-Jährigen wurde von ihrem Arzt gesagt, das sei in ihrem Alter ja sowieso egal!!! Ich meine, die kann ja gut und gerne noch zwei Jahrzehnte leben...?! Meine Ärztin fragt immer ganz genau nach und stellt ggf. auch einfach kein Rezept mehr aus.

Ich war jedenfalls 2010 nicht mehr ansatzweise in der Lage, irgendeine Form von Alltag aufrecht zu erhalten und war im Prinzip ein kompletter Pflegefall. Dachte, schlimmer geht es nicht mehr. Dann kam ich die Psychiatrie und war auf der Aufnahmestation noch eine von den eher gesünderen. Da habe ich meine Lektion gelernt. Später in der Reha gehörte ich zu denen, die am wenigsten konnten... So verschiebt sich schnell die Perspektive.
Gerade wegen meiner Generalisierten Angststörung bin ich unendlich dankbar für Bedarfsmedikation. Ich habe das inzwischen relativ gut im Griff und nehme eigentlich nichts mehr, auch wenn es eine tägliche Herausforderung ist. Aber um Ostern herum hatte ich so einen bösen Schub, dass ich wirklich froh war, noch vier restliche Tabletten Atosil gefunden zu haben. Anders als bei Phobikern, wo der Anfall meist innerhalb von einer halben Stunde vorbei ist, bleibt das Anspannungsniveau bei einer GAS durchaus auch gerne mal über viele Stunden unerträglich hoch. Da ist man dann froh, wenn man sich davon selbst eine kleine Pause verordnen kann.
Ich habe übrigens auch in der Zeit ohne AD oft überhaupt nichts gefühlt. Ich kann auch nicht heulen - mit oder ohne AD, das macht bei mir keinen Unterschied.

LG, Salvatore
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Zarra
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Re: KEINE Medikamente

Beitrag von Zarra »

Hallo Philosophin,

anscheinend bin ich nochmals meine konkreten Erfahrungen durchgegangen - und ja, bevor ich das erste AD nahm, hatte ich extremere Angst davor, auch Angst vor "kleinen grünen Männchen" (was unrealistisch ist), und ich habe mich abgesichert (Arzt ggf. erreichbar, kein wichtiger Termin), was nicht ganz verkehrt war, auch wenn ich es nicht brauchte. Und bei mir mußte schon ein längerdauernder Leidensdruck vorhanden sein, um das zu probieren.

Die konkreten Erfahrungen waren aber unterschiedlich:

Bei Fluoxetin hatte ich die ersten Tage leichte Nebenwirkungen (eine bestimmte, leichte Übelkeit), die aber erträglich waren; ansonsten habe ich mich eher wieder etwas mehr ich selbst gefühlt.

Meine erste halbe Dosis von Mirtazapin war das Gegenteil: Am Arbeitstag nach der ersten einmaligen Einnahme habe ich mich mit drei friedfertigen KollegInnen angelegt - weil ich einfach mit der absoluten Watte im Kopf nicht umgehen konnte: ein Gefühl, wie als ob man nicht mehr handeln könne. Damals war klar, daß ich dieses Medikament nur unter ganz besonderen, und auf keinen Fall Arbeitsbedingungen, nochmals nehmen würde.

Jahre später habe ich nochmals mit einer Vierteldosis davon angefangen (und in der Folge dann wohl eine normale Dosis genommen) - und es passierte nichts, was an jenen Vorfall erinnerte, auch wenn das Medikament natürlich dämpft. Ich interpretiere das so, daß mein Körper einfach in zwei ganz unterschiedlichen Verfassungen war. - Und so kenne ich das auch von Beruhigungsmitteln: In einer normalen Verfassung haut einen eine Minidosis komplett um. In einem hochgedrehten Zustand merkt man vielleicht fast gar nichts von einer Minidosis.

Und ich hatte eine leicht "strange" Erfahrung mit wohl Paroxetin (?) - ich war zwar immer noch ich, hatte aber den Eindruck, daß der Stoff extrem in meinem Gehirn etwas verändert -- für mich wohl zu Recht inakzeptabel.

LG, Zarra
Mione
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Re: KEINE Medikamente

Beitrag von Mione »

Hallo Salvatore,

danke für deine Erfahrungen!

