Problematik Wendezeit DDR/BRD --> Deutschland

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Traurige Biene
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Problematik Wendezeit DDR/BRD --> Deutschland

Beitrag von Traurige Biene »

Moin, moin,

ich bin 1975 geboren und in der DDR aufgewachsen. Zur Wende war ich somit ca. 15 Jahre alt und für mich kam vieles wie aus heiterem Himmel. Von heute auf Morgen war alles schwarz, was vorher weiß war und umgekehrt...

Ich bin mir noch nicht sicher, was ich von diesem Thread erwarte, aber ich weiß, dass das Thema nicht ganz unwichtig in meiner weiteren Therapie sein wird.

Bin neugierig auf Eure Beiträge aus "Ost" und "West"
--> North is my Nature!!!

Eurer Bienchen
Dem Wunder leise, wie einem Vogel, die Hand hinhalten
Haferblues
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Re: Problematik Wendezeit DDR/BRD --> Deutschland

Beitrag von Haferblues »

Hallo Biene,

ich glaube, dein Thema ist sehr wichtig. Bestimmt waren viele total verwirrt, wenn alles Gelernte auf einmal nicht mehr galt. Und die Eltern der damals Jugendlichen ware wahrscheinlich ebenfalls verwirrt und konnten keinen Halt geben. Das ist für uns Wessies schwer vorstellbar. Die Wende muss für viele Leute ein echter Kultuschock gewesen sein.

ich glaube, dieses Thema passt gut zu AnnaDs Thread von den Kriegsenkeln. Die Menschen aus der ehemaligen DDR mussten zweimal einen Systemwechsel verkraften. Und seit der Wiedervereinigung hat der Kapitalismus an Grausamkeit gewonnen. Es ist für alle eine große Veränderung gewesen - und nicht immer eine Verbesserung.

viele Grüße
Rifka
Lebenskünstler sind Menschen, die schon vollkommen glücklich sind, wenn sie nicht vollkommen unglücklich sind.
Danny Keye
Traurige Biene
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Re: Problematik Wendezeit DDR/BRD --> Deutschland

Beitrag von Traurige Biene »

Moin Rifka,

danke für Dein Verständnis und irgendwie hast Du es auf den Punkt gebracht: Ja, es war ein Kulturschock! Aber nicht nur von außen, auch viele DDR-Bürger schienen von heute auf morgen anders zu sein - Wendehälse halt. Das es für die andere Seite ebenfalls nicht leicht war, ist klar, es war eben ein großes Experiment, das irgendwie zufällig halbwegs gut gegangen ist.

Es ist lange her und trotzdem höre ich immer wieder, wie viele Schuldzuweisungen auf BEIDEN Seiten existieren. Erst gestern hat mir ein Kollege klar gemacht, dass die Rentner der DDR doch alle Schmarotzer sind, weil sie ja nicht wirklich gearbeitet haben und jetzt die fetten West-Renten kassieren. Da bin ich sprachlos und fühle mich und vor allem meine Eltern gedemütigt. Solche Dinge sind es, die mich einfach belasten, auch weil ich nicht genügend argumentieren kann oder darf. (bin ja erst 15 gewesen...) Manchmal denke ich, so muss es Migrantenkindern gehen, weder in der einen Welt, noch in der anderen Welt wirklich zu Hause...

Bienchen

Übrigens, der Thread über die Kriegskinder/Kriegsenkel war der Auslösegedanke für diesen Thread.
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Antiope
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Re: Problematik Wendezeit DDR/BRD --> Deutschland

Beitrag von Antiope »

Ich denke, das, was so nachhaltig wie ein Erdbeben wirkte, war die Tatsache, dass das, was bisher als "gut" und "richtig" gegolten hat, plötzlich nicht mehr galt. Plötzlich stellten sich Ziele als Illusionen heraus, Werte galten nicht mehr. Alles, wonach man sein Leben eingerichtet hat, war schlagartig weg.
Obwohl man sich nicht wohl fühlte in diesem System, hat man sich damit arrangiert. Und einiges *war* besser. Vielleicht hatte man noch Träume, hat doch noch Visionen von einem besseren Leben gehabt. Und dann rutscht alles weg, alles, wofür man gelebt, gearbeitet, gehofft hatte, galt nicht mehr, war "Dummheit", "Irsinn" und anderes.
Das ist traumatisch.

