Meine Erfahrungen mit Benzos

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lae
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Registriert: 14. Feb 2012, 12:37

Meine Erfahrungen mit Benzos

Beitrag von lae »

Hallo,
durch den Bericht einer Großmutter über ihren erkrankten Enkel (in der Realität) fühle ich mich verpflichtet, doch noch Mal meine Erfahrungen niederzuschreiben:

Ich bin 57 Jahre alt und, so lange ich denken kann, depressiv. Bis zu meinem 39 Lebensjahr war mir dies allerdings nicht bewusst. Ich hatte nur immer das Gefühl, du bist anders als die Anderen, mit dir stimmt was nicht.

Durch Schule und Studium habe ich mich mit recht guten Leistungen durchgemogelt. Nach einem Jahr Berufstätigkeit brach ich dann das erste Mal zusammen. Mein Hausarzt verschrieb mir ein Benzodiazepin, nach dessen Einnahme ich dachte, ein Wunder sei geschehen. Ich fühlte mich richtig gut. Da ich meine Belastungen aber nicht verringerte, hielt das gute Gefühl nicht lange an. Schnell musste ich die Dosis steigern und die Tabletten mit Schnaps runterspülen damit sie schneller und stärker wirkten.

Einige Monate später fand ich mich in einer Klinik für Psychosomatik wieder, in der ich die Benzos langsam ausschlich.

Obwohl ich meine berufliche Belastung nach dem Klinikaufenthalt reduzierte, quälte ich mich nur durch die nächsten Jahre.

Bis zu einem Tag im März 1993 -
an diesem Tag brach ich durch eine körperliche Überlastung so zusammen, dass ich in der Folgezeit über drei Jahre weinend, schreiend und würgend mit Todessehnsucht im Bett bzw. Haus verbringen musste. X-Mal wurde ich internistisch untersucht, mehrere Psychiater verordneten mir Antidepressiva aller Wirkstoffgruppen in unterschielichsten Kombinationen und Dosierungen und ich begann erneut eine Psychotherapie.

Nichts - keine Veränderung, keine Besserung!

Ich schrie, wenn ich ein wenig Kraft hatte, weil "es" einfach nicht zum Aushalten war, ich weinte, weinte, weinte, ... und würgte ohne zu erbrechen immer weiter.
Für ein bis zwei Stunden Ruhe hatte ich nur, wenn mein Vater mir eine seiner Benzos gab. Erst als mein Psychotherapeut nach über drei Jahren Therapie in einer Situation, in der ich wieder Mal um jeden Atemzug kämpfte, mit "Geschwätz" kam, traute ich mich, die Benzos gegen jeden ärztlichen Rat regelmäßig zu nehmen.

Seit 17 Jahren nehme ich sie nun. Ich merke noch die Wirkung jeder Tablette, meine Dosis musste ich nicht steigern. Allerdings gehe ich auch ganz sorgsam mit Belastungen jeder Art um. Nein, mein Leben hat mit dem, was man sich unter "leben" vorstellt, nichts zu tun, aber im Vergleich zu meiner Zeit in der "Matratzengruft" ist es ein Quantensprung an Lebensqualitätsverbesserung.

(Manchmal habe ich noch heute Lust, all die "Experten" wegen unterlassener Hilfeleistung zu verklagen. Sie hatten die Mittel zur Linderung meines Leides in der Hand und haben sie mir nicht gegeben. Das verstehe ich bis heute nicht, zumal ein Angehöriger aus der Forschungsabteilung einer Pharmafirma, deren Medikament ich gerade einnahm, mir erklärte, dass Antidepressiva nicht für den Einsatz bei schweren Depressionen gedacht sind.)

Mein Bruder (diagnostizierter Psychotiker)nimmt sie seit über 10 Jahren in Krisensituationen als Notfallmedikament neben seiner regelmäßigen Neuroleptikaeinnahme und brauchte mit dem Einnahmebeginn der Benzos keinen weitern Psychiatrieaufenthalt. Ohne ihre Einnahme würde er heute nicht mehr Vollzeit arbeiten können.

Mein Vater hat sie über 30 Jahre in Krisenzeiten eingenommen.

Eine Bekannte, die vor über 40 Jahren einen Sohn bei einem Motorradunfall verlor, nimmt seit diesem Tag jeden Abend ein Benzodiazepin zum Schlafen ein.

