Teufelskreis: Sich schlecht fühlen, weil man unglücklich ist

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Hygeia
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Registriert: 7. Nov 2013, 22:51

Teufelskreis: Sich schlecht fühlen, weil man unglücklich ist

Beitrag von Hygeia »

Hallo,

ich hatte es in einem früheren Thread schon mal angedeutet, wollte das jetzt aber mal zu einem eigenen Thema machen.

Ich habe das Gefühl, ich bin der undankbarste Mensch auf der Welt.
Ich habe eine tolle Familie (Eltern zwar getrennt, aber wieder glücklich und immer für mich da), genug Rücklagen (von den Eltern), um die nächsten Jahre keine Geldsorgen zu haben, und mit meinem Studium stehen mir dann viele Karrieremöglichkeiten offen.
-> Ich habe alles, was man zum Glücklichsein braucht, wieso bin ich es dann nicht?

Meine Familie hatte nie irgendwelche Erwartungen, die ich erfüllen müsste. Ich sollte nur ein glückliches Leben führen … bring ich ja super hin :P
-> Ich enttäusche meine Familie, obwohl sie nichts Bestimmtes von mir erwarten.

All dies fängt mit Ich an.
-> Ich bin egoistisch, denke nur an mich selbst und wie schlecht es mir geht.

Es gibt Menschen mit schweren Schicksalen, die trotz allem durchhalten und aus ihrem Leben das Beste machen. Ich bekomme es nicht mal hin, meine Wohnung sauber zu halten.
-> Ich bringe nichts auf die Reihe.

Ich hätte alle Voraussetzungen für ein schönes, glückliches Leben. Da ich mit mir selbst unzufrieden bin und mein Leben so nicht als schön empfinden kann, habe ich ein schlechtes Gewissen gegenüber den Leuten, denen es schlechter geht, und gegenüber meiner Familie, die alles für mein Wohlergehen tut. Durch dieses ständige schlechte Gewissen, sehe ich mich als „schlechten Mensch“, bin ich mit mir selbst unzufrieden, bin ich unglücklich. Aber ich habe ja eigentlich keinen Grund, unglücklich zu sein, habe es mir nicht „verdient“, denn ich hätte ja eigentlich alle Voraussetzungen, um ein glückliches Leben zu führen,…

Mir schwirren solche Gedanken schon seit Jahren im Kopf herum, wie der nervigste Ohrwurm der Welt. Ich bin recht gut darin, ihn zu verdrängen (oder mit normalen Lied-Ohrwürmern zu übertönen), aber sobald ich mich mal nicht ablenke, kehrt er wieder. Mit der Zeit zehrt das ganz schön an der inneren Energie (und dieser Ohrwurm hilft auch nicht gerade beim Einschlafen). Man wird lethargischer, bringt immer weniger auf die Reihe, hat immer mehr Grund, mit sich selbst unzufrieden zu sein…

So fühlt man sich immer schlechter, weil man sich schlecht fühlt. Kennt jemand diesen Teufelskreis? Wie kann man ihn durchbrechen?

lg
Hygeia
FakeSunny
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Registriert: 7. Mai 2014, 23:03

Re: Teufelskreis: Sich schlecht fühlen, weil man unglücklich

Beitrag von FakeSunny »

Hallo Hygeia,

Auch wohlstand schützt nicht vor depressionen,es kann wirklich jeden treffen und es gibt soviele gründe warum sie auftretten ,bei jeden individuell.Du brauchst dich nicht schämen dafür wenn du unglücklich bist,denn wenn du dich so fühlst ,dann ist das so und das hat auch seinen grund dann!

Nur es bringt rein garnichts sich darauf zu konzentrieren das es anderen ja schlechter geht weil sie weniger haben ,damit verdrängst du ja nur deine eigenen probleme und schiebst es vor dir her.

Vielleicht würde es dir helfen wenn du mal mit einem therapheuten ausfindig machst was genau dir fehlt,was dich unglücklich macht,und dann schritt für schritt daran arbeitest.

Aber nehm dich selbst ernst,auch du hast ein recht dich schlecht zu fühlen,egal wie wohlhabend und abgesichert man ist.

