Achtsamkeit?

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katla
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Achtsamkeit?

Beitrag von katla »

Ich habe zum ersten Therapiegespræch eine umfangreiche Anleitung zu „Achtsamkeit“ in die Hand bekommen. Ich solle mich wæhrend der Sommerpause schon mal einlesen.

Ich ging recht motiviert daran, denn nach langjæhrigen Experimenten mit ADs (und einem schwierigen Venlafaxin-Entzug) habe ich nicht mehr viel Hoffnung, ein hilfreiches Mittelchen zu finden.

Aber schon nach 2 Kapiteln sank mir der Mut. Das sah nicht vielversprechend aus. Erst jetzt, kurz vor meiner 2. Therapiesitzung schaffte ich es, noch den Rest zu ueberfliegen und es wurde nicht besser. Jetzt nagt wieder die Wut in mir. Die ersten Kapitel waren mit „ich fuehle mich so wie ich denke“ und „anders denken – anders fuehlen“ uebertitelt und das zieht sich als Motto durch den ganzen Kurs.

Ich denke mir meine Depression also herbei? Ich muss nur fleissig gegenan denken, dann geht das auch wieder weg? Das erinnert mich daran, dass Patienten mit einem Magengeschwuer bis zur Entdeckung des Helicobacter pylori zur Psychotherapie geschickt wurden – wenn das nicht half, hatte der Patient sich eben nicht richtig eingelassen auf die Therapie.

Zu Beginn meiner sich schleichend (und ohne bestimmten Auslöser) entwickelnden Depression setzte ich ja noch alle Hebel in Bewegung um die Stimmung hoch zu halten, bloss nicht abzusacken. Ich tat im Grunde alles so, wie es im Achtsamkeitskurs angeraten wird: aktiv bleiben, tæglich Sport treiben, schöne Momente schaffen und diese bewusst wahrnehmen, jeglichen Stress verbannen, negative Gedankenmuster hinterfragen. (All diese „Tricks“ sind ja nichts Neues.)

Trotzdem ging es mir zunehmend schlechter. Trotzdem gingen mir nach und nach alle Interessen verloren. Und jetzt, wo ich kaum noch kann, soll ich das einfach so weiter machen als wære da nichts und daran glauben, dass es davon wieder besser wird?

Ich wuerde gerne Eure Meinungen und Erfahrungen hören!
Gruss, katla
Cynthia
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Re: Achtsamkeit?

Beitrag von Cynthia »

Hallo Katla,

ich weiß nicht ob ich Dir helfen kann. Zur Zeit wird Achtsamkeit überall extrem gehypt. Ich selbst habe dieses Buch und auch den Nachfolgeband der beiden zur Achtsamkeit gelesen:

http://www.gu.de/buecher/bewusst-gesund ... n-staerke/" onclick="window.open(this.href);return false;

Mir hat die Achtsamkeit insofern geholfen als mich alte schmerzhafte Erinnerungen , z.B. an die Kindheit nicht mehr so runterziehen können. Ich nehme die Erinnerung wahr, nehme sie an und lasse sie durchziehen (halte sie also nicht fest). Dieses Schema habe ich mir systematisch eingetrichtert. Ob es auf Dauer hilft weiß ich nicht, denn Skills verbrauchen sich (das Gehirn gewöhnt sich daran) und dann braucht man neue Skills.
katla
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Re: Achtsamkeit?

Beitrag von katla »

Hallo Cynthia.
Ob es auf Dauer hilft weiß ich nicht, denn Skills verbrauchen sich (das Gehirn gewöhnt sich daran) und dann braucht man neue Skills.
Ach! Das wusste ich nicht. Wenn sich das auf... z.B. Gummibænder-zappen-gegen-Panik oder so bezieht, mag das ja sein. Aber was du beschreibst scheint mir echte Bewæltigung zu sein - ich denke, das bleibt dir erhalten!

Hm, viele begeisterte Achtsamkeitsfans scheint es hier ja nicht zu geben.
Und mein lang erwarteter Gespræchstermin heute fællt aus, der næchste erst wieder nach 4 Wochen.