Ich glaube, was die Medikamentenverschreibungspraxis angeht und auch die Offenheit gegenüber anderen Behandlungsmethoden, ist es leider echt Glückssache, an welchen Arzt man gerät :|

Sertralin war auch mein erstes AD. 50 mg bei dir als Enddosis und dann keine zeitnahe Steigerung, obwohl es nicht besser wurde, puh krass.
Meine Ärztin hat, wenn ich mich richtig erinnere, bei mir damals mit 50 mg als Einsteigerdosis begonnen und dann schrittweise auf 100mg gesteigert. Ich merkte eine Besserung, zu einer Remission kam es jedoch nicht, stattdessen hatte ich immer wieder starke depressive Schübe in diesen Jahren.
Später stellte sich dann heraus, dass ich seit längerem parallel zur Depression eine unbehandelte Schilddrüsenerkrankung hatte, die die Depression verstärkt hatte. Darauf kam aber erst mein pfiffiger neuer Hausarzt. Meine Psychiaterin hat es leider die ersten Behandlungsjahre versäumt, die Schilddrüsenwerte zu kontrollieren (was ja soweit ich weiß eigentlich Standard bei Beginn einer psychiatrischen Behandlung ist :? ).
Ebenso wenig hat sie mir je eine Therapie empfohlen, obwohl das gerade bei meiner parallel bestehenden Zwangserkrankung sehr hilfreich und leitliniengerecht gewesen wäre. Sie hat versucht, mir selbst ein paar verhaltenstherapeutische Kniffe beizubringen, was aber nicht ausreichend war und ansonsten generell sehr auf Medikamente geschworen.

Seit diesen Erfahrungen lege ich viel Wert auf Selbstrecherche und kritische Nachfrage.
Nach ein paar Jahren habe ich dann den Arzt gewechselt und bin jetzt sehr glücklich mit meinem neuen Psychiater, für den Medikamente nicht das Non Plus Ultra sind, sondern der sehr viel Wert auf Eigenverantwortung als Patient und therapeutische Arbeit legt.


Einen Mitpatienten auf Tavorentzug habe ich in der Klinik auch erlebt, das war wirklich krass.
Ich war aber ehrlich gesagt angenehm überrascht, dass die Ärzte auf der psychiatrischen Station, wo ich war, verantwortungsvoll mit dem Verschreiben von Tavor und auch von Zopiclon und Co.umgegangen sind. Tavor und Co. gab es prinzipiell nur für diejenigen mit starken Suizidgedanken, ausgeprägter Unruhe etc. Bei jüngeren Patienten wurde versucht, gänzlich darauf zu verzichten. Alle anderen bekamen, sofern nötig, niedrigpoetente Neuroleptika als Bedarfsmedikament (das hat dann zwar meine Panikkatacken reduziert, mich aber wiederum so ausgeknockt, dass ich 15-16 h geschlafen habe und nur schwer wach wurde).
Schlafmittel wurden nur wenn wirklich nötig verschrieben und dann bei Besserung schrittweise reduziert. Bevor man auf sein Schlafsbedarfsmittel zurückgreifen wollte, wurde von der Pflege immer erst ein pflanzlicher Schlaftee als Alternative angeboten. Das fand ich ein gutes Vorgehen.

Liebe Grüße
Mione
Zuletzt geändert von Mione am 21. Apr 2016, 10:19, insgesamt 3-mal geändert.
M1971
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Re: KEINE Medikamente

Beitrag von M1971 »

Hallo,
ich lehne Medikamente ab. Die "Wirkweise" ist bis heute nicht geklärt. Die Risiken, insbesondere bei Langzeiteinnahme, sind zu groß. Und die Langzeiteinnahme wird ja angestrebt. AD sind der größte Coup in der Geschichte der Pharmaindustrie. Und wenn man sich da ein bißchen auskennt, weiß man, warum Ärzte in den höchsten Tönen von den Produkten schwärmen....