Einem Nachbarn, der sie vor fast 30 Jahren nicht einnehmen wollte, sagte ein Psychiater: "Sie, junger Mann, haben eine Stoffwechselstörung. Sie brauchen diese Tabletten!" Auch hier: seit damals kein Psychiatrieaufenthalt mehr, Erwerbstätigkeit fast bis zur Altersente.

Seit meiner Psychotherapie und der Beobachtung meiner Entwicklung verschreibt mein Analytiker seinen Patienten Benzos für Krisensituationen. Keiner /keine hat - so lange ich Kontakt zu ihm hatte - eine Sucht entwickelt. Sie gehen alle verantwortungsbewusst damit um.
(Seinen Berufskollegen verschweigt er dies, weil er weiß, dass er sein Ansehen verlieren würde.)

Ich besuche seit über 12 Jahren eine Selbsthilfegruppe für die Angehörigen von "Psychisch Kranken", die an ein Psychiatrisches Krankenhaus angegliedert ist. Aus diesem Grund nehmen manchmal auch Ärzte in ihrer Ausbildung zum Fachartzt an der Gruppe teil. Regelmäßig kommt es dann natürlich zu einer Auseinandersetzung zwischen ihnen und mir über die Einnahme von Benzodiazepinen. In einem Fall stimmen sie mir aber zu: bei Selbstmordgedanken muss man sie geben/nehmen.

Auch gibt es zum Teil im Leben der betroffenen Angehörigen immer wieder Krisensituationen in denen sie Benzos einnehmen müssen.

laetitia
MoritzK
Beiträge: 43
Registriert: 20. Nov 2005, 16:26

Re: Meine Erfahrungen mit Benzos

Beitrag von MoritzK »

Hallo,

ja es gibt solche Fälle - sei froh, daß Du die Dosis über diese Zeitspanne halten kannst. Vielleicht hat das auch mit genetischer Veranlagung zu tun, wie man Benzos verträgt und sich daran gewöhnt.

Ich glaube die weitaus meisten Patienten spüren irgendwann das Benzo nicht mehr oder die Wirkung wird einfach zu schwach - dann muss immer weiter gesteigert werden. Solche Leute nehmen dann teilweise eine Monster-Dosis, die für unangepasste Menschen tödlich wäre. Und wenn man zu dieser Patientengruppe gehört ist ein Benzo als Dauermedikation unbrauchbar, gefährlich und inakzeptabel.
Es gibt ja auch bei anderen Drogen diesen Effekt. Manche Menschen trinken täglich Alkohol und werden nie richtig abhängig. Andere Trinken und können nicht mehr aufhören - und werden lebensbedrohlich schwerstabhängig. Man weiß nur vorher nie wohin man gehört... Aber alles selbt ausprobieren ist auch schwer.

lg moritz
lae
Beiträge: 188
Registriert: 14. Feb 2012, 12:37

Re: Meine Erfahrungen mit Benzos

Beitrag von lae »

Hochschubs wegen Aktualität
Regenwolke
Beiträge: 2214
Registriert: 15. Apr 2006, 12:46

Re: Meine Erfahrungen mit Benzos

Beitrag von Regenwolke »

Hallo,

ich vermute, dass es so ist, wie Moritz schreibt: Manche Menschen brauchen schnell höhere Dosen und entwickeln eine Abhängigkeit, andere nicht.
Dass die Ärzte mit Benzos sehr vorsichtig sind, hat sicher auch seinen Grund, ich habe gehört, dass der Entzug wirklich grausam sein kann und mein Arzt sagte mal, wer einmal Patienten auf Entzug gesehen hätte, könne nicht mehr mit gutem Gewissen Benzos verordnen.

Auf der anderen Seite gibt es sicherlich Menschen, für die der Nutzen größer ist, als der mögliche Schaden. Ich selber vertrage so gut wie keine Psychopharmaka, habe sehr unangenehme bis gesundheitsgefährdende Nebenwirkungen oder paradoxe Wirkungen. Tavor, mein Notfallmedikament, vertrage ich hervorragend ohne irgendeine Beeinträchtigung, ich werde einfach ruhig, klar und handlungsfähig. Alle Neuroleptika, die ich für den gleichen Zweck ausprobiert habe, machen mich auch in kleinster Dosis so platt, dass ich mich kaum noch auf den Beinen halten kann, von einem klaren Kopf ganz zu schweigen.
Trotzdem: Ich hätte wegen des Suchtpotentials Angst, regelmäßig Tavor zu nehmen, obwohl es von der Wirkung und Verträglichkeit her ideal wäre. So bleibt es mein Notfallmedikament, und ich bin froh, dass ich es für diesen Zweck habe.

