Zwischen Ehrlichkeit und Kalkül

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La_crimosa
Beiträge: 468
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Zwischen Ehrlichkeit und Kalkül

Beitrag von La_crimosa »

Hallo zusammen!
Inzwischen musste ich meinen alten Beruf krankheitsbedingt aufgeben. Die Ärzte haben mir geraten, von dieser Tätigkeit Abstand zu nehmen. Und auch mein Arbeitgeber will mich nicht wirklich wieder zurück haben… (Was viel mit Trauer und Verletzt-sein auf meiner Seite verbunden ist)

Egal. Nun versuche ich auf´s Neue zu blicken - was mir sehr schwer fällt. Was wären alternative Tätigkeiten?! Und viel schlimmer: wie begründe ich den Wechsel in eine ganz andere Branche?!
Dieser Frage muss ich mich ganz aktuell stellen, da ich eine Anfrage in einer Arztpraxis als Med. Fachangestellte (die ich nicht bin!) gestartet habe - ein völlig anderes Tätigkeitsfeld als mein bisheriges. Aber es würde mich interessieren, da ich in „jungen Jahren“ mal im Krankenhaus gearbeitet habe, Medizin also immer schon ein Faible bei mir war.

Wie ehrlich soll ich sein in Bezug auf meine Erkrankung und dem Grund des Ausscheidens aus dem anderen Beruf? Wie verfahre ich am Geschicktesten? Auch im Hinblick darauf, dass ich gar nicht weiß, ob ich es letztendlich "wieder packen“ werde…

Was meint Ihr?!

LG,
Susanne
Zarra
Beiträge: 5734
Registriert: 12. Mär 2010, 15:16

Re: Zwischen Ehrlichkeit und Kalkül

Beitrag von Zarra »

Hallo liebe Susanne,

ich hatte mich eh schon gefragt, wie es Dir wohl geht.

... wieder mal ich ... - Hm; hoffe, daß noch weiteres kommt.

Ich weiß ja nicht so genau, was Du bisher gemacht hast. Ich SCHÄTZE: Beides "sozial", aber wahrscheinlich anders von der Ausgestaltung her, oder?

KEIN Arbeitgeber will jemanden, der potentiell eher ausfallen kann. Das ist einfach so. Wenn die absoluten Knackpunkte bei dem Neuen wirklich weg sind (wahrscheinlich nicht zutreffend, aber z.B. Schichtarbeit), kann man eher offen sein, weil dann das Offensichtliche überwiegt. Ansonsten fände ich das in einem Vorstellungsgespräch eher unpassend, wenn es nicht offensichtlich ist, - was es bei psychischen Erkrankungen selten ist.

Interesse für das Neue?!! (Klingt natürlich am besten!) Näher am Wohnort? Andere Arbeitszeiten? ...?

Ich glaube, Du hast mal geschrieben, daß Du das Alte gerne gemacht hast - das macht es natürlich schwer. Doch wenn Du "über Deinen Schatten springst", was könntest Du dann als "Gut-is'"-Punkte oder "Mag-ich-nicht-mehr"-Punkte anführen?

Manches hängt sicher auch vom konkreten Gegenüber bei einem Vorstellungsgespräch ab; da kann man sich zwar "taktisch" in eine erfolgsversprechende Richtung briefen, im Einzelfall wird es aber eine gefühlgeleitete Entscheidung sein, die auch stimmig sein kann. (Noch vor Depression & Co. gab's bei mir mal einen "Knackpunkt" (was Richtung Überqualifizierung so grob) - im ersten Fall wurde tatsächlich darauf herumgeritten und ich habe mich mit viel Realismus und auch etwas Selbstverleugnung sehr gut aus der Affaire gezogen, im zweiten Fall winkte mein Gegenüber das lapidar mit letztendlich eigenem Einfühlungsvermögen ab und wir haben uns über ganz anderes unterhalten.)

Richtig weiterhelfend werden meine Worte nicht sein. - Doch vermutlich ist das auch schwer.

