Diagnose Depression: was tun und wie damit leben?

Castle
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Diagnose Depression: was tun und wie damit leben?

Beitrag von Castle »

Hallo, ich weiß nicht, ob das hier üblich oder gewünscht ist.
Aber ich stelle mich vorweg erstmal kurz vor. Ich bin 49 Jahre alt, verheiratet, zwei Kinder. Wir haben ein schönes Haus im eher ländlichen Bereich, sind beide berufstätig und „eigentlich“ könnte es mir mit diesen Rahmenbedingungen ja gut gehen…

Tut es aber nicht.

Wo fange ich an?
Gestern habe ich drei DIN A4-Seiten am PC geschrieben.
Ziemlich viel wahrscheinlich zum Start.
Zudem war das alles ziemlich unstrukturiert.
Ich habe das jetzt alles umgeschrieben bzw. neu strukturiert.
Ich hoffe es ist jetzt halbwegs verständlich.

Zeitablauf:
Vor gut drei Wochen hat mein Arzt (u.a. Allgemeinmedizin und Innere Medizin) bei mir eine akute Depression diagnostiziert. Er hat mir sofort ein Antidepressivum (Escitalopram, 1 x 10 mg tgl.) verschrieben. Er meinte zuerst, dass ich versuchen soll weiter zu arbeiten. Aber ich habe ihm gesagt, dass ich das zurzeit nicht kann. Daraufhin hat er mich für eine Woche krank geschrieben.
Ich habe nach dieser Woche wieder versucht zu arbeiten. Dazu muss ich erklären, dass ich im Außendienst tätig bin, aber auch Tage zuhause im Büro arbeite.
Ich bin dann nach der Krankschreibung nicht gereist, habe keinen Kunden besucht, es ging nicht. Ich habe nur im Büro gesessen, aber im Prinzip kaum gearbeitet. Vielleicht eine Stunde am Tag. Aber mehr als Emails beantwortet und Faxe bearbeitet habe ich nicht.
Ich habe auch keine neuen Kundentermine mehr vereinbart.
Eigentlich wollte ich dann letzte Woche zur Tagung fliegen (Montag bis Freitag). Aber am Donnerstag der Vorwoche wurde mir klar, dass ich das nicht schaffe.

An diesem Tag hatte ich um 8 Uhr einen Termin zu einem Vorstellungsgespräch in einer Tagesklinik, die nach der Beschreibung einen guten Eindruck machte. Ich bin um 6.30 Uhr aufgestanden, um pünktlich da zu sein. Ich war aufgeregt, aber auch etwas Hoffnung war in mir.
Nach etwa 25 Minuten Gespräch erklärte mir die Psychotherapeutin, dass man mich nicht aufnehmen kann, da Grundvoraussetzung dafür ein halbes Jahr Alkoholabstinenz ist.
Und das kann ich nicht vorweisen. Zu dem Thema Alkohol gleich noch etwas mehr.

Ich war sehr enttäuscht, traurig und ein bisschen ärgerlich. Man nannte mir im gleichen Klinikum noch eine andere Tagesklinik für Sucht- und Alkoholkranke. Da könnte ich mich auch noch vorstellen. Ich bin dann gleich noch dahin, die Psychotherapeutin sagte, dass ich gleich am kommenden Montag in die Klinik kommen könnte. Ich habe mir das „Programm“, den Tagesablauf der Station geben lassen. Und mich entschieden dass ich mich da komplett fehl am Platz fühlen würde. Der Tag besteht dort aus Frühstücken, 2 Stunden Arzt und Pflege, Mittagessen, Entspannungsübungen oder Akupunktur und dann einer Gruppenrunde, ab und zu kommen die AWO und die AA. Selten gibt es Einzelgespräche.
Außerdem habe ich dort einige Patienten der Tagesklinik gesehen und – das ist jetzt nicht abwertend oder böse gemeint – nein, da gehöre ich nicht hin, das „bin“ ich nicht.

Ich bin dann aus dem Klinikum wieder zum o.g. Arzt gefahren. Er hat mich jetzt bis zum 19.12. krank geschrieben, danach habe ich bis Ende des Jahres Urlaub.

Arbeitssituation/ Vorgeschichte:
Mein direkter Vorgesetzter war von der Entscheidung nicht an der Tagung teil zu nehmen überrascht. Ich selber war unsicher, ob das die richtige Entscheidung war. Dazu muss ich da sagen, dass ich ohnehin um meinen Arbeitsplatz fürchte, denn ich war in 2012 bereits von Mai bis November krank geschrieben, mit der Diagnose Burnout und Depression. Meine Fehltage in 2013 waren dann auch 29, in diesem Jahr sind es auch deutlich über 30. Ich denke also, dass die „Entscheidung“, nicht an der Tagung teil zu nehmen, nicht förderlich für meinen Verbleib in dem Unternehmen war.
Aber -wie gesagt- ich konnte einfach nicht.

Rückblickend habe ich 2012 meinen Focus komplett auf das Thema „Burnout“ gelegt. Ich war in unregelmäßigen Abständen bei einer Heilpraktikerin, die die Meridian-Energie-Technik anwendet. Ich bin kein „esoterischer“ Mensch. Aber schon beim ersten Termin bei der Frau passierte in mir mehr als in 15 klassischen Gesprächen beim Psychotherapeuten davor. Ich habe diese Termine allerdings nur unregelmäßig vereinbart. Ich hatte ja „nur“ einen Burn-Out, eine ganz schlimme „Erschöpfung“.
Und um das Thema Depression „brauchte“ ich mich nicht zu kümmern.
Anders formuliert: ich habe sie nicht als solche wahr genommen, wahr nehmen wollen.

Was ist heute und was ist anders als in 2012 ?
Die Erschöpfung ist wieder da. Ja sie ist stärker als je zuvor. Ich habe mich schon viele Wochen, bevor ich endlich zum Arzt gegangen bin, nur noch durch gequält. Ich habe uneffektiv im Büro gesessen, manche Kundentermine habe ich nur wahr genommen, um in den Spesenabrechnungen etwas vorweisen zu können, Parkbelege zu haben. Auch habe ich mehr Stunden dokumentiert als ich gearbeitet habe.
Im Mai gab es nämlich schon ein Gespräch mit meinem Vorgesetzten, in dem er deutlich machte, dass meine Fehlzeiten zu hoch seien. Dann habe ich halt versucht mich von Mai bis in den November hinein „zusammen zu reißen.“
Bis es nicht mehr erträglich war. Ich habe mir denn gesagt, dass es fahrlässig mir gegenüber ist, wenn ich nicht zum Arzt gehe und meinen Vorgesetzten nicht informiere, dass es so nicht mehr geht, das ich nicht mehr kann.

Mein „Zusammenreißen“ sah letztendlich so aus, dass ich überhaupt nicht mehr innerlich zur Ruhe gekommen bin. Ich habe nach der Arbeit im Büro zuhause fast täglich sofort Bier getrunken, im Laufe des Abends hat sich das auf 5,6 oder 7 halbe Liter summiert. Oft bin ich dann erst gegen 1 Uhr ins Bett und habe mich dann um 7.30 Uhr aus dem Bett gequält, 8.15 Uhr Abfahrt nach Dusche und Kaffee.

Alkohol:
Alkohol hat bei mir „immer“ schon dazu gehört. Ich trinke seitdem ich 16 bin. Ich war auch 1989 ein halbes Jahr in einer „Suchtklinik für alkoholkranke Männer“ und danach ein paar Monate abstinent. Jetzt nehme ich seit über einem Jahr Baclofen ein. Ich bin nicht alkoholfrei und hatte auch noch ein paar von den eben geschriebenen Trinkphasen. Positiv formuliert: ich habe aber die längsten alkoholfreien Phasen seit 1990!
In den letzten 7 Wochen habe ich an drei Tagen getrunken. Immer an einem Samstag, wenn ich Zeit für mich allein hatte und immer 5 Bier. Klingt verrückt. Vielleicht ein Austesten? Jedenfalls hat es mir jedes mal weniger „gut getan“. Der Kick war nicht mehr da. Ich habe sogar gemerkt, dass es mich nicht ruhiger macht, sondern unruhiger. Ich halte das für ein sehr gutes Zeichen. Ich habe kaum noch Sehnsucht nach Alkohol. Auch wenn die „Traurigkeit“ in mir ganz groß wird.

Mein jetziger Zustand:
Zurück zum Kernthema: meine Depression. Ich war – kurioserweise – fast schon etwas geschockt, zumindest sehr irritiert, als mein Arzt mir klipp und klar eine Depression diagnostizierte. Ich hatte mich gedanklich wieder Richtung Erschöpfung und Burn-Out bewegt. Insbesondere, dass mein Arzt die sofortige Einnahme eines Antidepressivum für nötig hielt, hat mich zuerst irritiert. Ich habe dann zuhause gegoogelt und die Symptome einer Depression nach gelesen, auch den Online-Test auf dieser Homepage gemacht.
Das ist alles ganz eindeutig!
Ich habe Schlafstörungen, finde an manchen Tagen keine innere Ruhe.
Gleichzeitig fühle ich mich „dumpf“. Mir ist häufig schwindelig.

Ich habe kaum noch Lust an Aktivitäten. Ich vernachlässige meine „sozialen Kontakte“, treffe seit Wochen (eher Monaten) keinerlei Verabredungen, selbst bei meinem besten Freund habe ich mich schon monatelang nicht gemeldet.
Ein Gedanke, der immer wieder auftauchte: ich möchte einfach meine Ruhe haben!
Bitte fordert nichts von mir ein, lasst mich einfach in Ruhe.
Das Ganze geht anscheinend so schleichend vor sich, dass mich jetzt erst das ganze Ausmaß erschreckt hat.

Was mich irritiert: die „Traurigkeit“, diese dunklen, dumpfen „Gefühle“ erlebe ich in den letzten Tagen als stärker. Trotz des Antidepressivums.

Ausblick? Was tun?
Stand jetzt: ich nehme das Antidepressivum und habe bereits zwei (privat bezahlte) Termine bei einer Heilpraktikerin für Psychotherapie und Kinesiologin gehabt, diese Woche den nächsten Termin. Ich habe mit ihr zusammen einen Tagesplan fest gelegt, der beinhaltet: 60 Minuten frische Luft, 20 Minuten aktive Entspannung, 20 Minuten Rückenübungen, Lesen (auch über Depresssion) und werktags dreimal Kochen für die Familie. Ich habe meistens vier der fünf Punkte geschafft.

Ich bin ziemlich verunsichert wie ich weiter vorgehen soll.
Ich habe schon mit der Robert-Enke-Stiftung telefoniert, die mir dringend rieten mir eine gesicherte Diagnose bei einem Facharzt für Psychiatrie geben zu lassen. Ich habe vor drei Tagen fünf Ärzte angerufen, aber keinen persönlich erreicht.
Auch werde ich auf Dauer die privaten Termine bei der Heilpraktikerin für Psychotherapie nicht bezahlen können, brauche also einen neuen Psychotherapeuten, den die Krankenkasse bezahlt.

