So am Arsch wie noch nie

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paradiddler
Beiträge: 237
Registriert: 19. Sep 2003, 08:21

So am Arsch wie noch nie

Beitrag von paradiddler »

Hi Leute,

dieses Forum ist echt toll und hat mir vor einiger Zeit schon einmal sehr geholfen. Das ich allerdings nach fast einem Jahr wieder hier schreibe hätte ich nicht gedacht. Aber so ist das mit der Depri: sie kommt und geht. Ich bin 26 und kriege im Leben nichts gebacken. Im Moment ist es so schlimm wie noch nie, und das obwohl mir eigentlich gute Dinge passiert sind. Ich schaffe die alltäglichsten Dinge nicht. Und das merkwürdige: Als ich vor ca. einem Monat mit meiner Feundin zusammengekommen bin (ja, ich bin mit einer Frau trotz Depri zusammengekommen) ging der große Absturz los. Seitdem wache ich Nachts dauernd auf, die Gedankenschraube dreht sich den ganzen Tag und meine akuten Anfälle werden immer schlimmer. Letztens habe ich mich zum erstenmal selbst verletzt. Mein linker Oberarm ist total aufgeritzt; ich erzähle allen, ich hätte mit einer Katze gekämpft. Ich finde keine Antwort, genauso wie ich sie in den letzten Jahren nicht gefunden habe, und deshalb hatte ich wahrscheinlich auch den Absturz seit der neuen Beziehung: weil ich von Anfang an wusste wie ich bin, und das ich nicht klarkommen würde, und deshalb die Beziehung wieder so problematisch werden würde, weil ich in der Beziehung nicht bestehen kann, weil ich keine Emotionen empfinden kann, weil ich ein verantwortungsloses Leben führe, weil ich mich hängenlasse, und weil ich jetzt schon weiß wie all das enden wird: sie hat irgendwann die Schnautze voll und geht. All diese Gedanken kamen mir, als ich gerade zwei Tage mit ihr zusammen war, und da habe ich erstmal ne Stunde geheult. Tolle Reaktion auf ne neue Beziehung, was? Und so geht das seitdem fast täglich. Natürlich weiß
sie nichts davon. Obwohl, natürlich merkt sie, das ich ständig am grübeln bin. Und Sex zu haben wenn man den Kopf voller Müll hat ist halt auch nicht so einfach. Ich hatte die besten Vorsätze als ich die Beziehung eingegangen bin. Ich wusste zwar, dass ich eigentlich nicht bereit bin, aber sollte ich etwa meine Traumfrau an mir vorbeiziehen lassen, nur weil ich mich mal wieder nicht bereit fühle? Der Witz ist, als ich kurz davor war, mit meiner ersten Freundin zusammen zu kommen (vor ca. 7 Jahren) hatte ich genau dieselben Gedanken! Was sagt mir das? Bin ich etwa schon mein ganzes Leben Depri, voller Komplexe? Ich glaube langsam, ja. Wie komme ich da raus? Je älter ich werde, desto schwieriger wird es. Ich kann nicht ewig kämpfen. Ich spüre, das sich eine gewisse Resignation breit macht.

So das wars fürs erste. Was mir in diesem Moment auf der Seele brannte. Ich würde mich tierisch über Reaktionen freuen, auch wenn ich nur eine Beschreibung - vor allem meiner Beziehungsprobleme - abgeliefert habe.

Gruss,
Stefan

P.S.: Nur zur Info. Ich habe bereits eine abgebrochene Therapie (inkl. Behandlung mit Fluoxetin) hinter mir.


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Der Kampf gegen den Gipfel vermag ein Menschenherz auszufüllen. Wir müssen uns Sisyphos als einen glücklichen Menschen vorstellen.
Tani
Beiträge: 45
Registriert: 25. Aug 2003, 14:21

Re: So am Arsch wie noch nie

Beitrag von Tani »

