Wo anfangen??? - Meine Mutter und ihre Depression

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Shrubbery
Beiträge: 2
Registriert: 30. Jan 2013, 20:53

Wo anfangen??? - Meine Mutter und ihre Depression

Beitrag von Shrubbery »

Liebe LeidensgenossInnen,
mit viel Anteilnahme habe ich Eure Post gelesen. – Jetzt möchte ich Euch meine Geschichte erzählen.

Meine Mutter hat eine ausgewachsene Depression. Sie hängt in ihrem Sessel vor dem Fernseher so ca. 6 bis 8 Stunden am Tag. Sie hat kein Zeitgefühl für die Woche. Es scheint für sie nur ein jetzt und die Vergangenheit zu geben. Sie schläft, bis sie aufwacht. Sie duscht und macht sich zurecht. Sie ißt, sie geht einkaufen. Sie macht aus Rohstoffen etwas warm ← Essen mit Liebe zubereitet ist etwas anderes, denn eigentlich kann sie sehr gut kochen. Sie guckt fern. Sie bedient die Waschmaschiene, sie bügelt. Sie redet nicht. Kein Small Talk alla „schönes Wetter heute“ ist möglich. Fertig!
Ich kenne meine Mutter als jemand, der Ideen hat, malt, Ausflüge plant, sich um seine Pflanzen kümmert, Photos macht, Photos guckt, liest und den Austausch über das Gelesene sucht, das Theater besucht, Vorschläge macht, was man unternehmen kann, lecker kocht, sich um den Garten kümmert, sich um das Haus kümmert, die Zimmerpflanzen gießt, Kontakte pflegt, Spazieren geht.

Die Situation:
Meine Mutter ist 73 bald 74. Vor 6 Jahren ist mein Vater – ein sehr komplizierter Mensch – jämmerlich an Krebs gestorben. Ein halbes Jahr nach seinem Tod ist sie selbst an Brustkrebs erkrankt, man hat ihr die rechte Brust amputiert. Inzwischen gilt sie als geheilt.
In den Jahren nach dem Tod meines Vaters ist sie immer stiller geworden, immer weniger tut sie. Aus einer sehr reinlichen Frau, die jede Woche konsequent geputzt hat, ist dieser Zombie geworden. Ich fasse in der Küche an die Arbeitsplatte und es klebt, früher undenkbar.

Ich – 34 – wohne seit nun fast zwei Jahren bei meiner Mutter. Ich muss das nicht, es hat sich leider so ergeben, als ich mich damals von meinem Partner getrennt habe.
Die vorgefundene Situation habe ich zunächst nicht so richtig verstanden, aber mit der Zeit sehe ich sie immer klarer. Es verstört mich zutiefst, dass dieser Zombie meine Mutter sein soll. Mit Alter alleine kann man diese Verhaltensänderung nicht erklären. – Ich habe schon Teile der Hausarbeit nach Absprache übernommen: Badputzen, wischen, rasenmähen. Ich komme trotz Vollzeitarbeit meinen Pflichten nach. Sie als Rentnerin nicht.
Die Situation ist mittlerweile so, dass wenn ich frühmorgens mir die Zähne putze ich mich übergeben muss. – Ich kenne dieses psychosomatische Verhalten meines Magens sehr gut. „Es kotzt mich an“- im wahrsten Sinn des Wortes. Hatte ich schon mal und zeigt mir klar und deutlich, dass hier etwas nicht stimmt.

