Wo gehöre ich hin?

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Jumo
Beiträge: 5
Registriert: 23. Jun 2015, 16:27

Wo gehöre ich hin?

Beitrag von Jumo »

Hallo,

ich bin Jumo, 24 Jahre alt. Ich habe vor ca. 3 Jahren die Diagnose "mittelgradig depressive Episode" bekommen. Ob diese Diagnose der passende Titel für mich ist, das weiß ich nicht. Meine Hausärztin fand ihn gut, denn er würde Eindruck bei der Krankenkasse machen.

Zuerst mal kurz der Schnelldurchlauf: Ich war nie suizidgefährdet, wobei dieses Thema trotzdem präsent war. Allerdings nur in Hinsicht auf mögliche Konsequenzen und nie das Vorhaben oder die Planung an sich. Ich wollte nicht aufhören zu leben. Ich habe nach einer ätzenden Suche von ca. 5 Monaten einen Therapieplatz gefunden und begann meine tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie. Nach einiger Zeit wurde die Kurzzeittherapie zu einer Langzeittherapie, die ich nach insgesamt ca. 1 3/4 Jahren beendet habe. Kurz vor Ende meiner Therapie bekam ich kreisrunden Haarausfall, was mich dazu bewog noch einen Termin dranzuhängen, um ein ruhiges Therapieende zu finden. Ein Jahr lang war ich nicht dort. Es war ein scheiß Jahr, es gab viel Streit, Krankheit und Existenzängste innerhalb meiner Familie. Dann war ich wieder viel traurig, war wieder verzweifelt, habe mir wieder die Hand zerkratzt, bekam zwei Panikttacken und bin dann wieder zu meiner Therapeutin gegangen - die ich spitze finde!

Ich habe das Gefühl, ich habe nicht die Berechtigung, mich depressiv zu nennen. Anderen geht es schlimmer. Anderen geht es eine viel längere Zeit lang schlimmer.
Ich kenne es, nicht aus dem Bett zu kommen, ich kenne es, aus dem nichts anzufangen zu weinen, ich kenne es Panik zu haben die zu Todesangst mutiert, ich kenne es sich der Welt gegenüber schuld zu fühlen, ich kenne es sich zu verstecken, ich kenne es vergesslich zu sein, ich kenne es wochenlang nicht schlafen zu können, ich kenne es schwarz zu sehen und ich kenne das Gefühl, so zu weinen, dass mein Selbst wie ein Luftballon davon fliegt und mir von oben zusieht.
Aber eigentlich geht es mir gut, ich stehe morgens auf und gehe zur Arbeit, wo keiner weiß, wie traurig ich sein kann. Ich habe eine neue Beziehung in der in sehr glücklich bin und mir viel Verständnis entgegen gebracht wird. Und ich erlebe einige Tage, an denen ich ausgiebig lache und mich über viele kleine Dinge freue.
Was ist denn also los mit mir?

Ich bin ein "Zwischendrin".

Ich bin nicht gesund, aber bin ich wirklich krank?
Bin ich nur nah am Wasser gebaut oder bin ich depressiv?
Bin ich verzweifelt oder bin ich selbstmitleidig?

Ich bin ein "Zwischendrin". Ich gehöre nicht zu denen, die psychisch gesund sind, aber ich fühle mich auch nicht dazugehörig zu denen, die schwer depressiv sind. Ich habe das Gefühl, Menschen die schwer depressiv sind empöre ich mit meiner Jammerei.

Ich bin ein "Zwischendrin". Ich habe kreisrunden Haarausfall. Er schreitet voran und hört noch nicht auf. Aber ich kann ihn verstecken, ich habe noch viele Haare. Versteckt ist fast wie nicht da. Da ist nix. Ich gehöre nicht zu denen, die so schlimm erkrankt sind, dass sie ohne Kopfhaar leben müssen.

Aber wo verdammt gehöre ich denn hin?
Morbus
Beiträge: 357
Registriert: 2. Feb 2015, 22:19

Re: Wo gehöre ich hin?

Beitrag von Morbus »

Hallo Jumo :hello:
Ich habe das Gefühl, Menschen die schwer depressiv sind empöre ich mit meiner Jammerei.
Ein bisschen :D Nein Spaß, ich musste wegen dieser Aussage eher schmunzeln, als das ich es in irgend einer Weise dir übel nehmen würde, wie du mit dem ganzen Thema umgehst.
Ich denke du hast da ganz einfach die falsche Sichtweise auf das Thema und redest dir etwas ein, was sich so einige in der Depression einreden. Sie denken alle immer, sie seien nicht krank genug, können noch so viel, es gehe ihnen doch eigentlich gut,... Und das ist so ein typisches Symptom, dass ziemlich jeder wohl kennt.
Auch wenn es dir noch um einiges schlechter gehen würde, wären deine Aussagen wohl genau die gleichen wie in deinem Text, das Negative relativiert sich ganz schnell und du würdest es wohl genau so beschreiben wie du es getan hast.
Auch ich erwische mich manchmal dabei, dass ich mir solche Dinge einrede, wobei ich viele Probleme dabei fast schon ausblende, damit es für mich einen Sinn ergeben kann. Mir wird dann aber ganz schnell wieder klar, dass ich Blödsinn rede/bzw. denke und gestehe mir ein, dass ich krank bin.

