Tiefpunkt

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dprssn
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Tiefpunkt

Beitrag von dprssn »

Hallo Bine,
mein Mann hat schon seit Jahren depressive Phasen. Wir haben das beide gewußt, aber immer wieder verdrängt. Ich denke, dass ist die Situation wie Ihr es so ähnlich erlebt.

Mein Mann hat dann aber starke körperliche Symptome entwickelt und wie besessen nach Ursachen gesucht.
Ich will es nicht genau beschreiben, aber es ging irgendwann nichts mehr, weil er gedacht hatte er ist sterbenskrank.

Ich war erschrocken: ich habe es selbst glauben wollen, mein Mann hätte etwas organisches.

Seit dem quält mich die Frage: hätte ich es erkennen müssen?
Hätte ich ihn vielleicht schon vor Jahren zum Arzt schicken sollen?
Diese Frage wirst Du Dir auch stellen, aber ich kann Dir keinen Rat geben, weil es zu individuell von Dir und Deinem Mann abhängt.
Was Du Dich fragen musst:
- wie lange hälst DU das noch aus
- wer könnte Dir helfen. Vielleicht ein Freund der einen guten Draht zu Deinem Mann hat, oder eine Beratungsstelle für Angehörige von Depressiven.
Ich wünschne Dir viel Glück, es wird nicht einfach, aber manchmal glaube ich, die Krankheitseinsicht kann nur vom Betroffenen selbst kommen und wir Angehörige können uns nur abzappeln. Und trotzdem können wir nicht aufgeben und dürfen es auch nicht.
Das ist nicht wirklich tröstlich, ich weiß.
SucheAustausch
Beiträge: 257
Registriert: 15. Aug 2012, 12:35

Re: Tiefpunkt

Beitrag von SucheAustausch »

Hallo Biene,

ich bin zwar nicht LeniB, aber ich habe auch etwas zu berichten über den Tiefpunkt.

Wie ich es empfunden habe.

Vielleicht interessiert es Dich ja.

Mein Mann war jahrelang depressiv, verbittert und elendig erschöpft. Es gab immer mal gute Phasen und dann wieder welche, in denen er nur erschöpft war und die Depression ihn stärker in der Gewalt hatte.

Aber die Reißleine hat er erst gezogen, als es schon fast zu spät war.

Er hat sich an einem Punkt vorher in der Krankheit allerdings schon langsam um Hilfe bemüht. Er nahm etwa 6 Monate Antidepressiva, bevor es zu dem totalen Loch kam.

Er ging auch schon in Therapie (allerdings erst einige Wochen) und es war auch schon die Rede von einer "Kur" oder einem Klinikaufenthalt.

Dann kam die schlimmste Phase. Mein Mann hat angefangen, jeden Abend Alkohol zu trinken. Und er schlief kaum noch (nachts), kam dafür aber morgens kaum mehr raus.

Er trank und saß auf dem Sofa und ich sah mit an, wie er sich buchstäblich immer weiter hinabschraubte.

Ich habe es als sehr aktives Tun empfunden. Er hat hart daran gearbeitet, so tief zu sinken, dass seine Therapeutin nach einigen Wochen sagte: sie gehen dieses Jahr nicht mehr arbeiten!

Sie wollte ihn schon einweisen, wenn wir nicht gewesen wären (vor allem unsere Tochter) hätte er sich vielleicht etwas mehr angetan als nur den Alkohol.

Mein Mann war in diesem Moment regelrecht erleichtert! Er hatte so darauf gewartet, endlich richtig unten zu sein, krank geschrieben zu werden und zu wissen: ich bin wirklich krank.

Aber die Kraft, das selber zu entscheiden, hatte er nicht!

Für mich waren diese Monate die absolute Hölle! Und ich bin sicher, dass das in meiner Therapie (die ich mittlerweile begonnen habe) auch noch mal Thema wird. Was für eine Zeit!
Der gesamte letzte Sommer, Herbst und Winter waren für mich schwarz. Sicher nicht so schwarz wie für meinen Mann, aber ich habe auch ein Bild von Schwärze, wenn ich an diese Zeit denke.

Heute geht es meinem Mann langsam besser.

Er war 14 Wochen in einer Klinik und danach noch einige Zeit in einer Tagesklinik.

Seit seiner Entlassung geht es sehr langsam bergauf. Sehr langsam.

Mach Dich darauf gefasst, dass Du ihm nicht helfen kannst. Wenn es ein Loch geben muss, so muss er da allein hinein.

Ich musste jeden Abend mit ansehen, wie er sich weiter hinabschraubte. Ich konnte nichts für ihn tun - bin ins Bett gegangen und habe ihn trinken lassen.

Was für eine Machtlosigkeit! Keines meiner Worte hat ihn erreicht - ob Vorwürfe, gute Wünsche, Ideen, Gedanken! Nichts!

Er war in der schweren Depression mehr als ein Jahr nicht hier. Sein Körper ja, aber wir waren beide nebeneinander allein.

Und ein Stückweit sind wir das immer noch.

Auch wenn wir uns (hoffentlich!) wieder annähern... Langsam und mit kleinsten Schritten. (Heute Abend gehen wir ohne Kind essen! Das erste Mal seit längerer Zeit)

Ich wünsche Euch, dass Ihr es schafft. Als Paar und auch jeder für sich. Denn in der Depression sind wir alle allein - Betroffene wie Angehörige. Wir sind getrennt, auch wenn wir noch zusammenleben. Und ob wir diese Trennung überstehen (als Paar meine ich) wird nur die Zeit zeigen...

