Erfahrungen Selbstständigkeit und Depression

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Ökohippie
Beiträge: 33
Registriert: 1. Mär 2014, 13:04

Erfahrungen Selbstständigkeit und Depression

Beitrag von Ökohippie »

hallo,

momentan sehe ich kaum ein möglichkeit eine unselbstständige Tätigkeit aufzunehmen.

Ich bin studierter ökonom und habe leider 5 jahre umsonst promoviert, also kaum berufserfahrung. leider auch schon 37 jahre und habe für unternehmerische projekte kein nennenwertes kapital.

Bin seit 14 jahren wegen unipolarer Depression in Behandelung , nun steht die erste Einweisung in eine klinik an.

meine eltern raten mir ab, ich bleibe machmal aber auch 20 std. im bett. soll ich mich selbständig machen, wegen depressiv wahrgenommen alternativlosigkeit?

was meint ihr.
XDepri
Beiträge: 11
Registriert: 9. Mär 2015, 21:22

Re: Erfahrungen Selbstständigkeit und Depression

Beitrag von XDepri »

Hallo Ökohippie,

leider bedeutet Selbständigkeit, dass Du immer funktionieren musst - wenn Du nicht arbeitest kommt kein Geld rein und Du kannst die laufenden Kosten nicht tragen und auch Deine Krankenversicherung nicht zahlen.
Natürlich gibt es Krankentagegeldversicherungen die Dir im Falle einer Krankheit den Betrag X pro Tag zahlen, allerdings sind diese sehr teuer und ich bin mir auch nicht sicher, ob so eine Versicherung bei Deiner Vorerkrankung überhaupt möglich ist.

Selbständigkeit ist immer ein Risiko, mit einer Vorerkrankung die Dich immer wieder für Tage/Wochen ausschalten wird, ist ein sicheres Einkommen leider nicht möglich.

LG
Ute
Distelchen
Beiträge: 554
Registriert: 17. Mär 2013, 18:30

Re: Erfahrungen Selbstständigkeit und Depression

Beitrag von Distelchen »

:hello:
Ich habe Deinen Beitrag grade erst gesehen, weil ich mich doch eher selten in diesem Bereich der Website aufhalte...
Auch wenn ich denke, dass ich mit meiner Haltung ziemlich alleine stehe, möchte ich sie Dir gegenüber doch äußern:

Ich bin seit 30 Jahren selbstständig (freiberuflich) tätig - und das, obwohl ich seit meiner Jugend immer wieder mit längeren depressiven Episoden zu tun hatte.
Klar gilt: Wenn Du nix schaffst, kommt nix rein.
Für mich aber gilt: Ich arbeite, um zu leben...ich möchte etwas schaffen/arbeiten, hinter dem ich stehen kann UND zum Leben brauche ich nicht soo viel Materielles - und das, obwohl ich in einer der teuersten Städte D lebe. Für mich sind andere Dinge wichtig - und diesen nachzugehen, die Freiheit, meinen Bedürfnissen nachzugehen und zwischen meinen Neigungen und dem Erwerbsleben auszubalancieren - das geht nur in einem Leben, das ich überwiegend selbst bestimmen kann.

So habe ich in Phasen tieferer Depression natürlich immer wieder weniger bis gar nicht gearbeitet, aber ich bin mir selbst immer näher gekommen.

Erst als ich dann nach kurzer Ehe vor 6 Jahren meinen Mann an einen bösartigen Hirntumor verlor, ihn zuvor 1,5 Jahre auf Pflegestufe 3 gepflegt hatte - ohne jede Unterstützung - und danach auch noch von meiner Herkunftsfamilie in einer Erbangelegenheit trotz bzw wegen meiner Schwäche ausgebootet wurde, klappte ich zusammen und fand erst einmal die Kraft nicht mehr, um mich wieder aufzurappeln.