Herzlich, Zarra
La_crimosa
Beiträge: 468
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Re: Zwischen Ehrlichkeit und Kalkül

Beitrag von La_crimosa »

Liebe Zarra, Du Fachfrau (u.a.) für Arbeitsfragen! ;)
Vielen lieben Dank für Deine Antwort!!!
Heute nun kam der Rückruf des potentiellen neuen Arbeitgebers, ich solle doch meine Bewerbungsunterlagen reinreichen... Und nun denke ich mir: wozu die ganze Arbeit (und es wäre viel Arbeit, da ich außerdem auch noch neue Fotos machen lassen müsste...), wenn ich eigentlich doch keine Chance habe... :(

Es ist ein guter Hinweis, mir klar zu machen, was für Pro-Punkte ich für den Wechsel aufführen könnte. Aber eigentlich ist es eine "Verschlechterung" - finanziell, arbeitszeitenmäßig, aufgabenspezifisch... Ich weiss auch gar nicht, ob er eine "Studierte" einstellen würde... Aber im Erstberuf bin ich Kinderkrankenschwester und da würde es vielleicht passen. D.h., mein Studium und die letzen 16 Jahre Berufstätigkeit verschweigen?! Sagen, ich hätte im Ausland gelebt und dort einfach gejobbt?! :?

Vielleicht sollte ich morgen dort anrufen und mit "relativ" offenen Karten dort nachfragen, bevor ich mir all die Arbeit mit einem Bewerbungsschreiben mache... Oder vielleicht schreibe ich besser eine Mail...?

Ja, ich habe meinen Beruf geliebt und es ist mir unangenehm, darin versagt zu haben - aber es sollte wohl nicht sein... :| Außerdem besteht natürlich die Angst, es wieder nicht zu schaffen...

Vielleicht sollte ich es doch lassen...

Nochmals Danke für Deine Antwort! Ich lese immer noch mit in diesem Forum - bin aber leider nicht mutig genug, auf einzelne Beiträge zu antworten. Habe deswegen auch ein schlechtes Gewissen, da ich immer nur selber mit Fragen anstehe, nur nehme, aber nicht "geben" kann...

Nun denn...

Alles Liebe,
Susanne
Zarra
Beiträge: 5734
Registriert: 12. Mär 2010, 15:16

Re: Zwischen Ehrlichkeit und Kalkül

Beitrag von Zarra »

Liebe Susanne,

wenn die sogar zurückgerufen haben, lohnt der Aufwand!

Das mit der Chance/eh keine Chance ist ja auch immer so eine teils Zufalls-Sache, da es auch menschlich passen muß - das kann aber eben auch die Chance sein, wenn fachlich-sachlich nicht wirklich was dagegensteht. Und Du brauchst ja auch nur eine Stelle und nicht zehn.

Und der Aufwand lohnt auch schon allein deshalb, weil Du ihn irgendwann eh treiben mußt und weil er eine Erfahrung bedeutet, Dir vermutlich auch einiges aufzeigt, weil Du Dich mit den verschiedenen Fragen auseinandersetzen mußt.

Kinderkrankenschwester! Das ist, bitte schön, aber nicht absolut fachfremd. Da untertreibst Du gewaltig. - Auch wenn es lange her ist.
La_crimosa hat geschrieben: D.h., mein Studium und die letzen 16 Jahre Berufstätigkeit verschweigen?! Sagen, ich hätte im Ausland gelebt und dort einfach gejobbt?! :?
Nein! Das macht keinen Sinn und wäre ja fast glatte Lüge. Du mußt - m.E. - natürlich das Studium und grob die Tätigkeit nennen, kannst da nur ggf. etwas untertreiben, ohne daß eine Lüge daraus wird.
Und je kleiner der Betrieb ist, umso weniger machen grobe Lügen einen Sinn.