Lieben Gruß


Sunny
Hygeia
Beiträge: 56
Registriert: 7. Nov 2013, 22:51

Re: Teufelskreis: Sich schlecht fühlen, weil man unglücklich

Beitrag von Hygeia »

Hallo Sunny,

ich meinte eigentlich gar nicht, das Leute mit ausreichend Geld (Wohlstand ist vielleicht bei mir etwas übertrieben) keine Probleme hätten. Die haben dann meist irgendwelche Schwierigkeiten mit der Familie oder mit Freunden.
Geld hat mir eigentlich auch nie viel bedeutet, ich merke nur, dass andere eben oft Probleme damit haben. Andere Umstände (wie eben Familie, Freunde, Gesundheit, teilweise Aussehen) sind meiner Meinung nach für das persönliche Glück wichtiger.

Bei mir ist es nur so, dass ich gar keinen Grund finde, wieso ich depressiv sein sollte. Und wenn man schon viele Jahre (etwa 8-9) täglich darüber nachgrübelt, sollte man ja eigentlich in der Lage sein, irgendwas zu finden. Es hat so jung (etwa mit 13) angefangen, dass ich mich an die Anfänge auch gar nicht richtig erinnere. Ich hatte nur immer dieses Gefühl, ich sollte glücklich sein, aber da ist nichts, eher das Gegenteil. Und so geht ja mein Teufelskreis los.

Alle Probleme die ich habe, scheinen mir eher Folgen meines negativen Denkens (die Antriebslosigkeit, schlechter werdende Noten, Rückzug aus Freundschaften, etc.) als Auslöser zu sein.

Ich weiß, ich sollte mir einen Therapeuten suchen (oder wenigstens erstmal zu nem Arzt gehen, der andere Sachen ausschließt). Aber mir kommt es immer vor, als müsse ich mich dafür rechtfertigen, warum es mir nicht gut geht und auch warum ich so lange nichts dagegen getan hab. Ohne Grund ist das Rechtfertigen nur recht schwierig :P

Ich weiß auch, dass man sich für Depressionen eigentlich nicht rechtfertigen muss. Aber irgendwo müsste eine Therapie ja auch ansetzen und ich hab keine Ahnung, wo das bei mir sein sollte.

lg
Hygeia
La_crimosa
Beiträge: 468
Registriert: 28. Mär 2010, 22:05

Re: Teufelskreis: Sich schlecht fühlen, weil man unglücklich

Beitrag von La_crimosa »

Hallo Hygeia,
Dein „Ohrwurm“ kommt mir bekannt vor - und allein dass er schon so lange Jahre in Dir tönt wäre ein Grund, sich dies mit Hilfe gemeinsam anzuschauen!
Auch wenn Du selbst keinen Grund für Deine Depression siehst (und manchmal entsteht sie auch „unbegründet“), hemmt sie Deine Lebenskraft. Dies allein scheint mir schon Grund genug… Jede/r hat meiner Meinung nach ein Recht auf Unterstützung/Begleitung auf den holprigen Pfaden unseres Lebens.

Ich habe das Gefühl, dass Du trotz der Aufzählung der positiven Aspekte Deines Lebens - und es ist gut, das zu sehen! - trotzdem in Dir ein Erleben von Mangel wahrnimmst. Was fehlt Dir in Deinem Leben?!
Deutlich wird für mich auch Deine (zerstörerische) Selbstabwertung: undankbar, egoistisch, bringe nichts auf die Reihe… Auch etwas, wo in einer Therapie draufgeschaut werden kann.
Therapie heisst nicht immer nach den Gründen schauen, sondern kann auch „nur“ einen Umgang mit sich selbst aufzeigen.

Nichtsdestotrotz spüre ich Dein Ringen um die „Berechtigung“ Deiner Krankheit/Symptome/Gefühle. Die Scham, die vielleicht auch mitspielt, eigentlich nicht depressiv dürfen zu sein - da es ja Deiner Meinung nach keinen Grund für (D)eine Depression gibt. Ketzerisch gefragt: was ist der Grund für karzinogene Erkrankungen, für Stoffwechselerkrankungen, u.ä.?!

