Wer ist denn da eigentlich "krank"???

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Much2Much
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Wer ist denn da eigentlich "krank"???

Beitrag von Much2Much »

Ich glaube, heute wird ein Heul-Tag. Fühl mich so schrecklich hilflos und verstehe die Welt nicht mehr. Bzw. noch weniger als sowieso schon.
Nachdem der gestrige Tag schon mit mistigem Gemüt angefangen hat, ich mich dafür aber relativ gut vorrangekämpft habe, bin ich gestern auf einen spontanen, ganz kurzen Besuch mitgefahren zu der Mutter meines Freundes. - Was ansich schon ein Fehler war, da aus "kurz" 3 Std. wurden, was für mich im Moment eigentlich eh schon zu viel ist.
Wäre alles ohne "Zwischenfälle" abgelaufen, würde ich mir dafür aber spätestens heute auf die Schulter klopfen und mir sagen: "Siehste, haste überstanden! Alles halb so wild.."
Irgendwann kam die Mutter jedoch auf Untaten ihres Sohnes zu sprechen. - Erstmal alles noch recht amüsant, alle lachten (der eine mehr, der andere weniger) herzlich. Es kam schon die ein oder andere Ohrfeige zur Sprache, was mir -mit dem Hintergrundwissen, dass mein Freund als Kind von seiner Mutter mehrfach "Dresche bezogen" hat- schon ein etwas mulmiges Gefühl machte.
Bis von ihr in etwa der Satz kam: "Da hab ich ihm eine Ohrfeige gegeben. Da hat er auch die Narbe von". Sie deutete dabei in den Nacken. (Er hatte mir bereits vor längerer Zeit erzählt, dass diese Narbe von einem Hockeyschläger stammt und er dabei zusammengekauert an der Heizung gelegen hatte.) Während der ganzen Geschichte kam nicht ein Wort, nichtmal ein Ton oder Blick der Reue, stattdessen warb sie um Verständnis für sich ("da muss man sich mal vorstellen, man kommt nach Hause und...") und machte sich empört lustig: "...und dann erzählt der (kleine Junge), ich würde ihn misshandeln...!"
Das schlimmste war in dem Zusammenhang das Lachen, von allen Seiten. Es war zwar nicht mehr ganz so herzlich, wie am Anfang ihrer Erzählungen, aber es war mehr als nur verlegen.
Mir vergingen in der auf mich unglaublich abstrus wirkenden Situation das Lachen und die Körperhaltung, um die ich mich so bemühte. Ich konnte und kann nicht begreifen, wie sie auf diese Art darüber reden kann, wie alle mitlachen und sich damit über einen kleinen, verprügelten Jungen lustig machen können, dass keiner (auch nicht) auch nur eine Andeutung auf diesen "Irrsinn" gemacht hat.
Eine Weile später fragte sie mich, ob mir übel sei. Erst da merkte ich, wie gekrümmt, mit offenen Augen und zugehaltenem Mund ich da saß. Niemand sonst schien in irgendeiner Art merklich auf die Erzählungen zu reagieren.

Wer hat denn jetzt den Sockenschuss? Ich, weil ich mich "zu automatisch" in den kleinen Jungen hineinversetze, der irgendwo und -wie ja auch immernoch in meinem Freund steckt? Weil ich Situationen wie diese abstrus, erschreckend und verstörend finde? Weil ich nicht verstehe, wie Menschen so sein können? Und weil es mir nicht egal ist?
Antiope
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Re: Wer ist denn da eigentlich "krank"???

Beitrag von Antiope »

Hallo Much2Much,

für mich ist das, was dort geschehen ist, furchtbar. Da wird die Gewalt nochmals wiederholt! Und es wird eine Art von "Erlaubnis" von den Zuhörern gegeben.
Ja, es erschüttert mich.
Und ich würde verstehen, wenn Du den Kontakt zu dieser psychopathischen Frau, die zufälligerweise Mutter Deines Freundes ist, abbrechen würdest.
Sie hat ihr Kind misshandelt, körperlich und seelisch. Und sie misshandelt es heute noch!

Wie hat Dein Freund darauf reagiert? Besucht er seine "Mutter" noch?
Martina884
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Re: Wer ist denn da eigentlich "krank"???

Beitrag von Martina884 »

Liebe Much2Much,

ich bin sehr geschockt von deiner Erzählung...! Den Sockenschuss hast bestimmt nicht du.

Wie kann sie das Ganze nur so in die Lächerlichkeit ziehen? Wieso hat von den Zuhörern keiner reagiert? Das geht gar nicht. Ich verstehe, dass du wie gelähmt warst...vermutlich waren es die anderen Zuhörer auch und haben deshalb nichts gesagt.

Ich habe in meiner Kindheit ähnliche Erfahrungen machen müssen, aber heutzutage wird darüber nicht mehr geredet...naja, ob das jetzt besser ist, bleibt zu bezweifeln. Zumindest zieht mein Vater (Täter) es nicht ins Lächerliche.

Deine Geschichte lässt mich wieder an die Vergangenheit denken...diese Wunden verheilen bei Kindern nie, egal wie alt wir werden.

Grüße
Martina
riverflow
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Re: Wer ist denn da eigentlich "krank"???

Beitrag von riverflow »

Hallo Much2Much,

mir ist es ähnlich ergangen wie den Vorschreiberinnen: in mir zieht sich etwas zusammen.
Ein solches Verhalten ist weder angemessen noch im Nachhinein lustig.

Vielleicht ein Weg der Mutter ihr eigenes Verhalten, von dem sie bestimmt weiß, dass es falsch war und heute auch per Gesetz verboten ist, zu legitimieren, indem sie es "lustig" darstellt?
Much2Much
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Re: Wer ist denn da eigentlich "krank"???

Beitrag von Much2Much »

Hallo Antiope,

soweit ich das mitbekommen habe / mitbekommen konnte, hat er garnicht reagiert, zumindest nicht äusserlich. Ich konnte in dem Moment allerdings auch niemanden mehr ansehen. Mitgelacht hat er.
Gesprochen haben wir noch nicht drüber. Ich werde das zwar bestimmt demnächst ansprechen, aber halte es für besser, einen wichtigen Termin, den er bald hat, abzuwarten.

Er wird sie auf jeden Fall weiter besuchen.
Dinge dieser Art spielt er meistensrunter. Und er fühlt sich seiner Familie unheimlich verpflichtet, den restlichen Zusammenhalt zu bewahren, der überhaupt existiert...
Es ist zwar nicht mehr so extrem, wie es mal war, aber auch er ist gut trainiert darin, sich selbst und seine Wunden zu ignorieren.