Deine Anrufidee finde ich auch nicht schlecht. Wenn Dir das leichter fällt oder eher ansteht. Mail würde ich persönlich eher nicht machen (außer es ist die Bewerbungsmail), denn beim Anruf hast Du auch gleich einen Kontakt, haben beide Seiten einen Eindruck. Wenn Du Dich dann dagegen entscheidest, hast Du vielleicht kein ganz so schlechtes Gefühl, auch wenn das Gegenüber gerade einen schlechten Tag haben kann o.ä. und das nicht dem realen Eindruck entsprechen muß, Telefone können bei manchen Menschen auch tückisch sein.

Und vermutlich solltest Du das Wort "scheitern" aus Deinem Kopf streichen. Nicht nur hinsichtlich der Neuorientierung, sondern vor allem auch für Dich zur Verarbeitung. Man kann eben nicht alles, nicht immer alles, zumindest nicht gut für sich selbst, und sich zu quälen bringt es nicht. Denn immerhin hast Du das ja anscheinend 16 Jahre gemacht. Eine lange Zeit! Scheitern scheint mir etwas anderes zu sein.

Nichtsdestotrotz: Vielleicht gibt es ja Punkte bei Deiner bisherigen Tätigkeit, die Du "gegenüberverträglich" als belastend nennen kannst, ohne dadurch sofort nicht mehr so für die neue Tätigkeit in Frage zu kommen? Und vielleicht gibt es ja auch so ein gewisses "genug, DAS reicht jetzt" (sozusagen eher vorsorg-fürsorglich): Ich kann mir das in sozialen Berufen gut vorstellen.

Weiß Du, es kommt ja auch darauf an, wie jemand rüberkommt, wie jemand gerade in einem kleineren Laden reinpaßt. - Mir fällt gerade auch jemand ein, die bei uns eigentlich völlig überqualifiziert eingestellt wurde (zwei andere Berufe; in einem hat sie eventuell nie gearbeitet, in dem anderen war sie allerdings zumindest auch nicht hochbezahlt, wenn eventuell auch besser als bei uns) - ich glaube, da gab es Bauchgrimmen, daß sie bald wieder kündigen würde; das ist nicht geschehen und sie und alle machen einen zufriedenen Eindruck.

Sind in der Ausschreibung konkrete Anforderungen genannt?

NUR MUT!!

Alles Liebe, Zarra
Zarra
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Re: Zwischen Ehrlichkeit und Kalkül

Beitrag von Zarra »

P.S. Auch z.B. ein klares "weniger Verantwortung" (keine Ahnung, ob es das u.a. mit ist) kann gut wirken, auch wenn das für die meisten blöd klingt.
La_crimosa
Beiträge: 468
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Re: Zwischen Ehrlichkeit und Kalkül

Beitrag von La_crimosa »

Liebe Zarra,
vielen Dank für Dein Mut-machen!

Telefonieren kostet mich immer immense Überwindung - aber ich weiß, wie kostbar so ein persönlicher Kontakt sein kann!
Jetzt habe ich mich für eine Mail entschieden. In der habe ich kurz meinen beruflichen Werdegang geschildert mit der Frage, ob sie sich vorstellen können, mich weiter kennenzulernen.
Wenn nicht, kann ich mir den Aufwand sparen. Wenn ja, dann werde ich mir - auch anhand Deiner Anregungen - Gedanken darüber machen, wie ich meinen Wechsel "verkaufe". Mit einer Lüge zu starten (Auslandsaufenthalt) - da gebe ich Dir recht - ist keine gute Grundlage. Und wäre auch wider meiner Natur...

Meine Kinderkrankenschwester-Zeit ist schon so lange her und ich habe nur während des Studiums in dem Beruf gearbeitet. Aber eine gewisse Affinität zum medizinischen Bereich ist noch vorhanden. Deswegen auch mein Interesse an dieser Tätigkeit.

Das Scheiter-Gefühl ist leider nicht so einfach zu streichen und ich ärger mich über mich selbst. In meinen "Traum"-Beruf habe ich erst 8 Jahre gearbeitet. Davon je vier bei unterschiedlichen Arbeitgebern - da ich den ersten aufgrund meiner ersten schweren Depression - verlassen habe, um dann beim zweiten Arbeitgeber wieder in die Depression zu rutschen. Davor habe ich in anderen sozialen Sparten gearbeitet und studiert.