Meine Gedanken dazu…

LG,
Susanne
ndskp01
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Registriert: 9. Feb 2008, 19:34

Re: Teufelskreis: Sich schlecht fühlen, weil man unglücklich

Beitrag von ndskp01 »

Hygeia hat geschrieben: Bei mir ist es nur so, dass ich gar keinen Grund finde, wieso ich depressiv sein sollte. Und wenn man schon viele Jahre (etwa 8-9) täglich darüber nachgrübelt, sollte man ja eigentlich in der Lage sein, irgendwas zu finden. Es hat so jung (etwa mit 13) angefangen, dass ich mich an die Anfänge auch gar nicht richtig erinnere. Ich hatte nur immer dieses Gefühl, ich sollte glücklich sein, aber da ist nichts, eher das Gegenteil.

Aber mir kommt es immer vor, als müsse ich mich dafür rechtfertigen, warum es mir nicht gut geht und auch warum ich so lange nichts dagegen getan hab. Ohne Grund ist das Rechtfertigen nur recht schwierig :P

Aber irgendwo müsste eine Therapie ja auch ansetzen und ich hab keine Ahnung, wo das bei mir sein sollte.
Hygeia
Liebe Hygeia,

oh, wie ich diese Gedanken kenne. Genau so lief das bei mir auch ab in meinem Gedankenkreisel. Ich müsste doch glücklich sein, ich habe selbst schuld an meiner Situation, ich muss mich rechtfertigen dafür, dass ich nichts getan habe, um glücklich zu sein. Dass ich meine guten Chancen offenbar nicht genutzt habe.

Wo setzt die Therapie an? Nicht bei deinen Gedanken, sondern bei deinen Gefühlen, die du im Moment offenbar nur diffus spüren kannst. Ein Therapeut hilft dir dabei, zu spüren, was deine wirklichen Gefühle sind. Was ist das, das dich unglücklich macht, was fehlt dir, was sollte anders sein? Alleine findest du das nicht heraus, du selbst verbietest es dir, deswegen ist es sinnvoll, dass du dir ein Gegenüber suchst, der dir hilft. Du musst nicht alles alleine lösen. Manche Sachen kann man nicht alleine.

Puk
Zarra
Beiträge: 5734
Registriert: 12. Mär 2010, 15:16

Re: Teufelskreis: Sich schlecht fühlen, weil man unglücklich

Beitrag von Zarra »

Liebe Hygeia,

die anderen haben ja schon einiges geschrieben, dem ich auch zustimmen kann. (Vielleicht jetzt auch doppelt, meine Konzentration ist ...)

1. Es gibt Depressionen OHNE direkten psychosozialen (Aufwachsen, (Traumata), Umfeld) Grund! ... trotzdem ist auch da Psychotherapie nicht sinnlos, es geht ja auch um ein Umgehen mit der Krankheit.

2. U.U. "verdrängt" man auch gerne, aber unbewußt Dinge, die doch dazu beigetragen haben könnten. Das muß bei Dir aber nicht der Fall sein, kann es aber.

Mir kommt es so vor, als ob bei Dir als erstes andere Ursachen ausgeschlossen werden müßten (z.B. Schilddrüsenunterfunktion).

Und dann würde ich für eine psychologische Beratung oder Therapie zumindest als erstes vermutlich nicht das tiefe Schürfen in der Kindheit und Jugend suchen (*), sondern eher darauf schauen, wie Du MOMENTAN mit Dingen UMGEHST, wie eventuell Dich behindernde Einstellungen aussehen.
Denn Du (!) sagst: Ich bin undankbar. Ich enttäusche meine Familie. - Woher kommt diese Deine (!) Erwartungshaltung? Ist sie Dir förderlich?!? Denn Deine Familie will ja anscheinend gar nichts Bestimmtes von Dir.
Vielleicht eine paradoxe Frage, aber dennoch: Würde es Dir helfen, mehr Zwänge, konkrete Erwartungen und konkrete Aufgaben zu haben, ist da fast zuviel Freiheit?
Dein "schlechtes Gewissen" kennzeichnet schon ziemlich gut depressives Denken.

