Zerstöre, was dich zerstört

Antworten
Cynthis
Beiträge: 12
Registriert: 14. Okt 2014, 04:24

Zerstöre, was dich zerstört

Beitrag von Cynthis »

… aber was ist, wenn man sich selbst zerstört?

Stein für Stein versuche ich die Mauer um mich herum wieder hochzuziehen, die ich allein noch vor wenigen Monaten eingerissen habe. Aber ich weiß, die nächste Flut wird kommen. Ich will nicht wieder ertrinken müssen. Die Mauer wird mich schützen. Und vor lauter Verzweiflung und Angst vor der nächsten Welle merke ich nicht einmal, dass es regnet..

Meine erste Depression hat mich niedergerissen wie ein Tsunami. Ich habe alles verloren und dabei fast mit meinem Leben bezahlt. Jetzt in diesem Augenblick bin ich mir nicht sicher, ob ich dieses „fast“ gut oder schlecht finden soll. So oder so, ich bin hier. Ich habe alles verloren, aber ich bin hier. Immerhin.

Dezember 2013. Suizidversuch. Ich dachte erst, dass ich da alleine wieder raus komme, bin in meine Heimat zu meiner Familie gefahren, in der Hoffnung dass die mich wieder aufpäppeln können. Falsch gedacht. Meine Mutter machte mir Vorwürfe. Ich sei selbst schuld daran, dass es mir so geht und überhaupt - sie hätte gar kein Geld für meine Beerdigung. Mein Vater zeigte mir, wie enttäuscht er von mir ist. Die 3 Wochen dort waren schrecklich. Ich wollte einfach nur für mich sein. Aber stattdessen hagelten zig Fragen auf mich ein. Wie geht es weiter? Was ist mit der Schule? Was hast du jetzt vor? Gott verdammt, ich habe versucht mich umzubringen. Ich war froh, dass ich noch im letzten Moment die Notbremse gezogen habe. Und das einzige was denen einfällt ist die beschissene Schule. Niemand hat mal gefragt wie es mir geht. Die Antwort lag wohl auf der Hand, aber trotzdem. Ich wollte einfach nur SEIN. Einfach da sitzen, aus dem Fenster schauen. Oder im Bett liegen und die Decke anstarren. Einfach spüren: Hey ich bin noch da.

Froh darum, wieder zuhause und alleine zu sein, hatte ich Hoffnung, das alles hinzukriegen. Ein Monat blieb mir noch zum Durchatmen, bis ich wieder zur Schule gemusst hätte. Anfang Februar 2014, letzter Tag, morgen geht es wieder los. Nervenzusammenbruch. Ich ließ mich einweisen und für ca. 5 Monate war die Klinik mein neues Zuhause geworden. 7 Wochen offene Psychiatrie, danach Psychotherapie. Es war eine tolle Zeit. Anstrengend, aber ich habe es genossen. Ich konnte viele neue Menschen kennenlernen, neue Erfahrungen sammeln und vor allem mich und meine Krankheit besser kennenlernen. Während meiner Psychotherapie wurde ich von einer tollen Psychologin betreut. Mit ihr konnte ich all meine Mauern einreißen.
Abschließende Diagnosen zur Entlassung: Schwere Depression (F33.2) und Borderline (F60.31). Danach stand direkt ein Umzug an - ab zurück in die Heimat. Ich bin direkt zu meinem neuen Freund gezogen, weil es zu dem Zeitpunkt die stressfreiste Lösung für mich war. Mittlerweile wohnen wir jetzt in einer größeren, gemeinsamen Wohnung.

Es ging mir so gut. Ich hatte wieder Hoffnung, Kraft. Ich war zuversichtlich, habe akzeptiert dass ich nicht mehr für die Zukunft denken und planen kann, wie ich es sonst immer getan habe. Ich habe meine Ziellosigkeit genutzt um das Hier und Jetzt zu genießen und leben zu können. Mein einziges Ziel war, erstmal wieder gesund werden, zumindest so, dass ich normal leben und meinen Alltag meistern kann. Es klappte alles so gut.

Und jetzt scheint alles was ich gelernt habe vergessen. Immer wieder versuche ich die Worte der Psychologin nachhallen zu lassen. Nichts. Ich blättere in meinem Therapie-Tagebuch, in den zahlreichen Blättern die ich dort bekommen habe. Ich weiß was ich tun kann, damit es mir besser geht. Zumindest ein wenig. Aber ich tue es nicht. Stattdessen schleppe ich mich von Tag zu Tag. Es ist immer noch viel zu tun durch den Umzug, aber ich bin kraftlos, rastlos. Ich bin müde und kann nachts trotzdem nicht schlafen. Vor die Tür gehe ich höchstens zum Einkaufen und dann auch nur mit meinem Freund. Ich habe es in den ersten Wochen nach der Klinik so genossen wieder durch die Stadt laufen zu können. Ohne Angstzustände, ohne Schweißausbrüche. Und jetzt hat mich dieses Monster Depression wieder so sehr gepackt. Ich fühle mich schrecklich unter Menschen, egal ob fremde oder nicht.

Und überhaupt, ich scheine mit allem ein Problem zu haben. Ich dachte, es würde mir helfen mich und die Krankheit zu verstehen. Einen Scheißdreck hilft mir das. Was bringt es mir, zu wissen was ich gegen dieses Biest in meinem Kopf tun kann, wenn ich es nicht tue? Ich kriege es oft nicht mal auf die Reihe jeden Tag meinen Hintern unter die Dusche zu schwingen oder nach der Post zu schauen. Das ist so frustrierend. Manchmal hasse ich mich.

Dieses Nichts in mir erdrückt mich. Am schlimmsten ist, dass ich niemanden zum Reden habe. Niemanden der mich versteht. Auch nicht mein Freund. Zwischendurch ist er derjenige, der meinen Frust abbekommt und das tut mir unglaublich leid. Aber selbst das habe ich ihm nicht gesagt. Zu schwer fällt es mir, zugeben zu müssen, dass ich zu schwach war und ich wieder in der Luft hänge. Ich habe so wahnsinnige Angst vor dem Aufprall. Und jeder Streit, jedes negative Gefühl lässt mich ein Stück weiter fallen.

Ich fühle mich so einsam. Tatsächlich bin ich es auch. Das war ich schon immer. Und ich weiß, dass ich Hilfe brauche, aber dieser Schritt ist so schwer. Manchmal fühlt es sich so an, als würde ich mich diesem Nichts in mir hingeben. Weil es das einzige ist, was ich von mir weiß. Und gerade merke ich, wie traurig ich eigentlich bin. Traurig darüber, dass ich es nicht geschafft habe. Darüber, dass ich doch eigentlich dieses Jahr eine Ausbildung beginnen wollte. Darüber, dass ich meine Therapie nicht weiter gemacht habe. Ich bin traurig, weil ich wieder ein ganzes Jahr meines Lebens verschwendet habe mit Nichts. Und ich weiß absolut nicht, wie es weiter gehen soll.

Danke, an jeden, der es bis hierhin geschafft hat. Ich weiß nicht, was ich mir von diesem Beitrag erhoffe, aber ich musste einfach mal ein paar Dinge aus meinem Gedankenchaos bekommen um diesen Knoten in meiner Kehle loszuwerden.
Saying "You don't have anything to be depressed about, your life is great." is like saying "What do you mean have asthma, there is loads of air in here.
Gerbera
Beiträge: 619
Registriert: 31. Mär 2013, 00:24

Re: Zerstöre, was dich zerstört

Beitrag von Gerbera »

Hallo Cynthis,

erstmal willkommen im Forum :D.

Was Du schreibst, klingt nach Rückfall, sehr. Wenn Du es nicht schaffst, Deinem Freund zu sagen, was mit Dir los ist, dann versuch zumindest, Dich aufzuraffen und zum Arzt zu gehen. Oder gleich in die Klinik. Und zwar bevor Du noch weiter abrutschst.

Nimmst Du Medikamente gegen die Depression und/oder Borderline? Wenn nicht, hast Du mal welche genommen, die Du abgesetzt hast? Vielleicht wäre dann der Zeitpunkt gekommen, wieder damit anzufangen, damit Du wieder ein bisschen mehr Energie bekommst.

Die Umzugskisten sind nicht wichtig, aber Du bist es! Kümmere Dich gut um Dich und bemühe Dich um kompetente fachärztliche Hilfe. Wie heißt es in der Werbung so schön: ... weil Sie es sich wert sind!

Und verliere nicht die Hoffnung! Du hast es schon einmal aus der Krise geschafft, mit ärztlicher Unterstützung, Du schaffst es noch einmal! Deshalb: nimm alle Energie zusammen, die Du aufbringen kannst und geh zum Arzt oder lass Dich von Deinem Freund hinbringen!!!

Mag sein, dass Du nicht in die Zukunft planen kannst, im Hier und Jetzt lebst. Und im Hier und Jetzt brauchst Du Hilfe, so schnell wie möglich. DRINGEND!