Was bisher unternommen wurde:
Besonders deutlich wurde ihre Sprachlosigkeit letztes Jahr um diese Zeit. Sie kann mir nicht sagen, was damals geschah. Dann wieder sagt sie, es fühle sich an, wie damals im Krieg, als sie 4 oder 5 war und das erste Mal einen Schwarzen Soldaten gesehen hat, danach hat sie auch für 3 Monate nichts gesagt. Ihren stetigen Beteuerungen Glauben schenkend bin ich mit ihr in dem Sommerferien mit einem Wohnmobil nach Frankreich gefahren. Ihr unmögliches Verhalten hat mich veranlasst sie nach nur 2 Tagen mit samt des Wohnmobils sitzen zu lassen. Sie hat es geschafft, das Wohnmobil in die Schweiz zu steuern, dort 2 Wochen zu bleiben und auch wieder nach Hause zurück zu kommen. In der Zeit ist ihr klar geworden, dass mit ihr „irgendetwas“ nicht stimmt. Deshalb war sie bereit sich für 4 Wochen in stationäre Behandlung zu begeben, die sie dann aber abbrach. Außer der Umstellung von Metformin (Tabletten gegen Diabetes) auf Insulin, der CT-Untersuchung, bei der festgestellt wurde, das kein Schlaganfall vorliegt und irgendwelchen Psychopharmaka, die sie nun schluckt, ist dabei nicht herausgekommen. Sie hat keine Folgebehandlung begonnen, oder sich anderweitig um ihr Problem gekümmert. Auf mein Angebot hin, soll ich irgendwo anrufen, ist sie nicht eingegangen, sie will sich selbst kümmern. Weihnachten war der Horror. In der letzten Ferienwoche konnte ich sie auf einer längeren Autofahrt, da sie mir da nicht vor der Diskussion davon laufen konnte, davon überzeugen, dass sie, da sie sich ja schon nicht mehr selbst erkennt, sie zu sich selbst finden müsse. So kam es, dass sie für drei Wochen in ein Kloster ging. Die Betreuung und der geregelte Tagesablauf haben ihr sichtlich gut getan. Sie ist die Strecke zum Kloster selbst mit dem Auto gefahren (das ist z.B. so ein Punkt, den ich nicht verstehe. Auf der einen Seite ist sie so super mobil, kann und will alles, kriegt es aber nicht geregelt), allerdings hat sie kurz vor dem Ziel eine Leitplanke leicht gestreift, so dass das Auto gut verkratzt war. Deshalb musste ich sie dann abholen. Ich hätte sie auch hingefahren, aber das wollte sie ausdrücklich nicht. Noch im Kloster hat sie mir erklärt, dass es so mit ihr nicht weitergehen kann und sie will jetzt professionelle Hilfe. – Ach, guck an!
Inzwischen, zwei Wochen später, will sie von dieser Idee nichts mehr wissen. Aber sie kennt sich selbst nicht. Sie kümmert sich morgen. Was natürlich nicht passiert. Sie findet immer eine Ausrede, warum sie dieses oder jenes jetzt nicht tun kann.
Dieses davonlaufen und sich vor den Problemen verstecken halte ich nicht aus, was mir mein Magen inzwischen überdeutlichst klar macht.
Ich habe ihr inzwischen schon mehrfach klar gemacht, dass wenn sich an dieser für mich nicht erträglichen Situation nichts ändert, ich ausziehen werde, was sie unter keinen Umständen will.

Was ich von ihr will:
Sie soll wenigstens einen small Talk führen können. Sie soll sich wieder anderen Dingen widmen außer dem Fernseher. Sie soll auch mal wieder ein Gespräch beginnen.

Meine Frage an Euch: Was kann ich tun? Wo muss ich sie hinschicken? Soll ich selbst eine Psychotherapie beginnen?

Danke fürs lesen.
Herzlichst Eure Shrubbery
Tabarka1
Beiträge: 267
Registriert: 10. Feb 2013, 13:34

Re: Wo anfangen??? - Meine Mutter und ihre Depression

Beitrag von Tabarka1 »

Hallo Shrubbery,
Ich versuch mich mal an einer Antwort und es fällt mir schwer.
Bei Eich scheint einiges durcheinander zu gehen. Wenn ich es richtig verstanden habe hat Deine Mutter Dir geholfen, in dem sie Dich aufgenommen hat. Inzwischen fühlst Du Fich aber eher als diejenige, die hilft. Hat Deine Mutter denn dazu ja gesagt? Möchte sie denn überhaupt mit Dir zusammen wohnen? Wieso bist Du nach der Krise nicht wieder ausgezogen? Brauchst Du Deine Mutter für Dich ( z.B. weil Du Dich noch nicht traust alleine zu leben?)?
Ich verstehe auch nicht woher die Diagnose Depression kommt?
Natürlich ist es gut und wichtig, wenn Du Dir selbst Hilfe holst. Dann wirst Du für Dich klarer sehen. Und wenn Du klarer siehst, weißt Du auch eher was Du bereit bist mitzutragen. Und als eine, die das Sterben der Vorgängergeneration schon hinter sich hat - alleine den jeweils eigenen selbstbestimmten Weg im Alter der Verwandten auszuhalten ist eine hohe Kunst. Und bis eine Betreuung eingerichtet wird, dauert es länger als Angehörige es oft gut aushalten. Aber auch dafür gibt es Beratungsstellen.
Ich wünsche Dir viel Kraft und Klarheit
Tabarka
P. S. Auch wenn ich selbst erst eine Woche dabei bin, wünsche ich Dir ein herzliches Willkommen
Wann, wenn nicht heute... ?
Salvatore
Beiträge: 3868
Registriert: 10. Feb 2010, 18:35
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Re: Wo anfangen??? - Meine Mutter und ihre Depression

Beitrag von Salvatore »

Hallo Shrubbery,

dein Thread ist schon ein paar Tage alt. Liest du noch mit?