(*) Ich hatte z.B. in meiner Einstellung bestimmte Sachen "einfach" nach hinten geschoben, ganz nach dem Motto "war halt so, - jetzt (!) kann ich ja machen, was ich will". Nichts wirklich Traumatisches, aber durchaus Belastendes, Ungutes. ... das war dann aber sofort, wenn auch mit einem großen Erstaunen, da, als jemand nachfragte.
Ich bringe nichts [!] auf die Reihe.
Du studierst momentan, Du hast davor ein Abi hingekriegt. ... außer der ggf. chaotischen Wohnung ... ... ist es ansonsten nicht eher durchmischt?! ... das halbleere Glas kennzeichnet aber auch Depressionen.
So fühlt man sich immer schlechter, weil man sich schlecht fühlt.
... meine Erfahrung ist, daß es zumindest etwas hilft und den Weg öffnet, wenn man "akzeptiert", daß es so ist, daß man sich einfach schlecht fühlt, - und sich das nicht dauernd vorwirft, daß es eben nicht so sein dürfte. Ausgehen von dem, was gerade wirklich da ist.

Liebe Grüße, Zarra
Antiope
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Registriert: 10. Jan 2011, 21:38

Re: Teufelskreis: Sich schlecht fühlen, weil man unglücklich

Beitrag von Antiope »

Hallo Hygeia,

ich hoffe, es beruhigt Dich, wenn ich feststelle: diese ganze vorwurfsvolle Gedankenwelt ist ein vollkommen depressiv geprägte Gedankenwelt.
Diese ganzen Gedankenkreisläufe, diese Vorwürfe an Dich selbst - alles die Perspektive des Depressiv-Rumpelstilzchens.

Nehmen wir mal ein paar Grundgedanken unter die Lupe:
- Du hast also glücklich zu sein, weil Dir alles, was zum Glücklichsein gehört, zur Verfügung steht.
Aber was ist genau Glück? Und was genau brauchst *DU* zum Glücklichsein? Glücklichsein kann nicht herbeigezwungen werden und hängt nicht ab von äußeren Gegebenheiten. Was fehlt Dir? Was würdest Du Dir wünschen, wenn Du wünschen könntest?

- Du enttäuscht Deine Familie, obwohl es keine Erwartungen gibt.
Das ist ein Paradox - Enttäuschung entsteht doch nur auf Grundlage von Erwartungen. Vielleicht sind es Deine eigenen Erwartungen an Dich? Wäre es für Dich trotzdem ein gelingendes Leben, auch wenn Du in manchen Bereichen nicht perfekt wärst, also an Depressionen leidest, nicht immer die Wohnung aufräumst, ...?

- Du bist also egoistisch, weil Du an Dich denkst.
Wenn Deine beste Freundin krank wäre, würdest Du Dich wohl in erster Linie um sie kümmern. Oder?
Wenn Du selbst krank bist, warum darfst Du Dich *nicht* um Dich selbst kümmern??
In Deinem Leben hast Du einen Auftrag: Du bist die EINZIGE, die Anwalt für Dich selbst sein kann. Und wenn Du Dich um Dich kümmerst, mit den ganzen schrecklichen Einschränkungen, die die Depression mit sich bringt und Dich bei dieser Aufgabe ständig extrem behindert, dann versuchst Du nur, diesem Auftrag gerecht zu werden. Erst dann kannst Du Dich wieder um andere kümmern.

- Du brauchst einen Grund, eine Rechtfertigung für Deine Depression.
Gegenfrage: wenn ein Kommilitone sich einen Arm bricht, braucht er eine Begründung dafür? Wenn jemand an Krebs erkrankt, muss er sich für diese Krankheit rechtfertigen?
"Nein", die Antwort lautet ganz einfach "Nein". Es gibt *keine* Rechtfertigung.
Depression ist physiologisch nachweisbar und beruht auf einem Ungleichgewicht der Neurotransmitter. Aus irgendwelchen Gründen stehen Deinem Gehirn nicht genügend Serotonin und Dopamin zur Verfügung.