Und dann kamen die westlichen Unternehmen wie die Heuschrecken und haben vieles auf schreckliche Art und Weise an sich gerissen, Leute auf miese Art und Weise betrogen, sie enteignet. Richtiger Kolonialismus.
Was damals geschah, war furchtbar. In dieser Zeit habe ich mich für den Westen entsetzlich geschämt.

Vielleicht ist es bei Migrantenkindern nicht gar so schlimm, da sie nicht ihr Weltbild gänzlich aufgeben müssen.
Aber jeder musste alte Werte zurücklassen und neue erlernen.

Bei den Kriegskindern kommt noch etwas hinzu: zu erkennen, dass in der Verwandtschaft Täter waren, dass man vielleicht selbst für ein menschenverachtendes System zum Täter geworden ist oder geworden wäre. Dass man blind war und damit fundamentale Rechte anderer wie Würde und Lebensrecht ignorierte. Darüber wurde geschwiegen, musste geschwiegen werden - und man konnte die eigene Schuld oder die der Eltern, Grosseltern, Geschwister und anderer Verwandten nicht "bearbeiten".
white hope
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Re: Problematik Wendezeit DDR/BRD --> Deutschland

Beitrag von white hope »

Liebe Biene,

lass Dich nicht ärgern und nicht verunsichern. Leute mit Vorurteilen wird’s immer geben.

Ich bin im Westen aufgewachsen. Meine Mutter ist Anfang der 50er kurz vor Ihrer Verhaftung in den Westen geflüchtet und hat Ihre Familie zurücklassen müssen. So gut es unter den damaligen Bedingungen ging, haben wir Kontakt gehalten. Obwohl ich nie dort gewohnt habe ist Mecklenburg meine Heimat – dort sind meine Wurzeln.

Nur weil ich heute im Osten wohne, werde ich oft als Ossi eingeordnet. Manchmal klär ich das auf -
habe ein bisschen diebische Freude an der Verlegenheit die dann spürbar ist. Anderseits bekomme ich auch von Nachbarn, Arbeitskollegen meinen "Wessistatus" vorgehalten. Ich trag` s mit Fassung. :)

Liebe Grüße
White hope
Haferblues
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Re: Problematik Wendezeit DDR/BRD --> Deutschland

Beitrag von Haferblues »

Hallo Biene,

warum solltest du nix sagen dürfen?? Wenn einer dummes Zeug schwätzt, darf man in jedem Alter dagegen argumentieren. Viele glauben, sie bekämen von der Rentenversicherung genau das zurück, was sie eingezahlt haben. Das stimmt nicht. Es ist ein Sauerei, Menschen als Schmarotzer zu bezeichnen!!!!!! Diese Denke hat schnurstracks in die Gaskammern geführt.

Ich glaube, es gibt viele Parallelen zwischen der "Wende" und der Nachkriegszeit. Auch damals gab es schlagartig keine Nazis mehr. So wie später keine überzeugten Kommunisten. Natürlich war die DDR nicht so verbrecherisch wie das Naziregime. Aber Tote gabs auch. Und auch jede Menge Ungerechtigkeit.

Wir im Westen bilden uns was ein auf unsere Demokratie. Die hat man uns aber mehr oder weniger aufgezwungen (und wie beschämend niedrig ist die Wahlbeteiligung???). Es gibt noch genug Leute, die ständig nach "der Obrigkeit" rufen und gerne "einen starken Mann" ander Spitze hätten. Eigentlich sollten beide Seiten etwas bescheidener sein und zusehen, was wir von beiten Systemen Gutes behalten können. Stattdessen wird nur aufs Geld geschaut. Ich finde es schade, dass viele Leute das Ganze auf Bananen reduzieren.

