Rat-und Reaktionslos

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Zauberland

Rat-und Reaktionslos

Beitrag von Zauberland »

Hallo Ihr Lieben!

Ich lese schon eine ganze Weile mit, nun mein erster Beitrag.
Ich war 3 Jahre mit meinem Partner zusammen, der seit ca. 6 Jahren an einer Depression leidet. Er hat zwei Rehas gemacht, die erste abgebrochen aus existentiellen Gründen, die zweite zu Ende gebracht, aber völlig resigniert und frustriert von den Therapeuten. Nach ein paar erfolglosen Versuchen einen anschließenden Therapieplatz zu bekommen, hat er schließlich aufgegeben . Auch die Antidepressiva hat er nur sporadisch genommen und später abgesetzt. Er sagt, sie helfen nicht, und die Müdigkeit und Gewichtszunahme belasten ihn noch zusätzlich. Auf weitere Angebote von mir ihn in der Suche nach einem Therapeuten zu unterstützen hat er nur noch aggressiv reagiert.Und das ist nun das Kernproblem, er reagierte immer öfter aggressiv, und fühlte sich schnell übefordert. Leider habe ich die Zornausbrüche abbekommen und alles, was er mir an den Kopf geworfen hat tut immer noch entsetzlich weh (wenn ich es selbst fühlen kann) Man sagt oft, es wäre die Depression die da spricht, aber steckt nicht doch eine Wahrheit dahinter? Ich bin sehr verunsichert. Nun hat er vor ca. einem Monat die Beziehung in einem Wutanfall beendet.
Ich stehe nun selbst am Anfang einer Therapie, mache eine Umschulung und habe einen Sohn, der mich braucht.
Ich habe mich in den letzten Wochen wie betäubt gefühlt und war an manchen Tagen selbst depressiv. Jeder Tag an dem ich es geschafft hatte aufzustehen und meine Aufgaben zu erledigen war eine unglaubliche Herausforderung für mich.
Eine erste Entschuldigung von meinem Ex? folgte nach 2 Wochen in einem Satz per E-Mail, dass er überfordert ist mit allem. Gestern kam eine neue E-Mail, in der er sich dafür entschuldigte, wie er mich behandelt hat und dass er überfordert ist mit allem und dass es ihm sehr schlecht geht.
Ich weiß gerade nicht mehr was ich machen soll...ich bin nebenbei am Lernen für die nächste Klausur, habe nach Eingang der E-Mail lange geweint(was auch mal gut tat) und wenn ich könnte würde ich ihm meinen ganzen Schmerz schreiben, aber er steckt mitten in einer schweren Depression- es ist wohl nicht angebracht.
Ich liebe ihn nach wie vor, aber ich bin sehr verletzt und sehe keinen Weg und weiß nicht, was ich tun soll, ...ich habe nicht zurückgeschrieben, weil alles schweigt in mir und ich selbst überfordert bin...ich will aber auch nicht nicht reagieren und ihn womöglich noch tiefer in die Depression bringen...???

Liebe Grüße
Federleicht
Salvatore
Beiträge: 3868
Registriert: 10. Feb 2010, 18:35
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Re: Rat-und Reaktionslos

Beitrag von Salvatore »

Hallo Federleicht,

willkommen im Forum!

Ich schreibe dir als Betroffene, dass du nicht dafür verantwortlich bist, wie es IHM geht. Das ist etwas, das er ganz sicher während der Reha auch gelernt hat, es ist nämlich so ziemlich das erste, was man in der Therapie lernt.
Du bist nur für deine eigenen Gefühle verantwortlich und ich meine auch, dass du sie ruhig ausdrücken darfst - auch und vor allem deinem Exfreund gegenüber. Es ist ihm nicht geholfen, wenn du ihn in Watte packst, auch wenn seine Reaktion etwas anderes suggeriert.

Es ist also sehr wohl angebracht, wenn du ihm sagst, wie sehr du verletzt bist (wer weiß, vielleicht provoziert er diese Situation ja sogar absichtlich, damit er sehen kann, ob er dir noch was bedeutet? Wer kann das schon wissen...)
Auch kannst du ihn nicht "noch tiefer in die Depression" bringen, das ist Quatsch, das schafft er ganz prima allein.

Es ist schon manchmal was dran, dass "die Depression spricht", ich kenne das auch. Das liegt daran, dass man durch die "Depri-Brille" eben nur schwarz sieht, alles kann dann wie ein Angriff wirken oder wie Ablehnung und eine realistische Sicht der Dinge ist in einer shcweren Depression beinahe unmöglich.
Trotz allem Verständnis bin ich aber auch der Meinung, dass eine Depression kein Freifahrtschein für Gemeinheiten bedeutet. Du musst ihm also jetzt nicht alles verzeihen müssen, weil er ja depressiv ist. Dass Männer eher aggressiv reagieren, ist leider ein weit verbreitetes Muster.

Wenn die Medikamente ihm nicht geholfen haben, dann soll er so bald wie möglich wieder beim Psychiater aufschlagen und was anderes probieren. Allerdings, wenn er es dann nur unregelmäßig nimmt, dann nützt es gar nichts - eine Wirkung stellt sich nach verordneter Einnahme nach ca. 2-4 Wochen ein, bei sporadischer Einnahme gleich gar nicht.