Liebe, liebe Grüße
Much2Much
Beiträge: 18
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Re: Wer ist denn da eigentlich "krank"???

Beitrag von Much2Much »

Hallo riverflow,

ja, so schätze ich das eigentlich auch ein. Das Schlimmste ist, das sie für sich die Legitimation von uns Zuhörern bekommen hat. Mir scheint für mich wichtig, dass ich später in einem sich ergebenden Moment meinen Standpunkt, zumindest allgemein gehalten, äußere.

Schöne, liebe Grüße
riverflow
Beiträge: 535
Registriert: 4. Apr 2014, 11:30

Re: Wer ist denn da eigentlich "krank"???

Beitrag von riverflow »

Hallo Much2Much,

die Idee finde ich gut und mutig,
ich wünsche Dir viel Kraft dafür!

Ganz liebe Grüße
Selea

Re: Wer ist denn da eigentlich "krank"???

Beitrag von Selea »

Hallo miteinander. :)

Gewalt, Körpergewalt, Seelische Gewalt in der Erziehung. Ein weites Feld.
Jedenfalls für uns Ältere hier im Forum.

Ich bin Jahrgang 1954. Körperliche Züchtigungen waren in den meisten Familien gesetzlich erlaubt und an der Tagesordnung.
Die seelischen Narben______da gibt es ein neues Buch dazu "Die geprügelte Generation".

Ganz allgemein möchte ich die folgenden Hinweise geben.

Immerhin bis 1980 galt das Recht der Züchtigung der Kinder durch die Eltern.
Iss also erst 34 Jahre her :!:

Seit 2000 im BGB fest verankert: Das Gesetz zur Ächtung von Gewalt in der Erziehung
Seit 14 Jahren :!:

Abschaffung der Prügelstrafe an Schulen 1973
41 Jahre her :!:

Also, meine Kindheit und Schulzeit in dieser Generation war von der Selbstverständlichkeit einer körperlichen Züchtigung überschattet.

Ich weiß jetzt nicht, wie alt diese Mutter ist, von der du, Much2Much berichtest.
Oder welches Alter dein Partner hat.....

Auch vor Gerichten waren noch lange nach 1980 viele Grauzonen an Körpergewalt akzeptiert, wenn sie in einem angemessenen Verhältnis zum Vergehen ausgeübt waren. Z.B. die "bekannte Ohrfeige".

Damit will ich jetzt nicht den Eindruck erwecken, ich guthieße Körpergewalt und Züchtigung.
Im Gegenteil.
Ich bin froh um die veränderte Gesetzeslage und um ein meist verändertes Verhalten von Erziehungspersonen.

Ich wollte lediglich hier in dieser Diskussion sensibilisieren dafür, dass das Thema "Körperliche Züchtigung" noch vor gar nicht allzu langer Zeit selbstverständlich war.

Grüße
Selas
riverflow
Beiträge: 535
Registriert: 4. Apr 2014, 11:30

Re: Wer ist denn da eigentlich "krank"???

Beitrag von riverflow »

Hallo Selas,

ja, so war es wohl leider. Wobei es auch damals schon Eltern gegeben hat, die ihre Kinder mehr als andere geprügelt haben sowie es heute alte Eltern gibt, die inzwischen eingesehen haben, dass man nicht prügelt.

Es ist gut, dass es den § 1631 BGB gibt. So wird rechtlich verankert, wie Erziehung nicht aussehen sollte.
So richtig zum Tragen kommt er aber nicht: Kein Kind wird aus der Familie genommen, wenn nicht ganz erhebliche Kindeswohlgefährdung vorliegt. Es wird immer eingeschätzt, was dem Kindeswohl zuträglich ist und der Kontakt zu den Eltern fällt dabei ganz erheblich ins Gewicht.
De facto steht da also, man darf Kindern weder körperliche noch psychische Gewalt zufügen, eingegriffen wird jedoch nur bei erheblicher Gefährdung.
Ist etwas zweischneidig.
Selea

Re: Wer ist denn da eigentlich "krank"???

Beitrag von Selea »

Hallo liebe riverflow. :)

Du sprichst Richtiges an.
Manche alten Eltern haben im Nachhinein Einsicht gezeigt, und sich vielleicht auch entschuldigt.

Vorallem auch dieses ganze Thema "Kindeswohlgefährdung".
Wann kann ein Jugendamt eingreifen.
Nein ___so schnell werden Kinder den Eltern nicht entzogen.

Ab wann ist eine körperliche Züchtigung ein schlimmes Trauma?
Ist es nicht eher die Summe der erlebten seelischen Missachtung und Gewalt?
Ich weiß es nicht.

Auf jeden Fall in meiner Generation war die Gewalt üblich.
Eine ungemeine Angst hat sie erzeugt.
Angst ist immer noch ein großes Thema bei mir____grundsätzlich.
Und aber auch eine unglaubliche Wut.
Und den festen Willen, sich nie wieder irgendwo und irgendwie so schlecht behandeln zu lassen.........

Ich spreche von mir___und komme damit allerdings vom Thema der Threaderöffnerin ab.
Verzeih, Much2Much.

Ich finde es ein interessantes Thema. Und bin gespannt, wer noch antworten wird, bzw. wie sich dieser Faden entwickeln wird.

Herzliche Grüße
Selea (ehemals Selas)
TFender
Beiträge: 68
Registriert: 8. Jun 2014, 20:27

Re: Wer ist denn da eigentlich "krank"???

Beitrag von TFender »

hallo zusammen,

also ich hab jetzt einen halben roman an text wieder gelöscht und schick ihn doch nicht ab.

nur so viel zu dem thema: was die sogenannte antiauthoritäre und gewaltfreie erziehung aus den letzten zwei generationen gemacht hat, sieht man ja. klar ist gewalt kein mittel, aber sie einfach zu verbieten, wo sie jahrhunderte lang gang und gäbe war, ist auch kein weg. zumindest nicht dann, wenn man den opfern von damals keine hilfe bietet und alternativen lehrt. gewalt ist fast immer ein zeichen von hilflosigkeit und überforderung. ich denke, man muss hier nicht nur den kindern helfen und halbgare gesetze rausschmeissen, sondern ganz besonders die eltern unterstützen - denn die sind genauso opfer, sie geben nur weiter, was sie gelernt haben.

und mal ganz im ernst: ich wüsste bei einigen meiner pupertären aktionen, die ich damals gestartet habe auch heute keine andere lösung, als ne kopfnuss. mit nem 15-jährigen reden und diskutieren? viel spass!


viele grüsse
tobias

*kopfeinzieh*
timmie2002
Beiträge: 1706
Registriert: 2. Nov 2012, 13:32

Re: Wer ist denn da eigentlich "krank"???