Herzliche Grüße - ich schick Dir eine dicke Umarmung!
Gerbera
Zimperline
Beiträge: 39
Registriert: 24. Sep 2014, 08:37

Re: Zerstöre, was dich zerstört

Beitrag von Zimperline »

Hallo Cynthis,

viel dazu sagen kann ich nicht. Jedoch lesen sich Deine Zeilen für mich nicht nur wie ein "Absturz", sondern Du beschreibst den Weg eines "2. Absturz".

Es ging mir ähnlich, auch alles in diesem Jahr 2014. Zuerst war ich gute 3 Monate in der Klinik und dann bis vor kurzem nochmal 2 Monate. Auch ich hatte Sorge ein 2. Mal in die Klinik zu müssen, ich wollte dort nicht hin.

So habe ich meinen Arzt außerhalb meiner Termine besucht und meine Stimmung berichtet. Er nahm mir sofort die Entscheidung ab und ließ mich aus der Praxis mit einem Krankentransport wieder in die Klinik bringen.

Die Entlassung war vor 2 Wochen. Ich habe noch mehr über mich erfahren wie beim ersten mal. Im Nachhinein bin ich meinem Arzt nun doch dankbar, dass er mich eingewiesen hat.

Du wirst die richtige Entscheidung für Dich treffen.

Liebe Grüße
katyfel
Beiträge: 1181
Registriert: 21. Aug 2011, 18:08

Re: Zerstöre, was dich zerstört

Beitrag von katyfel »

Hallo Cynthis
und willkommen hier...

Viel Sinnvolles wurde schon geschrieben, das möchte ich gar nicht wiederholen, vor allem was die professionelle Hilfe betrifft.

Was mir aber noch besonders auffiel, sicherlich auch, weil es mir bekannt vorkommt;
Du hast Hilfe, Unterstützung oder zumindest ein "Sein-Lassen" erwartet bei deinen Eltern, und bist mit Vorwürfen und Destruktivem konfrontiert worden, was natürlich in so einer Situation (die ich übrigens auch kenne) das denkbar schlimmste ist... vor allem das mit dem "kein Geld für deine Beerdigung"... da stockt mir der Atem.
Was aber mein eigentlicher Impuls war;
Hast du jenseits von deinem Freund, der sicher ein guter Rückhalt ist, aber es bestimmt nicht allein mittragen kann, noch gute Freunde oder mögliche Ansprechpartner?!
Seien es Menschen, die du lange kennst, ehemalige Mitpatienten,... Es hilft häufig (als Zusatz, nicht Ersatz für professionelle Hilfe, aber das ist ja klar...) sich da nochmal auszutauschen jenseits einer Beziehung mit dem Partner, der dich gut kennt, was super ist, aber wo andere sicher nochmal einen anderen Blick haben, auf dich, auf deine jetzige Lage vielleicht, mit denen du auch anders reden kannst?! Das heißt nicht besser/schlechter, sondern einfach anders.

Das erstmal von mir. Ich drücke dir die Daumen!
Liebe Grüße,
Sinfonia
Sonnenblume14
Beiträge: 1038
Registriert: 16. Sep 2014, 18:36

Re: Zerstöre, was dich zerstört

Beitrag von Sonnenblume14 »

Auch von mir ein herzliches Willkommen im Forum. Ein wenig fehlen mir nach deinem Beitrag die Worte. Er hat berührt, betroffen gemacht und in mir das Gefühl erweckt, dich in die Arme zu nehmen (sofern du das nicht als übergriffig empfunden hättest) und dich zu bitten, einmal tief durchzuatmen.

Die Reaktion deiner Familie ... etwas, das sich nicht mehr ändern lässt. Herzlos? Wohl eher verständnislos und hilflos. Ich schreibe es mal aus Sicht einer Mutter zweier (fast) erwachsener Töchter: Man glaubt, sein Kind für das Leben gerüstet zu haben, ihm alles gegeben zu haben und dann stellt man als Mutter fest, dass man irgendwo versagt hat, nicht genug getan hat. Schuldzuweisungen sind schnell gemacht, aber in der Situation NATÜRLICH völlig fehl am Platz. Das wissen wir, die wir mit Depressionen zu tun haben - jemand, der plötzlich mit der Situation konfrontiert wird, weiß das womöglich nicht. Ich möchte deine Familie nicht in Schutz nehmen, aber vielleicht eine kleine, wackelige Brücke bauen. Du hast Recht, die Schule ist zunächst einmal egal, alles ist egal, alles was zählte, war, dass du noch da bist und das auch so bleiben soll. Alles andere muss hintenan stehen. ABER: dagegen steht die Gesellschaft, der Zwang, das allgemeine Weltbild. Guter Schulabschluss, Familie, Kinder, ordentlicher Beruf. Alles andere hat einen Makel - Du wurdest von der Krankheit gezwungen, einen anderen Weg zu nehmen, die Familie sollte ihn mit dir gehen, tut sie es nicht, musst du es leider akzeptieren.
Ich selber habe aus deinen Zeilen einiges gelernt. Einfach nur da sein, an die Decke starren, die Sch...schule vergessen, ich werde mal (als Mutter) versuchen, das auch für meine Kinder zu akzeptieren. Danke für diese Sichtweise.

Und NEIN, du hast kein Jahr vertan. Du bist momentan im Keller, aber du bist WEITER als du im vergangenen Jahr warst. Vielleicht brauchst du für dich noch einen Klinikaufenthalt für dich - Es ist verdammt schwer, nach einem Absturz wieder aufzustehen, weiterzukämpfen. Jeder von uns hier weiß das, kennt die Verzweiflung, wenn die nächste Welle heranbrandet und man genau weiß, es geht wieder bergab. ABER: es geht auch wieder bergauf, die Täler werden weniger tief und du lernst nach und nach, dir selber und deinen Kräften zu vertrauen.

Ärgere dich nicht, wenn du den Notfallplan nicht einhalten kannst. Damit spielst du dem Monster in die Karten. Wenn du in der Tiefe steckst, schau einfach, was möglich ist, gib deinen Sehnsüchten nach,ganz egal wie klein sie sind. Ein Händedruck, ein lieber Blick deines Partners, nimm es auf. Du brauchst kleine positive Momente. Umzugskartons sind egal, Weihnachten. Egal, kommt nächstes Jahr wieder.

Ich kann dir nur raten, bezieh deinen Partner mehr mit ein. Er sollte wissen, was in dir abläuft und dass verbale Verletzungen deinem derzeitigen Zustand entspringen und nicht deiner normalen Natur. Dann kann er auch besser damit umgehen. Wenn er diesen schweren Weg mit dir geht, muss er dich sehr lieben. Das ist eine ganz wichtige Resource für dich, weil es Kraft gibt. Denke abends einfach daran, was an diesem Tag war: was du genossen hast und was du geschafft hast. Vielleicht hast du dir einen Tee gekocht - im momentanen Zustand ist das eine gute Leistung. Regle die Maßstäbe herunter auf ein Niveau, das du jetzt leisten kannst.

Und sei dir sicher, dieser Stadtbummel, dieses Genießen des Alltags, das alles wird wiederkommen! Du hast es einmal erlebt, du wirst es wieder erleben. Und dann wirst du einen anderen Blick für alles haben. Intensiver, aufmerksamer und achtsamer.

Du hast einen sehr langen Beitrag geschrieben. Ich finde, das war eine tolle Leistung, das alles so klar und sachlich rüberzubringen. Sei herzlich Willkommen,

LG Sonnenblume
"Depressionen sind kein Zeichen von Schwäche, sondern dafür, dass jemand zu lange zu stark sein musste" (Johnny Depp)

"Verstehen kann man das Leben nur rückwärts. Leben muss man es vorwärts." Sören Kierkegaard
Cynthis
Beiträge: 12
Registriert: 14. Okt 2014, 04:24

Re: Zerstöre, was dich zerstört

Beitrag von Cynthis »

Danke für die lieben Willkommensgrüße und die aufbauenden Worte.
Gerbera hat geschrieben: Was Du schreibst, klingt nach Rückfall, sehr. Wenn Du es nicht schaffst, Deinem Freund zu sagen, was mit Dir los ist, dann versuch zumindest, Dich aufzuraffen und zum Arzt zu gehen. Oder gleich in die Klinik. Und zwar bevor Du noch weiter abrutschst.

Nimmst Du Medikamente gegen die Depression und/oder Borderline? Wenn nicht, hast Du mal welche genommen, die Du abgesetzt hast? Vielleicht wäre dann der Zeitpunkt gekommen, wieder damit anzufangen, damit Du wieder ein bisschen mehr Energie bekommst.