Guten Abend Stefan,
ich habe lange versucht, meine Depri vor meinem Freund "geheim" zu halten. Doch das dies auf Dauer nicht gut gehen konnte...naja. Er hat es sehr schnell erkannt und er ist bei mir geblieben. Wenn ich mal wieder in der Phase stecke, das alles sinnlos ist und wir nicht "zusammen passen", hält er dennoch zu mir und sagt, wir stehen das zusammen durch. Das tut gut. Ich kann es im Moment nicht verantworten, dir einen Ratschlag zu geben. Aber bei mir war es total für´n Ar..., die Depri verheimlichen zu wollen. Weißt du, ich habe mit Entsetzen festgestellt, daß ich auch schon seit Jahren daran leide, habe aber erst jetzt eingesehen, daß ich Hilfe brauche. Mache gerade meine 2. Therapie, die 1. hatte ich damals nicht ganz zu Ende geführt...Wie kommen wir da raus? Hm, Therapie und die richtigen Tabs sind eine Sache. Die andere Sache ist für mich im Moment ein Buch "Erfolg kennt keine Grenzen" von Robert H. Schuller. Es ist für mich nicht einfach zu lesen, weil es um diesen Pfarrer geht und ich nicht soo religiös bin. Aber es spricht mich total an, es ist unglaublich. Ich lese nicht gerne, aber ich sitze bis mitten in der Nacht daran. Bis vor kurzem dachte ich noch, ich hätte nur Fehler gemacht und alles falsch gemacht in meinem Leben, was man nur falsch machen kann. Mittlerweile, ganz langsam, wendet sich das Blatt. Es ist trotzdem so schwer. Als ich vor 4 Jahren mit Ralf zusammen kam, ging es nicht lang und aus einer leichten Depri wurde eine schwere, weil mein Ex gedroht hat, uns umzubringen. Das hat mich so fertig gemacht. Ich habe mich trotz der Depris nicht daran hindern lassen in jüngster Zeit das zu tun, woran ich früher nie glaubte. Was meinst du, wieviel Kraft noch in uns steckt, wenn wir die Krankheit überwinden? Geht es dir auch so, wenn eine Depri wieder kommt, daß es zwar immer die selben blöden Gefühle sind, nur eben mit einem anderen "Gesicht" ? Z.B. als ich noch klein war, vermisste ich meinen Vater, in der Schule die Rolle als Aussenseiter, die Berufswahl, der Beruf, die Farbe des Autos oder wie im Moment die Wohnung. Wünsche einen schönen Abend.
Zero
Beiträge: 4
Registriert: 19. Sep 2003, 21:40

Re: So am Arsch wie noch nie

Beitrag von Zero »

Ich hab das meiner Freundin nach ca. 3-4 Wochen erzählt... Konnte ich auch nicht gut geheim halten, da ich durch die Krankheit ja im öffentlichen Leben, wie u.a. auch in Bus und Bahn fahren eingeschränkt bin. Seltsamerweise gings mir mit Ihr teilweise schlechter als alleine, es war einfach dann noch ein zusätzlicher Druck da... Und als dann nach 7 Monaten Schluss war, hab ich das natürlich zuerst auf meine Krankheit geschoben, und es wird immer schwieriger jemand neues kennenzulernen... Also ich kann das gut nachvollziehen, ich hab nämlich auch nix auf die Reihe bekommen und tus auch jetzt eingentlich nicht wirklich. Aber ich hab jetzt nicht mehr das Gefühl, jemanden zu belasten... Ich wünschte es wär anders.

Hast Du denn vor, Deiner Freundin von der Krankheit zu erzählen? Für mich war es sehr wichtig, da sie (die Krankheit) leider einen ziemlich grossen Teil von mir ausmacht... Daher fiel es mir auch sehr schwer es geheimzuhalten...
paradiddler
Beiträge: 237
Registriert: 19. Sep 2003, 08:21

Re: So am Arsch wie noch nie

Beitrag von paradiddler »

Hey Leute,

Danke für eure Antworten! Ich war erst etwas ungeduldig und dachte schon, keiner schreibt.

Jedenfalls...ich habe es heute getan. Ich habe ihr von meiner Depri erzählt. Eigentlich wollte ich es gestern schon machen, aber der Abend war so schön, da wollte ich nicht über so etwas Ernstes reden. Tja, und dann tagte der heutige Morgen und brachte mir ein Einschreiben von meinem Vermieter mit der fristlosen Kündigung meiner Wohnung!!! Ich kriege es nämlich momentan nicht mal hin, meine Miete zu bezahlen. Da ich daraufhin naturgemäß nicht so gut drauf war und meine Freundin auch da war und eh alles mitbekam, dachte ich mir, jetzt kannst du ihr auch gleich erklären warum dir so ne scheisse passiert. Und es war ok. Ich meine, es ist immer scheisse, Schwäche zu zeigen, aber es ist denke ich immer gut ehrlich zu sein. Ich habe lange überlegt, weil ich unbewusst meine Depri immer noch selbst nicht ganz ernst nehme. Manchmal jedenfalls. Zumal meine Freundin auch krank ist - sie hat MS. Aber Depri ist doch auch ne Krankheit, verdammt. Ich habe ihr auch gesagt, dass ich nicht vorhabe, mich jetzt täglich bei ihr auszuheulen, sondern dass ich ihr nur die Möglichkeit geben will, mich besser zu verstehen. Natürlich kann ich nicht absehen, was jetzt kommt, aber ich fühle mich besser und kann hoffentlich lockerer mit ihr umgehen.

