Wer kann mir das erklären?

Antworten
ny1974
Beiträge: 38
Registriert: 10. Sep 2012, 09:30

Wer kann mir das erklären?

Beitrag von ny1974 »

Hallo!

Für alle, die meinen letzten Beitrag nicht gelesen haben:
Mein Freund leidet unter PTBS und steckt zur Zeit in einer schweren Depression.

Was ich nicht verstehe ist, warum jemand, der depressiv ist, eher noch die Gesellschaft derer ertragen kann, die ihm nicht so nahe stehen, als die Gesellschaft der Person, für die er am meisten empfindet, die ihm am wichtigsten ist.
Das verstehe ich einfach nicht. Das will nicht in meinen Kopf.
Wenn es mir schlecht geht und ich wählen müßte/könnte, würde ich immer meinen Partner wählen als jemand anderen.
Kann mir das einer erklären? Das geht ja anscheinend den meisten so, die an Depressionen erkrankt sind (zumindest nachdem, was ich in diesem Forum und auch in einem anderen gelesen habe).

Danke schon mal für eine "Erklärung"...
sunshine45
Beiträge: 685
Registriert: 16. Sep 2008, 14:26

Re: Wer kann mir das erklären?

Beitrag von sunshine45 »

Hallo,
es ist häufig der Fall, dass depressive Menschen in heftigen Phasen eher den Kontakt zu "Bekannten" suchen, als zu der Person, die ihnen am nächsten steht.
Mir hat das damals ungeheuer weh getan, dass mein Partner mit anderen gelacht hat bzw. mit anderen ausgehen konnte, aber mit mir nicht.
Die Erklärung dafür ist, dass sie bei Außenstehenden einfach eine "Maske" aufsetzen, kaum etwas von ihrem Inneren preisgeben und somit auch mal eine "Auszeit" haben können.
Die nächsten Angehörigen wissen einfach zuviel, sehen dem Erkrankten oft schon am Gesichtsausdruck, der Körperhaltung etc. an, wie es ihm wirklich geht.
Das widerum erzeugt unglaublichen Druck bei dem Erkrankten, weil er ja auch sieht wie der Angehörige "mitleidet" bzw. er auch vom Partner oft auch auf seine Erkrankung reduziert wird.

Fremden Menschen gegenüber gibt man nur das von sich preis, was man will und kann somit auch einen ganz entspannten Abend verleben und dabei schön schauspielern.

Bei mir war es damals so, dass mein Ex-LG bester Laune war, wenn wir z.B. Besuch hatten. Er war der "Entertainer" und eine Minute vor und nach dem Besuch hatte ich einen völlig anderen Menschen (agressiv, leidend, in sich gekehrt wie auch immer) vor mir.
Außenstehende haben überhaupt nicht gemerkt was abging und konnten es auch nicht glauben, als ich das erzählt habe.
Dieses Verhalten macht Angehörige unglaublich einsam.

Ich hoffe, Du kannst mit meiner Erklärung etwas anfangen.
Alles Liebe
die Koboldin
Love it, leave it or change it!
bigappel
Beiträge: 1488
Registriert: 10. Dez 2010, 08:10

Re: Wer kann mir das erklären?

Beitrag von bigappel »

Hallo ny ,

da bin ich wieder .

Glückwunsch zur Einschulung!

Mir geht es gut, naja zumindest bis heute Nachmittag, eine falsche Bewegung und die "Hexe" hat geschossen.
Ich sag ja: ab 40 geht ´s Berg ab...... .

Ich habe es so verstanden, dass es viel leichter ist, Menschen, die einem nichts oder wenig bedeuten zu "ertragen", weil der Betroffene diesen eben genau nichts geben will.

Der Betroffene, will seinem Angehörigen Liebe geben, Aufmerksamkeit, Gefühle, Antworten usw. Das geht oft einfach nicht und da ist es viel einfacher mit Menschen umzugehen, bei dem einem nahezu egal ist, was diese fühlen.
Diese "erwarten" ja auch nichts von einem.

Es ist ein schwer zu beschreibendes Konstrukt, aber auch mir durchaus bekannt.
Es ist tatsächlich kein "böses" Spiel der Betroffenen.

Wichtig ist, es nicht persönlich zu nehmen; sondern es möglichst einfach zu akzeptieren; thematisieren kann auch manchmal schwierig sein.

LG
Pia
Ein Tier zu retten, verändert nicht die Welt, aber die ganze Welt ändert sich für dieses Tier.
Meggi

Re: Wer kann mir das erklären?

Beitrag von Meggi »

@ny1974,
>Was ich nicht verstehe ist, warum jemand, der depressiv ist, eher noch die Gesellschaft derer ertragen kann, die ihm nicht so nahe stehen, als die Gesellschaft der Person, für die er am meisten empfindet, die ihm am wichtigsten ist.<

Hand auf´s Herz, tun das (wir) "nicht depressive" nicht selten auch ?