Alles Gute und viel Stärke und viele gute Freunde, zu denen Du gehen kannst, wenn Du es nicht mehr mit ansehen kannst.

Austausch

PS: Ich hoffe, ich verletze hier niemanden, wenn ich schreibe, dass ich das "Hinabschrauben" als aktives Tun erlebt habe. Einem Depressiven kann man ja eigentlich alles vorwerfen, nur keine Aktivität - aber mir schien es so. Es war wie ein Hilferuf - und ein Hilferuf ist ja auch "aktiv".
bine1704
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Registriert: 16. Okt 2012, 15:42

Re: Tiefpunkt

Beitrag von bine1704 »

hallo lenib,

danke für deine antwort. mein mann bekommt langsam auch körperliche beschwerden. ich kann nicht verstehen, warum er meine hilfe nicht annehmen möchte. er macht immer genau das gegenteil von dem was ich ihm rate oder am meisten ingnoriert er es. er hat nur einen guten freund, der ihm wohl helfen möchte, aber der kam auf die gloreiche idee, meinen mann für ein paar tage bei sich aufzunehmen, damit er gucken kann ob ihm was fehlt. mit ein paar tagen und ohne therapie ist es aber nicht getan, denn er will ja einfach in der depression seine ruhe vor allem haben. einfach nur alleine sein. ich denke nicht dass das der richtige weg ist....
bine1704
Beiträge: 45
Registriert: 16. Okt 2012, 15:42

Re: Tiefpunkt

Beitrag von bine1704 »

hallo austausch,

doch deine erfahrung interessiert mich auch sehr! da bist du ja echt richtig durch die hölle gegangen. ich hoffe das mir das ein wenig erspart bleibt, aber ich denke eher nicht und er muss auch irgendwie erst ganz unten sein. ist leider nur schwierig nichts mehr zu sagen, wenn man jemanden so zuhause sitzen hat. ich könnte manchmal ausflippen vor wut, enttäuschung, hilflosigkeit, aber ich reiße mich immer zusammen. manchmal frage ich mich, ob es richtig ist, ihn in "watte" zu packen. aber was ich schon richtig und was falsch? ich weiß es leider nicht. jeder gibt mir andere ratschläge, der psychiater meinte ich soll ihm mal die meinung geigen, aber dann habe ich angst, dass er sich nur wieder darin bestätigt fühlt eine motzende frau zu hause zu haben. ein anderer sagt, ich soll ihn lassen bis er ganz unten angekommen ist. ich habe aber angst, dass es so enden wird wie bei robert enke und er gar nicht mehr nach hause kommt. ist leider eine so schwierige situation
dprssn
Beiträge: 27
Registriert: 1. Nov 2012, 20:54

Re: Tiefpunkt

Beitrag von dprssn »

Hallo Bine,
Deine Schilderung und die Erfahrung von austausch berühren mich sehr, weil das alles noch so frisch ist bei mir, und die Erfahrungen ähneln sich so sehr.

Du hast ja auch schon einiges versucht.
Ich muß zugeben, ich war da weniger umtriebig. Ich habe so einen starken Selbsterhaltungtrieb, dass ich mich manchmal einfach weggeduckt habe und den normalen Betrieb (Kinder, Arbeit, Haushalt...) aufrecht erhalten habe. Ob das gut ist, kann ich nicht beurteilen.

Du schreibst, Du hast es schon mit gut zureden und mit motzen probiert. Wenn es bis jetzt nichts genutzt hat wird es auch in Zukunft nichts nutzen, ausser Dir vielleicht das Gefühl zu geben, dass Du es versucht hast.

Das hängt von Deinem Charakter ab: ist es Dir wichtiger Deine Meinung zu sagen und Streit zu riskieren, weil Du das gut aushälst. Oder willst Du zu der ganzen schwierigen Situation nicht auch noch Zoff, dann sag` nichts, vor allem wenn es eh nichts bringt und Dein Mann dann depressiv + sauer auf Dich ist.

Was unserem Verhältnis etwas gebracht hat: als er gedacht hat, er hat irgendwas körperliches habe ich ihn immer ernst genommen und zugehört. Das hat ihm geholfen, und dass ich ihm da ohne wenn und aber beigestanden habe rechnet er mir hoch an.
Es hat zwar dazu geführt, dass ich die Möglichkeit Depression selbst ausgeblendet habe. Wenn ich auch den Bericht von Austausch lese: in den Tiefpunkt müssen manche vielleicht alleine kommen.
Da bin ich wieder was ich schon gesagt habe: Du kannst als Angehöriger manchmal nur zuschauen.
Wenn Du irgendeine Möglichkeit hast, das ohne Streit zu begleiten,dann gilt Prinzip Hoffnung, dass Euch das irgendwie stark macht.

Mir sind noch ein paar Dinge eingefallen
- das mit dem Freund ist doch gar nicht schlecht, aber hast Du mit ihm offen geredet, was er Deinem Mann beibringen soll?
- wenn Du sagst: ich habe Angst das endet wie bei Robert Enke: wenn Dein Mann suizidgefährdet ist dann musst Du irgendwas tun, aber leider weis ich nicht was. Vielleicht diesen Psychater fragen
- vielleicht fragst Du in diesem Forum andere selbst Depressive, wie sie zur Krankheitseinsicht und zur Therapie gekommen sind.
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