Beitrag von timmie2002 »

hallo much2much,

ein sehr emotionales erlebnis, deine reaktion für mich ganz und gar nachvollziehbar. und deine fragestellung im threadthema mehr als zutreffend.

schlimm, was vor vielen jahren passiert ist, genauso schlimm, wie heute damit umgegangen wird.
und so richtig schlimm: dass dieser umgang realität in vielen familien und haushalten ist.

mein persönliches erleben:

meine eltern leben nicht mehr. mein vater war täter. ich habe drei geschwister. für alle drei war das doch "gar nicht so schlimm", das war doch alles "normal".

in diesem zusammenhang kann ich mich nur auf das beziehen, was selas bereits geschrieben hat. zu lesen auch in dem buch "seelische trümmer", was hier bereits empfohlen wurde und ich ebenfalls nur weiterempfehlen kann.

gewaltsame erziehungsmaßnahmen haben eine gesellschaftliche tradition, waren legitim und sind es trotz veränderter gesetzeslage in vielen köpfen noch immer. "eine ohrgeige hat noch niemandem geschadet." wer eknnt diesen spruch nicht und solche äußerungen sind an der tagesordnung. unsere gesetzgebung ist in diesem fall dem bewusstsein eines großen teils unserer bevölkerung weit voraus.

und dememtsprechend ist der umgang damit, z.b. gerade auch so, wie du geschildert hast. verharmlosung oder ins-lächerliche-ziehen. dein partner wird sich dem kaum entziehen können. ihm wurde sein ganzes leben vorgemacht, dass es normal ist. ich bin in therapeutischer behandlung. wenn mein thera zu einer geschilderten situation aus meiner kindheit sagt: das ist ja schlimm, kann ich es ebenfalls nur schwer verinnerlichen, so sehr sitzen auch bei mir die gesellschaftlichen konventionen. ich kann dieser wertugn nur dann folgen, wenn ich mir vorstelle, dass es sich um ein fremdes kind handelt.

dass in der von dir geschilderten situation nicht einfach verharmlosung, sondern ins lächerliche- ziehen im vordergrund standen, interpretiere ich selber mal als ein zumindest vorhandenes schuldbewusstsein, das man verstecken will. traurig, dass es so ist. eine familiäre aufarbeitung in ehrlichkeit und offenheit könnte sicher für beide seiten hilfreich sein. fraglich, ob die mutter und andere familienmitglieder dazu bereit wären.

du möchtest deinen standpunkt gegenüber der familie klar machen. finde ich vollkommen berechtigt.
wie du dabei vorgehst, würde ich mir gut überlegen. geht es dir um die reine konfrontation mit der tatsache, bedarf es nicht vieler überlegungen. wünschst du aber eine veränderte haltung, ist bedachtsamkeit von nöten. reine vorwürfe werden nichts bringen.

ein gedanke noch von mir: vielleicht ist es erstmal viel wichtiger, mit deinem partner darüber zu reden. falls nicht schon geschehen- ihn erzählen lassen, wie er es als kind erlebt hat und wie er heute erlebt, eben auch die von dir geschilderte situation. nur ein gedanke von mir.

ich selber habe große probleme damit, wie meine geschwister mit unserer an sich gemeinsamen vergangenheit umgehen. aus meiner sicht verleugnen sie und denken, sie hätten verarbeitet, was uns an körperlicher und seelischer gewalt widerfahren ist. mein bruder ist der extremste fall. für ihn hat es diese gewalt gar nicht gegeben.

mir tut dieses verleugnen weh, richtig weh. aber was soll ich machen? ich hatte vor nicht allzu langer zeit einen versuch unternommen, meine zweitälteste schwester zumindest ein stück weit in "mein boot" zu holen, auch erst nach ihrer aufforderung, dass ich schonungslos ehrlich sein soll. das ist sowas von neben den baum gegangen. zusammenfassen kann ich die reaktion meiner schwester damit, dass sie mich gar nicht versteht.

da sie wirklich glaubt, die vergangenheit für sich verarbeitet zu haben, konfrontiere ich sie nicht mehr mit meinen gefühlen und meinem denken, weil es keinen sinn macht. wir sind auf verschiedenen verstehensebenen, was ich wohl nicht ändern kann. ich müsste lügen, wenn ich behaupten würde, dass es mir leicht fällt, im gegnteil. ich vermisse die anteilnahme durch meine geschwister. sicherlich wäre mir meine eigene aufarbeitung etwas leichter, wenn ich dabei unterstützung von ihnen bekäme. ich kann sie aber nciht einfordern. ich habe erkannt, dass sie sich letztendlich auch nur schützen. sie scheinen damit gut leben zu können und glücklich zu sein. dann soll es so bleiben.

manchmal fühle ich mich einsam.

glg final
Haferblues
Beiträge: 1004
Registriert: 21. Okt 2012, 12:50

Re: Wer ist denn da eigentlich "krank"???

Beitrag von Haferblues »

Hallo Selea, wieso die Namensänderung????

Zum Thema: bei der Geschichte rollen sich mir auch die Zehnägel hoch!!! In meiner Sippschaft gab es solche Situationen oft. Und ich galt als "überempfindlich" und "humorlos", weil ich dabei rein gar nix zum lachen finden konnte. Noch heute lege ich mich mit Leuten an, die "einen Klaps nicht schädlich" finden.

Ich wundere mich, dass das Opfer (dein Freund) dabei sitzen bleibt und seiner Mutter nicht an die Gurgel geht. Das wäre aus meiner Sicht die gesunde Reaktion. Sonst setzt er sich der psychischen Gewalt weiter aus. Und das muss kein erwachsener Mensch.

Gruß Rifka
Lebenskünstler sind Menschen, die schon vollkommen glücklich sind, wenn sie nicht vollkommen unglücklich sind.
Danny Keye
Antiope
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Re: Wer ist denn da eigentlich "krank"???