Nun denn... Ich lasse Dich wissen, wie es ausgeht - und vielleicht frage ich Dich nochmals an, wenn es doch noch zu einem Vorstellungsgespräch kommen sollte. :|

Liebe Grüße,
Susanne
Zarra
Beiträge: 5734
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Re: Zwischen Ehrlichkeit und Kalkül

Beitrag von Zarra »

Liebe Susanne,

ich habe nochmals nachgedacht: Vielleicht wäre ich bei einem kleinen Betrieb auch radikal ehrlich. Ich kann mir das halt nur bei größeren Einrichtungen nicht vorstellen. Und meine andere Angst wäre u.U. wohl, daß ich das nicht sachlich-faktisch-knapp hinkriege, denn es betrifft einen ja ganz persönlich und ich selbst habe da einfach wunde Punkte, auch so der Spagat zwischen glaubhaft schlecht genug und engagiert-einsatzbereit. Doch das muß ja nicht Deins sein.

Ja, ich weiß, daß man dieses "Scheiter-Gefühl" nicht so einfach abstellen kann. Ich selbst habe es ja auch mit meiner halben EM-Rente, obwohl ich weiß und fühle, daß es anders gar nicht ginge. Ich habe es aber immerhin nicht ständig. Und ich versuche schon auch, in andere Richtungen zu schauen. Auch nicht leicht.

Momentan vermutlich nicht, doch ansonsten zum Hier-Schreiben/-Antworten: Wenn Du Lust hast, tu es. Meist sind wir doch ganz nett miteinander. Und ich denke, so können wir uns ein Stück weit weiterhelfen. Je mehr Sichtweisen oder bestätigende Sichtweisen, um so besser. Und jemand, der sich zu schreiben traut, ist ja auch froh, wenn sein Posting nicht einfach so im Nirvana stehen bleibt, zumindest in den meisten Fällen. Doch es gibt keine Verpflichtung.

Herzlich, Zarra
La_crimosa
Beiträge: 468
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Re: Zwischen Ehrlichkeit und Kalkül

Beitrag von La_crimosa »

Guten Morgen, Zarra!
Vielen Dank für Dein Mitdenken! Es tut gut! Und gibt wertvolle Anstöße!

Diese Nacht habe ich über Deinen Vorschlag nachgedacht, welche guten Gründe es für einen Wechsel geben könnte - und mir sind ein paar plausible Faktoren eingefallen. :)
Was bleiben würde wäre natürlich mein "schlechtes Gewissen", das Wesentliche verschwiegen zu haben. Warum würdest Du Deine Krankheit in einem kleineren Betrieb eher preisgeben als in einem größeren? - Ich glaube, ich will "neu" starten und mich nicht durch das Wissen der Kolleginnen belasten. Das Einzige, was ich mir vorstellen könnte, ist, dem Chef "reinen Wein" einzuschenken. Sodass er auch die Wahl hätte, ob er sich so eine "hochexplosive" Angestellte vorstellen kann oder nicht...
Na ja, vielleicht hat es sich ja eh erledigt...

Ein wenig "verquer" ist die Sache schon: von dem Amtsarzt der Agentur für Arbeit habe ich bescheinigt bekommen, ich könne nicht mehr als 15 Stunden in der Woche arbeiten und soll erstmal eine Reha machen oder sogar EM-Rente beantragen. Trotzdem denke ich, ich könnte es schaffen, wieder ganz einzusteigen - halt mit einer anderen Tätigkeit, die mich vielleicht weniger belastet. Wie um mir zu beweisen, dass ich doch arbeitsfähig bin. Dass alles wieder "normal" wird...
Dann denke ich, vielleicht sollte ich bei der AfA mal anfragen, ob es für mich Umschulungen gäbe... Gärtnerei würde mich interessieren...