Von anderen habe ich wiederum gehört, dass sie Nebenwirkungen, wie ich sie unter Neuroleptika kenne, eher bei Benzos haben. Das scheint also auch sehr unterschiedlich zu sein.

LG, Wolke
Angela1980
Beiträge: 82
Registriert: 12. Jul 2012, 23:08

Re: Meine Erfahrungen mit Benzos

Beitrag von Angela1980 »

ich persönlich halte die DAUER-einnahme von antidepressiva sowie neuroleptika, für weitaus gefährlicher und wirkungsloser als den gezielten notfall-einsatz von benzos.

Angela
"Wenn es keine Menschen gäbe, gäbe es keine Wirtschaft.

Folglich ist die Wirtschaft für den Menschen da und nicht umgekehrt."



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riverflow
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Registriert: 4. Apr 2014, 11:30

Re: Meine Erfahrungen mit Benzos

Beitrag von riverflow »

Das sehe ich genau wie Angela, vorausgesetzt natürlich, dass vorher gut über die Abhängigkeitsgefahr aufgeklärt wurde und der Umgang somit achtsam geschieht.
Besonders Neuroleptika sind nicht ohne und es gibt genug kontroverse Diskussionen in der Fachwelt, ob der Einsatz dieser überhaupt bei der Behanlung von Angst und Depressionen angebracht ist.
Angela1980
Beiträge: 82
Registriert: 12. Jul 2012, 23:08

Re: Meine Erfahrungen mit Benzos

Beitrag von Angela1980 »

@riverflow

>>>Besonders Neuroleptika sind nicht ohne und es gibt genug kontroverse Diskussionen in der Fachwelt, ob der Einsatz dieser überhaupt bei der Behanlung von Angst und Depressionen angebracht ist.<<<

neuroleptika wirkt bei angst u. depri "nur" so als eine art betäubungsmittel und rechtfertigt auf grund der nicht unerheblichen begleiterscheinungen mit langzeit/dauerfolgen dessen einsatz nicht.

Angela
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jolanda
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Registriert: 16. Okt 2003, 10:29

Re: Meine Erfahrungen mit Benzos

Beitrag von jolanda »

Hi
ich persönlich halte die DAUER-einnahme von antidepressiva sowie neuroleptika, für weitaus gefährlicher und wirkungsloser als den gezielten notfall-einsatz von benzos.
Es geht hier aber nicht um den Notfall Einsatz, sondern um die Dauermedikation mit Benzos.
Das mag im Einzelfall wie hier beschrieben mal die einzige Möglichkeit sein.
Meine Meinung ist aber, dass Mediziner durchaus verantwortungsvoll handeln, wenn sie versuchen Benzos zu vermeiden.
In einem Fall stimmen sie mir aber zu: bei Selbstmordgedanken muss man sie geben/nehmen.
Ich mag solche Pauschalisierungen einfach nicht. Man kann auch anders mit Selbstmordgedanken umgehen. Da spreche ich aus eigener Erfahrung. Ich war schon oft hochgradig suizidal, habe aber nicht immer deswegen Benzos genommen. Eine stationäre Krisenintervention mit entsprechender Betreuung bringt mir manchmal mehr und hat weniger Nebenwirkung. Vorallem das Absetzen habe ich einmal als sehr unangenehm empfunden, das muss ich nicht unbedingt öfter haben.

LG, jolanda


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Feedom's just another word for nothing left to lose (Janis Joplin)
PaulineG
Beiträge: 69
Registriert: 26. Aug 2008, 15:01

Re: Meine Erfahrungen mit Benzos

Beitrag von PaulineG »

Wenn man nach wie vor einige Antidepressiva einnimmt,
was ist man dann ? doch irgendwie auch Abhängig von
derselben, die bekanntlich auch nicht ohne Absetzproblematik
sind.

Pauline
hpd1311
Beiträge: 2
Registriert: 22. Apr 2014, 11:33

Re: Meine Erfahrungen mit Benzos

Beitrag von hpd1311 »

Ich leide seit über 40 Jahren unter Depressionen und wurde aus diesem Grund bereits 1992 berentet.

Im Gegensatz zu früher bekomme ich von meinen Ärzten keine "Benzos" mehr. Die Abhängigkeitsgefahr ist ja bekannt.
Allerdings vermisse ich die "glättende Wirkung" von Benzos...
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