Die lieben Geschwister

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pimipippi
Beiträge: 66
Registriert: 30. Jan 2012, 21:51

Die lieben Geschwister

Beitrag von pimipippi »

Hallo,
ich bin sehr schwer depressiv erkrankt seit 30 Jahren und bei mir hat sich die Depression chronifiziert. Nun bin ich in Erwerbsminderungsrente und versuche das Beste daraus zu machen. Ich hatte stets regelmäßig, wöchentlich Kontakt zu meiner Schwester und sie besuchte mich, wenn ich in der Psychiatrie war. Nun sagte sie mir am Telefon wiederholt "ich finde du hast es gut". Für mich ist das wie ein Schlag ins Gesicht. Wie kann man so etwas zu einem chronisch depressiven sagen. Ich hangele mich von Tag zu Tag. Allerdings habe ich das städige Jammern bei ihr in letzter Zeit auch vermieden. Ich bin so entsetzt über die Verständnislosigkeit, daß ich keinen Kontakt mehr mit ihr haben kann. Sicherlicht steckt eigene Lebensunzufriedenheit und Neid dahinter, aber wie kann man einen schwer Depressiven beneiden .......? Für mich sind das die Menschen, die man als psychisch Kranker meiden sollte, sie machen nur noch mehr krank. Trotzdem beschäftigt mich das alles sehr und ich grübele täglich darüber.
Habt ihr ähnliches erfahren?
lieben Gruß pimipippi
saneu1955
Beiträge: 2433
Registriert: 6. Jul 2014, 19:18

Re: Die lieben Geschwister

Beitrag von saneu1955 »

Hallo Pimipippi, ich denke, dass solche Aussagen nicht nur von der Verwandtschaft kommen. Da spielt sicher eine Menge Neid mit, in der heutigen Arbeitssituation wünschen sich viele, dass sie aus diesem Stress rauskommen.
Und dann ist es auch so, Depressionen können viele Menschen nun mal nicht verstehen, sie wissen nicht, dass es ein täglicher Kampf ums Überleben ist. Und wie soll man auch dies so rüber bringen, dass es der andere versteht.

Ich möchte dir gern mal zwei Beispiele von mir erzählen. Ich bin auch seit über 23 Jahren an Depressionen erkrankt und erwerbsunfähig.
Als ich noch arbeiten ging, hatte ich mir aufgrund meiner Tätigkeit mal eine schwere Sehnenscheidentzündung zugezogen und bekam Gips, alle Arbeitskollegen bedauerten mich, boten mir ihre Hilfe an. Zu dieser Zeit hatte ich aber auch schon Depressionen und Angstzustände. Da ging fast niemand drauf ein und hielt mich teilweise für hysterisch.

Als ich dann erwerbsunfähig wurde, besuchte ich ab und zu noch einmal meine alte Arbeit. Dort bekam ich öfters zu hören: "So gut wie du möchte ich es auch haben." Irgenwann mal habe ich dann darauf geantwortet: "Ok, kannst du sofort haben, lass uns tauschen, ich geb dir meine Krankheit und gehe wieder arbeiten." Da war sofort Ruhe.
Dass ich aber nur dorthin ging, wenn es mir mal gerade besser ging, wußte ja keiner, es wußte auch keiner, wie ich Tag für Tag gekämpft habe.

Was ich damit sagen möchte ist, das Verständnis für eine Krankheit kommt erst dann, wenn es jemand selbst erlebt und mitmacht.

Vielleicht solltest du mit deiner Schwester noch einmal darüber reden.

Saneu1955
payasa
Beiträge: 419
Registriert: 3. Sep 2014, 22:15

Re: Die lieben Geschwister

Beitrag von payasa »

Hallo pimipippi,

(schwerer Nick.. *g) - ich gebe saneu da völlig Recht. Solche Aussagen kommen nicht nur von der Verwandtschaft, das hört man doch immer und immer wieder!