Beste Gruesse, katla
Sonnenblume14
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Re: Achtsamkeit?

Beitrag von Sonnenblume14 »

Hallo Katla,

ich glaube, Achtsamkeit ist ein schwieriges Thema, weil es viel mit einem selber zu tun hat. Als meine Therapeutin mir in einer der ersten sTunden sagte "Überlegen Sie, was Ihnen guttut", wußte ich keine wirkliche Antwort darauf. DAs hat mich erschreckt - wieso war ich nicht in der Lage, meine eigenen Gefühle einzuschätzen?

Für mich bedeutet Achtsamkeit, immer mal in mich hineinzuhorchen, Gefühle zu benennen und emotionale Defizite zu erkennen. Zeit für mich bewusster zu verbringen. Aber es ist sehr vage und vermutlich auch individuell.

Es geht ja auch nicht alles bei jedem. Ich kam z.B. mit Spazierengehen überhaupt nicht klar. Da setzte erst Recht das Grübeln ein und es ist auch nicht mein Ding. meine Alternative ist ein bestimmter Baum, zu dem ich gehen kann, der sowohl in der Natur als auch in meinem Inneren existiert und der mir - wenn ich das Bedürfnis habe - Kraft und Ruhe schenkt. Aber es hat lange gedauert und viele Versuche gebraucht, bis ich gespürt habe "Ja, DAS hilft mir wirklich."

Mir geht es mit mehr Achtsamkeit, mehr bewußtem Innehalten sehr viel besser.

LG Sonnenblume
"Depressionen sind kein Zeichen von Schwäche, sondern dafür, dass jemand zu lange zu stark sein musste" (Johnny Depp)

"Verstehen kann man das Leben nur rückwärts. Leben muss man es vorwärts." Sören Kierkegaard
hazmagetmaton
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Re: Achtsamkeit?

Beitrag von hazmagetmaton »

Hallo katla.

Was du beschreibst klingt irgendwie anders als das, was ich kennengelernt habe. Ich war in einem Achtsamkeitskurs, wo wir Übungen kennengelernt haben, die letztlich in die gleiche Richtung führen sollten: Wahrnehmen, was im gegenwärtigen Moment in einem und(/oder) um einen herum vorgeht, was einem die Sinne melden, was man fühlt; und zu sehen und möglichst anzunehmen, dass es in diesem Moment eben so ist. Also nicht unbedingt gleich "anders denken", sondern erstmal wahrzunehmen wie man denn denkt und fühlt. Egal ob man sich nun fröhlich oder total beschissen fühlt (auch ein bisschen mit dem Ziel, diesen Zuständen nicht gleich Wertungen im Sinne von "gut" und "schlecht" zu geben).
Die Übungen waren hauptsächlich da, um die Aufmerksamkeit zu lenken, oder sich bestimmte Dinge bewusst zu machen, die einen im Hier und Jetzt quasi verankern können.

Ich habe die Erfahrung gemacht, dass die intensivierte Beschäftigung mit meinen Gefühlen diese Gefühle erstmal verstärkt hat. Wenn die Gefühle eher düster waren, dann war das echt nicht so geil. Aber ich glaube Achtsamkeit handelt weniger davon, dass es "besser wird", sondern davon, zu akzeptieren (Akzeptanz kann aber natürlich eine Situation für einen auch verbessern ;) ).
Die Übungen haben aber schon auch einen praktischen Nutzen für mich gehabt. Wenn Gefühle drohen, mich zu überwältigen, dann hilft mir vor allem bewusstes Atmen, das Teil fast aller Übungen ist, mich ein wenig im Hier und Jetzt festzuhalten (mir fällt gerade keine andere Beschreibung ein).
Manchmal fühlte ich mich auch distanziert von mir selbst, abgekoppelt. Das war ziemlich merkwürdig.

Gruß,
hazmagetmaton
katla
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Re: Achtsamkeit?