Grüße
Meggi
bigappel
Beiträge: 1488
Registriert: 10. Dez 2010, 08:10

Re: Wer kann mir das erklären?

Beitrag von bigappel »

Äääääh, nö.

Kann ich von mir nicht behaupten.

Für mich stehen Familie und Freunde an oberster Stelle (sowohl wenn es mir gut, als auch schlechter geht) und dann andere Menschen.....

Ich kann nicht bestätigen, mich lieber mit Fremden zu umgeben, als Familie /und/oder Freunden........ oder der Umgang mit Fremden wäre dann und wann angenehmer.

Vielleicht auch deswegen, weil ich den ganzen Tag so viel mit fremden Menschen umgehe........

Grüße
Pia
Ein Tier zu retten, verändert nicht die Welt, aber die ganze Welt ändert sich für dieses Tier.
ny1974
Beiträge: 38
Registriert: 10. Sep 2012, 09:30

Re: Wer kann mir das erklären?

Beitrag von ny1974 »

@Meggi:

Das kann ich leider auch nicht bestätigen. Wenn es mir nicht so gut oder auch richtig schlecht geht, kann und will ich nur meinen Freund und meinen Sohn um mich haben. Niemand anderen. Ich telefoniere dann maximal mit ein, zwei Freundinnen, aber die Gesellschaft anderer suche ich dann definitiv nicht...
michi86
Beiträge: 42
Registriert: 2. Sep 2012, 00:26

Re: Wer kann mir das erklären?

Beitrag von michi86 »

hy ny

kenn das "problem" was du hast und mitmachst. bin in der selben situation.
ich weiss wie komisch sich das anfühlt und man versteht es auch nicht aber jeder mensch reagiert anders. der eine sucht die nähe zum partner und der andere eben nicht. was ja nicht bedeutet das der partner einen nicht liebt.
ich habe aber auch lange gebraucht um das zu verstehen, du bist aber nicht alleine damit
JJJ
Beiträge: 45
Registriert: 13. Aug 2012, 18:12

Re: Wer kann mir das erklären?

Beitrag von JJJ »

Ich verstehe was Meggi meint. es geht sicher um oberflächliche Kontakte und ich finde auch dass viele sich eher oberflächlichen Kontakten hingeben und sich da sicherer fühlen, als bei Menschen zu bleiben die sie länger kennen und durch dick und dünn zu gehen egal wie schwer es wird. Viele kennen sowas nicht mehr.

Ich würde auch sagen jeder ist in der Depression anders. Ich wollte die Nähe zu meinem Partner, konnte aber auch mit ihm nicht über diese Themen sprechen-man fühlt sich eben unverstanden. Mein Partner hingegen will nur Abstand abstand abstand. Ich kann mir aber auch vorstellen, dass es generell bei Männer neben der Tatsache dass sie eine Maske bei anderen auflegen können auch hinzu kommt, dass sie vor der Frau nicht schwach sein wollen. wer ist das schon gerne? und wenn du erstmal anfängst in der depression über deine traurigkeit und alles zu sprechen, weißt du als Betroffener, wie schnell das eskalieren kann und du nur am heulen bist wie ein kleines Kind. Diese Blöße wollen sich viele nciht geben und viele Angehörige würden es auch nicht verstehen können.

Leider ist es auch in der Depression so, dass man viele Gefühle nicht mehr wahrnehmen kann und einem alle ziemlich egal sind. Man weiß vom Kopf her der und der war mir sehr wichtig und kenne ich lange, aber man SPÜRT nix mehr leider auch keine Liebe.
Salvatore
Beiträge: 3868
Registriert: 10. Feb 2010, 18:35
Kontaktdaten:

Re: Wer kann mir das erklären?

Beitrag von Salvatore »

Hallo ny,

ich schreibe dir als Betroffene. Es ist schwer, etwas zu erklären, das im Grunde unerklärlich ist. Es wurde aber auch schon viel Richtiges gesagt.

Ich habe auch immer wieder Phasen, wo mir nahestehende Personen einfach "zu nahe" kommen. Eben weil sie mich so gut kennen, kann ich ihnen kaum etwas vormachen und nicht immer habe ich die Kraft, mich mit der Krankheit auseinanderzusetzen. Und ich denke auch (zu) häufig, ich bin für andere mit meiner Krankheit nicht zumutbar. Auch wenn ich immer wieder das Gegenteil versichert bekomme, ich kann es einfach nicht glauben. Hinzu kommt, das Außenstehende sich wenn überhaupt nur sehr schwer vorstellen können, wie es sich anfühlt und wie gräßlich das ist. Es gibt einfach keine Worte, um das zu beschreiben. (Was ebenfalls ein Trugschluss ist, weiß ich, denn andere können sich sehr gut ausdrücken.)