Wenn dir die Gesellschaft deiner Schwester gut tat, dann würde ich mit ihr reden - in "ich" Botschaften. Ich war so schockiert von deiner Aussage, sie hat mich so verletzt, weil ich so zu kämpfen habe mit dem Leben, tagtäglich muss ich sehen, wie ich das Leben auf die Reihe bekomme und darum hat mich das "du hast es doch gut" wirklich fast umgeworfen... So in der Art irgendwie.

In Frankreich gibt es an den Behindertenparkplätzen Schilder, da steht drauf: tu prends ma place - prends ma maladie egalement (was heißt: Du nimmst meinen Platz - dann nimm meine Krankheit auch) - das könnten wir uns auf die Stirn malen, oder?
Liebe Grüße


Einsamkeit und das Gefühl unerwünscht zu sein, ist die schlimmste Armut.

Mutter Teresa
MaritaT
Beiträge: 110
Registriert: 10. Aug 2013, 17:04

Re: Die lieben Geschwister

Beitrag von MaritaT »

Hallo pimipippi,
also ich finde Du bist ganz schön streng zu Deiner Schwester. Natürlich ist Depression eine schwere Angelegenheit unter der wir alle sehr leiden. Nachvollziehen lässt sich die Depression sowieso nicht.

Aber nur weil wir sehr unter dieser Krankheit leiden, heißt das noch lange nicht, dass es anderen Menschen deswegen gut geht. Jeder hat sein Päckchen zu tragen.
Wenn zu mir jemand sagt, Du hast es gut und derjenige eigentlich weiß wie schlecht es mir geht, dann schrillen bei mir sämtliche Alarmglocken. Dann ist es wahrscheinlich die Umschreibung für einen Hilferuf, der aussagt: ich brauche Hilfe, bitte kümmer Dich auch mal um mich, ich habe auch Probleme, zwar andere als Du, aber eben auch Sorgen.

Ich hoffe für Euch, dass ihr Euch wieder vertragt und Euch daran freut, dass ihr einander habt. Das ist doch die Hautsache, nicht wahr?

Liebe Grüße von Marita
Die beste Zeit einen Baum zu pflanzen war vor 20 Jahren. Die nächstbeste Zeit ist: Jetzt.
afrikanische Weisheit
ichbingut
Beiträge: 1015
Registriert: 6. Aug 2014, 00:45

Re: Die lieben Geschwister

Beitrag von ichbingut »

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Zuletzt geändert von ichbingut am 2. Dez 2017, 20:10, insgesamt 1-mal geändert.
Der Weg ist das Ziel!
Katerle
Beiträge: 11378
Registriert: 25. Sep 2014, 10:30

Re: Die lieben Geschwister

Beitrag von Katerle »

@ ibg

Versuche mich auch gerade von der Angst abzulenken... Bin schon wieder ne Zeit lang wach.

@ pimipipi

In meinem Umfeld habe ich bisher unterschiedliche Erfahrungen machen können. Ich fühle mich von meinen Schwestern größtenteils verstanden. Allerdings ist auch eine, von der manchmal eigenartige Sprüche kamen. Momentan empfinde ich es aber nicht mehr so krass.
Sie konnte sich schlecht in uns reinversetzen. Bin froh, dass es meine anderen nachvollziehen können.
Einmal kam sogar eine Bemerkung, ich wäre nicht gut für meine andere S. Sie hatte mich aber total in Schutz genommen und gesagt, dass ich ja für sie da war, als es ihr schlecht ging. Und das stimmt auch.

Auch ich mache seit Jahren das Beste aus meiner Situation, von daher kann ich sehr gut verstehen, wie du dich fühlst. Würde auch versuchen, nochmal mit deiner S. zu reden und ihr sagen, wie du dich dabei fühlst, wenn sie so ne Aussage macht.

