Mut zur Wahrheit! Ein Leben zwischen Egoismus und Selbstaufgabe?

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so-calm
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Mut zur Wahrheit! Ein Leben zwischen Egoismus und Selbstaufgabe?

Beitrag von so-calm »

Hallo liebe Forengemeinde!

Wir alle suchen Antworten auf unsere Fragen. Viele Anworten könnte uns nur "unser" Betroffener geben - wenn er denn mit uns reden und uns einen Einblick in seine Gefühlswelt gewähren "wollen könnte".

Was kann uns helfen, wenn "unser" Betroffener die Kommunikation/Interaktion, die wir als Angehörige so brauchen, nicht geben kann?

Wie wäre es mit dem Mut zur Wahrheit?

Bedeutet die Depression ein Leben zwischen Egoismus und Selbstaufgabe? Können wir Angehörigen den Spagat zwischen "Rosa-Wölckchen"/"bunter Weltanschauung" und "schwarzer Brille" bewältigen? Kann unser Partner diesen Spagat bewältigen?

Meine Thesen hierzu:

1. Der depressive Partner ist selbstredend kein Egoist.

2. Eine Selbstaufgabe (definiert als selbtslose Rücksichtnahme auf Verhaltens- und Denkweisen eines anderen) des Angehörigen gibt es im Zusammenleben mit einem depressiven Partner nicht.

3. Ein Angehöriger ist "gesund" egoistisch, wenn er die Grenzen seiner Belastbarkeit erreicht hat, und sich abnabelt.

4. Ein Angehöriger ist "schädlich" resp. "kontraproduktiv" egoistisch, wenn er seine Bedürfnisse einfordert. Ein einziger Dornenbusch auf dem Leidensweg des depressiven Partners.
FarinaVakantie
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Re: Mut zur Wahrheit! Ein Leben zwischen Egoismus und Selbstaufgabe?

Beitrag von FarinaVakantie »

Gesunder Egosimus...
...ist meiner Meinung auch, seine Freiräume abzustecken und zu verteidigen.
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Bunt ist das Dasein. Und granatenstark.

(Bill & Ted)



Ich habe mich nicht verirrt.... Ich bin nur richtungsmäßig herausgefordert.

(Esme Wetterwachs, Lords und Ladies)
so-calm
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Re: Mut zur Wahrheit! Ein Leben zwischen Egoismus und Selbstaufgabe?

Beitrag von so-calm »

@JoseFiene,

da stimme ich Dir voll und ganz zu.

Den Freiraum, den ein depressiver Partner braucht, sollte wir Angehörigen ihm aber auch freiwillig zugestehen.

Es ist für mich unvorstellbar, wie viel Kraft ein Betroffener aufbringen muss, um seinen Alltag überhaupt zu bewältigen. Ist es da nicht unsere Aufgabe, ihn vor einer emotionalen Überforderung zu schützen? Die Auseinandersetzung mit uns kostet ihn doch nur unnötig Energie.

Beim Durchlesen einiger Beiträge hier im Forum frage ich mich manchmal, ob diese Leute wirklich verinnerlicht haben, dass die Depression eine Krankheit und keine Charakterschwäche ist.

Vielleicht können wir ja doch etwas für unseren depressiven Partner tun: ihn einfach mal sein Ding machen lassen im Vertrauen darauf, dass er seine Krankheit in den Griff bekommt.

Ich habe dieses Vertrauen. Und: Manchmal sagt ein einziger Blick mehr als 1000 Worte. Das gibt mir die Kraft durchzuhalten.

Mein Fazit: Manchmal tut die Wahrheit weh. Aber wenigstens habe ich Gefühle, die weh tun.
FarinaVakantie
Beiträge: 108
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Re: Mut zur Wahrheit! Ein Leben zwischen Egoismus und Selbstaufgabe?

Beitrag von FarinaVakantie »

Hi so-calm,
eigentlich meinte ich mit dem gesunden Egoismus den des Angehörigen.
Der Angehörige muss ja auch stark genug sein, um oftmals zurückzustecken, eigene Ansprüche zurückschrauben.
Da ist es wichtig, für die ein oder andere eigene Priorität zu kämpfen. Beispielsweise um soziale Kontakte zu pflegen, aus denen man wieder Positives gewinnen kann.
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(Esme Wetterwachs, Lords und Ladies)
so-calm
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Re: Mut zur Wahrheit! Ein Leben zwischen Egoismus und Selbstaufgabe?