Die Umzugskisten sind nicht wichtig, aber Du bist es! Kümmere Dich gut um Dich und bemühe Dich um kompetente fachärztliche Hilfe. Wie heißt es in der Werbung so schön: ... weil Sie es sich wert sind!
Ich kann mit ihm reden. Aber es bringt nichts. Niemand, der nicht selbst erkrankt ist, kann das wirklich nachempfinden. Er weiß dass es mir schlechter geht als bis vor ein paar Wochen/Monaten. Er sieht es ja tagtäglich. Er fragt dann oft nach dem Warum und das zeigt schon genug, dass er es nicht versteht. Denn darauf habe ich selbst keine Antwort. Aber ich erwarte auch nicht, dass es irgendwer verstehen will oder kann. Wenn ich eines in der Klinik gelernt habe, dann das. Schlimm ist für mich eigentlich nur, wenn wir uns streiten weil ich irgendwas nicht machen kann aufgrund meiner momentanen Verfassung.

Vor ein paar Wochen gab es da einen Vorfall, der wohl aus meiner Sicht auch Auslöser für meinen Rückfall (verdammt, ich hasse dieses Wort) ist. Um es kurz zu fassen: Mein Freund hat bei seinen Eltern wegen unserer Umzugs einen Kredit über eine recht hohe Summe aufgenommen. Diesbezüglich wollten sie dann mit uns reden. Die Eltern wissen von meinem Klinikaufenthalt, wie viel genau sie wissen, weiß ich aber nicht. Das Gespräch zielte aber nur darauf ab, zu erfahren, wie es bei mir nun weiter geht. Ich gehe momentan ja weder arbeiten oder sonstiges. Viel konnte ich denen also nicht dazu sagen. Geplant war eigentlich eine Tagesklinik, aber.. naja, ich dachte halt ich schaffe das so. Und selbst wenn ich einen genauen Plan gehabt hätte. Ich kenne seine Eltern kaum ein halbes Jahr. Das geht die einen Scheißdreck an. Zumindest versuche ich mir das einzutrichtern, um mich nicht auch dafür noch schuldig zu fühlen. Letztendlich durfte ich mir dann anhören, dass ich das Amt bescheißen würde und wurde mit einer Frau verglichen, die sehr meiner Mutter ähnelt. Das war für mich das schlimmste. Es war knapp eine halbe Stunde in der ich mir Vorwürfe und dämliche Fragen anhören musste. Am liebsten wäre ich aufgestanden und heulend rausgerannt. Aber selbst das konnte ich nicht. Ich war wie gelähmt. Vielleicht hätte ich ja einfach keinen Bock oder das alles sei "doch nur in meinem Kopf". Ach was du nicht sagst, deswegen gehören Depressionen auch zu den PSYCHISCHEN Krankheiten, Blitzmerker...

Das hat mich so fertig gemacht. Deswegen meide ich seitdem den Kontakt. Auch auf der Weihnachtsfeier war ich nicht. Und da kam es zum Streit. Mein Freund konnte es irgendwie nicht nachvollziehen, dass ich nach dem Vorfall nicht dahin wollte.

Aber es ging nicht nur um seine Eltern. Zu viele Menschen, zu wenig Kraft um wieder eine Maske aufsetzen zu können. Ich kann nicht mehr dieses frohe Mädchen spielen. Das habe ich zu lange getan.

Jetzt bin ich schon wieder so vom Thema abgeschweift. Entschuldigt, es ist einfach so viel in meinem Kopf.

Medikamente habe ich genommen, ja. Venlafaxin 150 und Mirtazapin 7,5 wenn ich nicht schlafen kann. Beides hatte ich abgesetzt. "Mir geht es gut, die brauche ich nicht mehr." Tja, das war wohl mein Verhängnis. Ich habe mir wieder welche von meiner Hausärztin aufschreiben lassen. Hin und weder nehme ich mal eine. Nicht mal dazu bin ich in der Lage. "Bringt doch eh alles nichts" denke ich mir dann, obwohl ich es besser weiß. Am liebsten würde ich mir die doppelte Dosis geben, aber 300mg wären vermutlich zu viel.
Zimperline hat geschrieben: Die Entlassung war vor 2 Wochen. Ich habe noch mehr über mich erfahren wie beim ersten mal. Im Nachhinein bin ich meinem Arzt nun doch dankbar, dass er mich eingewiesen hat.

Du wirst die richtige Entscheidung für Dich treffen.
Ein 2. Klinikaufenthalt wird bei mir wohl auch angebracht sein. Eigentlich möchte ich auch sehr gerne, aber irgendwie auch nicht. Mein Freund macht mir die Entscheidung auch nicht gerade leichter. Alles Mist.

ich bete, dass Weihnachten keine typischen Familiendramen sind, um wenigstens noch Kraft bis Neujahr zu haben.

@Sonnenblume14

Ein besonderes Danke an dich. Ich habe Tränen in den Augen.

Meine Familie ist nicht ganz so einfach. Ich verstehe, was du mir mitteilen möchtest und das würde wohl auf die meisten Eltern zutreffen. Aber nicht auf meine. Vielleicht bei meinem Vater. Heute weiß ich, dass er sich einfach nicht zu helfen wusste und damit überfordert war. Mein Vater kämpft seit mehr als 10 Jahren gegen den Krebs und ich will einfach so mein Leben beenden. Ich verüble ihm seine Reaktionen nicht (mehr). Heute ist er eigentlich der einzige, dem ich mal sagen kann, dass es mir scheiße geht und was mich ankotzt. Er ist zwar selbst nicht betroffen, aber durch seinen Krankheitsverlauf musste er auch zu Therapie etc., versteht mich also ein wenig.

Meine Mutter.. naja, ich wünschte es wäre so, wie du geschrieben hast. Meine Psychologin in der Klinik war absolut professionell und hat nie wertende Bemerkungen gemacht, so wie es sich gehört. Sie hat mir bei vielen Dingen, die ich "katastophisiert" habe, andere Blickwinkel gezeigt und war immer sehr positiv. Aber als ich von meiner Mutter erzählt habe, nachdem der Knoten in mir geplatzt ist, sagte sie nur: "Jetzt ist es offentlich, dass sie hier früher oder später landen würden. Ihre Mutter ist ein durch und durch böser und manipulierender Mensch." Und damit hat sie Recht. Weil meine Therapie um das Thema "Mutter-Kind-Verhältnis" und das "innere Kind" aufgebaut war, schlug sie vor, meine Mutter könne doch zu einem Gespräch kommen. Die Klinik war knapp 500km weit weg. Aber trotzdem hatte ich gehofft sie würde kommen. Sogar meine Schwester kam, nur um mich zu besuchen für einen Nachmittag. Aber meine Mutter... nein. Sie kam nicht, obwohl ich ihr sagte, dass es für meinen Therapieverlauf wichtig wäre. Sie hatte Angst, dass man ihr den Spiegel vors Gesicht hält. :roll: Traurig. Aber ich kann sie nicht ändern.
Sonnenblume14 hat geschrieben:Du hast einen sehr langen Beitrag geschrieben. Ich finde, das war eine tolle Leistung, das alles so klar und sachlich rüberzubringen.
:) Damit beende ich mal diesen Beitrag und schalte meinen vollen Kopf aus.
Saying "You don't have anything to be depressed about, your life is great." is like saying "What do you mean have asthma, there is loads of air in here.
Gerbera
Beiträge: 619
Registriert: 31. Mär 2013, 00:24

Re: Zerstöre, was dich zerstört

Beitrag von Gerbera »

Guten Morgen Cynthis,

auch ich habe viel Unverständnis erlebt, was die Depression betrifft, mir wurden Dinge vorgehalten, die ich früher mal konnte, in der Depression aber leider nicht mehr. Ich habe verzweifelt darum gekämpft, dass die Menschen um mich herum verstehen mögen, dass ich nicht von jetzt auf gleich ein Charakterschwein geworden sondern KRANK bin. Bedingt durch die Depression war das aber schwierig, hatte ich doch Mühe, irgendetwas auf den Punkt zu bringen, konnte nicht mehr klar denken.

Hätte mir jemand meine eigene Geschichte erzählt und dass ein Jahr nach dem anderen vergehen würde ehe ich sagen kann, es geht mir gut, und das tatsächlich stimmt, ich hätte es vor 4 Jahren nicht geglaubt. Nur jemand, der selbst erlebt hat, dass man WILL, aber nicht KANN, weiß, wie das ist. Da hast Du völlig Recht.

Irgendwann heuer habe ich ein tolles Buch entdeckt: "Die Seele heilen" von Susanne Wehner-Zott, die ihr Erleben in der Krankheit beschreibt, und Prof. Dr. Hubertus Himmerich, der das Ganze wissenschaftlich kommentiert und erklärt. Vielleicht bringt es etwas, wenn Dein Freund das mal liest. Auch im Fernsehen kommen gelegentlich Sendungen zum Thema, heuer z.B. über Sven Hannawald und Robert Enke, die Beide unter schweren Depressionen gelitten haben. Auch wenn Dein Freund das nicht versteht, er sieht zumindest an prominenten Beispielen, dass die Krankheit einen Menschen völlig lahm legen kann, das nicht gespielt ist oder Ausdruck von Faulheit, Feigheit oder sonst was.