Die Therapeutensuche ist wirklich furchtbar langwierig und frustrierend ist, da kann ich ihn gut verstehen.
Wenn er sofort Hilfe braucht, dann soll er sich in eine psychiatrische oder psychosomatische Akutklinik einweisen lassen.
Eine Reha ist mit schweren Depressionen nicht zu schaffen, kein Wunder dass es ihm nicht geholfen hat - die Anforderungen sind bei weitem zu hoch, wie ich aus eigener Erfahrung berichten kann.

Es ist gut, dass du nach dir schaust und selber Hilfe suchst. Klingt bei dir auch gar nicht gut, könnte ebenfalls eine Depression sein. Prima, dass du eine Therapie machen willst, das wird dir sicher auch dabei helfen, sich gegen ihn abzugrenzen.

Alles Gute,
Salvatore
Blog: http://www.oddyssee.de
Instagram: Oddysee@meine_oddyssee
Zauberland

Re: Rat-und Reaktionslos

Beitrag von Zauberland »

Das ist mal offen!
Danke @Salvatore
Quappe
Beiträge: 107
Registriert: 23. Apr 2012, 16:03

Re: Rat-und Reaktionslos

Beitrag von Quappe »

Und ich würde Salvatores Beitrag sofort in allen Details unterschreiben.

Der Augenblick, an dem man als Angehöriger beginnt, seine eigenen Gefühle zu ignorieren und als zweitrangig zu betrachten, ist der erste Schritt zum gnadenlosen Scheitern an sich selbst. Natürlich ist man im ersten Moment versucht, genau das zu tun. Schließlich möchte man den Angehörigen entlasten, es geht ihm schlecht genug und man ist stets auf der Hut und schleicht auf Zehenspitzen durch sein Leben um ihn ja nicht zu kränken oder zu demotivieren.

Allerdings hat man da wenig bis gar keinen Einfluss drauf - auch wenn man das im ersten Moment nicht glauben mag. De Fakto hat man irgendwann zwei kreuzunglückliche Menschen dort sitzen - einer depressiv, der andere auf dem besten Weg dort hin weil er sich selbst in seinen guten Absichten verloren hat.

Du darfst, sollst, musst Deinem Partner trotz seiner Depression weiter Input geben. Du bist ein Mensch, seine Lebensgefährtin und Du hast ein Recht darauf, wahrgenommen zu werden. Tust Du das nicht, verschluckst Du Dich an Deinen Emotionen bis man sie irgendwann nicht mehr fühlen kann weil man ihre Bedeutung so abgewertet hat.

Und: die Reaktion auf das Äußern der eigenen Gefühle kann völlig anders aussehen, als man sie im ersten Moment als Angehörige befürchtet hat. Auch ein depressiver Mensch ist in der Lage, jemanden wahrzunehmen. Manchmal ist dies sogar der Moment, in dem der Partner über seinen eigenen Schatten springen kann.

Ich habe eine ganze Weile gebraucht, um meine eigenen Emotionen wieder an erste Stelle zu setzen. Vor allem habe ich aufgehört, Fehler und Gründe stets bei mir zu suchen. Manchmal projeziert der depressive Partner seine Emotionen auf den Angehörigen. Ich musste mir so Einiges anhören; es wurden Dinge an mir kritisiert die mein Mann gerne an sich geändert hätte. Das hat er nicht wirklich so gemeint, aber seine Wahrnehmung war in dem Augenblick eben ganz anders als man es von außen empfinden würde.

Da kommt man sich vor wie im falschen Film und fühlt sich ungerecht behandelt. Das kann man nun hinnehmen - oder sich dagegen zur Wehr setzen. In unserem Fall kam es zu einem echt unschönen und ehrlichen Wortwechsel, gefolgt von betroffenem Schweigen, Reflektieren, Einsicht und Entschuldigung. Ich hätte gerne auf diese kleine Episode verzichtet, war aber nicht mehr bereit mir manche "Gemeinheiten" klaglos anzutun. Und manchmal braucht es auch erstmal Gegenwind, um abheben zu können.
Zauberland

Re: Rat-und Reaktionslos

Beitrag von Zauberland »

...ich versuche in der Kommunikation bei mir zu bleiben..und merke,dass ich das, was ich noch nie gut konnte, in den letzen Jahren fast verlernt habe. Es ist da schon ein Automatismus in mir, alles zu überdenken was ich sagen möchte und was aus mir heraussprudeln will. Ich denke da werde ich noch einige Übungszeit brauchen.
Das Verrückte ist, dass es mir trotz der Trennung besser geht, d.h. dass mein Stresspegel nicht mehr dauernd am Limit ist. Ihr habt recht und ich habe vergessen in meinem ganzen "Wollen" dass ich mich zuerst um mich selbst kümmern muss...
twinkle152
Beiträge: 57
Registriert: 24. Jan 2012, 21:42

Re: Rat-und Reaktionslos

Beitrag von twinkle152 »

Hallo Quappe ,
kann das auch nur voll unterstreichen.Ich habe versucht meinen Partner in Watte zu packen (wenn ich es mal so aus drücken darf)und habe ihm nicht gesagt was mir nicht passt.
Nun ist er weg zu einer anderen und ich lerne jetzt so viel über mich und unsere vergangene Beziehung .Nun kann ich wieder sehen und hören.
Nur schade das man es manchmal zu spät merkt!!
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