Ich versuche mal meine dringlichsten Fragen zu formulieren:
1. Diagnoseabsicherung durch einen Facharzt? Das ist dann ein Facharzt für Psychiatrie? Kann oder sollte der gleichzeitig Psychotherapeut sein, damit man dann auch Gespräche dort führen kann? Wie lange beträgt die Wartezeit für einen Termin? Gibt es Empfehlungen für den Raum Hannover?
2. Gibt es im Raum Hannover spezielle Tageskliniken für Depression? Macht es Sinn in eine Tagesklinik zu gehen, die „alles mögliche“ an „Störungen“ behandelt? Ich denke irgendwie, dass ich keine „Beschäftigungstherape“ brauche, sondern Gespräche, Gespräche, Gespräche…
3. Gibt es Treffen im Raum Hannover wo ich mich mit anderen Erkrankten austauschen kann?
4. Mich selbst zum Einhalten des "Tagesplans" zu "zwingen" ist gut, oder? Ich war z.B. heute extrem angespannt innerlich (bei gleichzeitiger Niedergeschlagenheit) und war dann über eine Stund spazieren. Danach ging es mir besser.
4. Wie stelle ich fest, ob das Antidepressivum passt/ wirkt? Ich habe in den letzten Tagen wie schon beschrieben das Gefühl, dass meine „Traurigkeit“/ Niedergeschlagenheit eine neue „Qualität“ besitzt. Sich tiefer sitzend anfühlt. Dass ich einfach niedergeschlagener bin.
Ach, diese „Gemütszustände“ sind so schwer in Worte zu kleiden.
5. Ich kann mir momentan beim Besten Willen nicht vorstellen Anfang nächsten Jahres wieder "normal" zu arbeiten. Soll ich mich dazu zwingen? Mein Arbeitgeber hätte gerne eine verbindliche Aussage wie es weiter geht. Aber die kann ich momentan doch nicht geben...

Ich schwanke -überspitzt formuliert- auch zwischen zwei extremen Gedanken.
Zum einen der Gedanke, dass ich jetzt total „bekloppt“ geworden bin, dass ich „gestört“ bin.
Zum anderen der Gedanke, dass ich JETZT ENDLICH etwas dagegen tun kann. Das ich jetzt endlich weiß, dass ich „nur“ depressiv bin, dass ich krank bin.
Ich fühle mich doch eigentlich schon sooo lange immer wieder in meinem Innersten traurig, nicht viel wert, hilflos. Alkohol war eine großartige Therapie dagegen (Ironie!)…
…nur dass dann irgendwann alles zusammen bricht.

Ich hoffe ich habe eure Geduld jetzt nicht überstrapaziert.
Das ist bestimmt durch die Menge auch anstrengend zu lesen, was ich hier geschrieben habe.
Ich bin dankbar für jede Antwort.
Auf bald!
Und ich schließe die Augen, vor all diesen Fragen, ich bin müde vom Zweifeln, nach all diesen Tagen....
Max Herre feat. Philipp Poisel
cinder89

Re: Diagnose Depression: was tun und wie damit leben?

Beitrag von cinder89 »

Hallo Castle,

erstmal wünsche ich dir ganz viel Kraft.
Es ist gut und wichtig, dass du den Schritt zum Arzt gewagt hast und dich auch krank geschrieben hast.

Ich kann dir nicht zu allen deinen Fragen was sagen, aber doch zu einigen...

1. Eine Diagnose kann sowohl ein Psychiater als auch ein Psychotherapeut erstellen. Der Psychiater ist aber in der Regel nicht für deine "Gesprächs"Therapie zuständig, sondern für die medikamentöse! Ein PSychiater hat in der Regel eine Wartezeit von drei Monaten oder länger. ersuche da auf jeden Fall mal einige anzurufen und deine Dringlichkeit deutlich zu machen, oft schieben die solche Notfälle dann dazwischen. Manche haben auch richtige offene Sprechstunden, aber das ist von Praxis zu Praxis unterschiedlich. Der Psychotherapeut hat leider eine ewig lange Wartezeit. Auch da heißt es, leider, Geduld, Du musst sicherlich mehrere anrufen, um überhaupt jemanden zu finden, der eine Warteliste hat. Bei mir im Umkreis musste ich mindestens 7 Monate warten. Aber auch da unterstützt sich deine Krankenkasse in der Regel. Wenn du nachweisen kannsat, das du zeitnah keinen kassenärztlich zugelassenen Therapeuten finden kannst, muss deine Krankenkasse dir privat zugelassene Psychotherapeuten (keine heilprakitsch tätigen Therapeuten) bezahlen. Den Nachweis erledigst du, in dem du eine Liste anlegst, welchen Therapeuten du wann angerufen hast und wie lange jeweils die Wartezeit ist. Kläre das aber am besten nochmal mit deiner Krankenkasse ab, die sind da in der Regel wirklich nett und hilfsbereit.
3. Mit dem Tagesplan einhalten ist sehr sehr gut. Damit gibst du denem Tag Struktur und kannst dich loben, wenn du etwas davon schaffst. Das ist gut für dein Selbstwertgefühl.
4. Mit dem Wirken von Antidepressiva ist das leider so eine Sache. Du musst sie erst einmal über mehrere Wochen nehmen, bis sich überhaupt eine Wirkung feststellen lässt. Oft wird danach noch hochdosiert, falls sich keine positive Wirkung einstellt. Escitalopram wirkt antriebsfördernd und positiv auf die Stimmung. Das heißt, du solltest so in drei, vier Wochen schon merken, dass du mehr Antrieb hast und das deine Stimmung etwas besser ist. Wichtig ist auch, dass du die Nebenwirkungen aushalten kannst. Sind diese zu heftig, sollte auf ein anderes AD umgestiegen werden. Nur so als Beispiel: Ich habe insgesamt drei ADs in allen möglichen Dosierungen durch, hatte bei jeden die heftigsten Nebenwirkungen ohne dass sich mein Befinden verbessert hat. Jetzt nehme ich hochdosiertes Johanniskraut, damit komme ich gut klar. Ist aber wie gesagt bei jedem sehr individuell.
5. Mit der Arbeit.... Puh... schwer zu sagen... Wenn du ihm deutlich machst, dass du momentan noch keine Aussage treffen kannst? Ich denke, zwingen ist erstmal nicht so gut. Ich konnte an der Uni ein Semester nichts machen, weil ich in der Uni ständig Panikattacken hatte und schon bei Vorlesungen hören überfordert war und nicht zuhören konnte. Dafür kann ich jetzt aber wieder durchstarten., aber auch wesentlich "langsamer" als vorher. Vielleicht hilft dir dass, wenn du deinem Chef deutlich machst, dass du Zeit brauchst um gesund zu werden, dann aber auch wieder gerne richtig arbeiten möchtest? Das ist wirklich sehr schwierig...

Das mit den zwiegespaltenen Gefühlen kenne ich auch. Ich wollte am Anfang gar nicht akzeptieren, dass ich krank bin. Oh Gott, ich bin gestört, ich muss Tabletten schlucken und auch noch eine Therapie machen. Ich habe niemandem etwas erzählt, noch nicht einmal meinen Eltern. Mir war das total peinlich.
Mittlerweile habe ich das aber akzeptiert. Auch wenn es oft schwer fällt, dass ich nicht mehr so super alles kann wie früher. Aber ich kann da auch offener mit umgehen.
Ich denke, dass ist ein Prozess, den du wohl oder übel durch machen musst. Irgendwann kannst du das für dich akzeptieren.
Wichtig ist ja, dass du dir Hilfe geholt hast!

Ich wünsche dir alles Gute!
ndskp01
Beiträge: 2874
Registriert: 9. Feb 2008, 19:34

Re: Diagnose Depression: was tun und wie damit leben?

Beitrag von ndskp01 »

(Cinder, deinen Beitrag habe ich noch nicht gelesen, ich beziehe mich nur auf das Ausgangspost)


Herzlich willkommen, lieber Castle,

da hast du wirklich viel von dir geschrieben, bitte entschuldige, dass ich nicht alles gelesen habe, und trotzdem schonmal was zu einem Teilaspekt antworte.

Alkohol ist mein Stichwort (wer hätte das gedacht :? ), du steckst in der Zwickmühle, vor der meine Ärztin mich glücklicherweise beschützt hat. Für die Krankenkasse gilt offenbar: Einmal Alkoholiker, immer Alkoholiker. Irgendwie stimmt es ja auch, denn wenn man Erfahrungen mit dem Alkoholmissbrauch hat, muss man sein Leben lang abstinent bleiben, anderenfalls besteht die Gefahr, schnell wieder in die Sucht abzurutschen. Und es ist auch extrem schwierig, Depressionen zu behandeln, solange Alkohol die Gefühle noch dämpft. Man kommt an den echten Castle einfach nicht so gut ran, solange er nicht längere Zeit abstinent ist - Es hat ja einen Grund, dass du trinkst.

Gleichzeitig fällst du aber bei der Suche nach Unterstützung in eine Lücke, denn in die Alkoholstationen in den Kliniken passt du als (vermutlich) minder schwerer Fall nicht so richtig rein. Gut wäre es, eine Klinik zu haben, die Alkohol und Depressionen zusammen behandelt, mir fällt da im Schwarzwald die Oberbergklinik ein (die privat ist).

Ich hatte eine Therapeutin, die meine Phobie trotz Alkoholproblem ambulant behandelt hat, bald stand der Alkohol im Zentrum ihrer Bemühungen, und mit der Abstinenz (jetzt sieben Monate, ich glaube, ich bin über den Berg) ist auch der Rest der Krankheit irgendwie zusammengeschrumpft.

Wenn deine Trinkerei wirklich nicht so gravierend ist, dann wäre das eine Option, vorausgesetzt du findest einen Therpeuten, der das mit dir machen möchte. Aber es ist sehr schwer und erfordert ein erhebliches Maß an Disziplin und Willensstärke, ohne den äußeren Druck der Klinik von der Sucht wegzukommen. Mit Klinik ist es leichter.

Ich wünsche dir viel Erfolg bei der Suche nach Hilfe und hier einen guten Austausch, viele Grüße, deine Puk
Salvatore
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Re: Diagnose Depression: was tun und wie damit leben?

Beitrag von Salvatore »

Hallo Rick ;) ,

willkommen im Forum! Ich bin gerade ein bisschen zappelig, versuche aber mal auf deine gut strukturierten Fragen ;) einzugehen:

Castle hat geschrieben:1. Diagnoseabsicherung durch einen Facharzt? Das ist dann ein Facharzt für Psychiatrie?
Ja, unbedingt! Es sollte ein großes Blutbild gemacht werden, um körperliche Ursachen auszuschließen.
Kann oder sollte der gleichzeitig Psychotherapeut sein, damit man dann auch Gespräche dort führen kann?