Alles Gute und viel Kraft.
Botus
Beiträge: 2096
Registriert: 29. Mär 2014, 06:36

Re: Die lieben Geschwister

Beitrag von Botus »

Ich finde das nicht ganz so schlimm, weil Unverständnis hinsichtlich der eigenen Depression ja immerhin noch einen Dialog darstellt. So lange es einen Dialog gibt, besteht auch grundsätzlich Hoffnung, dass sich vielleicht doch noch Verständnis oder zumindest eine Aufnahmebereitschaft einstellt.

Wenn ich irgendwas von mir erzähle (völlig egal was...) werde ich von meinen Lieben nach 30 Sekunden regelmäßig mit dem Hinweis unterbrochen: "Ja, kann sein, aber was hat das jetzt mit mir zu tun ?" Ich stoße nicht auf Unverständnis, sondern vielmehr auf ein generelles Desinteresse an allem, was ich sage. Es spielt überhaupt keine Rolle, um was es sich gerade handelt. Selbst die Tochter sagt nichts mehr außer "Tschüß", während sie rund um die Uhr auf ihrem Smartphone herumwischt und herumdrückt.

Aus dieser Warte betrachtet finde ich, dass in zwischenmenschlichen Beziehungen, in denen Unverständnis das Problem ist, noch ein Rest Hoffnung besteht. Die Chance, dass es sich bessert, ist auf jeden Fall gegeben. Denn immerhin reden die Lieben ja noch mit einem. Dieses Glück hat nicht jeder.

Liebe Grüße vom Dobi
Zimperline
Beiträge: 39
Registriert: 24. Sep 2014, 08:37

Re: Die lieben Geschwister

Beitrag von Zimperline »

Hallo pimipippi,

ich kann Dein Anliegen nachvollziehen.

Ich habe noch 4 Geschwister, bis auf eine Schwester wohnen alle anderen weiter weg, deren Kontakt zu mir ist eher spärlich wie gar nicht vorhanden.

Zu meiner Schwester hatte ich eigentlich auch immer einen guten Draht. War ja klar, denn nach Muttis Tod, hatte sich ja keiner mehr ihre Jammerei angehört, außer ich.

Bei meinem 1. Klinikaufenthalt in diesem Jahr hat sie mich sogar ein mal die Woche besucht. Das tat gut, denn es ist doch ganz schön ab und an dort auch Besuch zu bekommen. Zumeist jedoch handelten die Gespräche immer nur um sie. Das war mir aber egal, Hauptsache ich konnte mal ein vertrautes Gesicht sehen.

Danach ist sie selbst in eine Reha für 7 Wochen gekommen. Es war weiter weg und wir haben uns den Weg dennoch immer angetan um sie zu besuchen. Auch die Jammertelefonate habe ich ausgehalten. Es ging ihr anschließend recht gut.

Dann kam mein 2. Klinikaufenthalt in diesem Jahr. Warum auch immer ist sie da aber nicht mehr gekommen (Entfernung ca. 10 km). Statt dessen rief sie mich ein mal die Woche an um mich kurz nach meinem Befinden zu fragen. Ich wollte loslegen aber kam nicht dazu, denn ich durfte mir wieder nur ihr Gesülze reinziehen. Nach jedem Anruf war ich fix und fertig und habe nur noch vor mich hingeheult. Ein mal hat mich meine Psychologin dort erwischt und mir empfohlen nicht mehr an das Telefon zu gehen, solange ich noch auf Station bin.

Nach meiner Entlassung erfuhr ich, dass es ihr wohl schlechter gegangen sei und sie kein Krankenhaus sehen wollte.

Tja, seither versuche ich dennoch Kontakt zu halten, aber mein Mann sieht das nicht so gern.

Für mich ist es immer noch meine Schwester und ich will sie nicht auch noch verlieren wie schon die anderen 3.

Vielleicht hilft Dir meine Erfahrung ein bisschen.

Liebe Grüße
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