- Die Rechtfertigung für eine Therapie: Du möchtest ganz einfach, dass es Dir besser geht. Du kämpfst ja hier so sehr darum, dass Du nicht weiter abstürzt. Eine Therapie bietet Hilfestellung an. Und Du darfst sie annehmen, Du darfst sie in Anspruch nehmen. Weil Du sie brauchst. Weil Fachleute sich damit auskennen und Dir gezielt helfen können. Der "Ansatzpunkt" hast Du selbst gefunden: Du willst diesen Teufelskreis durchbrechen.
Herd04
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Registriert: 19. Jan 2012, 13:16

Re: Teufelskreis: Sich schlecht fühlen, weil man unglücklich

Beitrag von Herd04 »

Liebe Hygeia,

du bist auf dem richtigen Weg, diesen Teufelskreis zu durchbrechen.
Ansonsten hättest du dich ja nicht hier im Forum angemeldet.


Du schreibst, dass der gleiche Ohrwurm dich schon jahrelang quält, und dass du dir jeden Tag so oft die gleichen Fragen stellst - und ich glaube schon, dass du weißt, es hat mit Undankbarkeit nichts zu tun.

Du bist noch so jung, und schon deshalb möchte ich dir zutiefst ans Herz legen, dir auf schnellstem Weg psychiatrische und psychologische Hilfe zu suchen.

Ich bin sehr viel älter als du. Trotzdem kommen mir deine Fragen und Gedanken so bekannt vor.
Irgendwie versteckt sich doch immer wieder der Gedanke, dass das einfach keine Depressionen sein dürfen, dahinter. Aber ich habe die bittere Erfahrung gemacht, es wird immer schlimmer, wenn man sich keine Hilfe sucht.

Mach dir jetzt bloß keine Sorgen darüber, dass du vielleicht von Ärzten oder Therapeuten abgewiesen werden könntest. Das passiert nicht.

Der Weg bis heute, der nun schon über 10 Jahre dauert, war natürlich nicht so, wie ich mir das mal vorgestellt habe. Aber als mein Psychiater damals bei meinem ersten Termin sagte :"Sie haben Depressionen. Hören Sie auf zu grübeln, was Sie alles falsch machen. Sie brauchen Hilfe, und die werden Sie bekommen", war das wie eine Erlösung für mich.

Die 10 Jahre sollen dich nicht entmutigen. Mir ging es nach meiner ersten sehr langen, sehr schweren Phase 4 Jahre lang richtig gut.
Ich kämpfe auch jetzt meine manchmal nur einen Tag langen , manchmal auch länger andauernden Kämpfe, aber ich kann so vieles im Leben genießen.

Wenn ich etwas im leben 100% ig weiß, dann das : Das ist nur durch ärztliche und therapeutische Hilfe möglich geworden.

Würdest du meine Tochter fragen, die auch wegen ihrer Depressionen schon länger in Behandlung ist, käme eine ähnliche Antwort wie von mir.
Es geht nicht ohne Hilfe.

LG,E.
Hygeia
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Registriert: 7. Nov 2013, 22:51

Re: Teufelskreis: Sich schlecht fühlen, weil man unglücklich

Beitrag von Hygeia »

Hallo,

vielen Dank für die vielen Antworten! Ich werde jetzt heute nicht auf alle einzeln eingehen können.
Aber ein paar Dinge werde ich kurz aufgreifen.

Was fehlt mir im Leben? - Gute Frage, wüsste ich selbst gerne. ^^ Durch mein ständiges Grübeln bin ich jedenfalls noch nicht darauf gekommen.

Rechtfertigung - Theoretisch weiß ich natürlich, dass Depressionen eben eine Krankheit sind, die man eigentlich nicht rechtfertigen muss. Ich will sie eigentlich auch nicht anderen gegenüber rechtfertigen, sondern nur mir selbst. Ich bin vom Wesen her jemand, der grundsätzlich immer nach tieferen Gründen sucht.
Z.B. reicht es mir nicht zu wissen, dass Paracetamol wegen Leberschädlichkeit nicht mit Alkohol getrunken werden darf. Ich muss dann noch wissen, dass bei der Metabolisierung in der Leber ein toxischer Stoff entsteht, will dann wissen, wie dieser genau aussieht und was daran so schädlich ist. Erst wenn ich auf molekularer Ebene die Mechanismen nachvollzogen habe, bin ich mit meinem Wissensstand zufrieden.
Für mein Studiengebiet ist dieses ständige Hinterfragen gut. Bei den eigenen Gefühlen und Gedanken ist es eher zu viel. Und Gefühle zu akzeptieren, die ich nicht verstehe, wird mir so wahrscheinlich auch immer eher schwer fallen :(