Ist/wäre natürlich praktisch, aber nicht sehr wahrscheinlich. Es gibt Ärztliche Psychotherapeuten, die also Medizin studiert haben und sich anschließend weitergebildet haben und sowohl Rezepte und Krankschreibungen ausstellen dürfen und Therapiegespräche führen, aber das ist nicht allzu häufig zu finden. Realistischerweise hat man einen Psychiater für das Medizinische und einen Psychologischen Psychotherapeuten für die Gespräche.
Wie lange beträgt die Wartezeit für einen Termin? Gibt es Empfehlungen für den Raum Hannover?
Anrufen und fragen! ;)
2. Gibt es im Raum Hannover spezielle Tageskliniken für Depression? Macht es Sinn in eine Tagesklinik zu gehen, die „alles mögliche“ an „Störungen“ behandelt? Ich denke irgendwie, dass ich keine „Beschäftigungstherape“ brauche, sondern Gespräche, Gespräche, Gespräche…
Googel mal "Psychiatrische Tagesklinik" und "Psychosomatische Tagesklinik". Es wird selten nur eine einzelne Störung behandelt, da Depressionen vielfach in Komorbität mit anderen Störungen auftritt, z.B. Ängste/Phobien, psychosomatische Beschwerden, Suchterkrankungen. Manchmal gibt die entsprechende Internetseite Aufschluss.
"Gespräche, Gespräche, Gespräche" ist ein legitimer Wunsch, den wir hier alle verspüren; leider ist er auch ebenso unrealistisch, weil extrem teuer. Mach dich gefasst auf Aktivierungsgruppen (gehässig formuliert Beschäftigungstherapie, aber es hat schon seinen Sinn, wenn er sich auch nicht jedem (sofort) erschließt) und Gruppentherapie. Einzelgespräche maximal zwei pro Woche und das wäre dann schon sehr reichlich. Normal ist eher einmal pro Woche und womöglich hat dein Bezugstherapeut in der Zeit deines Aufenthaltes auch noch Urlaub oder wird krank.
3. Gibt es Treffen im Raum Hannover wo ich mich mit anderen Erkrankten austauschen kann?
Viele Kliniken haben auch eine Institutsambulanz, über die man ambulant Gruppentherapien machen kann, der Sozialpsychiatrischen Dienst deiner Stadt kann dich über Selbsthilfegruppen informieren.
4. Mich selbst zum Einhalten des "Tagesplans" zu "zwingen" ist gut, oder? Ich war z.B. heute extrem angespannt innerlich (bei gleichzeitiger Niedergeschlagenheit) und war dann über eine Stund spazieren. Danach ging es mir besser.
Das mit dem Zwingen ist immer so eine Sache. Wenn es dir hinterher besser geht, solltest du es auf jeden Fall tun. Herumsitzen und grübeln bringt gar nichts; wenn dich der Tagesplan jedoch überfordert, könnte es u.U. mehr schaden als nützen. Das müsstest du versuchen selbst herauszufinden, der Innere Schweinehund ist ganz schön clever.

4. Wie stelle ich fest, ob das Antidepressivum passt/ wirkt?
Auch so eine Sache, die hier schon oft diskutiert wurde (probiere es mal über die Suchfunktion). Allgemein sagt man, dass ein AD ca. 2-4 Wochen braucht, bevor es seine volle Wirkung entfaltet - es braucht also erstmal Geduld. Die Verschlechterung deiner Symptome KANN auch damit zusammenhängen, dass du dich vermehrt mit deiner aktutellen Situation auseinandersetzt und die Angst um den Arbeitsplatz kommt ja noch hinzu und wird schlimmer, je länger die Krankschreibung andauert und der Chef evtl. STress macht.
Selten schlägt gleich der erste Versuch mit einem AD zufriedenstellend an und es müssen mehrere Präparate durchprobiert werden. Viele Anwender finden irgendwann "ihr" Medikament, viele verspüren keine richtige Verbesserung.

5. Ich kann mir momentan beim Besten Willen nicht vorstellen Anfang nächsten Jahres wieder "normal" zu arbeiten. Soll ich mich dazu zwingen? Mein Arbeitgeber hätte gerne eine verbindliche Aussage wie es weiter geht. Aber die kann ich momentan doch nicht geben...
[/quote]
So sehr man deinen Arbeitgeber verstehen kann, eine "verbindliche" Aussage ist schwer möglich. Kann dir da auch nicht so recht was im Umgang raten, ich arbeite seit einiger Zeit krankheitsbedingt nicht mehr. Habe meinem Arbeitgeber damals immer gesagt, ca. dann und dann bin ich wahrscheinlich wieder da... und dann kam ich mit dem nächstne Gelben Schein. Damals wusste ich es nicht besser, meine Ärte und Therapeuten hatten mir immer was anderes gesagt. Sprich doch einfach mal mit deinem Arzt darüber. Nach einer längeren Krankschreibung gibt es die Möglichkeit, nach dem sogenannten "Hamburger Modell" wieder eingegliedert zu werden. In dieser Zeit übernimmt die Krankenkasse die Kosten, d.h. dein Arbeitgeber bekommt deine Arbeitszeit "umsonst", dafür fängst du aber auch nur stundenweise wieder an zu arbeiten. Darüber kann dich auch der Sozialpsychiatrische Dienst beraten oder du fragst bei deiner Krankenkasse mal nach einem Sozialarbeiter (weiß nicht, ob alle das anbieten, meine hatte das damals angeboten).
Zum einen der Gedanke, dass ich jetzt total „bekloppt“ geworden bin, dass ich „gestört“ bin.
Habe letztens gerade hier geschrieben, manchmal denke ich, wir sind die einzig Normalen in dieser verrückten Welt...
Castle hat geschrieben:Zum anderen der Gedanke, dass ich JETZT ENDLICH etwas dagegen tun kann.
Richtig! Als nächste Maßnahme, die du gleich morgen anfangen kannst, würde ich mal sämtliche kassenzugelassenen Therapeuten in der Umgebung abtelefonieren nach einem Therapieplatz. Lasse dich auf so viele Wartelisten wie möglich setzen und frage nach zeitnahen Erstgesprächen. Die allermeisten haben Wartezeiten, nicht abschrecken lassen. Bei Psychotherapeuten mit Kassenzulassung kannst du fünf Probesitzungen in Anspruch nehmen, bevor ein offizielle Therapieantrag gestellt wird. Wenn du gesetzlich krankenversichert bist, übernimmt die KK die Kosten für die Therapie.
Wenn du es bezahlen kannst, würde ich an deiner Stelle zur Überbrückung zu der Heilprakiterin gehen.

Ich habe jetzt viel hin- und herkopiert und nicht die Ruhe, alles nochmal durchzugehen - hoffe, es ist nichts schiefgelaufen. Sorry für die Tippfehler!

Alles Gute für dich,
Salvatore

PS: Jetzt sind mir zwei User zuvorgekommen, ich schicke ab, ohne gelesen zu haben.
Blog: http://www.oddyssee.de
Instagram: Oddysee@meine_oddyssee
bordsteinphilosophin
Beiträge: 4
Registriert: 14. Dez 2014, 12:07

Re: Diagnose Depression: was tun und wie damit leben?

Beitrag von bordsteinphilosophin »

Hallo Castle!
Mir ist besonders die Stelle aufgefallen, an der du dich zu Sachen "zwingen" möchtest.
Da ich noch studiere, stellt sich bei mir die Situation mit dem Anwesenheitsdruck noch nicht ganz so stark dar. Wenn sich jedoch kurz vor den Prüfungen wieder eine schlechte Phase einstellt, habe ich schon oft versucht, mich in die Uni zu quälen, um nichts zu verpassen.
Mir wurde von Therapeuten/Neurologen allerdings immer geraten, auf keinen Fall gegen solche Phasen anzukämpfen, da danach - bei mir zumindest - extreme Erschöpfungszustände folgen.. Wenn es nicht geht, dann geht es nicht.
Depressionen sind eine ernstzunehmende Krankheit, das war für mich auch lange Zeit schwer zu akzeptieren. Wenn jemand an Krebs erkrankt, versucht er ja auch nicht diesen durch Willensstärke zu heilen.
Also gebe ich dir auf jeden Fall den Rat, an ganz schlechten Tagen nicht zu versuchen, um jeden Preis weiterzuarbeiten, sondern nur, wenn du dich wirklich gut genug dafür fühlst.
Liebe Grüße und gute Besserung!
KKatthy
Beiträge: 50
Registriert: 10. Nov 2014, 23:32

Re: Diagnose Depression: was tun und wie damit leben?

Beitrag von KKatthy »

Hallo Castle,

da hast du ja eine Menge am Hals. Ich glaube, dass es sehr hilfreich für dich sein wird, dass du so ein gut struckturiertes Denken hast.

Die meisten deiner Fragen sind ja schon durch die Vorschreiber beantwortet worden. Leider ist es so, dass jeder, der erstmals in diesem "Loch" sitzt, sich sehr allein gelassen fühlt, vor allem mit den vielen Fragen, der Existensangst, den blöde langen Wartezeiten bei Ärzten und Therapeuten und den vielen Gefühlen, die da hoch kommen und nicht bearbeitet werden können, weil man kaum Termine kriegt.

Deswegen ist meine Empfehlung: versuch irgendwo überall Entlastungs-und Beratungsgespräche zu bekommen, während du alle anderen Dinge anschiebst. Es gibt neben der Notwendigkeit einen guten Psychiater an seiner Seite zu haben, ne Menge anderer Anbieter für sowas (die leider über Weihnachten auch meistens überlaufen sind) Es gibt freie Träger, Vereine, kirchliche Träger, AWO, innere Mission, Telefonseelsorge und so weiter, die irgendwelche Gesprächsangebote haben. Das entlastet dich und bringt nach und nach mehr Klarheit, wie es weiter gehen kann. Sammle überall Adressen, wo du Hilfe bekommen kannst. Das hat mir damals in der ersten Phase sehr geholfen.

Zur Tagesklinik: Ein Bekannter von mir ist trotz Alkoholmissbrauch in einer Tagesklinik wegen seiner Depressionen gewesen. Sowas muss es doch auch im Raum Hannover geben. Allerdings wurde von ihm in der Zeit der Behandlung auch Abstinenz verlangt.

Zum Alkohol: Das Problem ist, dass viele Menschen, die Psychisch krank sind, auch irgendein Betäubungsmittel nehmen, sei es Drogen, Tabletten oder Alkohol. Die werden aber auf Sucht reduziert und zunächst nur darauf behandelt, während die Depression vor sich hin gährt. Sucht von Mißbrauch abzugrenzen ist sehr schwer. Bei manchem würde das Bedürfnis sich zu betäuben mit dem Fortschreiten der Behandlung der psychischen Erkrankung von selber Abnehmen. Bei manchen hat sich der Substanzmißbrauch bereits verselbständigt und die Behandlung der Sucht hat Vorrang. Wie es in deinem Fall ist, mußt du mit Spezialisten rausfinden. Ich würde aber versuchen, mich wegen 3 x Woche 5 Bier, nicht als Alkoholiker abstempeln zu lassen und nur darauf behandeln zu lassen, wenn du vor allem jetzt an deiner Depression arbeiten möchtest. Aber wie das Thema bei dir fortgeschritten ist, mußt du herausfinden, evtl auch mit Gruppen (AA und so), wenn du das dort Thematisierst, merkst du schnell, ob das was für dich ist und die haben auch viele Tipps und Adressen, wo man sich noch helfen lassen kann

Gruss
Katthy
Castle
Beiträge: 22
Registriert: 14. Dez 2014, 17:41

Re: Diagnose Depression: was tun und wie damit leben?