Beitrag von katla »

Egal ob man sich nun fröhlich oder total beschissen fühlt (auch ein bisschen mit dem Ziel, diesen Zuständen nicht gleich Wertungen im Sinne von "gut" und "schlecht" zu geben)
Total beschissen...nicht als schlecht bewerten? Also ich weiss ja nicht...

Atmen hilft mir auch, hab ich mal so festgestellt. Wobei spezielle Uebungen mich bloss ganz kribbelig machen - meine Methode: Katze auf den Schoss und immer schön im Takt atmen. Das wirkt wo Benzos nichts ausrichten können, ich finde das immer wieder erstaunlich.

Schönes Wochenende noch, katla
Zarra
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Re: Achtsamkeit?

Beitrag von Zarra »

Hallo katla,

ich schau hier immer mal wieder rein ...

Meine erste Frage wäre: Ist das Deine erste Psychotherapie? Dann fände ich es unpassend, "Achtsamkeit" - was genau man dann genauer auch darunter versteht - am Anfang so in den Mittelpunkt zu stellen. Da dürfte, sollte es erst mal um anderes gehen.

Doch vielleicht war das auch zur Überbrückung der Sommerpause gedacht? Vielleicht wartest Du mal ab, wie sich die Therapie real weitergestaltet?
„anders denken – anders fuehlen“
Das würde ich zu einem Großteil unterschreiben, allerdings nicht so platt (!) (eher die Arbeit an den Gefühlen und Gedanken, so daß Aussagen wie: "Bei mir ist das halt immer so", "Mir gelingt eh nie was", "Es läuft eh alles schief" etc. etc. nicht mehr zustande kommen; Relativierungen und Handlungsmöglichkeiten innerhalb der eigenen Gegebenheiten entstehen).

Dann kannst Du auch noch mal die Suchfunktion mit "Achtsamkeit" und "MBSR" bzw. auch "MBCT" bemühen, da gibt es Threads (auch mit Buchempfehlungen). Mit scheint aber, daß das eher etwas zusätzlich Begleitendes oder Rückfallprophylaktisches sein kann. Ich persönlich glaube nicht, daß das allein eine Depression "gut macht"; hilfreich kann es dennoch sein, das ist sicher aber auch davon abhängig, wie zugänglich man gerade dem Ganzen ist (bei mir selbst würde ich das z.B. je nach Lebenssituation und Befindlichkeit sehr unterschiedlich sehen).

LG, Zarra
katla
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Registriert: 27. Mär 2015, 23:50

Re: Achtsamkeit?

Beitrag von katla »

Hallo Zarra.
Ich finde eigentlich, ich bin schon ganz gut darin, die Dinge positiv und gelassen zu sehen. Das habe ich lange eingeuebt und tadaa: an den meisten Tagen fællt mir echt nichts ein, vorueber ich mich beklagen könnte - die Depression mal aussen vor. Klar, geht immer besser - aber man kann nicht alles haben.

Wenn aber die Depression zuschlægt, zæhlt all das nicht mehr. Auch wenn ich rummaule, weiss ich selbst dann noch, dass es nicht die æusseren Umstænde sind, die meine schlechte Laune bedingen - die ist einfach da, dann gibt es nichts Erfreuliches mehr!

Also: Bei mir fuehrt erst die Depression zu schlechten Gedanken, nicht umgekehrt. Und positiv denken funktioniert dann nicht - ich weiss, was sonst schön ist, aber in dem Moment greift das nicht. Dann ist z.B. schöne Musik nervtötender Lærm. (Sowas kennen ja wohl alle hier?)

Ich will nicht ausschliessen, dass es da Methoden gibt, auch in solchen Momenten das Gute zurueckzuholen. Aber nichts davon fand ich im oben erwæhnten Achtsamkeitskurs. Da wurde einfach vorausgesetzt: Du denkst falsch - und das ist es, was dich krank macht. Denk anders - und du wirst gesund!