Enttäuschung meiner Eltern / Erwartungen - Meine Eltern haben wie schon gesagt eigentlich keine Erwartungen an mich. Sie wünschen sich, dass ich mein Leben so gut wie möglich lebe und hoffen, dass ich glücklich durchs Leben gehen kann. Somit sind das dann wohl eher nicht Erwartungen, die enttäuscht werden, sondern Hoffnungen, die ich nicht erfüllen kann.

"Nichts" auf die Reihe bringen - Naja, mein Studium ist das Einzige, wovon ich behaupten kann, es halbwegs hinzubekommen. Meine Motivation reicht gerade so für die Pflichtveranstaltungen und ein bisschen Lernen. Aber ich könnte noch deutlich besser sein, wenn ich mich für mehr aufraffen könnte.

Ob mir konkretere Erwartungen / Aufgaben, weniger Freiheiten helfen könnten? - Ziemlich sicher ja. Das merke ich recht deutlich an meinem Zimmer und dem regelmäßigen Essen. Bis vor ca. 1,5 Jahren hat meine Schwester noch gegenüber von mir gewohnt. Wir haben ab und zu zusammen gekocht und sie kam auch immer wieder Mal in mein Zimmer, sodass ich es halbwegs ordentlich halten musste. Seit sie ihr Studium beendet hat, fehlt mir diese "Kontrolle", jemand, der einfach manchmal nach mir schaut, aber bei dem es trotzdem nicht schlimm ist, wenn es nicht wirklich gut aussieht.
Mir geht es auch allgemein seit eben etwa einem guten Jahr schlechter als die Jahre vorher, denke das könnte damit auch ein wenig zusammenhängen.
Durch meine Mitgliedschaft in der Fachschaft habe ich auch schon versucht, in meine Freizeit-Aktivitäten auf ähnliche Art etwas mehr Plan zu bringen. Wenn eine Fachschaftssitzung ist oder man eine Feier mitorganisiert, sollte man da sein, aber wenn nicht ist es auch nicht so schlimm. Dieses (von weiteren Personen bemerkte) "Sollen" aber nicht unbedingt "Müssen" funktioniert bei mir irgendwie am Besten.

Tja, vielleicht kommt man so der Frage was mir fehlt doch etwas näher. Vielleicht so in Richtung (lockere) Struktur von außen?

Es ist sehr gut zu wissen, dass ich mit meinem Ohrwurm / Gedankenkreisen nicht allein bin.
Das Durchbrechen des Teufelskreises scheint mir aber irgendwie immer noch in weiter Ferne.

Ich hatte mir schon vor etwa 4 Jahren das erste Mal überlegt, zu einem Arzt zu gehen. Seit einem Jahr halte ich es eigentlich für unbedingt nötig. Aber Termin habe ich immer noch keinen ausgemacht :( Es ist der nächste (logische) Schritt, aber irgendwie stecke ich da schon seit Jahren fest. Außerdem dauert es dann ja noch, bis die Therapie anfängt und dann auch Wirkung zeigt.
Naja, ich habe jetzt ein paar Mal mit Freunden geredet (natürlich nicht so detailliert, aber trotzdem deutlich), mit etwas Glück ergibt sich daraus bald mal etwas. (wieder Stichpunkt Struktur/ Unterstützung von außen)
Im Moment versuche ich es ja auch noch mit Johanniskraut. Aber da ich es bereits seit 6 Wochen nehme und noch keine Wirkung spüre, mache ich mir da keine großen Hoffnungen mehr.