Dass es sehr weh tut, wenn man Vorwürfe hört, wie Du sie Dir anhören musstest von den Eltern Deines Freundes, weiß ich nur zu gut. Ich kann den Zorn, den ich aus Deinen Worten lese, und die Hilflosigkeit sehr gut verstehen. Es gab Zeiten, da bin ich in vergleichbaren Situationen ausgerastet, allerdings immer erst im Nachhinein. Während des Gesprächs habe ich nur noch versucht, nicht zusammenzubrechen.

Klar wolltest Du nicht mehr zu seiner Familie und auch nicht zur Weihnachtsfeier. Wer von uns hätte das gewollt? Wer Mühe hat, überhaupt für irgendetwas Energie aufzubringen und nicht komplett zusammenzubrechen, wer genügend damit zu tun hat, sich nicht selbst zu verurteilen und irgendwie den Tag zu überstehen, braucht wohlwollende, zugewandte und liebevolle Menschen um sich, nicht jemanden, der einem Vorwürfe macht und wissen will, wie es weitergehen soll, wenn man es doch selbst nicht weiß.

Es ist sehr traurig, dass Deine Mutter so unsensibel reagiert, so wenig zu Dir steht. Vielleicht hilft es Dir ein kleines bisschen weiter, wenn Du Dir bewusst machst, dass sie ihr Bestes tut. Mehr kann sie nicht geben, weil sie der Mensch ist, der sie ist. Du kannst sie leider nicht ändern, ändern kannst Du nur Dich selbst bzw. Deine Sicht der Dinge - und das ist schwierig genug.

Na ja, und welcher Mensch findet es gut, einen Spiegel vorgehalten zu bekommen, ungefragt? Keiner! Es würde Dir im Moment auch nichts bringen, denn ein Leben aufzuarbeiten würde Deine Mutter so sehr auf sich zurückwerfen, dass sie erst recht weder Zeit noch Verständnis für Dich hätte, intensiv mit sich selbst beschäftigt wäre. Ich weiß, es ist schwer, gerade in der Depression, aber versuche in Deinem eigenen Interesse, Dich von ihr zu lösen, von den Kränkungen, den Erwartungen, den Wünschen und Sehnsüchten, die Du mit ihr verbindest.

Es tut mir sehr leid für Dich, dass Dein Vater schon so lange an Krebs erkrankt ist. Hast Du Angst, ihn zu verlieren? Er scheint ja der Elternteil zu sein, der noch am ehesten Verständnis für Dich hat, auch - oder vielleicht weil - er mit seinen eigenen Ängsten und Sorgen zu tun hat.

Es bringt nichts, "gelegentlich" eine Tablette zu nehmen, wie Du schreibst. Ich denke, das weißt Du auch. So, wie es Dich nun erneut erwischt hat, wirst Du längerfristig Antidepressiva nehmen müssen, regelmäßig, und setze sie bitte nie wieder ohne Rücksprache mit Ärztin/Therapeutin ab. Das Ausschleichen muss sorgfältig überwacht werden, wenn nicht das eintreten soll, was Dir passiert ist: ein Rückfall.

Nach Deiner Schilderung zu Beginn Deines Threads haben bei mir alle Alarmglocken geläutet, und das tun sie noch immer. Deshalb noch einmal der dringende Appell: geh zum Facharzt oder gleich in eine Klinik. Hätte ich vor 3 Jahren gewusst, was ich heute weiß, würde ich sofort in das relativ geschützte Umfeld einer Klinik gehen, weit weg von allem, was mich im Alltag belastet und alles nur noch schlimmer macht: der Umgang mit "normalen" Menschen, das Unverständnis, die Probleme Anderer, das Erleben, als Ehefrau und Mutter (krankheitsbedingt) eine Komplettversagerin zu sein, die Situation in der Arbeit, die Reaktionen anderer Menschen auf mein sehr verändertes Benehmen usw. usw. Bitte hole Dir kompetente Hilfe, so schnell wie möglich, und wenn Du es nicht alleine schaffst, bitte Deinen Freund, Dich zum Arzt oder in die Klinik zu bringen. JETZT!

Du bist krank, darfst es sein, egal, was die Anderen sagen und denken, und unabhängig davon, ob man es sieht oder nicht. Das wissen wir als Betroffene besser.

Sorry, das ist nun doch etwas länger geworden. Kannst Du Dich überhaupt so lange konzentrieren?

Fühl Dich ganz lieb und mütterlich in die Arme genommen! Ich denke, Du könntest altersmäßig meine Tochter sein :-). Ich denk an Dich!

Gerbera
anna54
Beiträge: 3713
Registriert: 14. Sep 2010, 15:08

Re: Zerstöre, was dich zerstört

Beitrag von anna54 »

Liebe Cynthis
mit Entsetzen habe ich gelesen,wie deine Mutter reagiert hat.
Angehörige können nicht verstehen,wollen nicht verstehen,mach dich nicht davon abhängig.

Du bist sehr krank,das ist schlimm,du hast die Klinikzeit als sehr hilfreich erlebt,das ist der Schlüssel!
Dort wirst du verstanden,das ist die Grundvoraussetzung um gesund zu werden.

Rückfall---das Wort ist nicht richtig,Krise trifft es eher,du brauchst viel mehr Zeit,auch noch ganz viel fachliche Hilfe.

Dein Freund kann es auch nicht verstehen,weil so vieles nicht aussprechbar ist.
Seine Eltern sind fremde Menschen für dich,lass sie außen vor,wenn sie dem Sohn Geld leihen,dann soll er das regeln.

Ganz wichtig scheint mir,dass du allen Druck wegnimmst,oder wegnehmen läßt,du kannst nicht nach Plan funktionieren,sicher ganz lange noch nicht------------und dann bestimmst du deinen Weg selbst!!!

Eine zweite Klinikzeit ist kein Rückschritt,sondern eine weitere Maßnahme zur Stabilisation.
Auch ich bin in dem Alter,dass ich deine Mutter sein könnte,daher geht mir dein Schicksal sehr nah.
Ich möchte dir ganz viel Mut machen,such bei den Fachleuten die Hilfe,Familie ist schwierig,war und ist es auch bei mir immer noch.

Zerstöre nicht dich-----------zerstöre so hässliche Sätze,wie den von deiner Mutter: sie könne deine Beerdigung nicht bezahlen.
Abstand-------Sicherheitsabstand für dich----du bist wichtig,nur du,keine Forderungen,keine Schule,keine Ausbildung---------nur du!!!

Wenn du den Boden wieder hast und ihn als Sicherheit fühlst,dann wirst du deinen Weg gehen.
Zeit ist nicht planbar bei psychischen Erkrankungen,jeder Druck ist ein Schritt in die falsche Richtung.

Nicht- verstanden-werden tut ungeheuer weh,aber wir verstehen es doch selbst auch nicht,eine ganz tiefe Krise nimmt den Atem.
Ich erinnere eine Erzählung meiner Schwester,sie trifft eine Frau,die als Rettungsschwimmerin sehr erfahren war. Im Urlaub geht sie mit den kleinen Kindern schwimmen, ein See am Ferienhaus.Sie ist allein,als eine Strömmung sie wegreißt,sie kann das ältere Kind zum Umkehren zwingen,das kleinere Kind hat sie auf den Schultern---sie kämpft Stunden vor dem Untergehen,dann endlich kann sie und das Kind gerettet werden.

Alles stehen fassungslos da----------Familie,Rettungsleute----------da sagt ein Arzt zu dem Ehemann: ihre Frau ist mehr tot als lebendig.Später erkrankt sie an MS. Sie ist selbst Ärztin,geht andere Wege und rettet sich auch wieder selbst.Immer wieder braucht sie Monate,die sie allein verbringt,um heil zu werden,heil zu bleiben.

Dieser Satz ist mir oft im Kopf,wenn ich wieder in eine Krise gerate: es gibt Zeiten,da bin ich mehr tot als lebendig.
Liebe Cynthis,hier im Forum gibt es Verbindungen,die werden auch dich tragen!!!
Ganz liebe Grüße
anna54
Sonnenblume14
Beiträge: 1038
Registriert: 16. Sep 2014, 18:36

Re: Zerstöre, was dich zerstört

Beitrag von Sonnenblume14 »

Hallo cynthis,

zu deiner Mutter hat Gerbera ja schon einiges geschrieben. Das kann ich nur so unterschreiben. Ihr werdet nur eine gemeinsame Basis finden, wenn du sie so akzeptierst, wie sie ist. Weil sie so ist. Natürlich könnte sie sich ändern - aber das muss von ihr selber ausgehen, das kannst du weder verlangen noch forcieren. Du kannst ihr höchstens die eine oder andere Erwartung mitteilen um zu schauen, wie sie reagiert. Zum Beispiel: "Ich bin oft so traurig, es wäre schön, wenn ich dann irgendwie aufgefangen würde". Ohne Schuldzuweisung, einfach eine Mitteilung, was dir guttun würde. Vielleicht wünscht sie sich einen Hinweis, gerade WEIL sie nicht weiss was du brauchst und eventuell auch WEIL dein Vater in seiner schweren Krankheit andere Bedürfnisse hat. Vielleicht fühlt sie sich aber bereits mit der Sorge um deinen Vater überfordert und das schlechte Befinden des Kindes ist einfach zuviel. Vielleicht ist sie auch nur emotional völlig anders gestrickt als du. Gerade die ältere Generation hatte beim Aufwachsen ganz andere Probleme. Meine Mutter ist im Krieg groß geworden - ich erkenne erst jetzt, wie sehr sie das geprägt hat. Da ist das"Funktionieren und nicht klagen" ganz wichtig gewesen. Daher finden viele auch unser Suchen nach Emotionalität so lächerlich ...