Beitrag von Antiope »

Hallo zusammen,

Also, ich halte es für sehr schwierig, in einer solchen Runde, völlig unvorbereitet, sich gegen den Rest der Zuhörerschaft zu wenden.
Ich glaube, da kann man niemanden einen Vorwurf daraus schmieden.
Auch, dass dann alle "mitlachen" ... für einige vielleicht nur Verlegenheitslösung.

Trotzdem darf man immer noch die Tatsache festhalten: die Frau ist Psychopath. Und setzt die Entwürdigung, die Zerstörung des eigenen Kindes (!!) auch heute noch fort.
Dass Dein Freund da nicht richtig reagieren kann, ist eigentlich einfach zu erklären. Als Kind musste er sich selbst davon überzeugen, dass die Misshandlungen "richtig" sind, sonst hätte das Kind, das er war, durchgedreht. Es war die einzige Lösung, die er hatte.
Sich wirklich dem Ganzen zu stellen, das erfordert ungeheure Kraft. Dein Freund müsste den Pseudozusammenhalt, die Pseudofamilie in Frage stellen, sich den Halt wegnehmen, den er sich als Kind mühsam geschaffen hatte.

Den Schritt aus diesem Familienerbe herauszutun, bedeutet, alle Brücken hinter sich abzubrechen, die tiefen Verletzungen endlich zum ersten Mal anzuerkennen.

Das Schlimme an der Sache ist: misshandelte Kinder können als Erwachsene zum "Täter" werden, selbst andere misshandeln, und wissen selbst nicht, wie es dazu kommen kann. Sie haben nichts anderes gelernt, nichts anderes erfahren. Liebe drückte sich bei ihnen als Schläge aus, so ihre kindliche Erfahrung.

Deine Reaktion war eigentlich goldrichtig: Dir ist einfach schlechtgeworden ob dieser Ungeheuerlichkeit.

Für mich ist es ein riesiger Unterschied, ob man mal die Nerven verliert oder ob man bewusst solange prügelt, mit "Werkzeug", bis solche Narben entstehen.
Beides ist nicht richtig, beides schadet Kindern. Im zweiten Fall wird eine Kinderseele zerbrochen.
ndskp01
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Re: Wer ist denn da eigentlich "krank"???

Beitrag von ndskp01 »

Ja, warum halten wir gewalt aus?

Ich kenne das auch, zum Glück nicht physisch, aber dennoch empfinde ich das Verhalten meiner Mutter zu mir oft als übergriffig und beherrschend. Und ich verstehe nicht, was mich davon abhält, dem etwas entgegenzusetzen, sei es nur, sie zu bitten, das Verhalten zu Unterlassen. Ich mache einfach weiter, das einzige was mir bisher möglich ist, ist da eben nicht mehr hinzufahren. Irgendwie fürchte ich, sie zu verletzen, wenn ich ihr sage, dass ihr Verhalten mich verletzt. Klingt komisch, ist aber so. Ich setze auch die "Harmonie" aufs Spiel, wenn ich mich wehre. Also nehme ich hin.

Gefällt mir gar nicht.

Puk
Much2Much
Beiträge: 18
Registriert: 29. Jul 2014, 12:54

Re: Wer ist denn da eigentlich "krank"???

Beitrag von Much2Much »

Hallo Ihr Guten,

Puuuuh, soviel so gute Reaktion und Beiträge. Danke Euch.

Riverflow,
danke für die Kraft-Wünsche. Ich warte auf den Moment, in dem es passt, so dass es sich sozusagen fast von selbst ergibt.


Selea,
deine Ausführungen machen gut klar, wie grausam verbreitet Probleme dieser Art, mit all den Folgen für die Betroffenen, sein müssen. Ein schwieriges Thema, u.a. da Gesetze allein natürlich nicht ändern können, was sich über Generationen als "ganz normal" eingebürgert - und geprägt hat.
Ich sehe es ebenso, dass es auch die Summe der Erfahrungen ist, die die "Schwere" eines Traumas ausmacht. Denn genau die macht doch das Gefühl der "Normalität" aus, welches gleichzeitig im Gegensatz zu den Bedürfnissen nach Halt, innerer Sicherheit, Unversehrtheit usw. steht.
Finde garnicht, dass Du vom wirklich Thema abgekommen bist. Es ist eben ein unheimlich weites Feld, mit komplexen, tief eingebrannten Folgen. Da sind Deine Ausführungen in meinen Augen durchaus sehr relevant. Auch für mich, da ich selber körperliche Gewalt in Form von Schlägen etc. praktisch nicht selbst erlebt habe.


Tobias,
ich muss zugeben, dass ich beim ersten Lesen der ersten Zeilen recht wütend wurde. Mit dem Weiterlesen hat sich das dann aber relativiert :)
Es gibt so manchen Erziehuns-"Stil", der mehr Schaden anrichtet, wenn auch häufig für Eltern, Lehrer usw. nicht offensichtlich, weil das Kind ja so schön artig ist. Bin mir nicht ganz sicher, ob Du wirklich antiautoritär oder eigentlich Laissez-faire meinst. Klar ist es wichtig Grenzen zu setzen, ein Kind muss lernen, dass sein Verhalten Konsequenzen hat, Strukturen und Verlässlichkeit. (Meine Mutter war im Grunde ebenfalls der Laissez-faire-Nicht-Erziehung zugetan, was mir, neben anderen Faktoren, die Möglichkeit geraubt hat, ein Gefühl der Sicherheit aufzubauen und so richtig Kind zu sein.)
Ich weiß nicht, was Du damals so angestellt hast, aber meinst Du, dass lag nur an der Pubertät? Nur so ein Gedanke.