Nun erstmal eine gute Nacht, lg
Hygeia
Antiope
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Registriert: 10. Jan 2011, 21:38

Re: Teufelskreis: Sich schlecht fühlen, weil man unglücklich

Beitrag von Antiope »

Hallo Hygeia,

nur kurz heute morgen.
Rechtfertigung: Ich glaube, jetzt verstehe ich besser, was Du meinst. Geht es darum, dass Du Dir "erlauben" musst, an einer nicht direkt sichtbaren Krankheit zu leiden? Dass es schwer ist zu akzeptieren, dass sie einfach so über Dich gekommen ist?

Diese Akzeptanz ist schwierig - kann ich mir gut vorstellen. Was mich heute noch vollkommen vom Hocker haut, ist, wie stark sie in mein Leben reinpfuscht, wie sie meinem Leben eine andere Richtung gegeben hat. Und wieviel sie "zerstört" hat. Auch bei jedem anderen hier.

Ich habe mich irgendwann entschlossen, nicht mehr nach dem "warum" zu fragen. Das hat bei mir nur einen neuen Strudel von Schuld und Hoffnungslosigkeit ausgelöst. Ich kann nur noch versuchen, damit zu leben und das Beste aus der Situation zu machen. Das Jetzt anzunehmen.

Eine Bitte: gehe heute zu Deinem Arzt. Erster Schritt gegen den Teufelskreis.
Zarra
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Re: Teufelskreis: Sich schlecht fühlen, weil man unglücklich

Beitrag von Zarra »

Liebe Hygeia,
Dieses (von weiteren Personen bemerkte) "Sollen" aber nicht unbedingt "Müssen" funktioniert bei mir irgendwie am Besten.
Das ist bei mir auch so!

Johanniskraut: Gib erst auf, wenn 8 Wochen rum sind. ... ich habe dann sogar etwas hochdosiert (1 1/2 Tabletten unregelmäßig dazwischen). Bei mir: voraussichtlich leichte Wirkung, - reichte dann irgendwann im Zusammenklang mit zusätzlichen Belastungen nicht aus.

Meine ganz persönliche Einschätzung vom Forum her: Ich weiß nicht, ob Dir ein chemisches AD gut helfen könnte - das soll ja auch ein Fachmann entscheiden. Ziemlich sicher bin ich mir, daß Dir Psychotherapie gut tun würde. ... die kann man auch erhalten, ohne vorher beim Psychiater gewesen zu sein. Wartezeiten so oder so; ... absagen kannst Du recht problemlos immer noch. Und falls Dir eine niedrigere Schwelle als ein niedergelassener Psychotherapeut lieber wäre: Psychologische Beratungsstelle.

Liebe Grüße, Zarra
Hygeia
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Re: Teufelskreis: Sich schlecht fühlen, weil man unglücklich

Beitrag von Hygeia »

Hallo,

ein kurzes Update:

Dass ich letztes Wochenende nochmal mit einem Freund von mir geredet habe, scheint nun mal Wirkung zu zeigen. Wir machen dann erstmal zusammen einen Termin bei einem Hausarzt aus (habe bisher in meiner Studienstadt noch keinen).
Dort will ich dann zunächst die Schilddrüse checken lassen. Ob ich bei dem Termin dann gleich alles anspreche, werde ich eher im Laufe des Gesprächs entscheiden. Aber als Grund, warum ich die Schilddrüse untersuchen lassen will, kommt es wahrscheinlich auf jeden Fall zur Sprache.
Und was dann weiteres kommt, wird sich zeigen.


Liebe Antiope,

ja, das mit dem Akzeptieren ist eine Schwierigkeit für mich. Ich hoffe, ich werde noch lernen, die Frage nach dem Warum auch mal offen zu lassen (zumindest im Privaten, in den naturwissenschaftlichen Berufen ist die Suche nach solchen Antworten ja essentiell).


Liebe Zarra,

hm, eine Dosiserhöhung mit dem Johanniskraut werde ich mir definitiv nochmal überlegen. Oder eventuell mit dem Hausarzt auch darüber reden, je nachdem, ob es zur Sprache kommt.