Eine ganz andere Geschichte sind dein Freund und seine Familie. Entschuldige, wenn ich so offen bin, aber ich lese aus deinem Beitrag heraus, dass er es nicht nachfühlen kann. Nein, das kann er sicherlich nicht - und das braucht er auch nicht. Wichtig ist, dass er weiss, dass du krank bist und in dir etwas abläuft, was dich fürchterlich runterzieht und belastet. Dazu ist es aber notwendig, zu reden. Du musst kommunizieren und klarstellen, wie wichtig dir die Beziehung zu ihm ist und wie hilfreich Verständnis wäre. Es gibt auch im Internet genügend Angehörigenseiten, die zum Teil sehr gut sind. Ich hab sie damals durchgeschaut und meinem Mann die Links geschickt die ich für hilfreich empfunden habe, weil sie meine Situation widerspiegelte.
In der Beziehung zu seinen Eltern könnte er einfach die Zügel in die Hand nehmen und klar sagen, wie eure Situation gerade ist. Es wird sich regeln, irgendwann, aber nicht momentan. Wie es weitergeht, kann niemand sagen, im Moment ist nicht der Beruf das Wichtigste, sondern das Überleben und dein Gesundwerden. Dem müsst ihr euch beide vorrangig widmen und da ist es ganz toll, wenn die Familie untersützt, wo sie kann. Das kann auch finanziell sein - wie offenbar geschehen. Offenheit ist da aber ganz wichtig - und da müsste dein Freund einfach klarstellen wie wichtig du ihm bist und dass er diesen Weg mit dir gemeinsam geht. Sieh es einfach mal so: aus dieser gemeinsamen Zeit werdet ihr ganz gestärkt hervorgehen. Wenn er jetzt zu dir hält und du ihm so wichtig bist, ist er in der Lage, Verantwortung zu übernehmen und ist verlässlich. Eine bessere Basis gibt es für eine Beziehung (auf lange Sicht) kaum.

Und wenn du jetzt die Klinik als Auszeit brauchst, dann gönne sie dir. Du wirst einen schritt weitergehen - in die richtige Richtung. Wenn es ohne geht - gehen muss - dann wird der Weg vielleicht etwas länger und schwieriger, aber wichtig ist, dass du das Ziel nicht aus den Augen verlierst: Gesund zu werden - denn das Leben hat auch für dich sicher noch ganz, ganz viele schöne Momente parat.

LG Sonnenblume
"Depressionen sind kein Zeichen von Schwäche, sondern dafür, dass jemand zu lange zu stark sein musste" (Johnny Depp)

"Verstehen kann man das Leben nur rückwärts. Leben muss man es vorwärts." Sören Kierkegaard
Cynthis
Beiträge: 12
Registriert: 14. Okt 2014, 04:24

Re: Zerstöre, was dich zerstört

Beitrag von Cynthis »

Hallo Gerbera.

Danke für die lieben Worte. Das gibt mir gerade sehr viel Trost und Kraft.

Meine Konzentrationsfähigkeit leidet dieses Mal nicht ganz so stark. Ich muss mich zwar sehr anstrengen und ab und an einen Satz zwei mal lesen oder kurz pausieren, aber es geht. Dafür hapert es umso mehr beim Sprechen. :roll:

Ich habe mich meinem Freund gegenüber sehr zurückgezogen. Ich verstehe nicht wieso. Wir sind kurz vor meinem Klinikaufenthalt zusammen gekommen und er hat die ganze Scheiße miterlebt, wie fertig ich oft nach den Einzelgespärchen war etc. Ich konnte ihm alles sagen und er war immer verständnisvoll. Und jetzt.. davon ist nichts mehr da. Er gibt sich Mühe. Vielleicht zu viel. Stellt mir fragen, auf die ich selbst keine Antwort weiß. Vermutlich mache ich deshalb zu. Und vor allem weil er NICHTS gesagt hat, als mich sein Vater so angegangen ist. Nichts, er stand einfach da. Ein großes Problem für mich ist auch, dass er zwar in Gesprächen verständnisvoll reagiert, aber es nicht tatsächlich ist. Also er verhält sich nicht so. Es ist schwer, damit umzugehen. Dabei brauche ich doch einfach nur jemanden, der mir mal sagt, dass es okay ist, wenn es mir schlecht geht; dass es okay ist, wenn ich den ganzen Tag über im Bett bleibe, weil ich nachts nicht schlafen konnte. Ich fühle mich alleine gelassen, mit allem. Mein Freund ist tagsüber arbeiten und kommt erst spät nachmittags heim. Ich fühle mich jedes Mal so schrecklich, wenn ich wieder nichts geschafft habe. Und das größte Übel daran ist, wenn ich es nicht mache, macht es keiner. Das macht mich so wütend und gleichzeitig fühle ich mich schuldig weil ich so denke. Weil ich weiß, dass mich das nur so wütend macht, weil ich im Moment selbst den Arsch nicht hoch bekomme. Das frustriert. :|

Dass das Verhältnis zu meiner Mutter nie wirklich besser sein wird, damit habe ich mich abgefunden. Ich versuche den Kontakt so zu gestalten, wie es mir gerade gut tut. Daran habe ich viel in der Klinik gearbeitet. Trotzdem ist es sehr schwer. Ich mochte nie so sein, wie sie mich haben wollte und gleichzeitig sehne ich mich auch jetzt noch so sehr nach ihrer Anerkennung und Wertschätzung.

Die Angst meinen Vater zu verlieren ist da, irgendwo vergraben in mir. Ich bin Meister der Verdrängung daher ist es schwer, dieses Gefühl in mir zu finden. Er gilt als geheilt, zumindest was den Krebs betrifft. Aber das Immunsystem ist vollkommen zerstört. Alleine letztes Jahr hatte er 4 Hirnhautentzündungen. Ich mag gar nicht daran denken.. Meine Psychologin in der Klinik sagte zwar eindringlich, dass ich mich mit dem Tod meines Vaters zeitnah auseinandersetzen sollte, aber ich weiß nicht wirklich wie. Man kann sich doch nicht auf den Tod "vorbereiten". Jeder stirbt irgendwann. Und es tut immer weh, egal ob man sich vorher damit auseinander gesetzt hat oder nicht..

Ja, "Mama Gerbera" :D ich habe mir bereits eine Klinik ausgesucht, denke ich. Klingt vom Angebot zumindest passend für mich und die Erfahrungsberichte, die ich bisher gefunden habe, waren überwiegend positiv (Fliedner Klinik Ratingen). Ich hatte auch bereits am Freitag allen Mut zusammen genommen und dort angerufen, es ging aber nur der AB dran. :roll: Einziges Problem für mich ist jetzt noch: Für welche Abteilung soll ich mich anmelden? Es stehen für mich folgende zur Auswahl: Allgemeine Psychiatrie + Psychotherapie und Psychosomatische Medizin + Psychotherapie , beide Abteilungen mit einer psychiatrischen bzw. psychosomatischen Institutsambulanz und beide behandeln Patienten mit Despressionen. :? Von den Beschreibungen auf der Webseite würde ich sagen, passt die erste Abteilung besser, obwohl ich zuletzt auf einer Station für Psychosomatik + Psychotherapie war. Hast du vielleicht einen Tipp?

Liebe Grüße. :)

Edit: ich werde später auf die zwei neuen Beiträge antworten. Brauche etwas Pause.
Saying "You don't have anything to be depressed about, your life is great." is like saying "What do you mean have asthma, there is loads of air in here.
Sonnenblume14
Beiträge: 1038
Registriert: 16. Sep 2014, 18:36

Re: Zerstöre, was dich zerstört

Beitrag von Sonnenblume14 »

Hallo,

die Klinik wird ein Gespräch mit dir führen - und dann werden DIE entscheiden, das sind nämlich die Fachleute.

Nein, auf den Tod kann man sich nicht vorbereiten, aber man kann in einem Prozess versuchen, das GAnze als unvermeidlich zu akzeptieren. Das macht die Trauer nicht kleiner, aber du hast es für dich schon einmal akzeptiert - das nimmt ein wenig die Angst.

