Abschied

bigappel
Beiträge: 1488
Registriert: 10. Dez 2010, 08:10

Re: Abschied

Beitrag von bigappel »

Guten Morgen Blümli,

meine entmutigenden Worte sind schlichtweg meine Erfahrungen.
Nicht mehr und nicht weniger.

Und sie sind auch nicht entmutigend, wenn man genau liest und versteht,
dann ist dies falsch rübergekommen,
sondern ein Versuch eine Sichtweise darzustellen und dieses immer währende
"niemand versteht mich" - losgelöst von Mosaic ´s Geschichte - ist etwas,
was ich nachvollziehen kann, aber was so nicht richtig ist.

Die Betrachtungsebene sollte meines Erachtens überprüft werden.

Es ist völlig klar und sowas von rein gar nicht bösartig der Mitmenschen,
dass das Verständnis für eine schwere Krankheit z.B. dann nachlässt,
wenn die eigene Belastung überhand nimmt.
Oder wenn man selber in der Familie so belastet ist, dass einfach schlichtweg
für die Geschichte eines anderen Menschen eben dann kein Platz mehr ist.
Es ist auch o.k., wenn Menschen einfach keine Lust haben, sich mein Leid
anzuhören. Sind sie deshalb schlechte Menschen?

Ich bin durch die vielen OP ´s oft und manchmal sogar sehr lange ausgefallen:
erst war das Verständnis da; man vertrat z.B. lieber (um den Kollegenkreis als
Beispiel zu nehmen), als die OP ´s hinter sich zu bringen, die ich hinter mir habe.

Aber irgendwann, mit zunehmender Zeit und zunehmender Belastung hört das
Verständnis auf, weil: die Kollegen durch mich einfach viel, viel mehr beansprucht
werden, als wenn ich gesund wäre. Das ist schlichtweg eine Tatsache für die
niemand etwas kann, ich nicht und die anderen Menschen auch nicht; trotzdem
beeinflusst es alle.

Ist das nicht verständlich?
Ist das bösartig? Nein.

Guckt man sich mal jeden Menschen, jede Familie mal an, so ist überall etwas,
was belastet und so manches Mal wollen oder können sich die Menschen einfach
keine weiteren schlimmen Stories mehr anhören.

Es gibt sicherlich Menschen, die sich in Krisensituationen, wenn man nicht mehr
"funktioniert", von einem abwenden, o.k.
Aber für wen muss ich denn "funktionieren"?
Wer - außer Kleinkinder und von mir abhängige Tiere, als Wesen, für die ich
die Verantwortung übernommen habe - kann das denn von mir fordern?

Dieses Gefühl kann einem real nur ein Mensch geben: man selbst!
Und es ist meine höchstpersönliche Aufgabe zu lernen Grenzen zu setzen
und nicht andere Menschen verantwortlich zu machen für etwas, was
aus mir heraus entsteht.

Wer hat Mosaic denn verboten zu weinen?
Wer kann das denn?
Das kann ausschließlich das geringe Selbstwertgefühl von ihr selber, sonst niemand.

Wenn ich weinen muss, weine ich, fertig. Wann und wo es dann eben so ist.
Da kann mir doch einer erzählen was er will.

Für wen muss ich noch funktionieren?
Für meinen Arbeitgeber? Ja, muss ich. Da gibt es Vertragsvereinbarungen und es
ist schlichtweg nicht unmenschlich, wenn der Arbeitgeber irgendwann diese
schwere Erkrankung nicht mehr mittragen kann…….

Als wir vor einiger Zeit einen Kollegen nach über 25 Jahren Krebserkrankung
beerdigt haben, war dieser kurz davor im Verfahren "vorzeitig berentet"
zu werden, weil er nicht mehr arbeitsfähig war.
Eine Welle der Empörung und des Unverständnisses ging durch den
Kollegenkreis.

Eine Tragödie? Ja, für den Betroffenen und seine Familie ganz gewiss:
weniger Geld, Existenzängste pp zusätzlich zu der schweren Situation.
Aber? Böser Wille des Arbeitgebers? Nein. Sondern leider die traurige
Wahrheit, dass keine vertragliche Leistung mehr vom Arbeitnehmer
erbracht werden konnte. Realität. Furchtbare Realität.

Der Arbeitgeber hat das 25 Jahre getragen; genau wie alle Kollegen.
Aber irgendwann bekam dieser Kollege nur noch das volle Gehalt "für das
Kranksein". Das geht einfach nicht als Arbeitgeber.

Natürlich macht dies etwas mit einem.
Aber diese Dramaturgie spricht doch dafür, dass etwas noch nicht vollständig verarbeitet
wurde; wäre dies der Fall, so würde das Geschehen doch nicht immer und immer wieder
an die Oberfläche kommen.