Zum "Scheiter-Gefühl": Hier geht es, glaub ich, auch ganz stark um die Annahme und Akzeptanz der Depression als Krankheit. Dazu kommt, dass das Scheitern = Versagen = die "Schuldfrage" ja eh einer der vielen negativen Gedanken ist. Die Selbst-Attribuierung. Und so ganz frei von Fehlern bin ich ja nicht… (Was leider nicht kompatibel ist, mit dem Perfektionsanspruch…)
Woran sich dann direkt die Frage schließt: was ist Krankheit und was ist Persönlichkeit? (wurde hier im Forum auch schonmal diskutiert)
Was erstmal bleibt sind die ganzen "Hättest" und "Wärest"...
(B.t.w.: Clowns üben die „Kunst des Scheiterns“ ein - vielleicht kann man davon ja lernen?!)

Was heißt Du "versuchst auch schon in andere Richtungen zu schauen"? - Möchtest Du eine andere Tätigkeit aufnehmen?

Und zu guter Letzt: Danke für Deine Worte zum Schreiben-im-Forum. Ja, es steht und fällt natürlich auch mit den Antworten der User. Und es ist ziemlich unangenehm, einen Beitrag eröffnet zu haben und keine Reaktion zu erfahren… Ich versuche mich mal mehr einzubringen. Allein schon als Danke für die Hilfe, die ich schon hier durch den Gedankenaustausch erfahren durfte… Ich versuche…

Dir einen schönen Tag!
Susanne
Zarra
Beiträge: 5734
Registriert: 12. Mär 2010, 15:16

Re: Zwischen Ehrlichkeit und Kalkül

Beitrag von Zarra »

Liebe Susanne,

in einem kleinen Betrieb geht es um Personen - bei einem großen um die "Personalakte", die eben auch später Nachfolger einsehen können, man weiß nie so genau, wo überall die Info landet. (Ob ich später dem Vorgesetzten oder einer sympathischen Kollegin davon erzähle, ist etwas anderes. - Ich stelle mir da i.a. aber auch das Vorstellungsgespräch teils anders vor.) In kleinen Betrieben kriegt man in aller Regel ein gewisses Maß an Privatinfos über die anderen eh mit, selbst wenn nicht gequatscht wird. Und vielleicht würde ich mich da noch etwas mehr zu Offen- und Fairheit verpflichtet fühlen, denn bei einer ggf. Krankmeldung müßte ich mich da vermutlich auch direkter "stellen".

Ich glaube, ich würde das auf alle Fälle im Anschreiben noch möglichst neutral formulieren, auch wenn es sich vielleicht daraus erahnen läßt; der Rest ergibt oder ergibt sich nicht im Vorstellungsgespräch. Letztendlich hängt viel vom Einzelfall, von der konkreten Stelle ab, was man da als passend empfindet und zu was man stehen kann. - Vermutlich ist es am besten, wenn Du Dich auf verschiedene Szenarien vorgereitest, so daß Du je nach den Aktionen und Reaktionen des Gegenübers und den gegenseitigen Sympathien verschiedene Handlungsalternativen hast.

"Hochexplosiv" - ich schätze das Adjektiv kennzeichnet Deine Angst. Denn so würde ich Dich nicht einschätzen, bei aller ggf. Unsicherheit, wie solch ein Neustart ausgehen kann. Und wenn das real nicht nur "unsicher", sondern wirklich "HOCHexplosiv" wäre, dann würde ich Dir auch raten, die Idee nochmals zu überdenken. - Ich denke, das Gegenüber wird zurecht die Annahme brauchen, daß es auch gutgehen kann.