Beitrag von so-calm »

Hallo Josefiene,

das ist m.E. kein Egoismus (in welcher Form auch immer). Das ist lebenswichtig - ein unbedingtes Muss. Nur so können wir uns doch davor schützen, nicht in den Sog einer Co-Abhängigkeit zu rutschen.

Wir können unserem depressiven Partner nicht den "grauen Schleier von der Seele streicheln". Aber wir können viel für uns tun.
bigappel
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Re: Mut zur Wahrheit! Ein Leben zwischen Egoismus und Selbstaufgabe?

Beitrag von bigappel »

Hallo so-calm,



Kannst Du Deine These konkretisieren.

Wenn ich mich abgrenze, weil meine Kraft sich gerade schädlich verringert und für mich Sorge, um aufzutanken, also Deiner These nach kein schädlicher Egoismus, sondern notwendige Abgrenzung, was auch meiner Meinung entspricht, dann leidet mein erkrankter Freund, weil er es als Ablehnung empfindet und schon ist der Abgang in die Vertiefung der Depri vorprogrammiert.

Ein Teufelskreis.......

Gespannte Grüße
Pia
Ein Tier zu retten, verändert nicht die Welt, aber die ganze Welt ändert sich für dieses Tier.
so-calm
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Re: Mut zur Wahrheit! Ein Leben zwischen Egoismus und Selbstaufgabe?

Beitrag von so-calm »

Hallo Pia4711!

Mmh. Ein Teufelskreis? Vielleicht aber auch nur ein "scheinbarer Widerspruch"?

Unser depressiver Partner leidet. Klar. Aber unterm Strich ist die Abgrenzung doch auch für ihn von sehr großem Nutzen. Es wäre doch für den Partner viel schlimmer, wenn wir mit ihm untergehen würden. Dann hätte er überhaupt keine "stützende Schulter" mehr an seiner Seite. Wir nutzen ihm mehr, als das wir ihm schaden. Aber: Hat der depressive Partner diese Einsicht?

Ein Teufelskreis .....

Liebe Grüße
bigappel
Beiträge: 1488
Registriert: 10. Dez 2010, 08:10

Re: Mut zur Wahrheit! Ein Leben zwischen Egoismus und Selbstaufgabe?

Beitrag von bigappel »

Hallo So-Calm,

.

Dank Dir für ´s Rütteln.

Nein, diese Einsicht hat er nicht, weil sich wohl Ängste dadurch freimachen, die diese Einsicht verhindern.

Es ist sehr, sehr anstrengend, sich dauerhaft dagegen zu setzen, besonders in Zeiten, die jeder Mensch erlebt, wo alle und alles an einem zerren und Kraft abzapfen, es gibt ja nicht nur den Partner, sondern das normale Leben, wo schonmal die Auftank-Möglichkeiten zu kurz kommen.

Ich weiß: jeder ist für sich selbst verantwortlich .

Ein schönes Wochenende und
herzliche Grüße


Pia
Ein Tier zu retten, verändert nicht die Welt, aber die ganze Welt ändert sich für dieses Tier.
so-calm
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Re: Mut zur Wahrheit! Ein Leben zwischen Egoismus und Selbstaufgabe?

Beitrag von so-calm »

@Pia4711

Auch wir Angehörigen können gelegentlich einander stützen.

Sonnige Grüße und gleichfalls ein schönes Wochenende.

so-calm
ratfragender
Beiträge: 71
Registriert: 8. Aug 2011, 10:11

Re: Mut zur Wahrheit! Ein Leben zwischen Egoismus und Selbstaufgabe?