Gruss, katla
hazmagetmaton
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Registriert: 8. Aug 2015, 21:39

Re: Achtsamkeit?

Beitrag von hazmagetmaton »

katla hat geschrieben: Total beschissen...nicht als schlecht bewerten? Also ich weiss ja nicht...
Ja, kann ich gut nachvollziehen^^ Ich wollte glaube ich mit meiner Beschreibung darauf hinaus, dass es auch aus Sicht der Achtsamkeit kein falsches Denken gibt, so wie du das in deinem letzten Absatz beschreibst.
Zarra hat geschrieben:so daß ... Relativierungen und Handlungsmöglichkeiten innerhalb der eigenen Gegebenheiten entstehen
Hmm, das war bei uns auch Thema, ist mir erst nicht eingefallen.

hazmagetmaton
Kroki
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Re: Achtsamkeit?

Beitrag von Kroki »

Hallo Katla,

Ende letzten Jahres habe ich bei der Volkshochschule einen 8-Wochen-Kurs "Stressbewältigung durch Achtsamkeit" nach Jon Kabat-Zinn durchlaufen und das, was dort vermittelt wurde, als sehr hilfreich für mich erlebt. Da es im Kern ein "Übendes Verfahren" ist, braucht es allerdings viel Zeit und Ausdauer. Der englische Originaltitel des Buchs von Kabat-Zinn lautet "Full Catastrophe living". Das Training wurde ursprünglich für körperlich schwer kranke Menschen entwickelt, denen schulmedizinisch nur begrenzt geholfen werden kann. Daher geht es im Grunde um das wertfreie Wahrnehmen dessen, was jetzt gerade ist - um ein hinspürendes Innehalten, das mir die Möglichkeit gibt, anders zu handeln, als ich es automatisch tun würde. Akzeptanz dessen, was ich nicht ändern kann, ist auch ein wichtiger Aspekt.

Was Du von den Unterlagen Deiner Therapeutin berichtest, klingt so gar nicht nach Achtsamkeit in diesem Sinne. Es klingt viel mehr nach kognitiver Verhaltenstherapie in der Tradition von Leuten wie Ellis und Beck. - Ich selbst fühle mich bei dieser Art von künstlich erzeugten positiven Denken immer sehr unwohl - es hat für mich etwas von Selbstbetrug.

Viele Grüße
Kroki
katla
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Re: Achtsamkeit?

Beitrag von katla »

Ich selbst fühle mich bei dieser Art von künstlich erzeugten positiven Denken immer sehr unwohl - es hat für mich etwas von Selbstbetrug.
oh, ich fuehle mich verstanden...

Habe zwischenzeitlich die Bekanntschaft mit jemandem gamacht, der all meine Befuerchtungen betreffend dieses positiv-Wahns in sich vereint.
Der Mann war schwer depressiv und hat in der Therapie wohl eine Ueberdosis davon abbekommen. Er sagt ja, er fuehle sich besser - aber wenn der Gute in die Runde platzt, dann sehen alle anderen nach 5 min. wie verwelkte Pflanzen aus. Der mangelt auch gesunde Leute um mit seiner uebertriebenen Begeisterung. Mit dem Holzpfahl winken nutzt nix, er hat ja gelernt, nichts persönlich zu nehmen...
Folge: der Mann wird geschnitten, obwohl ihn jeder fuer einen lieben Kerl hælt!

Gruss, katla
Zuletzt geändert von katla am 6. Sep 2015, 20:17, insgesamt 1-mal geändert.
Bittchen65
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Registriert: 16. Jul 2015, 11:38

Re: Achtsamkeit?

Beitrag von Bittchen65 »

Hallo zusammen,

kognitive Verhaltenstherapie hat nichts mit positiven Denken zu tun,
sondern mit realistischen Denken und positiven Aktivitäten.Damit so die Negativspirale
nach unten unterbrochen werden kann.Nicht immer nur negative Rückschlüsse gezogen werden
und man aktiv etwas etwas ändern kann. So hab ich es wenigsten verstanden.

LG Bittchen
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