Beitrag von Castle »

Sechs Antworten in der kurzen Zeit. Damit hatte ich wirklich nicht gerechnet.
Ich schaffe es jetzt nicht auf jeden Einzelnen/ jede Antwort einzugehen.
Erst einmal nur: Vielen Dank!!

Da sind einige gute Tipps dabei.
Ich werde morgen ganz gezielt telefonieren.
Also Psychiater und Psychotherapeuten.
Verstehe ich das richtig, dass es selbst bei einem Facharzt für Psychiatrie Wochen dauern kann bis ich einen Termin bekomme? Und bei einem Psychotherapeuten entsprechen noch länger?
Das ist irgendwie "irrsinnig"...
Da braucht man doch eigentlich schnelle Hilfe.

Mein "Hausarzt" hat mir ja sofort "Escitalopram" verschrieben.
Macht es in irgendeiner Weise Sinn das jetzt bereits gegen ein anderes Mittel auszutauschen?
Nebenwirkungen sind auf jeden Fall Schwindelgefühle; also ich fühle mich schwindelig, wie nach einer Karusselfahrt oder wenn man sich zu schnell dreht, ich muss aber nicht torkeln oder so. Es ist ein bisschen wie eine zu dicke Watteschicht um den Kopf, etwas dumpf. Manchmal auch mit einem Schmerzempfinden wie Druck von innen.
Außerdem Erektions- und Ejakulationsstörungen, was natürlich das Selbstwertgefühl auch sehr fördert... :(
Gelenkschmerzen/ Gliederschmerzen wie bei einer Erkältung. Und seit 5 Tagen Halsschmerzen, die nicht besser und nicht schlimmer werden.

Die Frage ist: ist das tolerabel?
Und kann ein Allgemeinmediziner das einschätzen? Was macht ein Facharzt für Psychiatrie da anders? Oder ist das alles ein "Trial-and-Error" am lebenden Objekt?

Zum Thema Alkohol in meinem Leben und der wahrscheinlich langen "Vorgeschichte" meiner Depression gerne ein anderes Mal noch mehr.
Wenn das denn hier gewünscht ist. Und vielleicht auch für andere hilfreich ist. Momentan ziehe ich mir hier ja erstmal viel raus ohne großartig etwas geben zu können - außer meiner Offenheit.

Je mehr ich darüber anfange nach zu denken, desto bewusster wird mir, dass ich mich schon sehr jung "anders" fühlte als die meisten anderen. Oft nicht dazu gehörig. Unsicherer. Ängstlicher. Trauriger.
Kurioserweise kommt mir ein Lied in den Sinn was ich schon Jahre nicht mehr gehört habe:

"You shut your mouth
How can you say
I go about things the wrong way?
I am Human and I need to be loved
Just like everybody else does

There's a club, if you'd like to go
You could meet somebody who really loves you
So you go, and you stand on your own
And you leave on your own
And you go home, and you cry
And you want to die"

The Smiths - How Soon Is Now

Der letzte Satz ist bitte ausdrücklich NICHT auf mich zu beziehen respektive wörtlich zu nehmen!
Selbstmordgedanken hatte ich 2012 und diese ausschließlich mit total besoffenem Kopf.
Das Thema habe ich abgehandelt. Ich will LEBEN.

Dennoch eine Frage zum Thema Suizidgefahr, ich habe tatsächlich Robert Enke in Erinnerung (auch weil ich ein großer Fan von ihm war und er unvergessen bleibt!): besteht die Möglichkeit dass sich eine (meine) Depression so stark verschlimmert, dass solche Gedanken wieder ernsthaft auftreten können. Und wenn ja: wie "wehrt" man sich dagegen? Wie reagiert man rechtzeitig?

Zum Thema Tagesklinik. Nach den beiden für mich frustrierenden/ abschreckenden Beispielen/ Erlebnissen bin ich noch auf diese Klinik gestoßen:
http://www.krh.eu/klinikum/PSL/tageskli ... fault.aspx
Da ist auch ein Infoflyer zum Download dabei. Klingt das Angebot sinnvoll?

Jetzt ist es doch mehr geworden als geplant.
Uns schon wieder neue Fragen...

Noch mal vielen Dank für Eure Antworten.
Ich bleibe hier am Ball!

@KKathy: ich finde es nett, aber auch erstaunlich, dass du mir ein strukturiertes Denken zu schreibst. Ich selber erlebe mich gerade als eher verwirrt, verunsichert und vor Fragen überquellend.
Und ich schließe die Augen, vor all diesen Fragen, ich bin müde vom Zweifeln, nach all diesen Tagen....
Max Herre feat. Philipp Poisel
Castle
Beiträge: 22
Registriert: 14. Dez 2014, 17:41

Re: Diagnose Depression: was tun und wie damit leben?

Beitrag von Castle »

Nicht dass wir uns falsch verstehen bzgl. der Suizidgedanken. Ich habe keine.
Ich will nur wissen wie ein Notfallplan aussehen muss.
Und ich schließe die Augen, vor all diesen Fragen, ich bin müde vom Zweifeln, nach all diesen Tagen....
Max Herre feat. Philipp Poisel
Sonnenblume14
Beiträge: 1038
Registriert: 16. Sep 2014, 18:36

Re: Diagnose Depression: was tun und wie damit leben?

Beitrag von Sonnenblume14 »

Hallo Castle,

ach, wie sehr ähnelt dein Beitrag meinen Erfahrungen. Das war im Februar 2014. Im Nachhinein betrachtet, war der Druck, arbeiten zu müssen, mit das Schlimmste - sowie das Gefühl, allein und hilflos zu sein. Diese Situation hat sich bei mir grundlegend geändert, auch wenn ich noch immer gegen die Depression ankämpfe und versuche, sie als Bestandteil von mir zu akzeptieren.

Mir fehlten damals zum einen Ansprechpartner (meine langjährige Therapeutin hatte ihre Praxis geschlossen), ich stand völlig ohne Hilfe da und erlebte das Gleiche wie Du: lange Wartezeiten und keine Termine bei Psychologen und Psychiatern. Auch ich bezahlte die Sitzungen zunächst einmal selbst, weil ich einfach Hilfe brauchte. Auch ich hoffte, mit einigen Wochen Krankschreibung auszukommen und unternahm einige (erfolglose) ARbeitsversuche, die eher schadeten als nützten. Da immer gute Tage dabei waren, schwankte ich laufend zwischen Hoffnung und Verzweiflung.
Mein Hausarzt war auch der erste Ansprechpartner - schrieb mich auf meinen Wunsch nur wochenweise krank. Die Therapeutin machte dann Nägel mit Köpfen, teilte mir mit, dass es schlimmer sei und ich mir etwas vormache. Ich solle eine Klinik aufsuchen. Das versetzte mich in absolute Panik, rückte mir aber auch den Kopf zurecht. Den Weg bin ich gegangen. Parallel habe ich nach einer ambulanten Therapeutin gesucht, die die Kasse bezahlt. (Das gelang übrigens nicht dadurhc, dass ich selber telefonierte, sonder dadurch, dass die Krankenkasse mich da unterstützte). Einen Psychiater habe ich bis heute nicht, ich werde von der psychiatrischen Ambulanz der Klinik weiterbetreut.

Heute wäre das mein erster Anlaufpunkt: die Psychiatrische Ambulanz - versuche es einmal dort, in Hannover müsste es so etwas geben. Die vergeben Termine meist schneller und du kannst dort zunächst einmal unterkommen. Ausserdem können sie dir Tipps geben und oft kannst du auch an bestimmte Gruppen der Klinik teilnehmen und den sozialen Dienst "belästigen", der dir mit beruflichen Tipps weiterhelfen kann. Kurz: es gibt hilfe, aber meist weiss man beim ersten Auftreten der Depression nicht, wo man sie findet.

leider schreibst du nicht, ob du allein lebst, oder einen Partner - bzw eine Vertrauensperson hast. Ich habe mich in meiem familiären Umfeld immer sicher gefühlt, gerade wenn schlimme Tage dabei waren. Du schreibst von Verschlimmerung und Suizidgedanken ... das ist natürlich immer möglich. Schreibe dir an einem guten Tag einige Punkte auf, wie du vorgehen musst. Telefonnummern (Telefonseelsorge, sozialpsychiatrischer Dienst der Stadt - die haben Notrufnummern, Krankenhaus mit psychiatrie) - positive Leitsätze. Was hilft, kann dir niemand sagen, aber es ist auf jeden Fall hilfreich, diese nummern griffbereit zu haben. Dort wird man dir weiterhelfen, sofern der Fall überhaupt eintreten sollte.

Was du jetzt brauchst, sind zwei Dinge : Geduld und Akzeptanz. Geduld, weil jede Depression in ihrem eigenen Tempo wieder geht. Du kannst nichts erzwingen und am einfachsten kommst du damit zurecht, wenn du das akzeptieren kannst. Leider ist meist der Druck von außen (Existenzängste, Arbeitsplatzverlust) massiv und veschlimmert das Ganze. Ich habe mit offenen Karten gespielt und hatte das Glück eines sehr verständnisvollen Arbeitgebers, der die Diagnose hörte und sofort von mindestens einem halben Jahr Ausfall ausging. Ich fand das damals lächerlich. Am ende stimmte es. Im September bin ich mit dem Hamburger Modell wieder angefangen - und danach noch einmal zwei Wochen wegen eines erneuten Tiefs ausgefallen. Diese Tiefpunkte kommen - die Seele heilt nur langsam und es ist nicht einfach, die Balance zu finden zwischen Schonung und Herausforderung.

Das Zwingen ist, wie ein Vorschreiber schon sagte, eine problematische Geschichte. Wenn dir etwas guttut (so wie die Spaziergänge), dann erinnere dich daran und zwinge dich dazu. Mir hat ein Positivtagebuch geholfen, wo ich am Ende des Tages 3 Dinge aufgeschrieben hae, die mir besonders gefallen haben. Kleine Lichtblicke und Momente- man lernt, aufmerksamer durch das Leben zu gehen. Es könne kleinigkeiten sein. ein Lächeln, ein Sonnenstrahl, der durch die Wolken fällt, eine schöne Weihnachtsdeko. Genieße den Moment, er streichelt die Seele - das ist jetzt dringend nötig. Und es ist wunderbar, diese Stichpunkte nach einigen Wochen wieder durchzulesen.

Klinik ... ich war 7 Wochen in einer Tagesklinik. Man denkt, dass Gespräche wichtig sind ... sind sie auch, aber dosiert. Mir wurde gesagt, Therapie sind nicht die Gespräche, sondern die Zeit dazwischen. Sie dient der Verarbeitung, der Beschäftigung mit den Themen. Das läuft oft im Unterbewußtsein ab, erkennbar durch Unruhe, Schlaflosigkeit und ähnliches. Daher können zu viele Gespräche auch nch hinten losgehen. Kliniken arbeiten mit einer Mischung aus Bewegung, Entspannung und Gesprächen sowie Freizeit. Für mich war die Mischung sehr gut - wenn ich in den ersten Tagen auch gedacht habe, ich sei völlig falsch. Es war goldrichtig dort - das habe ich erst nach und nach gemerkt, als ich aus der Klinik wiedr raus war. Und: ich habe gedacht, ich gehe in die Klinik und bin danach geheilt. Auch das war ein Trugschluss. Die Klinik hat geholfen, stabilisiert, mich auf den Weg gebracht. Mir erklärt, was eine Depression bedeutet und wie man damit umgehen kann. Mir geholfen, meine Möglichkeiten zu finden, Krisen zu erkennen und abzupuffern. Daran arbeite ich jetzt. Ich merke, dass es bergauf geht, aber ich werde immer wieder mal zurück geworfen. Es ist ein Prozess, der ein langer Weg ist, der mir aber geholfen hat, mich selber wiederzufinden.