Dein Partner. Ich kenne die Situation so gut und stehe nach 8 Monaten an einem ganz anderen Punkt. Rückblickend habe ich es ebenso empfunden wie du, es WAR aber nicht so, sondern eine verzerrte Wahrnehmung meinerseits. Dieses Betteln um Bestätigung und Anerkennung ist so intensiv - normalerweise macht man das nicht, sondern lebt in der Gewissheit, dass alles okay ist. In der Depression fühlt man sich nutzlos und möchte immer wieder bestätigt haben, dass es nicht so ist. Eine ganz vertrackte Situation, die den Partner völlig überfordert. Für ihn hat sich nicht viel geändert. Männer sind auch, was Haushalt angeht, oft viel pragmatischer. Du hast das Geschir rnicht abgeräumt ? Na und? Das stört keinen großen Geist. Irgendwann macht der Mann es dann doch - aber nicht, wenn du das möchtest, sondern wenn es ihn anfängt zu stören (und das kann erfahrungemäß dauern). Es ist an DIR zu akzeptieren, dass du krank bist und du deine Leistungsfähigkeit deinem momentanen leistungsstand anpassen musst. Würdest du mit 40 Fieber kochen, waschen und bügeln? NEIN, du würdest dich auf Sofa packen und schonen. Genau das gleiche ist es jetzt.

Er verhält sich nicht so wie du es erwartest? Was erwartest du denn? Bestätigung, dass er dich liebt, dass er bei dir bleibt und alles gut wird .... am besten dreimal am Tag. Richtig? Glaub mir, ich habe gebettelt ... und sehe jetzt, wie fehlgesteuert das war. Als ich das erkannt habe, wurde vieles leichter. Ich konnte besser mit den Reaktionen umgehen, wurde selber aber auch kommunikativer. Ein "nimm mich in den Arm, das würde mir jetzt helfen" ist eine ganz klare Aussage, mit der auch der Partner etwas anfangen kann. Rede mit ihm über Gefühle, wie sehr sie dein Denken beeinflussen und dass du manchmal etwas verrückt reagieren könntest. Du gehst in die Klinik ... du tust alles, um wieder gesund zu werden. Mehr wird niemand von dir verlangen.

Dass er gegenüber seinen Eltern keine Partei ergriffen hat ... es sind seine Eltern. Eine spezielle Situation, sehr schwierig von der Konstellation. Frag ihn wie er das empfunden hat. Vielleicht sass er gerade zwischen allen stühlen, fühlt sich gegenüber den Eltern in der Pflicht und dir gegenüber auch. Beide Erwartungen gleichzeitig zu erfüllen bedeutet, dass er sich zweiteilen muss. Er steckt womöglich in einem Gewissenskonflikt, mit dem er dich nicht belasten möchte. Manchmal geht es einem ja etwas besser ... das ist die Zeit, die man für "normale" Gespräche gut nutzen kann.

LG Sonnenblume
"Depressionen sind kein Zeichen von Schwäche, sondern dafür, dass jemand zu lange zu stark sein musste" (Johnny Depp)

"Verstehen kann man das Leben nur rückwärts. Leben muss man es vorwärts." Sören Kierkegaard
Nico Niedermeier
Moderator
Beiträge: 2865
Registriert: 21. Mär 2003, 11:10

Re: Zerstöre, was dich zerstört

Beitrag von Nico Niedermeier »

Hallo an Alle von der Moderation,
ich würde mir auf alle Fälle die Klinik aussuchen die auf Borderline Störungen spezialisiert ist. In der Regel sind "Depressionen" im Rahmen einer Boderline Störung ziemlich anders zu behandeln (z.B. auch medikamentös) als "klassische Depressionen"...deswegen lieber gleich jemanden der sich besonders gut damit auskennt.
Grundsätzlich gilt leider auch, dass dieses Forum hier explizit kein Borderline Forum ist.Hintergrund ist ganz simpel: Unterschiedliche Symptomatik, unterschiedliche Selbsthilfe-Notwendigkeiten, unterschiedliche professionelle Therapie und ein heilloses Durcheinander, wenn man das mixt....sorry und beste Grüße
Die Moderation
Cynthis
Beiträge: 12
Registriert: 14. Okt 2014, 04:24

Re: Zerstöre, was dich zerstört

Beitrag von Cynthis »

Hallo anna54,

danke für deine mitfühlenden Worte. Es hilft ungemein, wenn man weiß, dass man verstanden wird und nicht alleine mit diesem Teufelskreis ist.

Ich werde versuchen deine Worte zu verinnerlichen, denn du hast Recht. Ich hoffe, ich werde mich daran erinnern können, wenn ich mich mal wieder missverstanden und schuldig fühle.

Hallo Sonnenblume14,

zu deinem vorletztem Beitrag:
Für mich geht es nicht mehr darum, meine Mutter ändern zu wollen. Ich habe ihr oft gesagt, was ich mir von ihr Wünsche und was ich als Tochter von ihr brauche. Nach dem Besuch bei meinen Eltern im Dezember letzten Jahres hatte ich meiner Mutter einen Brief geschrieben. Ich habe versucht mein Leid und meine Gefühle ihr gegenüber in Worte zu fassen. Auf sachlicher, liebevoller Ebene - keine Vorwürfe, sondern "ich wünsche mir, dass...", "ich brauchte..." Alles, so, wie ich es empfunden habe. Diesen Brief habe ich auch meiner Psychologin vorgelesen und auch während der Gruppentherapie. Alle haben mit mir gelitten, weil keiner verstehen konnte, wie eine Mutter so mit ihrem Kind umgehen kann. Und dabei ging es nicht nur um Sätze wie oben beschrieben. Nein, das war Psychoterror. Geschlagen/misshandelt wurde ich nie (meine mittlere Schwester jedoch, war aber damals noch klein, bin die jüngste von 3). Aber manchmal hätte ich mir gewünscht sie würde einfach zuschlagen, weil mich ihre Worte viel mehr verletzt haben, als es ein Faustschlag je hätte tun können (damit möchte ich den Leidensdruck misshandelter Menschen hier nicht relativieren!). Aber zurück zu dem Brief. Sie hat nie ein Wort darüber verloren. Es war, als wäre nie etwas gewesen. Weil ich schrieb, dass ich mich doch für eine Klinik entschieden habe, fragte sie nur wann und in welche ich gehe. "Wenn du meinst dass dir das was bringt". Das wars. Meiner Psychologin fehlten die Worte als ich ihr das sagte.

Auch heute denkt sie noch schlecht darüber. Psychiatrien sind etwas böses. Dort wird man verrückt gemacht, einer Gehirnwäsche unterzogen. Sie hätten mir eingeredet, dass sie die Böse ist. Dabei geht es doch überhaupt nicht darum.

Es ist schwer zu beschreiben wie die Beziehung zwischen mir und meiner Mutter ist. Ich weiß, dass sie nicht anders kann. Sie ist halt so. Ich kenne meine Oma, das reicht als Antwort nach dem "Warum?!". Der Verstand kann all das verstehen und einen Schlussstrich ziehen. Aber nicht mein Herz.

Nach meinem Klinikaufenthalt habe ich versucht den Kontakt komplett abzubrechen. Auslöser dafür war, dass meine Mutter das Geld meiner Krankenhaustagegeld-Versicherung behalten hat, entgegen unserer Absprahce. Sie ist Versicherungsnehmerin, dagegen kann ich also nichts machen. Das Geld hätte ich für den Umzug gut gebrauchen können. Waren mehr als 1000€. Tja, aber da bereichert sich die eigene Mutter an der Krankheit ihres Kindes. Da sind bei mir alle Fäden gerissen.

Um meine familiäre Situation noch etwas überschaubarer zu machen:
Meine Eltern haben sich damals noch vor meiner geburt getrennt, bin bei meiner Mutter groß geworden. Kontakt zu meinem Vater hatte ich regelmäßig, bis ich 10 war. Dann wurde er krank, konnte keinen Unterhalt mehr zahlen, meiner Mutter hat mir eingetrichtert er hätte mich nicht mehr lieb etc. Und der Kontakt ist abgebrochen. Bis ich 16 war und wieder den Kontakt zu meinem Vater geuscht habe. Ich habe außerdem 2 Halbschwestern, alle verschiedene Väter. Beide auch mit Depressionen/Borderline (sonst kommen keine psychischen Erkrankungen in meiner Familie vor).

Nun zu deinem zweiten Beitag:

Dass die Ärzte entscheiden, wo ich letztendlich hinkomme, ist mir klar, da möchte ich denen auch nicht reinreden. Aber für die jeweiligen Anmeldungen gibt es unterschiedliche Ansprechpartner, daher meine Unsicherheit. Dann werde ich einfach mal nach meinem Gefühl gehen, die werden mir schon sagen können, ob ich dort richtig aufgehoben bin oder nicht, spätestens im Vorgespräch.

Dass du auf die verzerrte Wahrnehmung zu sprechen kommst, kann ich verstehen. Schließlich trifft das bei den meisten depressiven Menschen zu. Allerdings ist das bei mir selten der Fall. Nur wenn es mir sehr schlecht geht, in diesen typischen "alles ist scheiße"-Situationen. Ich bin ein sehr rationaler Mensch, lasse mich selten von Gefühlen leiten und kann mein Handeln und Denken sehr gut reflektieren und hinterfragen. Deswegen musste ich bspw. auch mehrere Tests machen, um die Diagnose Borderline sichern lassen zu können. Schließlich sprechen solche Eigenschaften stark gegen eine Borderline-Erkrankung.