Gruß
m.
qwertzuiopII
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Re: KEINE Medikamente

Beitrag von qwertzuiopII »

...
Zuletzt geändert von qwertzuiopII am 8. Jan 2017, 14:36, insgesamt 1-mal geändert.
Wenn das Lichtspiel des Lebens keine Schatten mehr wirft
Königin der Nacht
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Re: KEINE Medikamente

Beitrag von Königin der Nacht »

M1971 hat geschrieben:Hallo,
ich lehne Medikamente ab. Die "Wirkweise" ist bis heute nicht geklärt. Die Risiken, insbesondere bei Langzeiteinnahme, sind zu groß. Und die Langzeiteinnahme wird ja angestrebt. AD sind der größte Coup in der Geschichte der Pharmaindustrie. Und wenn man sich da ein bißchen auskennt, weiß man, warum Ärzte in den höchsten Tönen von den Produkten schwärmen....

Gruß
m.
Da bin ich ganz bei Dir :hello: .

Ohne hier jemanden zu nahe treten zu wollen oder mir da ein Urteil zu erlauben: aber ich verstehe absolut nicht wie man so ein Dreckszeug teils über Jahre in sich hineinfressen kann, billigend teils gravierende Nebenwirkungen in Kauf nimmt im Glauben, daß sonst ja alles nur noch schlimmer ist (wobei ich hier eher die Ärzte in die Pflicht nehmen, denn die Patienten sind da teilsweise so verzweifelt und hilflos, daß sie vermutlich alles nehmen würden wenn es ihnen dann nur besser gehen würde).
Ich lehne AD's absolut ab. Kenne Leute, die es teilweise schon jahrelang nehmen. Jahrelang! Wieso schluckt man jahrelang etwas, das einen ja augenscheinlich nicht weiterbringt? Die rennen teilweise rum wie Zombies. Alkohol und Drogen sollten bei einer Depressionsbehandlung doch tabu sein, aber was sind dann bitte AD's? Auch sie manipulieren den Verstand, überdecken Gefühlszustände, betäuben etc., sie ruinieren den Körper.
Und es ist ein Teufelskreislauf. Wenn ich oft hier lese was manche Leute alles einwerfen. XY gegen die Depressionen, XYZ geben die Schlafstörungen, ABC gegen die Nebenwirkungen von XY usw. und so fort. Helfen tut das im Endeffekt nur der Pharmaindustrie und den Ärzten. Das ist ein riesiger Geschäftszweig, sonst nichts. Es geht nur ums Geld und die Pharmaindustrie ist mit Sicherheit nicht an einem gesunden Menschen interessiert, denn ein gesunder Mensch bringt kein Geld.
All dieses Geld sollte besser dafür verwendet werden, Therapieplätze für die Betroffenen zu schaffen. Denn diese sind nach wie vor Mangelware. Wenn Menschen monatenlang oder noch länger auf einen Therapieplatz werden müssen und statt dessen ersatzweise erstmal mit AD's ruhiggestellt werden damit sie überhaupt ihren Alltag halbwegs bewältigen können läuft im System doch etwas schief. Mag sein, daß AD's dem einen oder anderen tatsächlich helfen, vielleicht auch empfänglicher für eine Therapie machen, aber diese sollten dann doch eher nur kurzzeitig eingesetzt werden und nicht als Dauerlösung. Ich halte das für äußerst bedenklich.
Zarra
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Re: KEINE Medikamente

Beitrag von Zarra »

Hallo M1971,
ich lehne Medikamente ab.
Wenn Du ohne Medimante Deine Depression halbwegs gut bewältigt bekommst, ist das super - und meines Erachtens immer vorzuziehen.
Die "Wirkweise" ist bis heute nicht geklärt.
Das stimmt. - ... allerdings war ich sehr erstaunt, als ich neulich per Zufall das bei etwas anderem (nichts Psychisches, irgendwas Körperliches, leider erinnere ich mich nicht mehr), wo ich das nicht erwartet hätte, auch las. Vieles hat die Wissenschaft halt (noch) nicht geklärt. Trotzdem weiß man sehr viel mehr als vor 150 Jahren.
Die Risiken, insbesondere bei Langzeiteinnahme, sind zu groß.
(Ich rede immer nur von ADs, nicht von anderen Psychopharmaka!) Nicht geklärt, was dann alles u.U. passieren kann: Ja. - Aber: Die Risiken ohne AD-Einnahme zu sterben, sind u.U. auch recht hoch; nicht in allen Fällen, aber in manchen. Und sich ohne AD lebendig tot zu fühlen, mit AD aber zumindest besser - was würdest Du denn da vorziehen? Selbst wenn das nur für ca. ein Drittel der Patienten gilt.
Und die Langzeiteinnahme wird ja angestrebt.
Das ist jetzt Deine Behauptung. Die ich so nicht unterschreiben würde.
AD sind der größte Coup in der Geschichte der Pharmaindustrie. Und wenn man sich da ein bißchen auskennt, weiß man, warum Ärzte in den höchsten Tönen von den Produkten schwärmen....
Ich kenne mich da zuwenig aus. Doch ehrlich gesagt glaube ich auch nicht, daß Du das tust. Und Medien ... je nachdem ... kann man da doch alles finden.