Ich habe erkannt, dass mein Lebensinhalt die Arbeit war und ich mit Freizeit gar nichts mehr anfangen konnte. Jetzt habe ich Zeit für mich und habe gelernt, sie zu genießen. Damit kommt alles nach und nach wieder inGleichklang.

An deiner Stelle würde ich jetzt nach psychiatrischen Ambulanzen suchen, die Krankenkasse anrufen und um Hilfe bitten ... tja, und - da kenne ich deine Situation nicht gut genug - versuchen, mir den Arbeitsdruck vom Hals zu schaffen. Vielleicht besteht ja die Möglichkeit zu einer Innendiensttätigkeit - wenn du eine Depression hast, bist du krank. Da ist es nich twirklich ratsam, viel mit dem Auto unterwegs zu sein. Ob du gegenüber deinem Arbeitgeber da offen sein kannst, weiss ich nicht.

Ich drücke dir die Daumen und wünsche dir wirklich ganz viel Kraft.

LG Sonnenblume
"Depressionen sind kein Zeichen von Schwäche, sondern dafür, dass jemand zu lange zu stark sein musste" (Johnny Depp)

"Verstehen kann man das Leben nur rückwärts. Leben muss man es vorwärts." Sören Kierkegaard
Brummi59
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Re: Diagnose Depression: was tun und wie damit leben?

Beitrag von Brummi59 »

Hallo Castle und willkommen im Forum :hello:

Angesichts der vielen Antworten und der fortgeschrittenen Uhrzeit, belasse ich es erstmal bei dem Willkommen.
Aaaaaber, ich bin hier ziemlich bekannt für meine direkte und offene Art (irgendwie konnte ich nie meine Berliner Kotterschnauze abgewöhnen und der Fernfahrerjob hat mich auch nicht grad Höflichkeitsfloskeln gelehrt).
Zumindest werde ich Dir gewaltig den Kopf waschen was das Thema Alkohol angeht. Da bist bei mir grad richtig ;) Meine Kinnlade war in Höhe Bauchnabel und das macht man nicht für umme mit dem ollen Brummi.
Lass erst mal all das Neue etwas sacken, lerne Dich mit der Krankheit neu kennen und dann gibts Tacheles 8-)

Aaaaaber, egal was ich schreibe: Es ist ehrlich und kommt von Herzen mit Schnauze und manchmal mit Hirn.
Liebe Grüße
Dieter

---------------------------------------------------------------------------------
Du könntest dich den ganzen Tag ärgern - du bist aber nicht dazu verpflichtet!
*Arthur Lassen*
Castle
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Re: Diagnose Depression: was tun und wie damit leben?

Beitrag von Castle »

Hoppala, jetzt ist es ganz schnell gegangen.
Ich habe am Freitag einen Vorstellungstermin in der o.g. Tagesklinik.
Dort ist auch ein Arzt dabei, der spricht auch über die Medikation mit mir und von dort würde ich - vorausgesetzt die nehmen mich auf - dann auch meine Medikamente bekommen.

Bei Aufnahme ist dann die Anwesenheit wochentags von 8 - 16 Uhr verpflichtend.

Ich gehe jetzt einfach mal davon aus, dass die mich aufnehmen...
...wenn ja: ein bisschen Bauchweh habe ich aber :oops:
Unruhe macht sich in mir breit. Ich habe Gedanken wie "kann ich mir das zumuten"?
"Ist das nicht zuviel auf einmal?"
Und dann "muß" ich da auch zwischen den Feiertagen hin, das "schmeckt" mir gar nicht, denn da haben meine Frau und ich endlich wieder zusammen Urlaub.

Aber wahrscheinlich ist es sinnvoll das durch zu ziehen, oder?
Was meint ihr?
Kneifen wäre falsch, richtig?
Die "Bauchweh" und die Unruhe, das Gefühl mich evtl. zu überfordern, ist das alles "normal"?

Was ratet ihr mir?
Ist das ein guter Weg?
Und ich schließe die Augen, vor all diesen Fragen, ich bin müde vom Zweifeln, nach all diesen Tagen....
Max Herre feat. Philipp Poisel
Jamba
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Re: Diagnose Depression: was tun und wie damit leben?

Beitrag von Jamba »

Hallo Castle,

Ich habe bisher nur mitgelesen und habe gestern nichts dazu geschrieben, weil meine Stimmung bisschen am Kippen war und ich nicht wusste, ob ich mich zu sehr reinstressen würde.

Erstmal, ich finde nach deinen Beschreibungen, dass bei dir die Sache sehr akut ist und du ganz dringend sofort professionelle Hilfe brauchst. Mich hat es so gefreut, zu lesen, dass du schon am Freitag ein Gespräch in der Tagesklinik hast! Herzlichen Glückwunsch hierzu!
Ich kann da nicht mitreden, was das warten auf Termine bei Fachärzten o.ä. Betrifft. Bei meinem ersten Psychatrie-Aufenthalt war ich noch bei meinen Eltern mitversichert - privat. Da wird man ja eh anders behandelt. Beim zweiten Mal habe ich mit einer Mitarbeiterin vom Gesundheitsamt gesprochen, die während der Schwangerschaft meine beginnende Depression schon immer mitbekommen hat. Sie hat mir dann eine gute Praxis genannt. Dort habe ich meine Krankenkasse anrufen lassen und habe sofort einen Termin bekommen.
Als es dann allerdings zu schlimm wurde und die ADs noch nicht richtig wirkten, habe ich mich ins KH bringen lassen. Ich musste weg von allem. Das war das einzig richtige, auch musste ich beschützt werden vor mir selbst. Ich war akut suizidgefährdet und hatte sogar auch Gedanken daran, meiner Tochter etwas anzutun. Ich brauchte jemanden, der mich bewacht, damit ich wieder schlafen konnte, der einfach da ist. Die ersten Wochen war ich auch so gut wie 24 Stunden unter Beobachtung. Und es war gut so!
Nur die Hemmschwelle darf nicht zu hoch sein. Hilfe holen ist keine Schwäche!

Was ich zu dir noch sagen wollte (bin gerade etwas abgeschweift...). Nimm die Gelegenheit wahr. Du willst doch nicht, dass es so wie jetzt weitergeht, oder? Du selbst bist jetzt am wichtigsten. Wenn deine Frau auch Urlaub hat, würde euch das momentan auch nicht viel bringen, so wie es dir geht. Wenn du durch dieses Tal durch bist, werdet ihr noch genug schöne Zeit zusammen haben.

Versuch nicht so viel zu grübeln. Das ist immer leichter gesagt als getan. Aber manchmal schaue ich mich auch einfach im Spiegel an und sage "DO IT!!!". Da muss man sich selbst in den Arsch treten. Auch wenn es gerade für uns schwer ist.

Alle guten und positiven Gedanken an dich!
Erzähl, wie es Freitag war, ich bin gespannt...
Liebe Grüße von der Jamba
Nach Regen kommt Sonne. Grün ist die Hoffnung.
Castle
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Re: Diagnose Depression: was tun und wie damit leben?

Beitrag von Castle »

Sonnenblume14 hat geschrieben: leider schreibst du nicht, ob du allein lebst, oder einen Partner - bzw eine Vertrauensperson hast. Ich habe mich in meiem familiären Umfeld immer sicher gefühlt, gerade wenn schlimme Tage dabei waren.
@ Sonneblume: auch die erst einmal ein Dankeschön für deine offene und hilfreiche Antwort.
Ich schrieb ganz oben in meiner kurzen Vorstellung schon, dass ich verheiratet bin und zwei Kinder habe. Ich liebe meine Frau sehr und sie mich auch. Das weiß ich im Grunde meines Herzens. Nur manchmal kann ich an das Geliebt-Werden nicht glauben.
Wenn man sich selbst nicht liebt, kann man auch nicht glauben, dass ein anderer das kann.
Meine Frau ist da ähnlich geschnitzt. Wahrscheinlich liegen da auch die Ursachen für unsere immer ähnlich ablaufenden Streitikeiten. Paargespräche wollen wir schon länger vereinbaren, schieben es aber auf...
Ehrlich gesagt wäre mir das jetzt auch noch zuviel.
Außerdem habe ich das gefühl, dass es besser wird zwischen uns, was diese Streitikeiten angeht.
Es eskaliert nicht mehr so stark.
Letztendlich ist meine Frau aber für mich da und ein großer Halt für mich!
Eben so sind das meine Kinder. Ich liebe die beiden sehr und ich möchte auch für sie gesund werden.
Meine Familie ist auch der Grund warum ich NICHT in eine stationäre Behandlung gehen will.
Tagesklinik ist die einzige Option.
Du schreibst von Verschlimmerung und Suizidgedanken ... das ist natürlich immer möglich. Schreibe dir an einem guten Tag einige Punkte auf, wie du vorgehen musst. Telefonnummern (Telefonseelsorge, sozialpsychiatrischer Dienst der Stadt - die haben Notrufnummern, Krankenhaus mit psychiatrie) - positive Leitsätze. Was hilft, kann dir niemand sagen, aber es ist auf jeden Fall hilfreich, diese nummern griffbereit zu haben. Dort wird man dir weiterhelfen, sofern der Fall überhaupt eintreten sollte.
Momentan keine Suizidgedanken. Schon länger nicht. Die "Schwere" im Kopf ist manchmal drückender. Die Traurigkeit/ Niedergeschlagenheit stärker "spürbar".
Warum sagst du "...das ist natürlich immer möglich."
Genau DAS ist ja meine Sorge. Das solche Gedanken mich "überfallen."
Daher meine Fragen dazu.
Ich werde mir die Telefonnummern notieren!
Was du jetzt brauchst, sind zwei Dinge : Geduld und Akzeptanz. Geduld, weil jede Depression in ihrem eigenen Tempo wieder geht. Du kannst nichts erzwingen und am einfachsten kommst du damit zurecht, wenn du das akzeptieren kannst. Leider ist meist der Druck von außen (Existenzängste, Arbeitsplatzverlust) massiv und veschlimmert das Ganze. Ich habe mit offenen Karten gespielt und hatte das Glück eines sehr verständnisvollen Arbeitgebers, der die Diagnose hörte und sofort von mindestens einem halben Jahr Ausfall ausging. Ich fand das damals lächerlich. Am ende stimmte es. Im September bin ich mit dem Hamburger Modell wieder angefangen - und danach noch einmal zwei Wochen wegen eines erneuten Tiefs ausgefallen. Diese Tiefpunkte kommen - die Seele heilt nur langsam und es ist nicht einfach, die Balance zu finden zwischen Schonung und Herausforderung.
Geduld ist leider ein ziemliches Fremdwort für mich...
Mein Arbeitgeber war ja in 2012 schon verständnisvoll und hat mich trotz 5 Monaten Auszeit nicht entlassen. Aber die sind jetzt mit Ihrer Geduld langsam am Ende glaube ich...
Ich habe auch immer mit offenen Karten gespielt.
Anders geht das gar nicht für mich.
Klinik ... ich war 7 Wochen in einer Tagesklinik. Man denkt, dass Gespräche wichtig sind ... sind sie auch, aber dosiert. Mir wurde gesagt, Therapie sind nicht die Gespräche, sondern die Zeit dazwischen. Sie dient der Verarbeitung, der Beschäftigung mit den Themen. Das läuft oft im Unterbewußtsein ab, erkennbar durch Unruhe, Schlaflosigkeit und ähnliches. Daher können zu viele Gespräche auch nch hinten losgehen. Kliniken arbeiten mit einer Mischung aus Bewegung, Entspannung und Gesprächen sowie Freizeit. Für mich war die Mischung sehr gut - wenn ich in den ersten Tagen auch gedacht habe, ich sei völlig falsch. Es war goldrichtig dort - das habe ich erst nach und nach gemerkt, als ich aus der Klinik wiedr raus war. Und: ich habe gedacht, ich gehe in die Klinik und bin danach geheilt. Auch das war ein Trugschluss. Die Klinik hat geholfen, stabilisiert, mich auf den Weg gebracht. Mir erklärt, was eine Depression bedeutet und wie man damit umgehen kann. Mir geholfen, meine Möglichkeiten zu finden, Krisen zu erkennen und abzupuffern. Daran arbeite ich jetzt. Ich merke, dass es bergauf geht, aber ich werde immer wieder mal zurück geworfen. Es ist ein Prozess, der ein langer Weg ist, der mir aber geholfen hat, mich selber wiederzufinden.
Ich bin - wie oben geschrieben - gespannt. Auf den Termin am Freitag und auf die Tage dort, wenn sie mich denn aufnehmen.
Vielleicht besteht ja die Möglichkeit zu einer Innendiensttätigkeit - wenn du eine Depression hast, bist du krank. Da ist es nich twirklich ratsam, viel mit dem Auto unterwegs zu sein. Ob du gegenüber deinem Arbeitgeber da offen sein kannst, weiss ich nicht.
Innendienst geht leider nicht, der Firmensitz ist 600 km entfernt...
Und ich schließe die Augen, vor all diesen Fragen, ich bin müde vom Zweifeln, nach all diesen Tagen....
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Castle
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Re: Diagnose Depression: was tun und wie damit leben?