Aus kranker Sicht ist man selten "krank genug" und im Vergleich zu anderen gehe es einem ja so oft besser, aber diese Sichtweise muss man sich im gewissen Maße verbieten, denn nur weil man z.B. Krebs hat und diese auf die Behandlung anschlägt, sollte es mir nicht schlecht gehen, weil ein anderer weniger gut darauf reagiert oder einen schwereren Krebs hat. Das ist kein Wettstreit wobei nur der mit der schlimmsten Diagnose gewinnt und sich schlecht fühlen darf.

Man muss denke ich die Situation, also auch die Depression akzeptieren und mit der Akzeptanz dieser entgegen treten. Denn "Ich bin krank, kann aber was dagegen tun" klingt doch tausend mal besser als, "Ich bin nicht so richtig krank, aber eigentlich ja doch, aber eine Behandlung wo es so vielen schlechter geht, dass habe ich doch eigentlich nicht verdient".

Du redest dich damit nur selbst in einen noch schlechteren Zustand, und das macht die Depression auch so gefährlich, man sieht es nicht wirklich ein, bis es meist schon viel zu spät ist und der Weg dann zur Stabilität sehr steinig ist. Vorzubeugen, rechtzeitig die Behandlung anzunehmen und gesund zu werden ist doch das Ziel, je früher man damit beginnt, desto schneller kann es zu diesem kommen, abwarten und alles wird schon irgendwann besser oder eben nicht ist es einfach nicht.

Ich denke du musst deine Sichtweise auch ein bisschen auf andere Krankheiten übertragen um dir das Bild selbst verdeutlichen zu können. Als ich z.B. mal mein Knie angebrochen hatte, da habe ich auch nicht gedacht, "ohh, ist doch nur angebrochen" sondern ich konnte dies erstmal kaum belasten, als wäre es komplett gebrochen. Es ging nur eben alles schneller wieder weg und wurde gesund, da ich diese Hilfe gleich hatte und nicht nachdem es durch zu starker Belastung dann völlig gebrochen ist. Fast alles ist im Anfangsstadium, oder mit leichten bis mittleren Grad noch recht gut behandelbar sowie aushaltbar, erst danach wird es schwierig und deswegen sollte man nicht erst warten bis es dazu kommt.

Ich hoffe du verstehst worauf ich damit hinaus möchte. Es ist immer besser, grade bei der Depression, die Hilfe anzunehmen und die Situation zu akzeptieren, auch wenn man sich nicht selbst so sehen mag/kann. Dafür braucht es einfach Zeit.

Du bist also nicht zwischendrin, du bist krank und das musst du akzeptieren und dagegen etwas tun. Denn so wie es klingt hängt der Haarausfall auch damit zusammen und würde wohl besser werden, wenn es dir besser gehen würde.

Liebe Grüße, Finn
Let go your earthly tether. Enter the void. Empty, and become ...
Jumo
Beiträge: 5
Registriert: 23. Jun 2015, 16:27

Re: Wo gehöre ich hin?

Beitrag von Jumo »

Hallo Finn!

Ich danke dir für deine ausführliche Antwort!
Ich hatte Angst und war sehr aufgeregt, diesen Forenbeitrag zu verfassen. Es ist für mich das erste Mal, dass ich mich in einem Forum oder generell vor Menschen, die in irgendeiner Art mit dem Thema Depression vertraut sind (außer meiner Therapeutin), traue zu erzählen, was mir durch den Kopf geht.
Es tat gut deine Worte zu lesen, sie waren ehrlich und direkt. Und du hast Recht, ich muss mich anders annehmen und akzeptieren. Das wird wohl eine der schwersten Aufgaben, die ich mir bisher vorgenommen habe, aber ich hoffe ich werde Schritt für Schritt und Stück für Stück ein bisschen näher daran kommen.

Liebe Grüße
Sonnenblume14
Beiträge: 1038
Registriert: 16. Sep 2014, 18:36

Re: Wo gehöre ich hin?

Beitrag von Sonnenblume14 »

Hallo Jumo,

sie ist mittelschwer, die Depression - das sagt es doch schon. Meine übrigens auch. Und ich hatte die gleichen Gedanken. Ich komm da nie raus, was wenn das so bleibt, anderen geht es viel schlechter. Wieso werde ich einen ganzen Monat krankgeschrieben? Und dann noch einen? Und noch einen? Das waren meine Gedanken.