Außerdem würde ich Ärzte und Pharmaindustrie nicht in einen Topf werfen - das sind zwei Töpfe, auch wenn der Arzt einen Notizblock der Pharmafirma hat.

LG, Zarra
silkesilke
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Re: KEINE Medikamente

Beitrag von silkesilke »

Hallo,

Ich habe zwischen 20 und 30 durchgehen ADs genommen. Die erste depression habe ich ohne überstanden. In Rückblick sehe ich sie als reaktive depression (Persönlichkeit und Unsicherheit ausbildungsbeginn), die zweite war aus Beziehungsgründen.

Ab da wurden mir ADs verschrieben - das war noch die zeit, als man mit Serotoninmangel argumentierte. (Darüber hat mein aktueller Psychiater auch nur müde gelächelt). Als rückfallschutz wurde mir eine durchgehende Einnahme nahegelegt.

Jedenfalls, die Zeit unter Medikamenten war nicht frei von Krisen. Immer wieder ähnliche Krisen, ich kam da nicht dran vorbei... Es war so, als würde ich nicht weiterkommen, mich nicht weiterentwickeln, es war frustrierend und ich hatte ganz schlimme Gedanken in schlechten Phasen.

Letztendlich habe ich wegen Kinderwunsch langsam abgesetzt. Ich war auch bereit, Krisen dann ohne Medikamente durchzustehen.

Aber ich hab keine größeren Krisen mehr, auch wenn es mindestens zwei Auslöser dafür gegeben hätte. Ich kann jetzt besser umsetzen, was ich aus der Therapie mitgenommen habe. Ich achte sehr auf mich und auf Gleichgewicht in mir. Ich kann viel zulassen ohne mich davon erschüttern zu lassen, Momente oder Tage mit unangenehmen Gefühlen (früher oft Einstieg in die Krise) kann ich besser abfangen.

Das ist alles meine ganz persönliche Erfahrung, aber ich hab echt das Gefühl, ich war während der Einnahme auf meinem 20jährigen ICH stehengeblieben. Ich hab ganz viel Entwicklung nachgeholt seither.

Ich schließe nochmalige Langzeitbehandlung bei mir aus. Da bringt mir offensichtlich nicht wirklich viel. Es scheint mir auch kaum Studien zu geben über die Zeiträume, wie ich schon genommen habe, also wirklich Jahre. Zulassungsstudien gehen drei Monate... Was passiert langfristig in meinem Körper? Wer hat das mal untersucht? Wenn jemand so Studien kennt, ich interessiere mich dafür, gerne verlinken.

Grüße, Silke
qwertzuiopII
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Re: KEINE Medikamente

Beitrag von qwertzuiopII »

...
Zuletzt geändert von qwertzuiopII am 8. Jan 2017, 14:36, insgesamt 3-mal geändert.
Wenn das Lichtspiel des Lebens keine Schatten mehr wirft
Salvatore
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Re: KEINE Medikamente

Beitrag von Salvatore »

Hallo M. und Königin,

könnt ihr bitte noch mal genauer erklären, worauf genau sich eure Ablehnung bezieht? Also, Psychopharmaka generell oder nur Antidepressiva? Und da wiederum, lehnt ihr die generelle Einnahme ab oder nur die langfristige, so dass dann u.U. die kurzzeitige Behandlung doch okay wäre? Lehnt ihr das nur für euch selbst ab oder für alle? Und da dann, findet ihr, dass es für andere Menschen gewisse (Lebens-)Situationen gibt, in denen es (zeitweise) doch angemessen wäre, auf Medikamente zurückzugreifen?