Beitrag von Castle »

@ Jamba:
Auch dir vielen Dank für deine Antwort.

Du schreibst:
Erstmal, ich finde nach deinen Beschreibungen, dass bei dir die Sache sehr akut ist und du ganz dringend sofort professionelle Hilfe brauchst.
Voran machst du das fest? Also das "sehr akut". Das interessiert mich brennend.

Ich selbst kann das jetzt nicht wirklich einschätzen.
Es klingt vielleicht seltsam, aber wenn jetzt jemand fragen würde: auf einer Skala von 1 - 10, wie stark ist ihre Depression?
Ich könnte es nicht benennen.
Ich weiß ja nicht wie arg eine Depression noch werden könnte. Es gibt ja noch weit stärkere Depressionen, wie ich hier lesen kann. Das jemand wirklich nicht mehr aufstehen kann und die alltäglichen Dinge schon zu anstrengend sind, wie Zähne putzen, Haare waschen etc.
Davon bin ich weit entfernt (hoffe ich zumindest).

Andererseits merke ich ja speziell was meine Arbeit angeht, dass da eigentlich nichts mehr geht.
Ich "müsste" neue Kundentermine machen. Aber der Stapel Kundenkarteikarten lag da auf meinem Schreibtisch und ich schaffte es nicht anzurufen.
Und ich schließe die Augen, vor all diesen Fragen, ich bin müde vom Zweifeln, nach all diesen Tagen....
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Sonnenblume14
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Re: Diagnose Depression: was tun und wie damit leben?

Beitrag von Sonnenblume14 »

Hallo Castle,

ich habe 7 Wochen Tagesklinik hinter mir. Der Gedanke an die Überforderung ist normal und in Ordnung. Ich hatte richtig Panik, da bei mir vor vielen jahren eine stationäre mal richtig daneben ging. Dann gebe ich dir mal folgendes mit auf den Weg:

1. Mach es! Sofern du bereit bist, dich auch auf Dinge einzulassen, die sich dir nicht sofort erschließen. Lass dich bitte darauf ein.

2. Du wirst vermutlich mit denen ein Abkommen schließen müssen. Kein Alkohol, keine Drogen, kein garnichts. Es würde deine Therapie behindern, also halte dich daran und wende dich vertrauensvoll an deinen Bezugspfleger, wenn es Probleme gibt. Egal, welcher Art.

3. Es herrscht absolute Anwesenheitspflicht, selbst wenn das Tagesprogramm aus Frühstücken, Freizeit und Abschlussrunde besteht, d.h. du bist lediglich anwesend. Das KANN vorkommen, ist aber natürlich nicht der Normalfall. Nimm dir etwas mit, mit dem Du dich beschäftigen kannst (Buch, Rätsel ... irgendwas, ds du gerne machst). In unserer Klinik durften wir bei längerer Freizeit auch das Gelände verlassen, d.h. mal gemeinsam eisessen gehen oder uns Fahrräder ausleihen.

4. Überforderung ... Sei dir bewusst, dass es durchaus sein kann, dass du an deine Grenzen gehst. ABER: du bist dort in sicherer Betreuung und kannst dich in Ausnahmefällen auch vom Programm befreien lassen. Soll nicht die Regel sein, klar, aber ich habe z.B. auch etwas ausfallen lassen, weil mir ein Gespräch mit der Bezugspflegerin wichtiger erschien. Das wird akzeptiert. Aufbegehren und Infragestellen der Programme wird nicht gern gesehen, da würde ich mich mit Kritik einfach mal zurückhalten und mich von Mitpatienten auch nicht vereinnahmen lassen.
Es sollte dir klar sein, dass dort womöglich Prozesse angestossen werden, die Kraft erfordern. Die psychischen Prozesse sind nicht zwangsläufig bewusst, du merkst es nur, weil du dich schlecht fühlst. Du wirst dort aufgefangen, du brauchst das nicht auszuhalten - du kannst dich jederzeit an den Bezugspfleger wenden. Nimm das wahr! Es ist eine einmalige Gelegenheit, so gut betreut zu sein. genau deshalb sind die Therapien eventuell auch viel intensiver als die Gespräche mit dem ambulanten Therapeuten, der dich ja in den Alltag zurückschickt.

Gut bei der Tagesklinik ist, dass du im Alltag bleibst. Das holpert zu Anfang ganz schön, auch das ist normal, man lebt quasi in zwei Welten. In der geschützten, harmonischen und in der Altbekannten. Du brauchst eine Woche oder länger, um dich daran zu gewöhnen. Und obwohl du den ganzen Tag nur Angenehmes tust, wirst du abends völlig erschöpft sein. Die Anforderungen der TK gleichen der eines normalen Arbeitstages. Wenn du also zu Hause auf s Sofa willst, gönn dir das auch. Ruh dich aus, in dieser Phase "arbeitet" die Psyche enorm - das Ergebnis wirst du erst erleben, wenn du wieder zu Hause bist.

Nimm mit, was du mitnehmen kannst. Die Angebote werden dir nicht alle zusagen. Aber andere wirst du als entspannend und angenehm kennenlernen - versuche, die in deinen Alltag zu integrieren. Letzlich dient die TK auch dazu, deinen Alltag so zu ändern, dass du wieder mehr auf dich achtest. In der TK machst du das sehr intensiv, gehe nicht davon aus, dass dein Leben zukünftig aus Entspannung und Bewegung bestene soll, du sollst aus dem Angebot das für dich mitnehmen, was für dich persönlcih gut ist.

Es wird eine schöne Zeit, die dir in Erinnerung bleiben wird. Eine harmonische Atmosphäre zwischen den Mitpatienten wahrscheinlich, einige schwierige und einige richtig tolle Tage. Du wirst dich selber kennenlernen und das ist ein richtiges Abenteuer. Du hast dabei alle Unterstützung, die du dir wünschen kannst und du wirst feststellen, dass du belastbarer bist als du vorher gedacht hast.

Alle guten wünsche für dich

LG Sonnenblume


P.S. Habe gerade gesehen, dass du mir geantwortet hast. Unsere TK hat auch ein Partnergespräch angeboten, das hat uns beiden sehr geholfen. Vielleicht auch für Euch eine Option, frag dort mal nach. Paartherapie ... davon hat man uns erst einmal abgeraten, um nicht zuviel in Gang zusetzen. Dazu sollten beide Partner halbwegs stabil sein.

Geduld wirst du lernen (müssen). Ist einfach so. Niemand von uns kannte dieses Wort vorher - aber diejenigen, die länger dabei sind, haben es gelernt. Die Depression zwingt dich dazu. Denn sie ist u.a. ausgebrochen, weil du dir zu wenig Ruhe gegönnt und zu wenig auf dich geachtet hast. Du wirst nicht dein Leben umkrempeln, aber etwas hinzufügen - und das tut richtig gut.

Was du über deine Frau und deine kinder schreibst, ist richtig schön. Dieser Halt, wenn man das Glück hat , ihn zu haben, ist eine wunderbare Quelle. Ich kann dir nur raten: bleibt im Gespräch, versuche, ihr zu vermitteln, was da abgeht. Es gibt auch einige Internetseiten für Betroffene. Uns wurde in der TK vermittelt, dass es (auch) wichtig ist, dass der Partner auf sich selber achtet und Dinge für sich tut. Für mich war das schwer zuertragen, weil mein größtes Problem das Alleinsein ist, aber da hiess es auch einmal für mich, für den Partner etwas Negatives zu ertragen. Bei den Kindern habe ich versucht, den Alltag weitestmöglich zu erhalten. Sie sind allerdings auch schon älter (17 und 20), so dass es zwar belastet, aber nicht mehr so intensiv in ihr eigenes Leben eingreift.
"Depressionen sind kein Zeichen von Schwäche, sondern dafür, dass jemand zu lange zu stark sein musste" (Johnny Depp)

"Verstehen kann man das Leben nur rückwärts. Leben muss man es vorwärts." Sören Kierkegaard
Sonnenblume14
Beiträge: 1038
Registriert: 16. Sep 2014, 18:36

Re: Diagnose Depression: was tun und wie damit leben?

Beitrag von Sonnenblume14 »

Hallo Castle,

ich noch einmal. Zur Schwere der Depression: Natürlich geht es schlimmer. Aber willst du es ausprobieren?