Seit der Erkrankung meines Mannes (auch Freiberufler) lebe ich von der angesparten Altersvorsorge - und ich bin froh darüber, nicht gegängelt zu werden von irgendwelchen ALG-II-Verteilern, die sich als die Herren über mein Leben aufspielen. So langsam mache ich wieder Pläne...habe einen neuen Mann in meinem Leben...grad eine zusätzliche Qualifizierung abgeschlossen, die mich aus dem Bürodasein herausbringen soll...in 2 Wochen werde ich in meine Seelenheimat reisen und länger dort bleiben, als jedes Amt und jede Kasse es mir erlauben würde...ich lebe mein Leben, recht bescheiden, aber selbst bestimmt - und dass macht mich stellenweise so etwas wie...glücklich?

Kurz gesagt: Ich möchte mit keinem Arbeitnehmer tauschen, auch nicht in dieser Situation der Arbeitsunfähigkeit.
Ich wünsche Dir alles Gute für eine Entscheidung, die Dir entspricht :-)
Warte nicht, bis der Sturm vorbei ist,sondern lerne lieber, im Regen zu tanzen.



(Quelle unbekannt).
iffy04
Beiträge: 431
Registriert: 10. Mär 2010, 11:54

Re: Erfahrungen Selbstständigkeit und Depression

Beitrag von iffy04 »

Hallo Distelchen,
Ich fand Deinen Beitrag sehr ansprechend, weil auch ich gerade versuche aus meinem Bürodasein im Angestelltenverhältnis (Teilzeit) auszusteigen. Darf ich fragen welche Weiterbildung du gemacht hast (gerne auch als PN) bzw. als was du selbständig bist.
Ich bin es auch so leid als kleine Büroangestellte zu versauern und suche etwas was mich wirklich interessiert (Gesundheitswesen interessiert mich und hatte auch eine Ausbildung zum Heilpraktiker begonnen....aber wenn man das gut machen will, braucht es intensive Zusatzausbildungen, die in Summe doch sehr teuer sind).....
Freue mich auf Antworten
LG
vanezzo
Beiträge: 156
Registriert: 4. Feb 2014, 13:54

Re: Erfahrungen Selbstständigkeit und Depression

Beitrag von vanezzo »

Hallo Ökohippie und alle anderen,

natürlich ist Selbstständigkeit ein Risiko, aber ich sehe es wie Distelchen - es ermöglicht ein selbstbestimmtes Leben.
Ich selber bin vor kurzem von einem 40-Stunden-Job auf eine halbe Stelle gewechselt (bei einem anderen Arbeitgeber) und möchte nebenbei wieder freiberuflich arbeiten. Es ist eine Mischform aus Sicherheit (Krankenversicherung, Sozialabgaben etc pp) und eigener Einteilung der Kräfte je nach Phase.
Ich erhoffe mir dadurch beides - also selbstbestimmtes, flexibles Arbeiten mit Herzblut und die gewisse Sicherheit in einem Rahmen, den ich hoffentlich stemmen kann.

Was ich sagen will: Es muss nicht zwingend entweder-oder heißen, es gibt auch Wege dazwischen.
Distelchen
Beiträge: 554
Registriert: 17. Mär 2013, 18:30

Re: Erfahrungen Selbstständigkeit und Depression

Beitrag von Distelchen »

Klasse :-)
Ich hab mich sehr darüber gefreut, von Euch zu lesen - insbesondere der Beitrag von vanezzo könnte für Ökohippie hilfreich sein - ja, es gibt nicht nur das und jenes, es gibt soo viele Möglichkeiten dazwischen. Muss ja nicht jeder "meine" exterme Variante wählen, so ganz ohne Sicherheit. Was mich allerdings sehr befriedigt, ist, dass ich alles mache, weil ich es WILL...für mich war und bleibt es undenkbar, Stunden (und seien es auch "nur" 3-4) irgendwo abzusitzen, nur um der Sicherheit willen...da radle ich lieber oder sitze am Fluß. So habe ich aber auch nie eine Entschuldigung parat, jemanden, auf den ich mein Nicht-Tun abwälzen könnte..

Aber wie vanezzo sagte, jeder muss seinen Weg ausloten...