Und ebenso massiv bekam ich die Antwort "du bist krank!". Ich war dieses Stehaufmännchen, das immer wieder versuchte, zu beweisen, dass etwas DOCH geht. Bis eben nichts mehr ging. Depressionen können sich auf vielfältige Weise äußern, sind nicht immer gleich. Auch ich blieb IMMER ein Stück weit im Leben, konnte morgens aufstehen, mich fertig machen und kleine Handgriffeim Haushalt tun. Der Blick auf die anderen sollte nicht bedeuten "denen gehts ja schlechter, was jammere ich rum" sondern: "gut, dass ich die eine oder andere Resource noch habe, darauf kann man aufbauen". Richte den Blick einfach mehr auf dich selbst und wie du DEINE Situation verbessern kannst. Andere sind andere - für deine Krankheit und Gesundung ist das unerheblich. Depressionen gibt es in unterschiedlichen Abstufungen - und bei dir ist es eben,wie es ist.

Vielleicht könnte dir eine Reha oder ein Klinikaufenthalt helfen? Dort werden noch andere Dinge angestoßen, die in einer ambulanten Therapie nicht möglich sind. Zum Beispiel die Achtsamkeit, die gerade bei Depressionen sehr wichtig ist.

LG Sonnenblume
"Depressionen sind kein Zeichen von Schwäche, sondern dafür, dass jemand zu lange zu stark sein musste" (Johnny Depp)

"Verstehen kann man das Leben nur rückwärts. Leben muss man es vorwärts." Sören Kierkegaard
Schuldig
Beiträge: 11
Registriert: 22. Jun 2015, 13:23

Re: Wo gehöre ich hin?

Beitrag von Schuldig »

Im Zweifelsfalle, Jumo, gehörst Du genau hier hin zu uns. Falls Du Dir sonst nicht sicher bist, das ist auf jeden Fall die Wahrheit.

Ich glaube, jeder hier im Forum fühlte sich an einer Stelle seiner "Karriere" genauso wie Du. Auch ich habe mir immer wieder gesagt, dass es geht, noch einen Schritt, und dann noch einen und dann ...

Ach, erwähnte ich, dass meine Depressionen erschöpfungsbedingt sind? Bei meiner vorherigen Einstellung nicht überraschend, oder?

Auf den Teppich gebracht hat mich eine Freundin mit einem Bild - ein Zeichentrickpferd mit Namen Boxer, aus der Verfilmung des Romas "Animal Farm/Farm der Tiere".

Für diejenigen, die es nicht kennen:

Die Tiere eines Bauernhofs leiden unter der Brutalität des besoffenen Farmers. Unter der Führung des alten Schweins Schneeball erheben sich die Tiere, vertreiben den Bauern und führen die Farm selbst unter der Devise "Alle Tiere sind gleich und wir werden nie wie Menschen". Als Schneeball stirbt, übernimmt Schwein Napoleon und beginnt eine Diktatur des Schreckens.
Das stärkste Tier auf der Farm ist das Pferd Boxer, das unermüdlich für das Wohl der Tiere arbeitet. Eines Tages verletzt er sich, ignoriert den Kratzer und arbeitet weiter, weil er die Tiere nicht enttäuschen will. Durch seine Weigerung, die Sache auszukurieren, kann er dann nicht mehr. Als "Dank" wird Boxer dann für 3 Töpfe Marmelade von den Schweinen an die Abdeckerei verkauft.

Genau das habe ich gemacht. Mir eingebildet, dass ich unersetzbar bin, nicht auf mich gehört und gemeint, dass ich nicht krank genug bin. Die Quittung bekam ich - erst von meinem Körper und dann von meinem Chef. Und Dank stand da nicht auf der Agenda.

Kümmere Dich um Dich selbst, akzeptiere, dass es gerade mal nicht geht. Und das, bevor Du für 3 Töpfe Marmelade an die Abdeckerei gehst.
karenfrank
Beiträge: 1
Registriert: 30. Jun 2015, 10:10

Re: Wo gehöre ich hin?

Beitrag von karenfrank »

sie ist mittelschwer, die Depression - das sagt es doch schon. Meine übrigens auch.
Dentalinstrumente Athenadental.de, als ein unabhängiger Dental-Verkäufer haben wir die Möglichkeit,
Jumo
Beiträge: 5
Registriert: 23. Jun 2015, 16:27

Re: Wo gehöre ich hin?

Beitrag von Jumo »

Ich danke euch für die interessanten und ehrlichen Antworten! Es hat mir geholfen, diese zu lesen und auch sonst im Forum zu stöbern.
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