Final,
was Du von Deiner Familie schilderst, stelle ich mir unheimlich hart vor. Da geht man selber an ein Thema heran, das einen verletzt, schmerzt, aufwühlt und paradoxe Emotionen hervorruft,... Und gerade die, die es miterlebt haben, scheinen es nicht mitzuempfinden. Mir selbst geht es mit belastenden Situationen häufig so, dass es sich nach einer Weile nicht mehr real anfühlt. Es ist dann mehr so als würde ich mich noicht an die Situation selbst, sondern nur an die Erinnerung daran erinnern. Das ansich finde ich schon mehr als nur unangenehm, da es mich so sehr an mir, meiner Wahrnehmung, meinen Erzählungen, meiner Berechtigung entsprechend zu empfinden zweifeln lässt. Ein Verhalten bzw. eine Sicht, wie die Deiner Geschwister, führt bei mir dazu, dass sich dieses Zweifeln noch verstärkt ("Wie kann ich dem/der dieses oder jene´s nur vorwerfen. Ich stell mich ja nur an").
Daher um so mehr Achtung, dass du es akzeptierst und auch, wenn es schwer fällt -das ist selbsverständlich- Deinen Weg gehst. Verständlich auch, dass Du Dich gerade mit der Situation manches Mal einsam fühlst. Aber ich finde, Du kannst Dir wirklich auf die Schulter klopfen.
Dass man sich erst in die Situation eines anderen Kindes hineinversetzen muss, um fühlen und begreifen zu können, was man selbst als Kind durchlitten hat.. Ja, das geht mir auch so. (Aber auch mit späteren Erfahrungen, manchmal sogar noch mit aktuellen) Ich finde, das macht sehr gut deutlich, wie sehr wir gelernt haben, nicht auf uns selbst zu achten.
Ich glaube nicht, dass es jemals zu einer konstruktiven Auseinandersetzung mit diesen Themen innerhalb der Familie kommen wird. Mein Freund selbst würde das beim derzeitigen Stand auch überhaupt nicht wollen und vielleicht auch noch nicht können. - Im Grunde verständlich, wie ich finde.



Rifka,
ich denke zwar auch, dass es die gesundere Reaktion wäre, sich jetzt zu wehren. Zu wehren gegen das jetzige, aber damit auch gegen das damalige Verhalten der Mutter. Aber ich finde es gleichzeitlich verständlich, dass er das (noch?) nicht kann. Ich habe schon den Eindruck, dass er sich da insgesamt (meistens ;) ) in eine gute Richung entwickelt, aber ich kann gut nachvollziehen, dass die Angst vor noch mehr Verletzung, noch mehr "ins Lächerliche ziehen", noch mehr Vorwürfen in seine Richtung, noch mehr Aufühlen der doch eigentlich beendeten Vergangenheit größer ist als das bewusst empfundene Bedürfnis nach Klärung, Klarstellung, Abstand, Verarbeitung etc.



Antiope,
gut auf den Punkt gebracht, wie ich finde. Das hat mir mal wieder Tränen bereitet und tut irgendwie gut.



Puk,
ja, auch wenn es schwer ist, sich das Aushalten statt Wehren zu erklären, so halte ich das mal wieder für etwas für uns Depris sehr typisches. Und ich finde, Antiope hat es sehr gut beschrieben, was man gefühlt riskiert, wenn man sich wehrt. Das man für sich selbst viel mehr gewinnen kann.. -Dieses Gefühl kommt nicht gegen die große Angst an, die sich uns so zu eigen gemacht hat.
Ich wollte meiner Mutter gegenüber auch nie klarstellen, was mein Problem mit ihr ist, das ich erstarre, mich innerlich auflöse, sobald sie in meiner Nähe ist. Ein damaliger Freund hat mir da nen Strich durch die Rechnung gemacht. Er sagte etwas wie: "Ihr solltet mal etwas klären". Dann ging er raus und meine Mutter wollte wissen was los ist, also hab ich erzählt. Ihre Reaktion war ähnlich wie erwartet. Ich habe dann den Kontakt größtenteils abgebrochen.
Ich kann mir gut vorstellen, dass Du irgendwann den Mut fasst und ich bin überzeugt, dass (wie auch immer ihre Reaktion ist), es Dir dann zumindest im Nachhinein mehr gut- als schlechttut.




Liebe Grüße Euch!
TFender
Beiträge: 68
Registriert: 8. Jun 2014, 20:27

Re: Wer ist denn da eigentlich "krank"???

Beitrag von TFender »

hallo much2much,

ich dachte mir schon, dass mein beitrag nicht so ohne weiteres von jedem akzeptiert wird. find ich vollkommen ok, dass er dich erstmal wütend gemacht hat (wut ist auch ein zeichen von leben :lol:). nein ich bin kein freund von laissez-faire. ganz im gegenteil - ich glaube, dass es nichts wichtigeres und stabileres für menschen gibt, als regeln. auch ein kind macht sich gedanken über konsequenzen. vielleicht nicht so sehr und vorausschauend wie erwachsene das tun (sollten), aber es weiss bei vielen sachen schon, ob das jetzt ok ist, oder womöglich bei irgendwem schlecht ankommt. früher war die überlegung recht simpel in der art: gibts dafür ne tracht prügel, oder komm ich mit ner woche stubenarrest durch? wobei für mich persönlich stubenarrest immer die schlimmere strafe war, was vermutlich auch ein grund war, dass meine aktionen dumm genug angelegt waren, um lieber die prügel zu kassieren... aber ich schweife ab *g*...

ich halte auch nicht viel davon, alles ewig diskutieren und erörtern zu müssen. klar versuche ich mir erst alle seiten anzuhören, aber wenn ich eine strafe ausgesprochen habe, dann gilt die und fertig - diskussion beendet. wichtig ist, dass sich die eltern in dieser hinsicht einig sind und die verteilung nicht einseitig geschieht. was übrigens nach meiner erfahrung super funktioniert ist, die kinder die strafe selbst bestimmen zu lassen. meist würden sie sich selbst härter bestrafen als ich, was mir die möglichkeit gibt einzuschätzen, wieviel verständnis mein kind selbst für die sachlage hat und natürlich auch, nachsichtig zu sein. wichtig bei der bestrafung ist meiner meinung nach aber, dass genau klar ist, wofür es die strafe gibt. so sätze wie "du weisst schon, wofür das war" sind wenig sinnreich (zumindest hatte ich immer mehrere sachen auf dem kerbholz und wusste tatsächlich nicht immer, was ich denn gerade von der liste streichen konnte). noch ein schöner satz aus meiner kindheit ist übrigens: "das tut mir mehr weh als dir"... prima, und warum machst du es dann?