Wenn Du Dich von außen und von außen-innen betrachtest, was hältst Du dann von der amtsärztlichen Einschätzung? Übertrieben? Real? Der damalige Stand, und inzwischen ...?
La_crimosa hat geschrieben:Was heißt Du "versuchst auch schon in andere Richtungen zu schauen"? - Möchtest Du eine andere Tätigkeit aufnehmen?
Nein, keine andere Tätigkeit. Ich bin inzwischen sehr realistisch geworden, auch wenn das manchmal auch mit etwas Resigniertes hat. (Es gibt wirklich beide Seiten: positiv Reales sehend und damit möglichst am sinnvollsten umgehend; Schwung aus allen Ideen nehmend und ggf. auch in Ödem verharrend.)
Es gibt bei mir ja durchaus eine Persönlichkeits-Vorgeschichte und hindernde äußere Bedingungen (ein Umfeld, das Studium nicht unbedingt gut fand), lange bevor es um klinisch relevante Depression ging, so daß ich irgendwann da schon "zurückgeschraubt" hatte und nun einen weitestgehend Bürojob habe, der für manche dann zudem noch viel "kuschliger" klingt, als er faktisch garantiert ist. Und für den Beruf ist meine Arbeitsstelle "inhaltlich" immer noch sehr gut. Und die zunehmend unbefriedigenden Zustände könnte ich überall sonst auch antreffen. Seitdem ich die halbe EM-Rente beantragt und genehmigt bekommen habe, ist eigentlich klar, daß das so weiterlaufen wird, wenn das Leben nicht Überraschungen bietet. Zumal ich 51 bin. (Das hätte ich vor einigen Jahren übrigens noch nicht in diesem Ausmaß als "Argument" genommen, obwohl es natürlich gegen einen neuen Beruf spricht, doch in Kombination mit der halben EM-Rente u.a. bekam ich das jetzt schon so oft "aufgetischt", daß ...) Ansonsten wäre es hinsichtlich des Lebensunterhalts vermutlich auch eher grob fahrlässig, daran zu drehen.
Halbtags ein machbarer Job, der mir den Lebensunterhalt sichert und aushaltbar ist, manchmal auch mehr, mit überwiegend sehr netten KollegInnen in einem guten Umfeld.
Befriedigung könnte manchmal dann vermutlich etwas anderes sein ..., doch diese Züge habe ich nie erreicht. Und bei Tendenzen, bei denen ich manchmal spüre, daß sie mir Auftrieb geben (z.B. mehr Sozialkontakte, weniger stures Abarbeiten), weiß ich nicht, ob ich mir das wirklich zutrauen würde, ob ich das gut könnte, wenn ich es viel häufiger oder dauernd hätte. - Also maximal im Kleinen; immerhin gibt es das da manchmal auch.

Mit "in andere Richtungen schauen" meinte ich übrigens eher: Nicht darauf schauen, daß ich krankheitsbedingt NUR HALB arbeitete, sondern z.B. genießen, wenn ich es denn z.B. mal schaffe, am Nachmittag ein gutes Hörbuch zu hören (ohne dabei einzuschlafe), mich freuen, wenn es mir bei einer Freizeitbeschäftigung mal wieder wirklich gut geht (und ich nicht nur "pflichtbewußt" hingehe, wie es eben auch schon war - was in 80 % der Fälle vermutlich Käse war), mich freuen, wenn man bei der Arbeit Ideen von mir gut findet.

Fühle mich gerade ziemlich verworren, hoffe, das ist dennoch halbwegs verständlich.

Herzlich, Zarra
La_crimosa
Beiträge: 468
Registriert: 28. Mär 2010, 22:05

Re: Zwischen Ehrlichkeit und Kalkül

Beitrag von La_crimosa »

Guten Morgen, Zarra!
Deine Worte waren/sind verständlich!

Ich glaube, die Frage der Sicherheit vs. Bequemlichkeit stellt sich häufig ein, wenn etwas schon lange „irgendwie“ läuft. Man sieht auf der einen Seite die Vorzüge, spürt aber auch, was fehlt. Und dann ist es, wie Du es schreibst, ein Abwägen: was überwiegt, was ist realistisch und wie steht es perspektivisch.
Es hat vielleicht auch etwas mit Resümieren zu tun: wo stehe ich im Moment, wo wollte ich mal hin und die große Frage: Ist das alles?!

