Wie viel Verständnis muss, soll oder darf man haben?

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nurmalso
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Wie viel Verständnis muss, soll oder darf man haben?

Beitrag von nurmalso »

Hallo ihr Lieben,

jetzt habe ich einige Zeit mitgelesen und vieles kommt mir bekannt vor. Jetzt möchte ich Euch auch mal um Rat bitten.
Ich bin 42 Jahre alt und seit 12 Jahren mit meiner Partnerin zusammen. Sie hat einen 24 jährigen Sohn. Dieser studiert seit 4 Jahren eine Geisteswissenschaft. Ich kenn ihn also schon seit 12 Jahren. Er ist immer schon ein sehr zurückhaltendes Kind gewesen, neue Dinge oder Veränderungen waren ihm immer ein Graus. Er wollte z.B. lieber sterben, als in den Kindergarten zu gehen. Es lief trotzdem alles einigermaßen gut, Schule, Abi, Studium… er ist übrigens sehr intelligent. Auch wenn man immer gemerkt hat, das Leben sehr schwer für ihn ist. Er ging dann zum Studieren auch in einer andere Stadt und ich dachte auch das würde ihm gut tun…

Vor einem Jahr allerdings (drei Jahre nach Studienbeginn)…

Wir merkten dass er an Bulimie leidet. Schon längere Zeit vorher hat er sich viel mit Essen beschäftigt. Erst hat er superviel Sport gemacht, dann hat er damit aufgehört. Er ist dann fast eigenständig in Behandlung und eine Reha gegangen. Das Studienende wurde erst mal um ein halbes Jahr verschoben. Ach ja, wir haben ihm keine Vorwürfe gemacht ihn in der Reha ständig besucht und sind immer nur positiv geblieben.

Nach einem halben Jahr ohne im Studium weiterzukommen, wollte er wieder nach Hause und das Studienende (Abschlussarbeit) um ein weiteres halbes Jahr erneut verschieben. Er hat wieder sein altes Zimmer bei uns hergerichtet bekommen. Nett eingerichtete (18qm), Wireless-Lan Zugriff für Computer, Handy hat er natürlich auch, Geld auch, Mami kauft Wunschmalzeiten und bereitet sie zu, Auto kann er natürlich auch ab und zu benutzen etc. Seitdem „studiert“ er von zu Hause aus (Studienort 300 km entfernt).

Ca. Ein Jahr nach der Bulimie Geschichte, lebt er immer noch zuhause und kommt im Studium nicht voran. Wie gesagt, es geht ja nur noch um die kleine Abschlussarbeit. Er kann sich zu nichts aufraffen was mit seiner Zukunft zu tun hat. Reden darf man mit ihm darüber auch nicht! Wenn man das versucht wird man angeschnauzt. Das hat uns (meine Partnerin) nicht zu interessieren. Allerdings hat er sich überlegt, dass sein Studium nicht mehr seinem Berufswunsch entspricht. Einen neuen Berufswunsch kann er aber nicht definieren, oder er sagt ihn nicht. Nur wenn es um das Internet, Treffen mit Freunden und das Spielen eines recht komplexes Fantasie Kartenspiels geht, ist er immer Feuer und Flamme und vollkommen engagiert. Er hat also ein Jahr lang auf der faulen Haut gelegen und nix produktives getan.

Dann war er mit dem Fahrrad unterwegs und hatte einen Unfall, den er selbst verursacht hat. Bei Rot über die Ampel und 1,1 Promille Alkohol. Wir natürlich wieder keine Vorwürfe gemacht. Krankenhausbesuche ohne Ende, Pflege und schönes Wetter gemacht ohne Ende. Die Genesung (keine bleibenden Schäden) schreitet voran. Aber, das Studienende wurde wieder um 3 Monate verschoben.