Wenn meine Schilddrüsenwerte ok sind, werde ich mich dann wohl auf die Suche nach einem Therapeuten machen (oder vielleicht zu unserer Campus-Seelsorge gehen).
Innere Dialoge (was könnte ein Arzt fragen, wie würde ich darauf antworten, usw.) habe ich schon oft geführt und daher fällt es mir eigentlich schwer zu glauben, dass mir ein Therapeut viel Neues erzählen könnte. Aber einen Versuch ist es dann auf jeden Fall wert.

lg
Hygeia
Zarra
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Registriert: 12. Mär 2010, 15:16

Re: Teufelskreis: Sich schlecht fühlen, weil man unglücklich

Beitrag von Zarra »

Liebe Hygeia,

Dein "Plan" klingt vernünftig und gut! Ich wünsche Dir, daß er zum Dich-Besser-Fühlen führt - sicher nicht sofort, aber mittel- bis langfristig.
Innere Dialoge (was könnte ein Arzt [Therapeut?!] fragen, wie würde ich darauf antworten, usw.) habe ich schon oft geführt und daher fällt es mir eigentlich schwer zu glauben, dass mir ein Therapeut viel Neues erzählen könnte. Aber einen Versuch ist es dann auf jeden Fall wert.
Naja, da kochst Du ja in der eigenen Suppe. Das kenne ich von mir. Auf manches kommt man einfach nicht. Das "Überraschungsmoment" fällt flach. Und man sollte nicht die "Aussagekraft" eines Gegenübers unterschätzen. Ein therapeutisches Gespräch entwickelt sich ja, meist ist ja nicht nach der ersten Frage Schluß. Vermutlich bringt es nicht die großen neuen Erkenntnisse (... oder doch?), aber vielleicht andere Zusammenhänge, von Dir Übersehenes oder als unwichtig Erachtetes.

LG, Zarra
Antiope
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Re: Teufelskreis: Sich schlecht fühlen, weil man unglücklich

Beitrag von Antiope »

Hallo Hygeia,

wie wäre es, gleich einen Termin bei der Campus-Seelsorge auszumachen?
Einfach deswegen, um keine weitere Zeit zu verlieren. Und mal zu versuchen, ob und wie ein Gespräch helfen kann. Auch die Möglichkeit, einfach mal alles auszusprechen, kurz mal die Last abzuwerfen. Vielleicht geht es im Moment gar nicht darum, die große Erleuchtung zu finden, sondern das gesamte Kuddelmuddel mal darzustellen.

Alles Gute!
Hygeia
Beiträge: 56
Registriert: 7. Nov 2013, 22:51

Re: Teufelskreis: Sich schlecht fühlen, weil man unglücklich

Beitrag von Hygeia »

Hallo,

also der Termin beim Arzt ist ausgemacht, war aber leider erst in 2,5 Wochen was frei. Ist aber ja nicht so eilig.

Ich habe die Dosis jetzt auf 1,5 Laif 900 Balance erhöht. Ich habe auch angefangen ein Stimmungstagebuch zu schreiben (typisch naturwissenschaftlich mit Stichpunkten und als Tabelle ^^).

So langsam habe ich das Gefühl, dass die Gedanken etwas weniger kreisen. Wirkung vom Johanniskraut? Placebo-Effekt? Weil ich endlich den Termin ausgemacht habe, den ich so lang vor mir hergeschoben habe? Weil ich meine Gedanken hier und in dem Tagebuch ausdrücke?
Tja, bin auf jeden Fall froh darüber und werde das weiter beobachten ;)

Der Antrieb fehlt allerdings immer noch ziemlich stark (gerade wenn es um den Haushalt, Sport und Unangenehmes geht) und ich schlafe immer sehr lang. Mal sehn, ob ich das auch irgendwie noch besser hinkriege.

Liebe Antiope, liebe Zarra,

die Campus-Seelsorge hat einmal wöchentlich einen festen Termin, wo man spontan vorbeischaun kann. Nächste Woche fällt es wegen dem Feiertag aus, aber übernächste Woche könnte ich da dann hingehen.
Nachdem der Arzttermin ja noch eine Woche weiter entfernt ist, werde ich mir das gut überlegen. Und eben auch unter dem Aspekt, dass mir Gespräche mit einem Gegenüber vielleicht doch mehr bringen könnten, als ich mir anfangs dachte.

Danke für Eure Tipps und Eure Denkanstöße ;)

lg
Hygeia
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