Dadurch wähle ich meine Worte und Formulierungen vor allem beim Schreiben mit Bedacht. Wenn ich zum beispiel sage, dass ich einsam bin, meine ich nicht nur das Gefühl der Einsamkeit wie viele andere depressive, die sich trotz vieler Freunde etc. einsam fühlen. Ich bin tatsächlich einsam. Das war ich schon immer, was Familie und Freunde betrifft. Ich hatte in meinen ganzen 22 Jahren nie jemanden, dem ich wirklich blind vertraut habe, mit dem ich über alles reden konnte. Verstehst du was ich meine?

Wünsche einen schönen Abend

Edit: @Nico
Danke für deinen Rat. Meine Depression basiert allerdings nicht auf meiner Borderline-Erkrankung. Diese steht bei mir - zumindest derzeit - eher im Hintergrund. Ich habe ganz bewusst kein Forum für Borderline sondern für Depression gewählt, weil mich das momentan noch viel weiter runter ziehen und triggern würde.
Saying "You don't have anything to be depressed about, your life is great." is like saying "What do you mean have asthma, there is loads of air in here.
Gerbera
Beiträge: 619
Registriert: 31. Mär 2013, 00:24

Re: Zerstöre, was dich zerstört

Beitrag von Gerbera »

Hallo Cynthis,

bist Du sicher, dass Du nur in ganz krassen Momenten eine verzerrte Wahrnehmung hast? Es hat lange gedauert, ehe ich begriffen habe, dass "normale" Menschen etwas anderes wahrnehmen als ich. Und selbst, wenn die Wahrnehmungen die gleichen waren, gab es Unterschiede, und zwar insofern, als ich andere Schlüsse aus meinen Wahrnehmungen gezogen habe als sie - und als ich früher, vor der Depression. Nur war mir das damals nicht bewusst. Für mich war das Realität, was ich in der Krankheit gedacht und gefühlt habe.

Hinterfragt habe ich damals alles, auch mich selbst. Nur habe ich mich darin verstrickt, konnte keinen roten Faden mehr erkennen und keine sinnvollen Schlüsse aus dem Ganzen ziehen. Erst heute, wo es mir fast so gut geht wie vor der Erkrankung, ist mir klar, wie merkwürdig ich gedacht und gehandelt habe damals.

Es gibt auch so manches, was mir heute sehr leid tut. Aber man kann die Zeit nicht zurückdrehen.

Das Handeln Deiner Mutter ist mir völlig unverständlich. Nachdem sie Dich lange allein großgezogen hat, stellt sich die Frage, wie sie finanziell dasteht. Hat sie das Geld aus Deiner Krankenhaustagegeldversicherung gebraucht?

Dein Freund soll zu Dir stehen, Dich vor seinen Eltern verteidigen? Ja, finde ich auch. Nur denke ich, ihn hat die Situation genauso unvorbereitet getroffen wie Dich. Er war überfordert, hin- und hergerissen zwischen seinen Eltern, die er liebt, und Dir, die er auch liebt. Er konnte es nur falsch machen, hat wohl nicht verstanden, wie schlimm das für Dich war. Auch Dein Freund ist nur ein Mensch und hat Fehler wie alle Menschen. Versuche, ihm das zuzugestehen. Er hat Dir schon einmal zur Seite gestanden, und er wird es auch diesmal tun. Aber er wird es so tun, wie er kann und es für richtig hält. Auch "normale" Menschen haben Grenzen, verstehen nicht alles, sind mal erschöpft oder haben keine Lust, das Geschirr zu spülen. Vielleicht erwartest Du zu viel von ihm.

Nachdem ich selbst Mutter zweier erwachsener Kinder bin, verstehe ich die Eltern Deines Freundes zumindest ein bisschen. Sie wollen, dass es ihrem Sohn gut geht, möchten, dass er glücklich ist und hinterfragen daher kritisch, ob Du in der Lage bist, ihn glücklich zu machen. Falls sie von Deinen Depressionen wissen, verstehen sie sie vermutlich nicht. Wie sollten sie auch? Sieh es mal realistisch: aus der Sicht eines Gesunden ist es unverständlich, wie jemand den ganzen Tag im Bett liegen kann ohne dass ihm körperlich was fehlt. Man sieht nichts von der Krankheit, sie ist nicht greifbar und auch nicht fühlbar. Du hast weder rote Flecken noch einen Gipsverband noch irgendetwas anderes, von außer erkennbares. Niemand, der es nicht selbst erlebt hat, kann sich vorstellen, wie es ist, wenn man einfach keine Energie hat, für gar nichts, sich fühlt wie eine erloschene Kerze. Sie können sich aufraffen, zusammenreißen, Du kannst es nicht, ich konnte es auch nicht.

Was wissen "normale" Menschen davon, wie es sich anfühlt, wenn man sich selbst nicht mehr spürt, wenn dort, wo früher das ich war, einfach nichts mehr ist? Und woher sollen sie wissen, dass es in der Depession unmöglich ist, die Gedankenkarusselle abzustellen, die unablässig im Kopf kreisen, Tag für Tag, die einen nachts nicht zur Ruhe kommen lassen? Hilft Dir die Vorstellung, dass Du ihnen diese Erfahrung voraus hast, auch wenn es eine unangenehme Erfahrung ist?

Ich kann gut nachvollziehen, dass Du keinem Menschen vertraust, nach dem, was Du mit Deiner Mutter erlebt hast. Und Dir selbst vertraust Du auch nicht. Das ist sehr schade. Leider kann Dir niemand garantieren, dass Dein Vertrauen nicht enttäuscht wird, aber wenn Du niemandem eine Chance gibst, bringst Du Dich selbst um die Möglichkeit, positive Erfahrungen mit Vertrauen in andere zu machen. Du musst ja nicht gleich Dein ganzes Leben vor anderen Menschen ausbreiten; fang klein an, teste, wie sie reagieren, immer wieder, und Du wirst sehen/lernen, es gibt Menschen, denen Du vertrauen kannst und die Dir vertrauen. Nur Mut, Du schaffst das!

Dein Freund versteht zwar nicht, wie es Dir geht, aber er vertraut Dir, glaubt Dir, dass Du krank bist. Wie wäre es, wenn Du im Gegenzug ihm vertraust, ihm glaubst, dass er sein Bestes gibt? Mehr kann man von niemandem erwarten, auch nicht vom eigenen Partner.

Deine Sehnsucht nach einem Menschen, der Dich so liebt, wie Du bist, bedingungslos, jemandem, dem Du blind vertrauen kannst, kann ich gut verstehen. Ich habe ein Leben lang nach einem Seelenpartner gesucht, einem Menschen, der alle meine guten und schlechten Seiten kennt, mich so liebt und akzeptiert, wie ich nun mal bin, ähnlich denkt und fühlt wie ich, mich durch und durch versteht. Solche Menschen sind sehr rar. Es sind Sternstunden im Leben, in denen man so jemanden findet.

Viele liebe Grüße, ich drück Dich (virtuell) ganz fest!
Gerbera
Cynthis
Beiträge: 12
Registriert: 14. Okt 2014, 04:24

Re: Zerstöre, was dich zerstört

Beitrag von Cynthis »

Hallo Gerbera,

wie oben bereits erwähnt gehöre ich eher zu den "Verstandsmenschen". Dadurch fällt es mir leicht, mein Handeln und Denken objektiv zu reflektieren. Das hilft mir dabei, zu unterscheiden, was Wirklichkeit und was Depression ist. Meine Psychologin hat das damals Schutzmechanismus genannt, den meine Psyche über die Jahre entwickelt hat, da ich schon in meiner frühen Kindheit depressive Züge angenommen habe. Diese Fähigkeit habe ich damals verloren, was mich letztendlich zum Suizidversuch gebracht hat, weil ich wirklich alles geglaubt habe, was mir die Depression "gesagt hat" - diesen roten Faden konnte auch ich nicht mehr erkennen. Heute weiß ich, was mit mir los ist - das "Böse in mir" hat einen Namen. Dadurch kann ich mir diesen Mechanismus wieder zu Nutze machen und habe viel in der Klinik daran gearbeitet, auch wenn diese Fähigkeit in der Therapie zunächst hinderlich war.

Das Geld hat meine Mutter nicht gebraucht, nein. Sie ist ein paar Wochen danach in den Urlaub geflogen. Vermutlich war's ein schönes Taschengeld..