es muss grenzen und strafen geben und die müssen so klar und "kalkulierbar" sein, dass die kinder von vornherein abschätzen können, was geht und was nicht. das gilt für 2-jährige genauso wie für 15-jährige (natürlich mit altersentsprechenden strafen). und bestrafung beinhaltet für mich ab einem gewissen alter auch ne kopfnuss. ich differenziere für mich (egal, was andere dazu meinen) zwischen einer kopfnuss (im sinne von mit der flachen hand auf den hinterkopf oder den hintern, der aktuellen körperlichen verfassung des kindes entsprechend) und prügeln/schlagen (im sinne von draufdreschen - womöglich noch mit gürtel, hausschuhen oder anderen hilfsmitteln, die gerade zur hand sind, bis der eigene frust verraucht). letzteres ist natürlich völlig indiskutabel, das sollte klar sein - und davon möchte ich mich auch so weit wie möglich distanzieren. aber ich denke - und das mag für viele krotesk klingen - solange man auch bei der kopfnuss feste regeln befolgt, ist das durchaus legitim. die regeln, die ich mir dafür gesetzt habe sind: niemals ins gesicht, niemals auf nackte körperstellen, niemals mehr als einmal schlagen und niemals mit "hilfsmitteln" oder faust. ich kann mir schon vorstellen, was für kommentare ich jetzt zu erwarten habe, aber ich stehe dazu. ich denke, wer diese regeln immer im kopf hat, wird niemals sinnlos oder im affekt drauflos dreschen und den frust des tages an seinen kindern abladen. genauso wird man niemals (wie ich es erfahren musste) mit einem holzbügel solange auf die hände schlagen, bis die finger blau sind. um das nochmal klar zu stellen: ich rede hier davon, hin und wieder eine kopfnuss zu verteilen. nicht von permanentem einsatz als strafemassnahme.

und ganz ehrlich, wenn man sich anschaut und liest, was heuzutage alles als beschränkung der kindlichen entwicklung und psychische gewalt angesehen wird, dann fragt ich mich, was überhaupt noch als bestrafung möglich und erlaubt ist. letztlich habe ich einen artikel gelesen, in dem beschrieben wurde, wie man dem kind durch handy- oder internetverbot psychisch schadet, weil es ja die kommunikation und den kontakt zum freundeskreis abschneidet. tschuldigung, aber für solche ansichten hab ich gar nichts übrig.


viele grüsse
tobias
Christiane1
Beiträge: 583
Registriert: 19. Dez 2013, 09:10

Re: Wer ist denn da eigentlich "krank"???

Beitrag von Christiane1 »

Hallo Much2Much,

ich habe gestern schon Deinen Anfangsbeitrag gelesen und empfand
auch sofort ein Kribbeln und verstand Deine Reaktion bei der Mutter
Deines Freundes total.

Wie hätte ich reagiert, fragte ich mich dann.
Je nach Tagesform entweder sauer und sowieso nicht mitlachend, aber
auf jeden Fall peinlich berührt.

Ich habe aber auch eine extrem niedrige Toleranzschwelle bezüglich elterlicher Erziehung und Strafen, somit könnte ich diesem Müll gar nicht zuhören ohne selber laut zu werden.

Es ist richtig was Du fühlst und ich verstehe auch deinen Freund irgendwie.
Vielleicht hat er sich schon daran gewöhnt, dass so über seine Kindheit gesprochen wird und die Mutti sich selbst so scheinbar gutmütig ins Bild setzt.
Das ist natürlich totaler Quatsch und weiss er bestimmt auch.
Aber der Leidensdruck ist bei jedem Menschen anders, manche kommen einfach besser klar damit als andere.

@Tobias
Hi Tobias,
mit Interesse las ich Deine Beiträge und empfand eine ordentliche Mischung
aus Verständnis für Deine Meinung und dennoch ungute Gefühle.
Das liegt daran, dass ich solchen Themen wie richtiger Bestrafung von Kindern schon eines abspreche, nämlich die Berechtigung.

Ich finde, dass Du sehr viele Kontrollen eingebaut hast in Deine Vorstellungen, ab welchem Alter, wie und mit welcher Konsequenz für das Kind eine Strafe richtig wäre.
So viel Logik und Ruhe zu haben, um zu überlegen, reicht eine Kopfnuss
für den 15-jährigen oder ein Klaps auf den Po für den 4-jährigen sind sehr theoretisch und selbst dann ist das provokativ.

Wenn Du das so handhabst und Dir jedesmal bewusst bist, dass Du nur genau die Portion Strafe verteilst, die das Kind gerade verdient hat, Glückwunsch.
Die meisten können das nicht, weil Wut auf das Kind sehr wohl eine Rolle spielt und Eltern fühlende Wesen sind, die ihren Frust dabei herauslassen.

Gestört hat mich am meisten, dass Du sogar Strafe gegen 2-jährige nicht ausschliesst, ich meine damit nicht, dass Du das machst.
Sondern dieses Abwägen von-bis, ist das nicht ein bisschen seltsam ?

Ich kenne diese Mechanismen und Rechtfertigungen genau und mag das überhaupt nicht mehr lesen oder hören.
Du hast eine Soll-Situation beschrieben, die mit der Ist-Situation kaum etwas zu tun hat. Wie gesagt, wenn Du aber so kontrolliert und bewusst bist und Deiner Meinung nach richtig "dosierst", prima.

Ich glaube Dir das aber nicht.

Liebe Grüsse
Christiane
krimi56
Beiträge: 1919
Registriert: 25. Dez 2011, 11:45

Re: Wer ist denn da eigentlich "krank"???

Beitrag von krimi56 »

Hallo Ihr Lieben,

ich habe mir eure Beiträge sehr interessiert durchgelesen und anschließend versucht ein Resümee meiner Kindheit und die meines Mannes zu ziehen. Bei unseren Eltern galt auch die Devise " ein Klaps hat noch niemanden geschadet", wobei es nie bei einem Klaps geblieben ist. Mutter setzte mit Vorliebe bei meinen Brüdern den Kochlöffel ein. Ich bekam diese schmerzhaften Erziehungsmethoden nicht zu spüren, da ich bei meinen Großeltern aufwuchs. Dafür gebrauchte mein Vater die Drohung "Wenn du nichts gehorchst kommst du zu uns". Eine seelische Folter, denn um keinen Preis wollte ich zu meinen Eltern. Dann lieber den Kochlöffel auf den Po.
Meine Großeltern erzogen mich mit viel Liebe und gegenseitigem Respekt. Ja Respekt, auch mir als Kind gegenüber. Die Strafe die ich bekam bestand eher darin ins Bett zu müssen bevor die Zeit dafür da war.

Mein Mann erzählte, dass er und seine Schwester wenig Schläge bekamen und wenn, dann aber heftig und auch schon Mal unkontrolliert. Die Strafe der Nichtbeachtung war eher an der Tagesordnung.

Als dann unsere Kinder da waren, fand ich es oft schlimm die richtige Strafe zu finden, wenn es denn überhaupt eine "Richtige" gibt. Und dann noch diszipliniert mit sich selbst vorgehen, wie Tobias es beschreibt, das funktioniert sehr, sehr schwer.