Du hast wohl Recht, dass es Migranten wahrscheinlich oft ähnlich geht. Vor allem beobachte ich das bei sogenannten Spätaussiedlern aus der ehemaligen Sowjetunion. Die sind oft deutscher als wie, weil die mit einem unrealistischen Deutschlandbild hier her gekommen sind. Und die Leute hier fühlen sich "überfremdet". Dabei wandelt sich alles ständig. Nur der Mensch bleibt am Vergangenen kleben.

viele Grüße
Rifka
Lebenskünstler sind Menschen, die schon vollkommen glücklich sind, wenn sie nicht vollkommen unglücklich sind.
Danny Keye
Selea

Re: Problematik Wendezeit DDR/BRD --> Deutschland

Beitrag von Selea »

Hallo Traurige Biene :)

Ein interessanter Thread.
Rifka :) hat ja schon geschrieben, dass dieser Thread hier und der Thread über Kriegsfolgen etc. eigentlich zusammengehören.

Ein Stück weit prägen uns Menschen auch immer die politischen Gesellschaftssysteme. Es ist einfach so.

13.8.61 Mauerbau.

Ein unseliges Relikt daraus, dass das geschlagene Hitlerdeutschland in vier Besatzungszonen aufgeteilt wurde.

Der Teil Deutschlands, der den westlichen Besatzungszonen angehörte, kam schneller in einen gewissen Wohlstand, in ein Wirtschaftswachstum.
Das sind halt geschichtliche Fakten.

Die Trennung in Ostzone und Westdeutschland hat ja viele Wunden in Familien geschlagen. Diese Trennung von Familien durch diesen "Eisernen Vorhang".

So meine Eltern, meine Familie.
1961 war ich 7 Jahre alt, meine Eltern 39.
Bis auf meine letztlebende Tante Gitti die auch hier im Westen lebte, leben und lebten alle Verwandten nach Krieg und Flucht in der jetztigen DDR.

Diesen Tag des Mauerbaus werde ich nie vergessen, das Entsetzen meiner Eltern. Die Trauer, der Schmerz.
Die vielen Jahre, in denen kaum Kontakt möglich war zu den Familien.
Briefe kamen nicht an, wurden geöffnet, Zensur sozusagen.

Einreisemöglichkeiten für uns Westler nach tausend Bittanträgen....vielleicht möglich.
Bei der Einreise dann:
Stundenlange Bearbeitungen meines Vaters, der in einem renommierten Industrieunternehmen arbeitete, um Firmengeheimnisse rauszupressen, und vorallem , ihn auch als Industriespion zu accerieren.

Und dann bei den wenigen Besuchen zu sehen, wie armselig unsere Verwandten lebten. Wie wenig sie hatten.
Dann die ewigen Care_Pakete an die bedürftigen Verwandten, die aber immerhin den familiären Zusammenhalt hatten, der uns hier im Westen so gefehlt hatte.

Mein Vater durfte kurz vor seinem frühen Tod noch den Fall der Mauer
miterleben.
Ich glaube, das war für ihn das größte Geschenk.

Unser Grundgesetz, bzw. die Verfassung hat ja die Möglichkeit der Einverleibung bzw. Rückführung der DDR vorgesehen. Ein Relikt aus der Gründerzeit, und der zwangsweisen Abtrennung des östlichen Deutschlands von dem westlichen Teil.

Nach dem Mauerfall: Endlich wieder freier Zugang zu den Verwandten. Durch viele Irrungen und Wirrungen mussten meine Cousinen und Cousins im Osten durch.
Davon haben sie berichtet. Sie seien vielem auf den Leim gegangen etcc. e tc.
Manchmal trauern sie alten DDR-Zeiten nach. Manchmal.