Ich habe ja schon weiter oben meine Sichtweise dargelegt, wiederhole mich aber noch mal kurz: ich sehe das ein bisschen so wie die Einnahme von Antibiotika. Es gibt Fälle, wo es einfach notwendig ist und man dann auch ohne Scham oder sich rechtfertigen zu müssen dazu greifen sollte. Aber jeder Fall sollte ganz genau und individuell geprüft und nichts leichtfertig oder vorschnell verschrieben werden. Die Behandlung sollte nur so lange wie unbedingt nötig dauern und wenn das Medikament nicht anschlägt, absetzen. Der Patient muss so umfangreich aufgeklärt werden, dass er über die Einnahmedauer auf Augenhöhe mitentscheiden kann (da sehe ich allerdings auch eine gewisse Eigenverantwortlichkeit).

M., ja, die Wirkweise ist nicht geklärt, das finde ich auch ungünstig. Aber sollte das ein generelles Ausschlusskriterium sein? Müssten dann z.B. homöopathische Mittel vom Markt verschwinden, weil dort die Wirkweise ja auch nicht geklärt ist? (Ich weiß nicht, wurde dort eigentlich mal erforscht, ob es Langzeitrisiken gibt? Oder nimmt man einfach an, dass es keine gibt?) Der große Coup der Pharmakonzerne war übrigens nicht die Erfindung von Antidepressiva, sondern die Erfindung der Serotonin-Mangel-Hypothese, denn ohne eine gute Werbung verkauft man nichts, das nicht auch was taugt. Und es ist Journalisten und Ärzten anzulasten, dass sie diese Hypothes bis heute unhinterfragt übernehmen und an die Bevölkerung als Tatsache weitergeben. Zusätzlich unterstützt wird der Erfolg durch einen weiteren entscheidenden Faktor: die immense Nachfrage.

Und ich gebe zu Bedenken, dass Psychotherapie auch nicht ohne Risiken und Nebenwirkungen ist (wird nur nicht gern drüber gesprochen) und die Wirkweise ist ebenfalls nicht wissenschaftlich geklärt (belegt schon, ein kleiner aber feiner Unterschied!).

Wir gehen an dieser Stelle außerdem nur von der Patientensicht aus. Die Ärztesicht ist, dass da Menschen aufschlagen, die einen immensen Leidensdruck mitbringen und sich sofortige Entlastung wünschen, nachdrücklich darum bitten. Ich wünschte auch, dass jeder (der es benötigt) zügig eine Psychotherapie anfangen könnte, aber die Realität sieht ja nun mal so aus, dass man locker 6-12 Monate auf einen ambulanten Platz warten muss; und zu dem Zeitpunkt hat der Patient meist schon eine längere Leidenszeit hinter sich, weil er es monate- oder gar jahrelang allein versucht hat. Da sitzt er also und will endlich Hilfe und bekommt die Auskunft, dass er in einem Jahr eine Therapie machen kann und dann wird das schon wieder? Mit welchem Gefühl geht der wohl aus der Praxis und wie fühlt sich der Arzt, wenn er auf diese Weise einen Patienten wegschicken muss? Sicher haben manche Ärzte auch den Profit in den Augen, wenn sie ein teures Medikament aufschreiben können - zweifellos. Ich finde jedoch auch unfair den Ärzten gegenüber, wenn man sie unter diesen Generalverdacht stellt, weil es unter ihnen Schwarze Schafe gibt. Ich kann ja immer nur von mir selbst sprechen und ich habe halt großes Glück mit meiner Ärztin - sie empfängt mich derzeit alle drei Wochen für je eine halbe Stunde und schreibt nur alle paar Male ein Rezept, was auch meiner SD-Unterfunktion geschuldet ist. Ginge es ihr lediglich ums Geld, müsste sie das mit Sicherheit anders händeln. Sie macht mit mir Therapie, um Medikamente geht es in diesen Gesprächen z.T. überhaupt nicht. Sie hatte bei mir auch nie angestrebt, dass die für immer Medikamente nehme, im Gegenteil, sie hat immer betont, dass es schon das Ziel ist, mittels Therapie eine dauerhafte Stabilisierung zu erreichen und dann auf Medikamente zu verzichten.
Es ist ja nun auch so, dass der Patient mit seinen vorhandenen, oft heftigen Symptomen zum Arzt kommt und nicht umgekehrt. Der Arzt zieht niemanden mit Gewalt in sein Sprechzimmer und redet dort erst die Problematik ein, um dann was verschreiben zu können. Und vor dem Hintergrund, dass viele Psychiater bereits keine neuen Pateinten mehr annehmen können, finde ich es auch unsinnig zu sagen, die wollen ihre Patienten schön lange an sich binden. Haben die doch überhaupt nicht nötig.