Kurz: Du bist offenbar nicht arbeitsfähig. also bist du krank. Wenn du deinen Alltag geregelt bekommst, d.h. nicht lethargisch im Bett liegst, sei glücklich. Dann ist der Weg zurück vielleicht nicht ganz so lang.

von mir kann ich dir sagen: auch ich konnte nicht mehr arbeiten, habe einige Versuche gemacht, weil ich dachte, das muss doch gehen. NEIN! Meine Psyche war massiv dagegen. Aber ich war in der gesamten Zeit in der Lage, aufzustehen (wenn auch mit Schwierigkeiten), mich anzuziehen und auch rauszugehen. Dann war aber auch Ende im Gelände. Ich habe sozialkontakte gehalten, d.h. mit Freundinnen und Eltern telefoniert, zu Verabredungen hatte ich aber nicht die Kraft. Trotzdem ergab die Diagnose: mittelschwere Depression. Trotzdem brauchte ich 7 Monate, um aus diesem Tal soweit herauszukommen, dass ich wieder arbeiten kann. Trotzdem konnte ich anfangs nur 2 Stunden täglich arbeiten und war völlig fertig. Trotzdem falle ich zeitweise wieder zurück und bin wieder mal krank geschrieben. Die Tendenz geht bergauf. Aber eben sehr, sehr langsam.
Das Umfeld hat sich damit abgefunden. Nur ich nicht. Ich bin weiterhin genervt weil ich nicht "normal" funktoniere und kann mich mit dem Tempo nicht anfreunden. Es geht mir zu langsam. ICh will wieder völlig normal am Leben teilnehmen. Da hilft nur der Gedanke: wenn ich jetzt nicht achtsam bin, geht es zurück auf Start. Und das will ich keinesfalls. Also füge ich mich.
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Minya
Beiträge: 79
Registriert: 18. Sep 2014, 16:42

Re: Diagnose Depression: was tun und wie damit leben?

Beitrag von Minya »

Hallo Castle.
Manche denken vielleicht "Wieso schreibt die Minya denn hier, wenn sie Angehörige ist?". Naja ich denke, dass kann ich, da mein Mann jetzt so einiges durch hat. Als er in der Klinik aufgenommen werden sollte, fand ich es irritierend, dass so expliziet nachgebohrt wurde, was er trinkt, wieviel und wie oft. Das also zu dem Thema Depression und Alkoholismus. Im Nachhinein hab ich da nur den Kopf drüber geschüttelt. Du brauchst ja Hilfe und sie lehnen dich ab, weil du angeblich zuviel trinkst?!
Ich finde es wunderbar, dass du jetzt einen Platz in der Tagesklinik bekommst. Die Chance ist sehr groß, da dort meistens eher Plätze frei sind, als in einer stationären Behandlung. Vielleicht könntest du erstmal Tagesklinik machen bis ein Platz stationär frei wird?
Du brauchst keine Angst vor dem Ablauf dort zu haben. Die Zeiten sind deshalb festgelegt, weil das Angebot so extrem reich ist. Mein Mann macht vieles in der Tagesklinik, was er stationär auch hatte..von Gesprächen über Physiotherapie, Elektrostimulationstherapie, Musiktherapie, Sporttherapie, Beschäftigungstherapie (wurde ja schon mehrfach benannt und hat den Sinn, dass man sich längerfristig eine Aufgabe vornimmt..Schnitzen, Flechten, Basteln mit allen möglichen Materialien wie Holz etc.) usw.
Also bei uns in der Tagesklinik passiert vor den Feiertagen und währenddessen gar nichts. Die Therapeuten haben ja auch dann frei meistens. Außer vielleicht die Chefärzte, aber die sind vermutlich für die "Notfälle" dann greifbar.
Bei uns hieß es zB, dass wenn er akut Selbstmordgedanken hätte, er sofort aufgenommen werden könnte, aber auf der Geschlossenen. Und das wollte mein Mann absolut nicht! Und er war ja schließlich nicht Selbstmordgefährdet. Bei uns hat vermutlich der Aspekt gut mit reingespielt schnell (2Wochen) einen stationären Platz zu bekommen, da er privat zusatzversichert ist.
Der feste strukturierte Tagesablauf in der Tagesklinik wird dir sicherlich gut tun. Du "zwingst" dich ja jetzt zum Teil auch zu einem bestimmten Tagesablauf und merkst, dass dir das gut tut. Hab keine Angst. So schlimm ist es dort wirklich nicht.
Das mit dem vielen Autofahren bei den ganzen Nebenwirkungen finde ich nicht so gut. Da haben die anderen Recht. Es ist ja sowieso auf jedem AD ein kleiner gelber/rosa Aufkleber "Kann die Fahrtüchtigkeit beeinträchtigen".
Mein Mann musste einige AD´s durchprobieren, bis eins gefunden war, wo er weitgehends keine NW hatte und was ihm vorallem auch half! Das ist ziemlich komplex mit den ganzen Medis und das sollte, meiner Meinung nach, auch ein Neurologe zB machen und kein Hausarzt. Hausärzte sind selten spezialisiert auf so ein Fachgebiet wie AD´s. Mal eben eins wechseln ist ja bei manchen AD´s nicht möglich ohne schlimme NW. So einen Wechsel oder allgemein die Einstellung auf ein AD sollte also ein Fachmann in diesem Gebiet vornehmen.
Manchmal denke ich, dass du sehr viel von dir selbst verlangst. Dass du funktionieren MUSST. Leider wird das in unserer Gesellschaft natürlich auch so suggestiert, aber trotz allem solltest du und deine Familie dir das Wichtigste sein und ihr könnt nur glücklich sein, wenn es dir besser geht bzw. du irgendwann vielleicht sympthomfrei leben könntest. Und ich denke, dass dir deine Familie sehr wichtig ist, sonst würdest du nicht den Weg gehen und dir professionelle Hilfe suchen.
Ganz liebe Grüße
-Minya
Castle
Beiträge: 22
Registriert: 14. Dez 2014, 17:41

Re: Diagnose Depression: was tun und wie damit leben?

Beitrag von Castle »

@ Sonnenblume @ Minya:
Danke für eure sehr ausführlichen Beiträge/ Antworten.
Ja, ich werde das machen. Vorausgesetzt die nehmen mich natürlich.

Die Tagesklinik hat tatsächlich am 29.12 und 30.12. geöffnet und Anwesenheit ist verpflichtend.
Aber - auch wenn mich das nervt - daran darf ich es nicht scheitern lassen.

Ich bin überrascht, dass dort ein Platz frei ist.
Für mich ist das momntan der einzige gangbare Weg.
Stationär kommt definitiv nicht in Frage.
Ich würde das nicht aushalten ohne meine Familie. Wenn ich daran denke dreht sich mir fast der Magen um.

@ alle:
Zum Thema Alkohol: ich sehe mich nicht mehr primär als alkoholabhängig. Klingt "bescheuert"? Ist es vielleicht auch...
Ich habe mich selbst nie wirklich lange "ertragen", Alkohol war dann immer hilfreich um unter Menschen zu gehen, Gespräche zu führen, leistungsfähig zu bleiben.
Mir ist auch klar, dass langjähriges fast tägliches Alkohol trinken in den Mengen (5-7 halbe Liter Bier oder 1- 1,5 Flaschen Wein) heißt, dass ich danach süchtig war.
Ich habe aber definitiv nicht mehr das Gefühl, dass ich trinken muss.
Eher sogar das Gefühl, dass ich gar nicht trinken mag!
Jedenfalls ist es tatsächlich langfristig mein Ziel NICHT zu trinken um mein Leben zu "ertragen", NICHT "alltäglich" zu trinken.
Ich glaube aber daran, dass ich in der Lage sein werde "normal" zu trinken. Als Genuss.

Ich weiß auch, dass das den meisten Modellen der Alkoholismustheorie widerspricht.
Ich war 1990 ja auch schon mal ein halbes Jahr in einer stationären Einrichtung für Alkoholkranke.
Ich habe danach auch ein paar Monate nicht getrunken. Aber ich habe mich schon damals dort irgendwie deplatziert gefühlt. Es war eine wichtige Zeit, aber es hat dauerhaft nicht geholfen.

Ich hoffe einfach, dass die Tagesklinik jetzt besser "passt".
Und ich schließe die Augen, vor all diesen Fragen, ich bin müde vom Zweifeln, nach all diesen Tagen....
Max Herre feat. Philipp Poisel
Jamba
Beiträge: 563
Registriert: 5. Dez 2014, 21:44

Re: Diagnose Depression: was tun und wie damit leben?

Beitrag von Jamba »

Hy Castle,

Du hast mich gefragt, woran ich das "sehr akut" festmache. Ich habe jetzt deine Beiträge, speziell den ersten, nochmal durchgelesen und komme wieder zum selben Eindruck.
Ich bin kein Arzt, aber eine Betroffene, und hatte schon viel Kontakt mit anderen Betroffenen und habe viele Facetten und Schweren der Krankheit Depression kennengelernt. Manche Dinge ähneln sich bei den meisten, manche sind ausgeprägter, manche ganz anders.

Es ist also nur eine Vermutung von mir. Was du über die Arbeit schreibst, dass es nicht geht, auch nur irgendetwas zu tun. Nichtmal ganz einfache Dinge. Keine innere Ruhe, Schlafstörungen, Antriebslosigkeit, Schwindel, das Bedürfnis nach Ruhe, grundlose Traurigkeit...
Das alles sind Dinge, die mir bekannt vorkommen. Deshalb meinte ich das "akut".

Allerdings finde ich, dass du dich nicht zu sehr reinstressen darfst, bevor du noch nicht in der Tagesklinik warst. Du machst dir viel zu viele Gedanken über das hätte-wäre-sollte-könnte. Lass es auf dich zukommen! Lies die letzten Postings hier, die nehmen dir sicher die Angst oder Scheu vor der Tagesklinik.
Nach Regen kommt Sonne. Grün ist die Hoffnung.
Jamba
Beiträge: 563
Registriert: 5. Dez 2014, 21:44

Re: Diagnose Depression: was tun und wie damit leben?

Beitrag von Jamba »

@Minya:
Dein Beitrag ist sehr interessant und ich finde es toll, das auch aus der Sicht einer Angehörigen zu lesen! Dankeschön!
Nach Regen kommt Sonne. Grün ist die Hoffnung.
Minya
Beiträge: 79
Registriert: 18. Sep 2014, 16:42

Re: Diagnose Depression: was tun und wie damit leben?