Sehen aber auch das Positive.
So der Zugang zur Behandlung von Depressionen und Angsterkrankungen.
Dies war ein Tabu zu DDR_Zeiten. Eine sehr betroffene Cousine ist dafür sehr dankbar.

2 Cousinen sind mittlerweile vermögender als ich. Jedenfalls, was Statussymbole wie Eigentumswohung oder Haus oder tolles Auto anbelangen.
Nun gut, in ihrem kleinen 500 Seelendorf, aus dem sie nie herausgekommen sind.....

Wir hier alle____ in unserer einstmals zwangsweise so getrennten Familie ___sind sehr froh, dass diese Grenzen abgeschafft sind.

Jaaa, ich höre das auch oft, diese Vorurteile über die blöden Ossis.
Da kann ich nur den Kopf schütteln.
Sowas kommt nur von Menschen, die persönlich nicht betroffen gewesen sind, von dieser Mauer, dieser Teilung Deutschlands, dieser Schmerz über die Trennung von Familien, diese Trauer über dieses unsäglich menschenfeindliche System der DDR damals.

Dumme Menschen gibt es überall. Bzw. politisch nicht informierte Menschen.
Bzw. Menschen, die halt irgendwelche Sündenböcke brauchen, auf denen sie herumhacken können, ....Stammtischgeschwätz.

Für mich sind das Menschen, die einfach von diesem unsäglichen Leid gar nicht betroffen gewesen sind.

Aber, ein jeder Mensch muss in seinem Leben diverse Krisen erdauern, überwinden.
Auch solche Ossi-HasserInnen.

Vielleicht andere Krisen als unsereins.

Ich glaube auch, dass Menschen, die sowas erlebt haben, einfach einen viel größeren Weitblick haben, menschlich, gesellschaftlich und auch sonst.


Soweit meine Gedanken.
Selas
Christiane1
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Registriert: 19. Dez 2013, 09:10

Re: Problematik Wendezeit DDR/BRD --> Deutschland

Beitrag von Christiane1 »

Hallo Biene,

Du hast mit 15 und davor sehr viel bewusst mitbekommen von Deiner Heimat.
Das muss einfach sehr schwierig sein einen Umbruch zu mitzuerleben, der ja bedeutete, dass die DDR für Dich einfach nicht mehr existierte eines Tages.

Aber Du bist da und vielleicht hilft Dir die Beschäftigung mit der Geschichte, um das alles einordnen zu können was geschah und was die Deutschen auf der Ostseite überhaupt geleistet haben, um die Grenzen niederzureissen.
Das war ein Zusammenschluss, der aus Schmerz durch Trennung entstand und Millonen von Menschen freute und bestimmt auch überforderte.

Mitbekommen habe ich vieles, weil meine Mutter mit Eltern und Geschwistern kurz vor 1961, als man die Grenzen dichtmachte, nach Lübeck gekommen sind. Da bin ich auch geboren und ich habe etwa 25 Jahre lang die Reisen nach "drüben" mitgemacht, weil dort meine geliebte Tante Erika und ihre Familie lebte.

Lübeck war eine Grenzstadt, d.h. wenn ich heute nach Lübeck-Eichholz fahre, sehe ich gedanklich, wo einst der Schlagbaum stand am östlichen Ende von Lübeck.
Das ist alles weg und nichts erinnert mehr daran, weil Neubaugebiete entstanden sind und ein fliessender Übergang durch neue Strassen.

Dir wünsche ich, dass Du eines Tages denken kannst, dass Du Teil der Geschichte geworden bist und sozusagen Zeitzeugin.

Viele Grüsse
Christiane
Herd04
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Registriert: 19. Jan 2012, 13:16

Re: Problematik Wendezeit DDR/BRD --> Deutschland

Beitrag von Herd04 »

Hallo

das ist ein interessantes und äußerst wichtiges Thema.
Obwohl es für mich, meine Geschichte nicht unwesentlich ist, habe ich mir hier im Forum und eigentlich auch nicht im wirklichen Leben so bewusst Gedanken gemacht, welchen Einfluss die Wende auf meine Gesundheit hat(te).