LG, Salvatore

PS @Qwert: Du hast mit deinem Hinweis vollkommen recht, danke! Auch Zopiclon ist natürlich kein! AD.

Edit: Doppelung entfernt.
Zuletzt geändert von Salvatore am 16. Apr 2016, 23:33, insgesamt 1-mal geändert.
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Inertia
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Re: KEINE Medikamente

Beitrag von Inertia »

@Silke

Das Problem an Studien ist, dass sie niemals ohne Grund in Auftrag gegeben werden. Wenn man irgendwas beweisen will, findet man immer eine Studie dafür. Wenn man es widerlegen will, findet man auch eine. Man sagt ja nicht umsonst "traue keiner Statistik, die du nicht selbst gefälscht hast". :lol:

Aber trotz allem würde ich ADs nicht komplett verteufeln. Denn wie Zarra schon geschrieben hat - manch einem helfen ADs, und wenn sie helfen sind die Nebenwirkungen auch egal. Gerade auch Langzeitschäden. Was sollen mich die denn auch interessieren, wenn ich mich ohne ADs vielleicht umgebracht hätte?

Dass die Pharmaindustrie nicht gerade die edelste ist, ist ja bekannt. Ehrlich gesagt habe ich aber keine Lust, darüber zu diskutieren. Aber dass Ärzte nicht unbedingt besser sind, kann ich aus eigener Erfahrung bestätigen. Eigentlich geht das Problem schon bei der Forschung los. Für gewisse Krankheiten WILL man die Ursachen gar nicht finden, weil es den Profit schmälern oder andere Probleme mit sich bringen würde.

Und nur noch so aus persönlichem Interesse:
silkesilke hat geschrieben:Das ist alles meine ganz persönliche Erfahrung, aber ich hab echt das Gefühl, ich war während der Einnahme auf meinem 20jährigen ICH stehengeblieben. Ich hab ganz viel Entwicklung nachgeholt seither.
Darf ich fragen was du mit "20jährigem Ich" und "Entwicklung" in diesem Kontext meinst? Wie genau hat sich das geäußert?
Philosophin
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Re: KEINE Medikamente

Beitrag von Philosophin »

Ich bin ganz schön erleichtert, dass es tatsächlich noch einige wenige hier gibt, die meine Meinung teilen! Besonders beeindruckend, finde ich die Erfahrung von Silkelike. Dass mit dem Stehen bleiben der eigenen Entwicklung unter AD´s habe ich auch ganz deutlich wahrgenommen! Ich selbst habe mit 16 Jahren das erste mal Fluoxetin, kurz danach Sertralin eingenommen. Und immer wieder unter der selben Laier der Ärzte und Psychiater "Serotoninmangel bewirkt...jaja", bis ich es selbst geglaubt habe und mich für die Einnahme meiner Medikamente wehement gerechtfertigt habe. Ziel war es immer, dass ich weiterhin zur Schule gehen kann. Letztendlich bin ich trotz der Einnahme eines AD´s gescheitert. Mittlerweile bin ich fast 19 Jahre alt und habe wie bereits geschrieben, aufgehört zu Psychopharmaka zu greifen. Tatsächlich ist mir jedoch aufgefallen, dass ich in meiner emotionalen Entwicklung doch noch einiges nachzuholen habe. Ich fühle mich im Alter von 16 Jahren stehen geblieben. (Es mögen zwar nur zwei Jahre sein aber gerade in meinem Alter ist das viel, und ich bin froh, mich gegen AD´s entschieden zu haben).