Beitrag von ratfragender »

Guten Abend / Nacht so-calm,

aus Deinen Beiträgen lese ich ein sehr großes Verständnis für den Depressiven Partner. Ich kann gut nachvollziehen, dass man die Krankheit des Partners berücksichtigt und ernst nimmt.
Das ist natürlich immer die Frage was ich alles mit der Krankheit des Partners entschuldigen kann. Das ist meines Erachtens ziemlich viel. Verständnis auf der einen Seite - aber auf der anderen Seite denke ich darf man dem depressiven Partner auch nicht alles durchgehen lassen. Ich denke "bloß" weil sich mein Partner aufgrund seiner (!) Krankheit unnormal verhält muss ich das nicht auch plötzlich tun. Von mir aus bin ich für den Partner da und respektiere, dass er aufgrund seiner Erkrankung besonderer Aufmerksamkeit bedarf. Wenn ich mich aber plötzlich auch nicht mehr normal Verhalte weiß ich nicht in wie weit das für den Depressiven förderlich sein soll.
Daher denke ich sollte man trotz allem Grenzen haben und die auch verteidigen. Egal in welcher Beziehung sollte man nicht alles mit sich machen lassen.

Ich weiß nicht mehr wer - aber irgendwer hat vor kurzem über die Sprache geschrieben die ein Depressiver verwendet. Das die einem gesunden Menschen fremd ist und man deshalb Schwierigkeiten hat sie zu verstehen. Ich glaube in diesem Zusammenhang muss ich einfach akzeptieren, dass ich (solange ich gesund bin) niemals seine Sprache verstehen oder sprechen kann. Daher bleibe ich bei meiner Sprache und wenn der Partner dann irgendwann wieder so mit mir zu reden beginnt, dass ich ihn auch verstehen kann, dann ist es ja gut.

Herzliche Grüße
ratfragender
sickhead
Beiträge: 20
Registriert: 27. Aug 2011, 23:10

Re: Mut zur Wahrheit! Ein Leben zwischen Egoismus und Selbstaufgabe?

Beitrag von sickhead »

...ich bin selber betroffen... und kann dazu nur dagen, dass ich meiner frau dankbar bin, dass sie zu mir steht!!

ich weiß es zu schätzen und bin mir auch bewusst, wie schwer es für angehörge ist

sich immer wieder mit den "launen" zu beschäftigen, es zu aktzeptiern das wir Depressiven manchmal nicht anders können....

mein dank, wie schon gesagt, geht an alle die ihren partner/ partnerin verstehen und unterstüzten...

hut ab und danke

sickhead
"Drei Wünsche...die Gabe, nie zu vergessen, was Du warst, den Mut, dass zu sein was Du bist. Die Kraft, das zu werden, was Du sein möchtest"
so-calm
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Registriert: 31. Aug 2011, 09:37

Re: Mut zur Wahrheit! Ein Leben zwischen Egoismus und Selbstaufgabe?

Beitrag von so-calm »

@ratfragender

irgendwie sitzen wir doch alle im selben Boot. Ich fühle mich manchaml wie ein Fahrgast auf der Titanic, der sich jeden Tag auf´s neue einen der heiß begehrten Plätze in einem der Rettungsboote erkämpfen muss. Aber diesen Kampf gewinne ich.

Lass Deinen Kopf nicht hängen. Achte gut auf Dich und versuche täglich, alles dafür zu tun, dass es Dir gut geht.

Du sprichst die Sprache der Liebe.

Liebe Grüße

so-calm
so-calm
Beiträge: 77
Registriert: 31. Aug 2011, 09:37

Re: Mut zur Wahrheit! Ein Leben zwischen Egoismus und Selbstaufgabe?

Beitrag von so-calm »

@sick head

vielen Dank für Dein aufbauendes Feedback.

Ich wünsche Dir, dass Du Deinen Weg über Deine Ängste hinweg findest.

5 € ins Phrasenschwein. Aber: Jede Krankheit hat einen Beginn, einen typischen Verlauf und ein Ende.

Weiterhin ganz viel Kraft und Ausdauer.

Liebe Grüße

so-calm
wütend

Re: Mut zur Wahrheit! Ein Leben zwischen Egoismus und Selbstaufgabe?

Beitrag von wütend »

>>also Deiner These nach kein schädlicher Egoismus, sondern notwendige Abgrenzung, was auch meiner Meinung entspricht, dann leidet mein erkrankter Freund, weil er es als Ablehnung empfindet und schon ist der Abgang in die Vertiefung der Depri vorprogrammiert. <<

Ich denke, das ein jeder erst mal selber für seine Bedürfnisse verantwortlich ist, das gilt sowohl für Depressive wie für Angehörige.
Kein Erwachsener kann die Erfüllung seiner Bedürfnisse von einem anderen verlangen. Damit muss auch ein Depressiver leben lernen.
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