Etwas mehr als die Hälfte meines Lebens lebte ich in der DDR, ich wurde dort sozusagen hineingeboren. Natürlich hätte es auch anders kommen können...Wäre die Flucht der Familie meiner Mutter im Westen zu Ende gewesen, und wäre mein Vater nach seiner Gefangenschaft vielleicht auch in diesem Teil Deutschlands gelandet...wer weiß... ;)

Dass es nicht so war, empfand ich sowohl in meiner Kindheit (die war sehr glücklich) und auch später nicht als besonders tragisch.
Es wird nicht unbedingt am Leben in einem kleinen Dorf auf dem Land gelegen haben, dass unser Leben nicht armselig war.

Wir lebten auch ohne Hilfspakete aus dem Westen recht gut. Gut, wir hatten Westverwandte. Für unsere Versorgung waren die aber nicht zuständig. Und wenn sie uns besuchten, haben sie meistens die mitgebrachte Schokolade auch noch allein gegessen....
Wahrscheinlich hatten wir andere Maßstäbe , auf alle Fälle jedoch unseren Stolz.

Bitte denkt jetzt nicht, dass ich dem Leben in der DDR einen Heiligenschein verpasse und dass ich ihr nachtrauere. Das nicht, aber meine Welt war lange in Ordnung.

Ich denke, die Veranlagung zu Depressionen und die Anfälligkeit waren schon sehr zeitig bei mir da, haben hauptsächlich also nichts mit den politischen Veränderungen zu tun.

Trotzdem denke ich, dass ich damals auch deshalb nicht krank wurde, weil meine ureigenen Bedürfnisse dem Leben insgesamt angepasst waren, mehr oder weniger bewusst.

Ich mag von jeher keine Veränderungen besonders gern. Klare Strukturen sind sehr wichtig für mich. Ich bin ziemlich ehrgeizig und zielstrebig, vor allem dann, wenn es einen konkreten Plan gibt. Kreativ kann ich schon auch sein, aber auch dafür brauche ich einen genauen Ausgangspunkt.
Das alles hatte ich in der DDR. Dabei schließe ich meine erste Ehe aus, die mein Leben schon sehr aus den Fugen gebracht hat, was aber nichts mit der Wende zu tun hatte.

Ich bin den DDR - typischen Weg gegangen, Schule, dann Studium , dann Arbeit in meinem Traumberuf, der damals noch Unterstufenlehrerin hieß.
Ich habe geheiratet und Kinder bekommen.
Also, fast alles verlief nach Plan, und ich konnte kaum etwas falsch machen.

Und dann kam die Wende, mehr oder wenig überraschend für mich.
Plötzlich war so vieles anders, nicht aber mein Ehrgeiz und mein Streben nach Perfektion.

Die "neue Zeit" hat mir und meiner Familie sehr viel Positives gebracht. Ich möchte auch keinesfalls zurücktauschen. Wir haben uns, wie man so schön sagt, eingerichtet, arrangiert.
Das ging nicht von Jetzt auf Gleich.
Dass es uns heute gut geht (die Gesundheit mal weggelassen), verdanken wir nicht nur der Zielstrebigkeit und dem Fleiß, sondern auch einer Portion Glück.
Beide, mein Mann und ich, sind/ waren im öffentlichen Dienst beschäftigt, mein Mann ist verbeamtet. Von Kündigungen wurden wir zwei verschont, unsere Kinder leider nicht.

Was ist es nun, das meiner Meinung nach, das Depri -Fass zum Überkochen brachte und mich richtig krank machte?
Wie gesagt, der Grundstein schlummerte schon seit frühester Jugend in mir.
Der neue Druck in viel, viel mehr Lebenssituationen , insbesondere bei der Arbeit , der Ansturm von plötzlich wahnsinnig vermeintlich besseren Lehrmethoden , die damit verbundenen Unsicherheiten und und und... waren für mich kaum aushaltbar.