Dass er in der Situation zwischen den Stühlen stand weiß ich. Wir haben das soweit geklärt. Ich bin ihm deswegen auch nicht böse. Aber er hat beispielweise während der Diskussion wegen der Weihnachtsfeier Dinge zu mir gesagt, die sehr weh getan haben. Es hängt mir einfach immer noch in den Knochen. Und am 25. hat er Geburtstag. Wie es aussieht, werden seine Eltern kommen. Seinen Vater habe ich die letzten Tage öfters gesehen, weil er unsere Küche aufbaut, aber ich fühle mich unglaublich unwohl und bin angespannt. Ziehe mich dann ins Schlafzimmer oder Büro zurück. Aber das kann ich dann schlecht. Weiß nicht, wie ich mich verhalten soll. Es ist immerhin sein Geburtstag.. :| Aber es ist schwer mich wieder zusammenreißen zu müssen wenn es mir momentan so schlecht geht.

Natürlich kann ich auch seine Eltern verstehen. Alleine schon wegen des Kredits. Aber der Ton macht die Musik. Depressiv oder nicht - auch ich habe es verdient, dass man anständig mit mir redet und mich nicht als kleines Dummerchen darstellt. Denn das bin ich nicht, ganz und gar nicht. Und schon gar nicht lasse ich mir sagen, ich hätte mir die Krankheit doch ausgesucht oder würde sie mir einbilden nur um nicht arbeiten zu müssen. Er war einfach respektlos zu mir und ja, da bin ich sehr nachtragend. Es hat mich sehr verletzt, vor allem weil ich mich eigentlich anfangs sehr gut mit ihnen verstanden habe.

Wenn sie es nicht verstehen wollen/können, ist mir das auch recht. Das verlange ich von keinem. Aber ist Unverständnis ein Grund respektlos zu sein? Für mich nicht. Dafür gibt es nie einen Grund. Sollte das Verhältnis so bleiben ist es schade, aber ich habe momentan größere Sorgen.

Diesen besonderen Menschen hatte ich in meinem Freund gefunden. Aber davon ist in letzter Zeit etwas verloren gegangen. Daran bin vermutlich ich schuld.

Liebe Grüße zurück, wünsche eine angenehme Nacht.
Saying "You don't have anything to be depressed about, your life is great." is like saying "What do you mean have asthma, there is loads of air in here.
Sonnenblume14
Beiträge: 1038
Registriert: 16. Sep 2014, 18:36

Re: Zerstöre, was dich zerstört

Beitrag von Sonnenblume14 »

Liebe Cyntis,

ich bin auch ein sehr rational denkender und analysierender Mensch, daher kann ich auch verstehen, was du meinst. Für mich war es sehr wichtig, die Krankheit und die Reaktionen zu verstehen, zu hinterfragen und über das Analysieren zu einer Lösungsmöglichkeit zu kommen.
Deshalb fällt es aber besonders schwer, die Hilflosigkeit in dem Ganzen zu erkennen. Man kommt nicht weiter, weil die Krankheit die Kontrolle übernimmt - und das kann man schon mal gar nicht akzeptieren. Jedenfalls war es bei mir lange so und unsre Worte des Jahres sind "das dauert!", ich weiss nicht, wie oft mein Mann mir das gebetsmühlenartig vorgekaut hat. Am Ende war es aber so.

Ich kann Gerbera nur zustimmen, in der Krankheit fühlte sich das verzerrte Denken richtig an. Es war meine Überzeugung. Anfangs bin ich darauf hereingefallen, habe Menschen mit Worten verletzt, gestritten, gelitten. Erst als ich diese Verzerrung erkannte, wurde es besser. Weil man dann über den Kontakt mit Mann und (fast erwachsenen) Kindern kommunizieren konnte. Auch für die Angehörigen war es wichtig zu wissen, dass manche Handlungen der Krankheit entsprangen.

Ich spüre zwischen den Zeilen eine gewissen Sprachlosigkeit zwischen dir und deinem Freund - keine Ahnung, ob das nur ein Gefühl ist. Und Ängste, sich zu verlieren. Die Gefahr besteht - aber wenn du sie erkannt hast, kann man dem entgegenwirken. Ich finde, das Thema seiner Eltern sollte geklärt werden. Wenn es sein Geburtstag ist, rede doch mit ihm über das unangenehme Gefühl, das du in deren Gegenwart hast. Womöglich kann er akzeptieren, wenn du dich zurückziehst. Bei uns ist das z.B. so - mein Mann kann mit meinen Eltern überhaupt nicht. Seit über 20 Jahren. Da sind in der Anfangszeit unserer Beziehung Dinge gelaufen, die konnte ich ihnen verzeihen (es sind immerhin meine Eltern), er jedoch nicht. Die Verbindung ist kaputt - er würde helfen, wenn es notwendig ist, aber Weihnachten wird er mit uns essen, sich danach aber in sein Zimmer zurückziehen. Ich akzeptiere das und geniesse die Zeit mti meinen Eltern. Besuche bei ihnen mache ich allein, ICH halte den Kontakt, mein Mann verhält sich so, wie es für ihn in Ordnung ist. Meine Eltern gegenüber,die sich über diese "Unhöflichkeit" lange aufgeregt haben, habe ich klar Stellung bezogen, dass es für mich in Ordnung ist und sie sein Verhalten bitteschön akzeptieren müssen. Andernfalls gäbe es keine Einladungen mehr.
Ich sehe es als wichtig an, dass du ihm die Freiheiten lässt, mit seinen Eltern umzugehen (was du ja auch tust), aber dass ihr euch einig seid, wie dein Verhalten weiterhin sein soll.

Deine Mutter ... tja, je mehr du schreibst, desto weniger kann ich ihr Verhalten nachvollziehen. Zwar sehe ich das Generationenproblem und womöglich auch eine Unfähigkeit, sich den neuen sichtweisen anzuschließen, dennoch sieht mütterliches Verhaltne für mich anders aus. Den Brief, den du ansprichst, wird vermutlich jede Mutter ungern erhalten - man sucht doch immer Schuld bei sich selber und denkt, alles falsch gemacht zu haben. sich da einen schubs zu geben und einen solchen Brief zu klären, ist schwierig - meine Reaktion wäre gewesen: "Warum hast du mir das nicht gesagt, wir hätten uns zusammensetzen und darüber reden können" Kurz: die Form hätte mich verletzt - wobei man bei einem Brief natürlich gewählter formulieren kann.
Leider sind psychische Krankheiten und auch die Kliniken noch immer mit einem starken Makel belegt. Zwar bemüht sich die Presse etc um Aufklärung, aber das kommt nur langsam in den Köpfen an - und vermutlich nur in denjenigen, die damit direkt zu tun hatten. Mein Vater meinte mal: "Wie kann es beim Gesundwerden helfen, sich gegenüberzusitzen und mit jemandem völlig Fremden zu reden?", da schwang schon die Frage mit: Ist man dann überhaupt krank? Auch die Gehirnwäsche ist ein verbreitetes Vorurteil - ich glaube, weil es den Menschen unheimlich ist, was in einer Therapie abläuft. Sicher ist auch die Gefahr gegeben, dass ein Therapeut (wenn er denn Böses will) beeinflussend arbeitet. Im grunde kann jeder Menschen beeinflussen, der sich ein wenig in Psychologie etc einliest. Aber nicht bis zur Willenlosigkeit.
Es war lange Zeit auch Gang und Gäbe, das Elternhaus für alle psychischen Konflikte verantwortlich zu machen - da gab es aber inzwischen ein Umdenken in den Therapien , jedenfalls habe ich es so erlebt. Inzwischen werden die Eltern als die Menschen angenommen, die sie sind und das, was in der Kindheit war, als Fakt und unabänderlich gesehen. Diese Dinge anzunehmen und zu akzeptieren ist die eigentliche Aufgabe. Aber wem sage ich das. Es ist jedoch schwer zu akzeptieren, wenn die Verletzungen und die Nichtbeachtung anhalten. Ich kann deinen Konflikt absolut verstehen. Als Kind hat man eine natürliche Bindung an die Mutter und wird sie in einer innigen Weise lieben, ganz gleich was passiert; schwierig, da negative Erlebnisse zu verarbeiten.

Und ich glaube, da kommen wir rational denkenden Menschen an unsere Grenzen. Wir brauchen einen Plan, den wir verfolgen können und an dessen Ende ein Erfolg steht. Und hier stehen uns Emotionen im Weg, die man eine gewisse Zeit ignorieren kann - wenn sie sich aber zu Wort melden, wird es verworren. Man kommt mit Logik nicht mehr weiter. Überhaupt nicht mehr. Man muss sich fügen in eine Welt, in der Gefühle regieren und beeinflussen. Ich habe im letzten Jahr diese Welt als einen Teil von mir erkannt und anerkannt. Seitdem geht es mir besser. Aber frag mich nicht, wie ich das gemacht habe. Auf jeden Fall mit viel bildlicher Vorstellung, aber da wird vermutlich jeder anders sein.

LG Sonnenblume
"Depressionen sind kein Zeichen von Schwäche, sondern dafür, dass jemand zu lange zu stark sein musste" (Johnny Depp)

"Verstehen kann man das Leben nur rückwärts. Leben muss man es vorwärts." Sören Kierkegaard
Antworten