Ich habe mich mit der Antwort etwas getragen, ich bin selbst Betroffene und in meinen Ohren klingst du sehr fordernd.
Ich lese da "ihr Verhalten ist unmöglich" und mehrmals "sie soll". Was ich nicht lese, ist Mitgefühl.

Ich hatte beim Lesen sofort Mitgefühl für deine Mutter, da ich eine vage Ahnung davon habe, wie sie sich vielleicht fühlt.
Es braucht auch für eine handfeste Depression nicht unbedingt einen konkreten AUslöser. Vielleicht gibt es auch einen und sie kann ihn nicht benennen.
Ich habe in meiner Klinikzeit auch mehrere ältere Herrschaften kennengelernt und was bei ihnen sehr verbreitet war, war eine gewisse Resignation: das Leben geht aufs Ende zu und irgendwann lässt sich das auch nicht mehr verdrängen. Dazu gesellt sich die Kraft- und Mutlosigkeit und es stellen sich Gedanken ein wie "Wozu das jetzt noch alles?". Für wen oder was morgens früh aufstehen? Für wen oder was die Küche schrubben? Weil eine gesellschaftliche Konvention das so verlangt?

Du schreibst gleich eingangs:
>Sie hängt in ihrem Sessel vor dem Fernseher so ca. 6 bis 8 Stunden am Tag. Sie hat kein Zeitgefühl für die Woche. Es scheint für sie nur ein jetzt und die Vergangenheit zu geben. Sie schläft, bis sie aufwacht. Sie duscht und macht sich zurecht. Sie ißt, sie geht einkaufen. Sie macht aus Rohstoffen etwas warm

Was sie schafft, ist doch sehr viel! Vielleicht kannst du es mal aus dieser Warte sehen: es geht zwar nicht mehr so viel wie früher einmal, aber immerhin - sie versorgt sich noch selbst und betreibt Körperpflege. Was ist denn daran auszusetzen, dass sie ausschläft? Oder fernsieht? Und wozu eigentlich unbedingt Small-Talk?
Das musst du ja nicht gut finden, aber mir scheint sie noch so weit fit zu sein, dass ihr nicht die Rollen zu tauschen braucht. Sie kann für sich selbst entscheiden, auch wenn es dir Magendrücken bereitet und du ihre Entscheidungen nicht gutheißt.
Es scheint ja nicht so zu sein, dass sie versifft oder in einem Messi-artigen Chaos versinkt.
Es ist klar, dass du es lieber hättest, dass sie mit viel Elan durch die Welt geht und ihr wäre das mit Sicherheit auch lieber. Die Frage ist doch: Was möchte sie und wie könnte sie das (mit dir gemeinsam) erreichen? Was kannst du dazu tun, was hilft ihr und was nicht? Kannst du das ein bisschen wertfreier betrachten, ohne diese "sie sollte" und "sie müsste"? Und dich mal selbst hinterfragen?

Die Behandlungssituation für diese Generation ist etwas anders als für unsereins.
Sie ist ein Kriegskind und hat viel durchgemacht und erlebt. Hat viel Lebenserfahrung angesammelt. Und in der Klinik sitzt sie dann mit großer Wahrscheinlichkeit vor jemand sehr viel jüngerem und soll sich das Leben erklären lassen.
Dazu kommt noch, dass sie die Zeiten kennt, in denen man Irre in die Psychiatrie gebracht hat, um sie dort zu verwahren und zu Nicht-Menschen zu degradieren. Auch wenn sie erfahren hat, dass es heute anders ist, kann ich mir vorstellen, dass ein bisschen Furcht immer noch da ist.
Bezüglich der Antidepressiva schreibst du sie nimmt "irgendwelche". Auch das klingt abwertend.

Du könntest ihr anbieten, mit ihr zusammen nach Möglichkeiten zu suchen. Mal zu überlegen, es gibt ja nicht bloß die Option Klinik oder nicht.
Was möche sie und was nicht? Sie ist ja selbst nicht ganz glücklich, sagt, sie kennt sich nicht wieder.
Aber bitte stelle dich dabei nicht über sie: "Ich regle das für dich", "Du sollst...", "Sonst ziehe ich aus, Punkt."

Ich hoffe, mein Posting kommt so an, wie es gemeint ist: als Versuch, deinen Blickwinkel auf einen etwas anderen Standpunkt hin zu weiten. Als Ansporn, den Blick mal auf dich zu lenken und deine Motive zu hinterfragen. Du meinst es gut mit deiner Mutter, das klingt aus deinem Posting eindeutig hervor.
Aber es ist nicht immer gut, auch wenn es noch so gut gemeint ist.

Lg, Salvatore
Blog: http://www.oddyssee.de
Instagram: Oddysee@meine_oddyssee
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