Leute:
Dank der vielen Kampanien in der Vergangenheit zur Aufklärung über Krebserkrankungen
pp. ist das Verständnis in der Bevölkerung für diese Krankheit erstmal da.
Jeder weiß: oh je. Krebs. Das bedeutet Belastung für den Betroffenen, für Familie und
Freunde und nicht zuletzt im schlimmsten Fall: den Tod (auch das kann eine Konsequenz
der Krankheit sein und diese ist in den Köpfen der Nichterkrankten).

Die Aufklärung über Depressionen ist noch nicht so weit gediehen; sie ist aber auf
dem Weg.

Hier wurden schon unendlich viele Threads erörtert darüber, dass auch die Betroffenen
von psychischen Erkrankungen offen umgehen sollten mit ihrer Erkrankung um irgendwann
in der Bevölkerung zu erreichen, dass psychische Erkrankungen eben nicht bedeuten,
willens- und orientierungslos in der Gummizelle zu leben.

Das kann nicht jeder Erkrankte, o.k.
Trotzdem ist dies der Weg zur "Selbstverständlichkeit", das Erlebe ich Tag täglich.

Zumindest von meinem LG kann ich die letzten 30 Jahre beurteilen.
Ja, es haben sich Menschen von ihm abgewandt.
Das waren allerdings ausschließlich Menschen, wo er sich selber vorgemacht hat,
dass diese nahestehende, wichtige Menschen waren.

Leider waren es nichts anderes als Menschen, die ihm zwar zugewandt waren, denen
es aber viel, viel wichtiger war, sich selber darzustellen, was ja im Muster meines LG
genau sein Profil war. Sie mochten ihn und er kam richtig, um ihnen Befriedigung
in den Punkten zu geben, die sie z.B. vom Partner oder anderen Freunden nicht
bekamen; aber zum bei ihm mal genau hinsehen, hat es halt nicht gereicht.




Das ist nicht schön, aber die Realität ist, dass mein LG (aus der Erkrankung heraus, schon
klar) dies mit sich hat machen lassen; er hat keine Grenzen gesetzt.
Diese Personen haben wahrscheinlich nicht mal bösartig gehandelt, sondern sie haben
genommen, was er bereit war zu geben immer unter dem Motto "wenn er es nicht
wollte, müßte er ja nicht".

Noch eine Erfahrung meinerseits zum Thema "zusammenreissen":

Seit zwei Jahren ist mein LG mehr oder weniger im tiefen Tal, oder noch tieferen Tal.
Therapien wurden begangen, allerdings eher als Alibi-Funktion ("ich mache doch");
nichts, rein gar nichts bewegte sich in ´s Positive.

AD ausgereizt bis dorthinein, keine Wirkung, keine Reaktionen mehr möglich, kein
Sprechen, kein Denken und dann: von einem auf den anderen Tag: Schalter umgelegt:
AD wirkte, Denken klappte wieder, sprechen auch und auf die Therapie kann er sich
nun endlich einlassen.

Natürlich bringt das "reiß Dich zusammen" nichts.

Aber das Beispiel meines LG zeigte doch wohl sehr wohl, dass es vom Willen des
Betroffenen abhängt, wie sein Weg verläuft, ob er endlich für sein Leben Verantwortung
übernimmt oder nicht. Das dabei die Mechanismen der Krankheit schwierig sind, o.k.
Aber wenn das Nicht - Betroffene nicht verstehen, so kann man ihnen das doch wirklich
nicht immer und immer wieder vorwerfen.



Ich hoffe sehr, das Verständnis für psychische Erkrankungen wird weiter selbstverständlicher:

Wirklich fühlen, was es bedeutet psychisch krank zu sein oder Krebskrank oder sonstige
schwere Krankheiten kann nur der Betroffene selber und das kann dieser niemandem
vorhalten.

LG
Pia
Ein Tier zu retten, verändert nicht die Welt, aber die ganze Welt ändert sich für dieses Tier.
rosecottage
Beiträge: 378
Registriert: 22. Dez 2011, 18:58

Re: Abschied

Beitrag von rosecottage »

Hallo ihr Lieben,

Ich hatte nachdem ich in diesem Forum mit einigen Menschen einen recht intensiven Austausch hatte, einfach das Bedürfnis hier nicht wortlos zu verschwinden. Dieser Thread sollte ein Abschied sein - ein wichtiges Ritual, wie ich finde.

Nun bekommt der Thread eine ganz andere Färbung und ich empfinde Pias letzte beiden Texte als sehr belastend für mich und sie wirken auf mich wie eine Selbstdarstellung ihres eigenen Leids. Es kommt in meinen Augen so geballt und voller Apelle an meine momentane Sichtweise rüber - so nach dem Motto: "Achtung, bloß nicht positiv denken. Es wird nämlich alles noch viel schlimmer, als du es jetzt erahnen kannst."