Ganz besonders beeinträchtigten mich Tiefschläge, die meine KInder hinnehmen mussten. Beide Töchter haben solide Schulabschlüsse, die eine hat Abitur, die andere einen sehr erfolgreichen Realschulabschluss.
Für mich hatte es nichts mit neuen Möglichkeiten und Eigeninitiative zu tun, als zum Beispiel die eine Tochter nach einem Vierteljahr Ausbildung ohne Begründung die Kündigung bekam.

Oder, dass unsere andere Tochter gehen musste, weil ihr als Ergotherapeutin in einem Alten- und Pflegeheim die Interessen der Bewohner etwas wichtiger als das Prestige- Bedürfnis der Chefin war.

Damit kam ich ganz schwer klar. Selbstzweifel, Ängste usw. wurden immer stärker. Das hatte ich früher nicht gekannt.

Früher, in der DDR, war vieles selbstverständlich.

Materielles ist mir auch heute nur in dem Umfang, den ich wirklich zum Leben brauche, wichtig.
Viel mehr Bedeutung messe ich jetzt der Gesundheit, aber auch einer relativen Sicherheit zu.

Ich lerne es immer besser, mit "Unregelmäßigkeiten" umzugehen.
Ich glaube, am meisten hat mich das "Leben im Westen" gelehrt, viel dankbarer für kleine Fortschritte , für kleine Freuden zu sein.

In diesem Sinn liebe Grüße, verbunden mit einer Entschuldigung für den langen Text,

von E.
Selea

Re: Problematik Wendezeit DDR/BRD --> Deutschland

Beitrag von Selea »

Guten Morgen Traurige Biene :)

Als Threaderöffnerin sagst du, dass der Thread von AnnaD über Kriegskinder dich auf diese Idee mit diesem Thread gebracht hat.

Gestern habe ich das von AnnaD. emfpfohlene Buch
Bettina Alberti: Seelische Trümmer
Geboren in den 50er-und 60er-Jahren

zu Ende gelesen.

Es gibt auch ein Kapitel , das gut zu diesem Thread passt:
Kriegsfolgen: Leben mit dem Kalten Krieg, leben mit der Teilung Deutschlands
S. 143 bis S. 166.

Es ist ein Buch, in dem ich mich mit meiner Biographie und den historischen Zusammenhängen gut wiederfinden konnte.


Herzlich
Selas
Traurige Biene
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Re: Problematik Wendezeit DDR/BRD --> Deutschland

Beitrag von Traurige Biene »

Moin Antiope,

jepp, es war wie ein Erdbeben, wobei der Vergleich mit einer Katastrophe eigentlich ein wenig hinkt, da es ja ein Schritt in die richtige Richtung war.

Schon in Deinem zweiten Satz kommt leider gleich die Aussage, die mir persönlich immer ein klein bisschen weh tut: "Obwohl man sich nicht wohlfühlte in diesem System..." Warum nimmt nur immer jeder an, dass sich keiner in der DDR wohl gefühlt hat? Ich habe mich wohlgefühlt, habe mich in der Gemeinschaft aufgehoben und sicher gefühlt. (was wohl auch dazu beigetragen hat, dass ich mein KindheitsTrauma so "gut" verdrängen konnte) Ich habe Leistungssport betrieben, war in diversen Arbeitsgemeinschaften, bin gern zur Schule gegangen, hatte also keinerlei Repressalien zu befürchten. Nenn es angepasst, egal, ich habe mich wohl gefühlt. Eben weil ich erst knapp 15 war, als alles anfing. Bis dahin musste ich noch keine Entscheidungen treffen, ob ich in die Partei eintrete, ich habe noch nicht regulär gearbeitet etc. Bitte fühle Dich nicht angegriffen, aber das ist einer der Punkte, der mir heute noch das Leben schwer macht "im Westen". Ich versuche zu verstehen, dass es diese Sichtweise gibt, weil viele Wendehälse das so dargestellt haben: ihnen ging es GAR NICHT gut in der DDR uns sie waren ja schon IMMER für die Zusammenführung...
Ich habe mich in der Wendezeit übrigens auch für den Osten ziemlich geschämt. Wir haben zu diesem Zeitpunkt im Grenzbereich gewohnt und da gab es Leute, die regelrecht gebettelt haben (Wessis sind von "drüben" gekommen und haben Milkaschokolade und Bananen aus dem Autofenster gehalten und Ossis haben sich darum gerissen - das war scheußlich!)