Da ist es doch gut, sich die positiven Seiten zu verdeutlichen!
Und: andere wählen sich bewusst einen Halbtagsjob oder nehmen weniger Stunden, damit sie die freie Zeit für sich nutzen können. Bei Dir ist es nun zwar „erzwungen“ - hat aber auch seine Berechtigung.
Das Problem - könnte ich mir vorstellen (nachdem, was Du schreibst) - liegt darin, diese Zeit auch genussvoll zu nutzen. Vielleicht projiziere ich jetzt auch, denn ich kenne es von mir: die Müdigkeit, die Antriebslosig- und Lustlosigkeit dehnen die freie Zeit eher zur Endlosigkeit… und dann das „schlechte Gewissen“ wieder nichts mit der kostbaren Zeit angefangen zu haben, sie nutzlos verstrichen haben zu lassen… aber vielleicht ist das eher „meins“…

Die potentielle Arbeitsstelle hat sich übrigens bisher nicht mehr bei mir gemeldet. Wahrscheinlich war ihr meine Mail doch suspekt. Hätte ich doch anrufen sollen oder doch die Mühe des aufwendigen Bewerbungsschreibens auf mich nehmen sollen?! - Schade, aber auch nicht ganz so schlimm. Vielleicht steht jetzt doch erstmal anderes an wie z.B. eine Reha… Dort kann ich dann das in meinen Augen „Hochexplosive“ ;) bearbeiten.

Vielen Dank, Zarra, für den für mich gewinnbringenden Austausch!

LG,
Susanne
Zarra
Beiträge: 5734
Registriert: 12. Mär 2010, 15:16

Re: Zwischen Ehrlichkeit und Kalkül

Beitrag von Zarra »

Liebe Susanne,

ja, dieses "Ist das alles?!" oder "Ist es das?!" ist es u.a. Die endgültige Antwort, die es vermutlich auch nicht gibt, habe ich noch nicht darauf gefunden. Mal "ist es das", mal auch nicht.
La_crimosa hat geschrieben:Das Problem - könnte ich mir vorstellen (nachdem, was Du schreibst) - liegt darin, diese Zeit auch genussvoll zu nutzen. Vielleicht projiziere ich jetzt auch, denn ich kenne es von mir: die Müdigkeit, die Antriebslosig- und Lustlosigkeit dehnen die freie Zeit eher zur Endlosigkeit… und dann das „schlechte Gewissen“ wieder nichts mit der kostbaren Zeit angefangen zu haben, sie nutzlos verstrichen haben zu lassen… aber vielleicht ist das eher „meins“…
Ja und nein. - Mit dem Genuß habe ich wohl generell (immer noch) "Probleme". (Auch früher nie wirklich gelernt.) - Das mit dem Sich-Dehnen scheint mir eher Deins zu sein: Mir schwindet die Zeit eher dahin und ich wundere mich! Zeit einfach um. So fühlt es sich an. Und mit dem Nur-Halbtags-Arbeiten ist es auch anders, als ich mir das früher wohl mal vorgestellt hätte (und als es sich wohl meine KollegInnen vorstellen, wenn sie mir einen schönen Nachmittag wünschen ;) ): Ich tue alles mit viel mehr Ruhe als früher, mein Leben ist geruhsamer geworden - soweit "Erwartbares" -, doch mein Eindruck ist, daß ich mich mit der Halbtagsarbeit ungefähr so fühle wie andere nach Ganztagsarbeit, von zusätzlich Kindern zu schweigen, ich verschlafe z.B. den schönen Nachmittag viel häufiger als mir lieb ist und als ich es erwartet hätte, nicht aus "-losigkeit", sondern weil ich einfach "platt" bin, nicht mehr kann, und über längere Dauer hätte ich das nicht erwartet. - Falls (!) ich darüber nachdenke, lande ich aber vermutlich auch bei: nicht genutzt. Das tue ich immerhin nicht immer, immer seltener.

Reha finde ich in Deinem Fall auf alle Fälle gut!

Ganz herzliche Grüße,
Zarra
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