Mir half bei meinen Eltern nur die Abgrenzung. Meine Mutter setzte oft ihre physische Krankheit als Druckmittel gegen uns Kinder ein. Diese Abgrenzung hat mir geholfen, so möchte ich es heute benennen, meine Kindheit ohne ein Trauma zu überstehen. (Ich wuchs zwar bei meinen Großeltern auf, aber wir lebten alle zusammen in einem großen Haus, jeder in seiner Wohnung.)
Ich habe aber auch nie erfahren dürfen wie es ist "Kind von Eltern zu sein". Ich war Kind bei Großeltern.

So habe ich auch erst mit meinen Kindern gelernt, wie eine Eltern-Kind-Beziehung sein kann.
Heute weiß ich, dass meine Mutter nicht nur körperlich krank war, sondern auch psychisch. Für mich im Nachhinein erkennbar an ihren Handlungen.

Antiope hat in ihrem Beitrag mein Herz angesprochen. Danke!

Wie Selas es beschreibt, habe ich als eine von der älteren Generation auch noch die Prügelstrafe an den Schulen mitbekommen. Wobei es zum Glück auch Lehrer gab, die den Respekt der Schüler auf eine Weise erwarben, die das Einsetzen eines Stockes ausschlossen.

Es ist ein sehr weites Feld - die Bestrafung. Ich kann mich auch noch gut daran erinnern, in welchem Zugzwang man später selbst als Eltern von Kindern kam, wenn die eigenen Kinder über die Strenge schlugen und die ältere Generation von uns erwartete, harte Maßnahmen zu ergreifen und wir uns so hilflos fühlten.

Und es ist auch heute weiter schwer den alten Eltern klar zu machen " was ihr da gemacht habt war Misshandlung" und sich abzugrenzen, was aber in manchen Fällen erforderlich ist.

Hätten sie es damals besser wissen müssen? Hätten wir an ihrer Stelle in dieser Generation anders gehandelt?
Heute müssten es Eltern besser wissen und reagieren zum Leidwesen ihrer Kinder immer noch mit Gewalt, physisch wie psychisch.

krimi
"Denk nicht daran, wie viel zu tun ist, welche Schwierigkeiten zu bewältigen sind oder welches Ziel erreicht werden soll, ...sondern widme dich gewissenhaft der kleinen Aufgabe, die gerade ansteht."
- Elisabeth Tova Bailey -
riverflow
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Re: Wer ist denn da eigentlich "krank"???

Beitrag von riverflow »

Hallo Tobias,

tut mir leid, wenn jemand ganz nüchtern und theoretisch überlegt, wie ein Kind wann zu hauen ist und versucht, das zu rechtfertigen, läuft es mir noch mal kälter den Rücken herunter, als wenn einem Elternteil aufgrund einer emotionalen Überrreaktion "die Hand ausrutscht" (auch wenn das schon kein korrektes Verhalten ist). Wir sind alle Menschen und ich denke, so etwas kann passieren - aber dann sollte auch der Mumm da sein, sich beim Kind zu entschuldigen und zu erklären, dass diese Reaktion mehr mit der eigenen Person, mit den eigenen Emotionen zu tun hatte!

Gewalt gegen Kinder sollte ein ABSOLUTES No-Go sein!
Wie kann man theoretisch darüber nachdenken, in welcher Nuance/ Stärke/ Position man wohin hauen darf?
Und gerade gegen den Kopf! Eine "Kopfnuss" wie Du es so schön nennst, ist doch auf der einen Seite sogar gefährlich und auf der anderen ist ein Schlagen gegen den Kopf absolut demütigend!
Es sind kleine Menschen, kleine Persönlichkeiten! Wenn sich z. B. im Straßenverkehr jemand unmöglich benimmt, haue ich doch auch nicht mal eben zur Strafe rein.

Gewalt erzeugt Gegengewalt. Dann ist es kein Wunder, wenn die geschlagenen Kinder in der Schule mal eben auf noch kleinere Kinder "erziehend" mit einer Kopfnuss einwirken.
TFender
Beiträge: 68
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Re: Wer ist denn da eigentlich "krank"???

Beitrag von TFender »

hallo zusammen,

@riverflow: bitte lies doch erst nochmal nach, bevor du mir irgendwas unterstellst. ich hatte geschrieben, was ich unter dem oberbegriff "kopfnuss" verstehe. welche formulierung wäre dir denn lieber? klaps? klatsche? ein paar hinter die löffel? nickhilfe? ... und ob es "besser" ist, ein kind erstmal zu schlagen und sich dann hinterher zu entschuldigen und zu rechtfertigen, anstatt sich selbst von vornherein zu kontrollieren und zu überlegen, das möchte ich an der stelle mal offen lassen.

@christiane1: warum sollten 2-jährige nicht bestraft werden? gerade in dem alter werden die ersten grenzen ausgetestet. man hat in dem alter zwar weitaus mehr möglichkeiten der intervention als später, aber wenn z.b. 3mal gesagt wird, dass der backofen heiss ist und sie da nichts zu suchen hat, gibts beim vierten versuch dranzufassen eine körperliche reaktion. kinder müssen nicht zwingend jede erfahrung selbst machen, schon gar nicht wenn sie ihnen schadet. wäre also abzuwägen: verbrannte finger, die tagelang schmerzen oder ein klaps, der 3 minuten lang weh tut. und ob du mir meine aussagen glaubst oder nicht, ist mir eigentlich nicht wichtig. aber nur weil du es vielleicht nicht für möglich hältst oder nicht kennst, heisst es nicht, dass ich lüge. bevor ich krank geworden bin, hatte ich mich tatsächlich noch vollkommen unter kontrolle. man hat mich auch gern als schlaftablette bezeichnet, weil ich mir meistens erst überlegt habe, wie ich reagiere oder was ich sage.


nächtliche grüsse
tobias
riverflow
Beiträge: 535
Registriert: 4. Apr 2014, 11:30

Re: Wer ist denn da eigentlich "krank"???