Ich habe beschlossen mir Zeit zu lassen, und herauszufinden, wie ein Leben nach meinen ganz eigenen Bedürfnissen aussehen könnte. In der Schule habe ich schon immer unter der Reizüberflutung und den vielen Ungerechtigkeiten gelitten. Nun mache ich ein Fernabitur, das ganze also in Eigenarbeit von Zuhause aus, und dennoch komme ich am Ende zum selben Ergebnis. Ich leide sehr unter der Depression und muss viele Pausen einlegen und Rückschläge einstecken aber nie wieder möchte ich mich "dopen" um so funktionieren zu können, wie es von einem jeden in gleichen Maße erwartet wird. (Denn das ist vollkommen fehlgedacht und dennoch die allgemeine Erwartung der Gesellschaft).

Ich weiß, dass es äußerst provokativ klingt, doch ich sehe es als Zeichen mangelnden Mutes und mangelnden Willens unbedacht zu Medikamenten zu greifen. Lieber das zu glauben, was die Ärzte schönes über die Wirkung dieser Mittel erzählen. Es ist leichter als sich selbst zu hinterfragen, seinen Lebensstil zu verändern, den Erwartungen der anderen zu widerstehen. Es ist verschwendete Zeit, Unterdrückung des eigenen, wahren Selbst. Am schlimmsten trifft es die Kinder, und Menschen die nicht über die Mittel verfügen, zu hinterfragen, was mit ihnen gemacht wird.
Inertia
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Re: KEINE Medikamente

Beitrag von Inertia »

Philosophin hat geschrieben:Ich weiß, dass es äußerst provokativ klingt, doch ich sehe es als Zeichen mangelnden Mutes und mangelnden Willens unbedacht zu Medikamenten zu greifen. Lieber das zu glauben, was die Ärzte schönes über die Wirkung dieser Mittel erzählen. Es ist leichter als sich selbst zu hinterfragen, seinen Lebensstil zu verändern, den Erwartungen der anderen zu widerstehen.
Vorsicht. Es gibt immerhin auch Leute, denen ADs geholfen haben. Und einem Depressiven mangelnden Willen oder Mut zu unterstellen, finde ich schon ein bisschen frech. Gerade hier im Forum wäre ich mit solchen Aussagen vorsichtig.

Ich persönlich teile zwar deine Meinung, aber verallgemeinern würde ich da nichts.
qwertzuiopII
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Re: KEINE Medikamente

Beitrag von qwertzuiopII »

...
Zuletzt geändert von qwertzuiopII am 8. Jan 2017, 14:36, insgesamt 1-mal geändert.
Wenn das Lichtspiel des Lebens keine Schatten mehr wirft
silkesilke
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Re: KEINE Medikamente

Beitrag von silkesilke »

Guten Morgen!

Ich respektiere jeden Weg, den ein Mensch geht um Hilfe und Besserung zu erfahren, dass möchte ich schon verstanden wissen.

Wegen der Frage an mich, ich war durch umstände schon ein unsicheres Kind, mit mir und in der Welt ansich. Ich habe das durch Therapie besser verstanden, nur konnte ich das nie dauerhaft umsetzen. Der Status der Verunsicherung ist quasi trotz Behandlung geblieben. Jetzt ohne ist es eben (für mich!) anders. Ich kann mit Verunsicherungen besser umgehen und lasse mich weniger verunsichern (mit Folge Rückzug und Depression). Ich empfinde das als Reifeprozess ins Erwachsenenleben, den ich eben vorher nicht abschließen konnte. Da hat es mich immer wieder umgehauen.. Ist das verständlich? Sonst versuche ich es weiter genauer zu fassen, ist ja bei eindrücken und Gefühlen nicht immer leicht.

Weil Depressionen in meiner Familie bekannt sind (früher als endogen gesehen) wurde die Neigung bei mir auch so interpretiert. Mir war das eher einschränkend, belastend (und ich sehe eben auch bei den Familienmitgliedern die verständlichen Gründe für reaktive Depressionen, auch für wiederkehrende). Und mich persönlich haben die ADs eben auch nicht geschützt.

Hm, so wie man von den vielen Gesichtern der depression spricht gibt es sicher auch viele Gründe und lösungswege.