Ich bin gerade sehr traurig, aufgeregt, zittere und weine - ach ja Pia... frag' mal, wer einem Betroffenen so im Laufe der Erkrankung das Weinen verbietet - deine Behauptung, es sein lediglich mein mangelndes Selbstwertgefühl ist eine unglaubliche Unverschämtheit!

Natürlich ist das ein öffentliches Forum und jeder darf hier in den Threads der anderen mitschreiben wie es ihm gerade gefällt. Aber der RESPEKT, Pia, sollte einen dazu veranlassen, sich hier und da einfach mal ein Stück weit zurückzuhalten und den Wunsch nach einem einfachem Abschied nachzukommen.

Ich fühle mich gerade mit Schmutz beschmissen!

Pia, du stülpst deine Erfahrungen ungefragt über alles drüber. Wir hatten dieses Thema schon einmal: DEIN Thema muss nicht MEIN Thema sein.

Vielen herzlichen Dank an alle, die diesen Thread verstanden und sich von mir verabschiedet haben - ich denke an euch... ich werde hier und da auch weiter hier lesen.

Ganz liebe Grüße
mosaic
bigappel
Beiträge: 1488
Registriert: 10. Dez 2010, 08:10

Re: Abschied

Beitrag von bigappel »

Nein, liebe Mosaic,

mein Thread enthält keine Apelle an Dich die beinhalten "es wird alles noch viel schlimmer". Wo nimmst Du diese Erkenntnis
her?

Das weise ich definitiv von mir.

Auch ist nicht beabsichtigt, ausschließlich mein Leid darzustellen, weil ich kein Leid empfinde auf meine persönliche Situation gesehen.

Ich habe im Leben einiges um die Ohren bekommen; ja richtig.

Ich spreche hier von mir, damit sich niemand angegriffen fühlt. Weil ich nur meine Erfahrungen weitergeben kann.

Ich laufe nicht als Orakel durch die Gegend.
Wenn jemand etwas positiv sieht, dann ich.

Alles wird noch viel Schlimmer.
Sorry, Mosaic. Was für ein Quatsch!
Mit keinem Wort habe ich sowas geäußert.

Wenn ich mit Todesdiagnose, die nach wie vor besteht, nicht ein Beispiel dafür bin, dass Diagnosen sich nicht bestätigen müssen, wer dann?

Wenn das nicht Mut gibt?

Du hast Recht.
An der Stelle werde ich malwieder beenden mich zu äußern, weil es zu nichts führt.



Pia
Ein Tier zu retten, verändert nicht die Welt, aber die ganze Welt ändert sich für dieses Tier.
rosecottage
Beiträge: 378
Registriert: 22. Dez 2011, 18:58

Re: Abschied

Beitrag von rosecottage »

Kannst du nicht einfach Ruhe geben? Musst du immer noch eins drauf setzen?
Blümli
Beiträge: 782
Registriert: 18. Jan 2011, 18:41

Re: Abschied

Beitrag von Blümli »

^^ Vielleicht muss man die Liebe gefühlt haben, um die Freundschaft richtig zu erkennen^^ Nicolas Chamfort
Lilie1981
Beiträge: 230
Registriert: 12. Dez 2011, 22:15

Re: Abschied

Beitrag von Lilie1981 »

Hallo Liebe Mosaic,

ich wollt auch nochmal kurz sagen wie hilfreich Deine Beiträge für mich sind und waren. Ich denke immer noch an einen Beitrag von Dir der mir so geholfen hat und einen kleinen tritt in den Arsch gegeben hat, den ich brauchte. Und es hat bis heute angehalten !

Dafür will ich DANKE sagen!!!

Verliere nicht den Mut, glaube weiterhin an Dich und lass Dich nicht unterkriegen!

Alles alles Gute nochmals für Dich!!!

Liebe Grüsse
Lilie
KaMa
Beiträge: 63
Registriert: 23. Dez 2009, 00:29

Re: Abschied

Beitrag von KaMa »

@mosaic: Deine Reaktionen empfinde ich wiederholt als aggressiv-bissig und überzogen, und sie lassen mich daran zweifeln, dass du tatsächlich "schon lange 3 Schritte weiter" bist. Oder es sind vielleicht zwei Schritte zu weit...

Gruß, Karl
rosecottage
Beiträge: 378
Registriert: 22. Dez 2011, 18:58

Re: Abschied

Beitrag von rosecottage »

Tja Karl, was der eine als aggressiv-bissig und überzogen empfindet, kommt beim andern als energisch, konkret und leidenschaftlich an ...

Ich bin nicht auf dieser Welt, um irgendwem zu gefallen - außer mir selbst! Und ich mag mich so - authentisch - wie ich bin.

Wie langweilig wäre dieses Forum, wenn hier nur sanftmütige Rehe schrieben...

Alles Gute
mosaic
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