Beitrag von riverflow »

@ Tobias,

ich habe sehr genau gelesen! Klaps, Klatsche, Ein paar hinter die Löffel, Nickhilfe sind allesamt demütigend (allein von der Wortwahl her schon!!!!) und haben in der Erziehung von Kindern ABSOLUT NIX verloren!!!! Tiefschwarze Pädagogik!
Ich habe nicht gesagt, dass es ok ist, ein Kind erst mal zu schlagen, ich habe gesagt es kann passieren, weil Menschen Menschen sind und keine Roboter, die sich immer kontrollieren können. Wenn es aber geschieht, sollte man schon über genügend Selbstreflexion verfügen, um sich kritisch damit auseinandersetzen zu können. Die Kinder erleben so, dass auch Eltern Fehler machen können, dass man zu Fehlern stehen kann und dass sie es wert sind, eine Entschuldigung zu erhalten!
Sucht man jedoch Legitimationsgründe fürs Prügeln, machen die Kinder wohl eher die Erfahrung, dass ihre Gefühle nicht sehr viel wert sind. Ein gesundes Selbstwertgefühl bzw. Konfliktlösefähigkeit, eine vertrauensvolle Beziehung wird sich so wohl eher nicht ausbilden.

Bezügl. des Herdes: Wenn Kinder also erleben, dass sie durch menschliche Gewalt "geschützt" werden sollen, das ist schon eine arg skurrile Erfahrung. Damit machen sie nicht die Erfahrung, dass sie selbst "hinfallen und wieder aufstehen" können (wobei sie vor Brandwunden schon geschützt werden sollten, aber nicht durch Schläge!), sondern sie erleben Gewalt durch die Hand eines Menschen, dem sie eigentlich vertrauen sollten. Und das prägt! Es ist also nicht ihre eigene Erfahrung und ein "Ding", das sie verletzt, sondern ein Mensch, ein besonders nahestehender Mensch.

Ich finde die Ausrichtung von STEP sehr gut - bei diesem demokratischen Programm werden mit den Kindern altersgemäße Grenzen ausgehandelt (nein, nicht totdiskutiert). Die Kinder werden am Lösungsprozess beteiligt. Das führt zu gegenseitigem Respekt. Es wird an der Beziehung gearbeitet und diese verbessert.
Ich kenne es so, dass striktes Abstrafen ohne vorheriges Gespräch eher auf eine fehlende Bereitschaft, sich mit den Kindern auseinanderzusetzen, bzw. fehlende Kommunikationsbereitschaft oder -fähigkeit hindeutet!
Christiane1
Beiträge: 583
Registriert: 19. Dez 2013, 09:10

Re: Wer ist denn da eigentlich "krank"???

Beitrag von Christiane1 »

Hallo Tobias,

bevor es den Anschein erweckt, dass ich nun Dir eine Kopfnuss verpassen
möchte hier, gleich zu Beginn, es ist absolut nichts Persönliches.

Vielmehr finde ich es mutig wenn jemand eine Ansicht vertritt und damit
auch Gegenwind produzieren kann.

Mir fällt auf, dass wir eigentlich alle ein- und dasselbe meinen, nämlich Gewalt hat in der Kindererziehung nichts zu suchen.
Es fällt mir aber unendlich schwer die minimalen Abstufungen zu erkennen, wahrscheinlich, weil ich das in der Realität so noch nie beobachtet habe und,
ganz richtig, selber auch nie kennengelernt habe.

Das Beispiel mit dem heissen Herd ist einfach und lässt einem kaum Raum, denn verbrennen soll sich das Kind nicht, also muss die andere Lösung her.
Wie schon gesagt, wenn Du es schaffst, diese feinen Abgrenzungen zu sehen und zu leben, wärest Du die grosse Ausnahme.

Zu dem Kleinkind möchte ich noch etwas sagen.
In diesem Alter sind sich Kinder absolut noch nicht über die Tragweite ihrer
Handlungen bewusst, ihre Fixierung gilt den Eltern und wie die reagieren.
Hinterher wissen sie meist gar nicht mehr wofür sie bestraft wurden, sie
merken sich aber die Strafe und vor wem sie künftig vielleicht Angst haben müssten.

Das war dann nicht das gewünschte Ziel, aber erkläre das mal einem kleinen Stöpsel.
Letztlich macht die Summe und Intensität der Bestrafungen später das aus
einem Kind, worüber sich dann viele Eltern wundern. Und dann wird das Kind älter, die Bestrafungen oder Sanktionen "altersgerechter" und für Dich vielleicht sinnvoller, aber für das Kind ganz sicher nicht, es zählt mit.

Die schöne Theorie fällt in sich zusammen und der ganze Plan sowieso.
Es kann für mich nur eine einzige Möglichkeit geben, die Hand, die mich
füttert soll mich nicht negativ berühren.
Wenn es doch mal passiert aus einer Situation heraus, die absolut nicht gewollt war, dann ist das so und man muss darüber reden.
Aber von vornherein so etwas für sich einzuräumen als richtige Massnahme
kann ich nicht verstehen.

Gruss
Christiane
Antiope
Beiträge: 1695
Registriert: 10. Jan 2011, 21:38

Re: Wer ist denn da eigentlich "krank"???

Beitrag von Antiope »

Hallo zusammen,

meine "Kopfnüsse", die ich bekommen habe, waren nicht nur eine Ohrschelle, sondern ein kurzer Hieb, von oben, mit der geschlossenen Faust, ausgeführt mit den ersten Fingergelenken. Viel schlimmer für mich war jedoch die Angst, die durch den Zorn der Eltern erzeugt wurde.

Für mich stellt sich grundsätzlich die Frage, ob man Kleinkinder überhaupt strafen muss. Zum Beispiel Herd: es hat einen eindeutigen und trivialen Grund, nicht hinzufassen. Somit kann ich Klein-Oskar darauf hinweisen und vor der Gefahr warnen. Viel gefährlicher sind doch die nicht einsichtigen Gefahren. Aber lernt das Kind, dass Steckdosen keine Spielgeräte sind, wenn es eine Strafe beim Zuwiderhandeln zu erwarten hat, oder lernt es nur, absolut gehorsam zu sein (und seine Pläne dann umzusetzen, wenn niemand hinschaut)?

Auch wenn Strafen durch die Jahrhunderte hindurch "üblich" waren, legitimiert das grundsätzlich überhaupt nicht die Tatsache an sich. Mit diesem Argument kann man auch Todesstrafe oder äußerst brutale Körperstrafen legitimieren, das Gefangenhalten psychisch Kranker außerhalb der Orte, das Verhungernlassen der Armen und Alten.

Wer der Leser und Leserinnen hier hat als Kind Schläge, Prügel, Kopfnüsse und dergleichen bekommen und hält es bis heute noch für angebracht oder absolut in Ordnung? Wer hat wirklich von diesen Strafen profitiert, kann behaupten, sie haben ihm oder ihr gutgetan?
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