Grüße, Silke
M1971
Beiträge: 731
Registriert: 26. Apr 2014, 17:39

Re: KEINE Medikamente

Beitrag von M1971 »

Die Diskussion und die unterschiedlichen Sichtweisen in diesem Thread finde ich gut.
Letzendtlich muß natürlich jeder für sich selber entscheiden, welcher Therapieweg gewählt wird.
Zum Thema Industrie und Ärzte möchte ich mich hier nicht näher auslassen - nur soviel: ich habe lange genug in diesem Umfeld gearbeitet um die Zusammenhänge zu beurteilen.
Das Kernproblem bei der Therapie ist meiner Meinung nach, dass die wachsenden Zahl an psychischen Krankheiten nicht mit einer angemessenen und schnellen Behandlung gewährleistet werden kann. Wartezeiten von mehreren Monaten, zu geringe Stundensätze für die Heilberufe und eine gedeckelte Anzahl von Behandlungsstunden - an der Finanzierung der Behandlung scheitert es.
Zarra
Beiträge: 5734
Registriert: 12. Mär 2010, 15:16

Re: KEINE Medikamente

Beitrag von Zarra »

Hallo,

ergänzen möchte ich noch, daß ich Antidepressiva bei Kindern und Jugendlichen noch deutlich kritischer sehe, daß ich finde, daß da noch viel, viel mehr abgewogen werden sollte, daß vorher wirklich vieles andere ausgeschöpft sein sollte, diese wirklich nur nach reiflicher Überlegung oder eben in speziellen Einzelfällen versucht werden sollten.

Von daher: Philosophin, ich weiß nicht, wie das bei Dir war: ? Ich würde eben auf alle Fälle daneben (ausreichende) Psychotherapie erwarten. Und auch eine sehr gute Aufklärung. Auf alle Fälle kein vorschnelles Verschreiben von Psychopharmaka.
M1971 hat geschrieben:Das Kernproblem bei der Therapie ist meiner Meinung nach, dass die wachsenden Zahl an psychischen Krankheiten nicht mit einer angemessenen und schnellen Behandlung gewährleistet werden kann. Wartezeiten von mehreren Monaten
Da würde ich mich voll und ganz anschließen!! - An der Bezahlung scheitert es auch teilweise, da wäre aber zu differenzieren.

Zu Silke:
silkesilke hat geschrieben:Wegen der Frage an mich, ich war durch umstände schon ein unsicheres Kind, mit mir und in der Welt ansich. Ich habe das durch Therapie besser verstanden, nur konnte ich das nie dauerhaft umsetzen. Der Status der Verunsicherung ist quasi trotz Behandlung geblieben. Jetzt ohne ist es eben (für mich!) anders. Ich kann mit Verunsicherungen besser umgehen und lasse mich weniger verunsichern (mit Folge Rückzug und Depression). Ich empfinde das als Reifeprozess ins Erwachsenenleben, den ich eben vorher nicht abschließen konnte.
ADs ersetzen keine notwendige Psychotherapie. - Du machst das "Nichtreifenkönnen" an der Einnahme der ADs fest. ... (Kann ich nicht beurteilen, ob das sein kann.) ... ich würde von mir selbst ausgehend (ich hatte und habe auch mit schneller Verunsicherbarkeit u.ä. zu tun) jetzt eher annehmen, daß es eben seine Zeit brauchte, bis das theoretisch Gelernte wirken konnte, bis Du es für Dich umsetzen konntest. Auch das muß nicht stimmen.

LG, Zarra
silkesilke
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Re: KEINE Medikamente

Beitrag von silkesilke »

Hallo Zarra,

Die erste Therapie hat mir nichts gebracht, die Chemie stimmte nicht. Die zweite Therapie etwa in der Mitte der Zeit war gut, konnte es aber nicht umsetzen, so dass ich nicht in Krisenhafte Situationen kam.

Nach dem absetzen (also Jahre später) konnte ich zurückgreifen, umsetzen, auf mich achten, mich verstehen, annehmen usw. So vieles hat plötzlich Sinn gemacht. Es mag ein zeitliches Zufall sein?! Ich empfinde es aber anders.

Es ist, als ob manche Sachen nicht tief in mich reingegangen und verankert werden konnten, was seither anders ist.

Es ist auch für mich schwer, das konkret zu fassen.

Silke
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