Ich gebe Dir auch Recht, dass die Kriegskinder es deutlich schwerer hatten, da war die genannte Schuldfrage (die ansatzweise auch im Thema Stasi bei uns zum Tragen kam) aber vor allem war da einfach nichts mehr, vieles musste neu aufgebaut werden. Bei uns ist zwar vieles im Zuge der "Kolonialisierung" den Bach runtergegangen, aber keiner hat sein Dach über dem Kopf verloren.

Danke für Deinen ehrlichen Beitrag!
Bienchen
Dem Wunder leise, wie einem Vogel, die Hand hinhalten
Traurige Biene
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Re: Problematik Wendezeit DDR/BRD --> Deutschland

Beitrag von Traurige Biene »

Moin Hope,

ich gebe mir Mühe mit dem Nicht-Ärgern-Lassen, aber wie Du an meinem vorigen Beitrag siehst, "ärgern" mich sogar die Leute, die mich gar nicht ärgern wollen... (Entschuldigung nochmal @antiope)
Rational gesehen ist mir klar, dass das alles Kleinigkeiten sind: Vorurteile wegen Nicht-Besser-Wissen-Könnens, Argumentationen/Schuldzuweisungen gegen die jeweils andere Seite, die nicht persönlich gemeint sind (schon mal gar nicht gegen mich persönlich...) oder eben einfach auch andere Sichtweisen, Meinungen, die völlig in Ordnung sind.

Aber mit der Akzeptanz dieses rationalen Wissens ist das so eine Sache, ich muss halt immer wieder einhalten und mich fragen, ist meine Reaktion jetzt "normal" oder überzogen? Hänge ich zu sehr an der DDR, bin ich zu sehr Wessi geworden (immerhin arbeite ich jetzt für die "Gegenseite" *grins*) oder wo stehe ich?

Mir ist auch erst in letzter Zeit wirklich bewusst geworden, dass das ein Thema ist, bei dem ich empfindlich reagiere und ich versuche diesen Empfindlichkeiten auf die Schliche zu kommen. Eigentlich hatte ich mir eingebildet ein abgeklärter Europäer zu sein...

Danke für Deine Gedanken!
Bienchen

PS: Dann bist Du ja genauso ein WOSSI wie ich. Übrigens, Mecklenburg ist auch meine Heimat (real und auch immer im Herzen!)
Dem Wunder leise, wie einem Vogel, die Hand hinhalten
white hope
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Re: Problematik Wendezeit DDR/BRD --> Deutschland

Beitrag von white hope »

Liebe Biene,

„ Wat dem eenen sin Uhl, is dem annern sin Nachtigall“
Fritz Reuter

...und für die, die kein plattdeutsch verstehen: Was dem einen seine Eule, ist dem anderen seine Nachtigall ;) "jeder sieht die Sache aus seiner Perspektive"

> Ich versuche diesen Empfindlichkeiten auf die Schliche zu kommen, schreibst Du.
Ich denke es ist sehr normal, diese Empfindung zu haben.

Im Übrigen vermissen meine Ost Verwandten, Bekannten durchweg den besonderen Zusammenhalt den es damals gab!!! (Auch wenn sie gerne über Wendehälse, Betonköpfe und Wessis lästern.)

Liebe Grüße nach Mecklenburg
white hope
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