Und Tani, in uns steckt noch sehr viel Kraft, aber sie muss gefunden und freigesetzt werden. Das von dir genannte Buch werde ich mal checken, ich empfehle "Das heimatlose Ich" von Holger Reiners. Der Hammer, ich dachte, ich lese meine eigene Biographie.


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paradiddler
Beiträge: 237
Registriert: 19. Sep 2003, 08:21

Re: So am Arsch wie noch nie

Beitrag von paradiddler »

Hallo Tani,

Du hast recht. Es ist immer dasselbe. Man scheitert einfach an unterschiedlichen Dingen, aber aus demselben Grund. Vielleicht weil man sich wegen seiner, naja, nennen wir es einmal Unzulänglichkeit, von den wichtigen Gefühlen, Entscheidungen, Konsequenzen ablenken will.

Oder war diese Antwort jetzt zu wirr?!?

Einen schönen Abend noch.


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paradiddler
Beiträge: 237
Registriert: 19. Sep 2003, 08:21

Re: So am Arsch wie noch nie

Beitrag von paradiddler »

Hallo Christian,

das mit dem zusätzlichen Druck kenne ich sooo verdammt gut. Aus genau diesem Grund habe ich vor ca. zweieinhalb Jahren meine letzte Beziehung in den Sand gesetzt. Ich habe zwar nicht explizit Schluss gemacht, aber ich habe mich so daneben benommen, dass ihr keinen andere Wahl blieb, als mich zu verlassen - was ich als unglaublich befreiend empfunden habe. Ich dachte eine zeitlang sogar, sie wäre der Grund für meine Laune! Zwar wurde mir bald klar, dass dem nicht so war, doch das machte die Sache umso schmerzhafter. Auch ich hatte dann das Gefühl, dass ich unfähig wäre, eine neue Beziehung einzugehen. Das stimmt aber nicht! Glaub mir. Wenn du wieder jemanden triffst, den du ehrlich gern hast, wird es auch klappen. Auch wenn dann nichts schlagartig gut wird. An deiner Situation ändert sich nichts - du hast nur jemanden, der bei dir ist. Nicht mehr, nicht weniger. Und deshalb habe ich heute auch meiner Freundin von allem erzählt. Mir wurde klar, das eine Beziehung nicht daraus bestehen kann, sich FÜR den anderen gut zu fühlen, sondern MIT ihm/ihr.

Grüsse,
Stefan


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Reni
Beiträge: 71
Registriert: 20. Mai 2003, 18:16

Re: So am Arsch wie noch nie

Beitrag von Reni »

Hallo Stefan,

vor 1/2 Jahr lernte ich meinen jetzigen Freund kennen, nicht durch Zufall, sondern weil ich eine Anzeige aufgegeben habe.

Schon ziemlich am Anfang erzählte ich auch, daß ich Depressionen hatte. Zwar nicht gleich alles auf einmal, sondern so nach und nach.

Natürlich dachte auch ich daran, daß ich in dieser Beziehung nicht bestehen kann, weil ich in so vielen Dingen behindert war durch meine ständige Schwäche und Antriebslosigkeit. Außerdem begleiten mich dauernd Angstzustände und dann würde ich mich am Liebsten daheim verkriechen.
Wir hatten auch Krisen, die wir jedoch gemeinsam gemeistert haben.

Heute kann ich sagen, daß wir uns sehr gut verstehen. Er hat großes Verständnis für mich, ermuntert mich ohne mich unter Druck zu setzen.

Also, ich möchte Dir und allen anderen Mut machen, eine Beziehung einzugehen ohne die Angst, daß sie sowieso wegen der Krankheit zum Scheitern verurteilt ist.

Ehrlichkeit und Offenheit ist wichtig und zwar gleich zu Anfang, da man dann schon sieht, wie der Partner reagiert und evtl. abschätzen kann, ob er auch in der Krankheit zu einem hält.

Hoffe, ihr habt auch soviel Glück wie ich. Meine Beschwerden habe ich noch, aber mein Selbstbewußtsein ist inzwischen gestiegen und mein Leben wieder lebenswerter.

Viele Grüße
Reni
Reni
Beiträge: 71
Registriert: 20. Mai 2003, 18:16

Re: So am Arsch wie noch nie

Beitrag von Reni »

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