Beitrag von Minya »

Danke Jamba ;)
Ich hatte erst etwas Bammel zu schreiben, da ich ja nunmal nicht "betroffen" bin. Okay ich hatte mal eine postportale Depression, wo mein Mann mir im Nachhinein heute sagt, dass ich nicht viel anders in meinem Verhalten war, als er jetzt mit seiner Depression. Ich denke dass das "selbst wahrnehmen" manchmal schwierig ist, wenn derjenige eine depressive Phase hat.
Da mein Mann sehr viel Angst vor der stationären Behandlung hatte..genau wie du Castle..von wegen "oh gott ohne meine Frau und meine kleine Tochter" hat er es wunderbar verpackt, da..naja..wie sagt man das? Er hat sich auf sich besinnt und fokusiert..es gab kein drumrum..also unsere Tochter und mich. Ich weiß und das wusste ich immer (!) dass wir kein Störfaktor für ihn waren. Aaaber trotz allem MUSSTE er einfach aus diesem Teufelskreis raus..raus aus der Alltagssituation..rein in eine ganz andere Welt. Castle wenn du merken würdest, dass du mit der Tagesklinik nicht gut fährst..dann solltet ihr innerhalb der Familie vielleicht wirklich mal offen über eine stationäre Behandlung sprechen. Ich hatte auch Zeiten wo ich sooo wütend war..wenn ich völlig fertig nach einem Arbeitstag und dem Bettgehen unserer Tochter um 20.30h paralysiert aufs Sofa sackte und dachte "Toll. Du guckst dass der Rubel läuft und dein Mann ist am puzzeln!". Oder sonst was. Fernsehen ist ja meistens erst gegen abend erlaubt (finde ich super! immer was tun gegen das gehasste Rumsitzen und Nixtun!). Im Nachhinein weiß ich, dass meine Reaktion genauso normal war wie seine dort. Er fühlte sich anfangs unwohl..die ersten 2 Tage..dann kam man mit anderen Patienten ins Gespräch..saß stundenlang zusammen und konnte reden über Sachen, die der eigene Partner nicht verstehen kann..leider..aber es ist so..man hat seinen wirklich stark strukturierten Tagesablauf und seine Therapien..eigentlich immer was zutun..klar fällt auch mal was aus, aber dann muss man eben was anderes machen und sich selbst beschäftigen. Ich empfand die Klinik eher wie eine Kurstätte. Wunderschön waldlich gelegen..es gab sogar Reittherapie im Angebot..ein Schwimmbad..Fitnessraum..Kegelbahn..einfach alles. Und wie gesagt, glaubte mein Mann auch, dass er nicht ohne uns kann. Er musste, er konnte und er wollte am Ende, eben damit es UNS als Familie wieder besser geht.
Die Tagesklinik jetzt bereitet ihn vor. Es wäre niemals denkbar gewesen, dass er nach der stationären Behandlung direkt hätte wieder arbeiten können. Nein. Erstmal Tagesklinik noch und dann gehts irgendwann wieder los mitm arbeiten nächstes Jahr. Langsam ranführen. Ich weiß, dass ist vermutlich bei dir schwierig, aber es muss ein weg für dich und deine Familie gefunden werden.
Informier dich vielleicht dann mit Hilfe der Gesprächssitzungen in der Klinik darüber, ob man ein psychologisches Gutachten erstellen lassen kann, dass du deine jetzige Tätigkeit nicht mehr ausführen kannst.
Ich wünsche euch alles Gute!
Castle
Beiträge: 22
Registriert: 14. Dez 2014, 17:41

Re: Diagnose Depression: was tun und wie damit leben?

Beitrag von Castle »

Liebe Minya, ein ganz toller und persönlicher Beitrag, vielen Dank.
Du schriebst:
Manchmal denke ich, dass du sehr viel von dir selbst verlangst. Dass du funktionieren MUSST. Leider wird das in unserer Gesellschaft natürlich auch so suggestiert, aber trotz allem solltest du und deine Familie dir das Wichtigste sein und ihr könnt nur glücklich sein, wenn es dir besser geht bzw. du irgendwann vielleicht sympthomfrei leben könntest. Und ich denke, dass dir deine Familie sehr wichtig ist, sonst würdest du nicht den Weg gehen und dir professionelle Hilfe suchen.
Ja, das trifft es sehr gut. Funktionieren passt!!

Momentan habe ich sogar ziemlichen Bammel vor der Tagesklinik. Ich bin richtig unruhig. Die Kopfschmerzen werden stärker...
Ich habe Gedanken wie: ach, das muß doch gar nicht sein. Du kannst doch ab 2.1.2015 wieder arbeiten.
Das stimmt natürlich nicht. Etwas sperrt sich in mir.
Wahrscheinlich ist es Angst. Angst vor dem Unbekannten. Angst vor den Tränen. Angst vor der Veränderung. Die vertraute Scheiße kennt man wenigstens...

Ich kann mir momentan keine stationäre Behandlung vorstellen. Ich hoffe einfach, dass die Tagesklinik für mich hilfreich sein wird.
Informier dich vielleicht dann mit Hilfe der Gesprächssitzungen in der Klinik darüber, ob man ein psychologisches Gutachten erstellen lassen kann, dass du deine jetzige Tätigkeit nicht mehr ausführen kannst.
Das verstehe ich jetzt nicht. Dass ich sie MOMENTAN nicht ausführen kann? Oder gar nicht mehr? Und wozu ist das gut?
Ehrlich gesagt habe ich auch schon darüber nachgedacht, ob ich eine Umschulung oder ähnliches machen könnte. Und wie das funktionieren könnte. Meine Arbeit ist schon auch anspruchsvoll und oft anstrengend. Manchmal will ich sie nicht mehr machen.
An anderen Tagen gefällt sie mir. Ich habe ja auch einige Freiheiten und Vorteile (z.B. Samstags nicht zu arbeiten, Firmenwagen, "flexible" Zeiteinteilung).
Aber ich bin da - ehrlich gesagt - momentan gar nicht in der Lage zu entscheiden, ob ich das weiter machen will oder nicht.
Mein Gefühl sagt allerdings eher nein...

Und Minya: ich finde es auch gut, dass du hier als Angehörige schreibst!
Ich möchte ja auch mit meiner Frau über meine Depression sprechen. Sie macht sich ja auch sehr viele Gedanken und ist selbst total am Limit was Ihre Energie angeht!!
Wir leben ja nicht im luftleeren Raum...

Übrigens: ihr seid jetzt bereits eine große Hilfe für mich!
Das ist ein wunderbares Forum hier. Ganz herzlichen Dank für eure Unterstützung.
Ich schreibe hier natürlich weiter!
Und ich schließe die Augen, vor all diesen Fragen, ich bin müde vom Zweifeln, nach all diesen Tagen....
Max Herre feat. Philipp Poisel
Minya
Beiträge: 79
Registriert: 18. Sep 2014, 16:42

Re: Diagnose Depression: was tun und wie damit leben?

Beitrag von Minya »

Hallo zusammen.
Danke für das nette Feedback!
Ich meine das so, dass du vielleicht in den folgenden Gesprächstherapien irgendwann mal ansprichst, ob man die Möglichkeit hat, ein Gutachten zu erstellen, dass du diese jetzige Arbeit nicht mehr erfüllen kannst. Vielleicht erfüllt die Arbeit dich auch nicht? Trotz der Vorteile die du aufgezählt hast?
Bei uns stand auch im Raum, ob eine Umschulung nicht besser wäre. Von Erzählungen hier im Forum können sehr wenige Betroffene "Stress und Druck" ab. Man erwartet zu viel in bestimmten Berufszweigen. Auch wieder dieses "funktionieren" müssen.
In einer deiner baldigen Gesprächstherapien wirst du bestimmt mal mit dem Psychologen erörtern wie deine jetzige Arbeitssituation ist und ob du wirklich bei dem "eher nein" bleibst. Natürlich schenkt einem keiner eine Umschulung, wenn kein wirklich wichtiger Grund dahintersteht es nicht mehr machen zu können, aber wenn du irgendwann meinst, dass du es "deffinitiv" nicht mehr willst, dann kann man umschulen. Da hast du Recht, dass das geht. Dann aber halt leider aus eigener Tasche :(.
So oder so wirst du auch schon in der Tagesklinik viel über dich selbst lernen. Wie Sonnenblume sagte :
Es sollte dir klar sein, dass dort womöglich Prozesse angestossen werden, die Kraft erfordern.
Irgendwann kommst du mit dem Psychologen oder wer die Sitzungen macht an den "Kern des Übels". So habe ich es immer gerne genannt. Der Kern der einfach dafür gesorgt hat, dass deine Psyche irgendwann "nein" geschrien hat. Als vielleicht aus dem vorigen BurnOut eine Depression wurde. Sich entwickelt hat. Uns wurde immer gesagt, dass eine Depression nicht vom Himmel fällt, sondern meistens ein schleichender Prozess ist. Und man als Laie ja nicht sofort erkennt, wie ernst sowas werden kann. Wenn du irgendwann weißt, was der Auslöser war, kannst du es vielleicht bearbeiten, verarbeiten und es so für dich verpacken, dass du die Depression bestimmst und nicht sie dich.
Ich wünsche dir viel Erfolg in der Tagesklinik und vielleicht ab und an von dir zu hören, wie es dort so läuft und du dich einigermaßen wohl fühlst.
-Minya
Sonnenblume14
Beiträge: 1038
Registriert: 16. Sep 2014, 18:36

Re: Diagnose Depression: was tun und wie damit leben?

Beitrag von Sonnenblume14 »

Hallo Castle,

ja, sicher geht es dir schlechter vor der Tagesklinik. Ich hatte das Glück, von heute auf morgen loslegen zu können, da bleibt einem vieles erspart.

Mach dir jetzt nicht so viele Gedanken über deine Arbeitssituation. Das wird sich klären. Eines habe ich in der langen Phase gelernt: es gibt Dinge, die müssen nicht sofort beantwortet werden. Die kann man zur Seite legen für einen besseren Zeitpunkt.

In der Tagesklinik wird in den Gesprächen mit Sicherheit auch die Arbeitssituation beleuchtet. In alle Richtungen, mit professionellem Hintergrund. Das heißt, es wird nicht nur geschaut, ob die Arbeit die Richtige ist oder nicht - oft gibt es ja kein klares ja oder nein, sondern wo die Probleme genau liegen. Erst dann kann man schauen, ob sich die mit Hilfe des Arbeitgebers beseitigen lassen oder eben nicht. Wenn nein, wird es Alternativen geben. Es geht immer irgendwie weiter.

Du wirst dort auch lernen, mit Stress und Anforderungen anders umzugehen. Danach bist du in der Lage, in einer stressigen Situation Positives entgegenzusetzen und so den psychischen Stress zu mindern.

Das alles geht aber nicht von heute auf morgen. Geh erst einmal in die Tagesklinik. Man gibt dir sicher eine Zeit der Eingewöhnung, du brauchst keine Angst zu haben, dass es gleich in den ersten Tagen ans Eingemachte geht. Die schauen erst einmal und lassen dich in Ruhe ankommen. Das ist einer der Gründe, weshalb die Aufenthaltszeit relativ lange ist.

Wenn du Zeit hast, berichte gerne mal von deinen Erlebnissen.

LG Sonnenblume
"Depressionen sind kein Zeichen von Schwäche, sondern dafür, dass jemand zu lange zu stark sein musste" (Johnny Depp)

"Verstehen kann man das Leben nur rückwärts. Leben muss man es vorwärts." Sören Kierkegaard
Castle
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Re: Diagnose Depression: was tun und wie damit leben?

Beitrag von Castle »

Ich werde auf jeden Fall berichten!

Drückt mir erstmal die Daumen, dass die mich aufnehmen.
Ich habe zwar Angst. Aber ich MUSS etwas tun.

Und jetzt koche ich erstmal Abendessen für meine Familie.
Das ist etwas Eindeutiges und Sinnvolles. :)
Und ich schließe die Augen, vor all diesen Fragen, ich bin müde vom Zweifeln, nach all diesen Tagen....
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