Und zu iffy...ich bin eine "Sprachlerin", 30 Jahre lang hab ich erfolgreich übersetzt, große Projekte gemanagt. Jetzt habe ich mich als Deutschlehrerin (Deutsch als Zweitsprache) qualifiziert, um das einsame Büroleben zu verlassen. Aber es gibt noch mehr: ich "bilde" mich grad auch noch als Reiseleiterin weiter. Und ja, das alles kostet Geld. Nicht, dass ich es hätte, in der Tat lebe ich seit 6 Jahren überwiegend von meiner Altersvorsorge, die ich als Freiberuflerin fleißig angespart habe. Aber ich gebe das Geld lieber aus, um mich auf die Suche zu begeben...vielleicht etwas zu finden...was mir Freude macht..."Investition in mein Leben" nenne ich das...Selbst wenn ich die Tätigkeit als Deutschlehrerin dann vielleicht doch nicht ausübe, so war es doch interessant. Der Weg ist das Ziel...
Warte nicht, bis der Sturm vorbei ist,sondern lerne lieber, im Regen zu tanzen.



(Quelle unbekannt).
iffy04
Beiträge: 431
Registriert: 10. Mär 2010, 11:54

Re: Erfahrungen Selbstständigkeit und Depression

Beitrag von iffy04 »

Das hört sich sehr gut an Distelchen,
"Investition in mein Leben"....ich kämpfe da leider immer mit meinem schlechten Gewissen, wenn ich unser Familiebudget mit Ausgaben belaste, von denen ich nicht weiß, ob sie sich jemals rechnen würden. Ich habe ja wie gesagt eine Heilpraktiker-Ausbilung begonnen und persönlich hat es mir schon was gemacht, ich habe mein Wissen erweitert und es hat mich sehr interessiert.
Nur finanziell hat es nur belastet und nichts eingebracht und wenn ich heute mit ähnlichen Weiterbildungen liebäugle sagt mein Mann (nicht ganz zu unrecht): "Ob du das mal fertig machst....und meinst du, dass du damit was verdienen kannst...."
Ich meine damit, dass ich nicht alleine über unser Geld entscheiden kann und mir schon im Vorfeld riesen Druck mache.
Ach, weiß auch grad nicht :roll:
Distelchen
Beiträge: 554
Registriert: 17. Mär 2013, 18:30

Re: Erfahrungen Selbstständigkeit und Depression

Beitrag von Distelchen »

Hi Iffy,
Theoretisch verstehe ich Dich schon...irgendwie denken ja alle (?) so: etwas muss etwas einbringen, sich rentieren, sich bezahlt machen...

Diese Art zu denken teile ich nicht. Und ich fühle irgendwie, dass ich mich damit sehr behindern, einschränken würde. Außerdem: Wie misst man/frau den Wert von Zufriedenheit, Glück, neuen Erfahrungen, Begegnungen mit anderen Menschen?

Für die Qualifizierung als Deutschlehrerin habe ich z.B. 1500€ zahlen müssen.
Ich habe mich 6 Monate mit einem interessanten Gebiet beschäftigt, das mir von ExpertInnen vorgestellt wurde, die mir ihr in Jahren erworbenes Wissen weitergegeben haben. Ich habe Hunderte von Stunden mit ebenfalls interessierten und interessanten Menschen verbracht, von ihnen gelernt, mit ihnen gelacht...mit 2 Personen bin ich inzwischen richtig befreundet.

Der einzige Bereich, wo ich eine geldwerte Rechnung aufstelle, ist da, wo ich meine Leistung jemandem defakto in Rechnung stelle. Da orientiere ich mich am wirklichen Wert meiner Arbeit - und den schätze ich hoch ein. Aber als Selbständige nehme ich mir dann doch die Freiheit, ob ich dem Pharmakonzern für meine Arbeit 120€/Stunde oder dem Asylantragsteller 10€ berechne.
Warte nicht, bis der Sturm vorbei ist,sondern lerne lieber, im Regen zu tanzen.



(Quelle unbekannt).
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