Mit weniger Nahestehenden ist es einfacher, weil ich da einfach die "Maske" aufsetze - darin kenne ich mich aus, darin bin ich geübt, denn ich habe es schließlich mein halbes Leben lang trainiert.
Weil das aber eben so verlogen ist, geht das eben nicht beim Partner und engen Familien- oder Freundeskreis. Diese Menschen haben mehr verdient, aber dazu bin ich leider nicht immer fähig. Das macht ein verdammt schlechtes Gewissen. Und es macht mich unsicher, denn darin bin ich nicht geübt und fällt mir schwer. Es ist anstrengend.

Auch das Aufsetzen der Maske ist anstrengend und jedes Mal danach bin ich völlig erschöpft, ahbe ich mich völlig verausgabt.

Hilft dir das ein bisschen weiter?

Lg, Salvatore

EDIT: Ich habe keine PTBS, sondern habe eine "typische" unipolare Depression.
Blog: http://www.oddyssee.de
Instagram: Oddysee@meine_oddyssee
ny1974
Beiträge: 38
Registriert: 10. Sep 2012, 09:30

Re: Wer kann mir das erklären?

Beitrag von ny1974 »

Liebe Salvatore,

mein Freund sagt auch immer, daß es ja nicht das Gleiche ist, wenn er sich mit anderen trifft. Das es nur oberflächlich ist. Und auch er schafft das momentan maximal zwei Stunden. Und er sagt auch immer, daß er mich schützen will und deshalb mich nicht mit den starken depressiven Phasen belasten will. Ich habe es zwar versucht zu verstehen, aber so richtig ist es nie bei mir angekommen.

Aber jetzt, nach Deiner 'Erklärung' oder 'Beschreibung' verstehe ich ihn das erste Mal richtig.

Ich danke Dir vielmals für Deine Offenheit!!!
Quappe
Beiträge: 107
Registriert: 23. Apr 2012, 16:03

Re: Wer kann mir das erklären?

Beitrag von Quappe »

Ich kenne dieses (im ersten Moment sehr irritierende) Phänomen auch. Eine Weile hab ich mich sehr vernachlässigt und ungeliebt gefühlt, da mein depressiver Mann sich, nachdem die erste Anfangsphase überwunden war und er halbwegs stabil wieder auf eigenen Füßen stehen konnte, ständig mit Anderen umgeben hat.

Es wurde quasi den ganzen Tag über "normale" Freizeit betrieben, sich mit Leuten zum Frühstücken getroffen, Motorrad gefahren, geangelt, was-auch-immer. Aber wehe ich kam nach Hause - da fand ich meinen Angetrauten dann in tiefster Stimmung. Und entsprechend verliefen dann auch viele gemeinsame Abende.

Wir haben dann irgendwann auch darüber sprechen können. Denn wenn es eins gibt, was garantiert nach einiger Zeit jeder Beziehung die Grundlage entzieht, dann ist es fehlende Kommunikation und die daraus resultierenden Ideen und Gedanken. Die man sich selbst zusammengebastelt hat, um eine Erklärung zu haben.

Ich fühlte mich wie erwähnt ungeliebt und verlassen - und als negativer Aspekt in seinem Leben. Er sah das allerdings ganz anders. Für ihn war ich der einzige Mensch, den er abends noch ertragen konnte und sehen wollte. Und die Gesellschaft suchte er tagsüber, um nicht mit sich allein sein zu müssen.

Nachdem wir das geklärt hatten, fühlte ich mich ziemlich erleichtert. Und wie man feststellen muss, wenn man sich eine Weile hier bewegt, tritt dieses Verhalten scheinbar häufiger auf.

Depression ist teilweise auf den ersten Blick wirklich ein Widerspruch in sich. Und um den Überblick zu behalten, muss man den Blickwinkel ziemlich flexibel wechseln können. WIE flexibel tatsächlich, stellt man jeden Tag neu fest.
michi86
Beiträge: 42
Registriert: 2. Sep 2012, 00:26

Re: Wer kann mir das erklären?

Beitrag von michi86 »

hey quappe

also dieses gefühl nicht geliebt zu werden vom partner scheint ja echt dazu zu gehören. ich habe das selbe gefühl seit einiger zeit, bei uns aber kam noch eine trennung dazu, da sie das ganze einfach nichtmehr konnte und ihr komplett zuviel wurde, sie mich aber liebt. es ist also mehr eine pause.
seit gestern schwirren mir sowas von doofe gedanken durch den kopf, die tage davor war es echt schön es ging wieder vorran. aber durch den schicksalschlag gestern, hab ich eine unendliche angst das dieser fortschritt jetzt verloren sein könnte. es ist mir ja klar dass das letzte was sie jetzt kann, liebe zeigen ist, nur frag ich mich wie das jetzt weitergeht. macht sie nun komplett dicht, schweisst uns das vllt wieder enger zusammen?! fragen, fragen, fragen in meinem kopf!
Antworten