Seit einiger Zeit denke/weiß ich, der Junge ist depressiv. Mir platzt aber so langsam der Geduldsfaden. Der Junge lebt wie ein Pascha mit vollem Service, will aber nicht über seine Zukunft reden und plant sie auch nicht selber. Zum Studienende fehlt nur noch ein kleines Stück, aber das schafft es schon seit einem oder sogar eineinhalb Jahren nicht, wie oben beschrieben. Helfen lassen (therapeutisch) will er sich nicht mehr. Seit der Reha meint er, er wäre austherapiert und weiß, wie er das mit seiner Bulimie zu behandeln hat. Andere Probleme sieht er nicht, oder will sie nicht mit uns besprechen. Wenn das in den nächsten drei Montan nicht klappt mit der Abschlussarbeit, wird es mit dem Studienabschluss aus studientechnischen Gründen so richtig schwierig. Natürlich ist das hier nur alles ganz grob beschrieben. Ich hoffe man kann es einigermaßen nachvollziehen.

Aber sagt mal, was macht man denn in so einem Fall? Ich bin total ratlos! Meine Partnerin ist eher die gutmütige und will immer viel Liebe geben, aber ich denke irgendwann ist auch mal Schluss mit Lustig und will eigentlich nicht, das der Junge sich seine Zukunft zerstört!

Was meint Ihr dazu? Über Ratschläge würde ich mich total freuen! Ach ja, einen depressiven einfach machen lassen… gut gesagt, wenn es eigentlich ein erwachsener Mensch ist und er dieses einfach mal „nichts“-machen vom Geld andere Menschen tut und das über einen langen Zeitraum.
so-calm
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Re: Wie viel Verständnis muss, soll oder darf man haben?

Beitrag von so-calm »

Hallo numalso,

> Er wollte z.B. lieber sterben, als in den Kindergarten zu gehen.

??? Ich glaube ja vieles. Aber, dass ein Kind im Kindergartenalter sagt "ich will lieber sterben, als dorthin zu gehen" (und sich der Tragweite seiner Äußerung bewusst ist), kann ich mir beim besten Willen nicht vorstellen.

>Sie hat einen 25 jährigen Sohn. Dieser studiert seit 4 Jahren eine Geisteswissenschaft. Ich kenn ihn also schon seit 12 Jahren.

Dann ist die Äußerung, die der Sohn Deiner Partnerin getätigt haben soll, also ein "Hörensagen" bzw. eine "überspitzte" Bemerkung Deiner Partnerin im Sinne von "Ach der Kalle. Mach Dir mal nicht so viele Gedanken um sein Studium. Der hat doch schon als Kleinkind - kaum das er sprechen konnte - gesagt, ich will nicht ..."

>Seit einiger Zeit denke/weiß ich, der Junge ist depressiv.

Was denn nun? Denkst oder weißt Du das?

>Er ging dann zum Studieren auch in einer andere Stadt und ich dachte auch das würde ihm gut tun…

Wieso dachtest Du, dass ihm das gut tut?

>Er hat wieder sein altes Zimmer bei uns hergerichtet bekommen. Nett eingerichtete (18qm), Wireless-Lan Zugriff für Computer, Handy hat er natürlich auch, Geld auch, Mami kauft Wunschmalzeiten und bereitet sie zu, Auto kann er natürlich auch ab und zu benutzen etc.
>Ach ja, einen depressiven einfach machen lassen… gut gesagt, wenn es eigentlich ein erwachsener Mensch ist und er dieses einfach mal „nichts“-machen vom Geld andere Menschen tut und das über einen langen Zeitraum.

Ich will Dir ja nicht zu nahe treten. Aber geht es Dir wirklich (ausschließlich) um das Wohl des Sohnes Deiner Partnerin?

>und er dieses einfach mal „nichts“-machen vom Geld andere Menschen tut und das über einen langen Zeitraum.

Verwechselts Du evtl. ein Finanzieren von "Faulheit" mit finanzieller Zuwendung für einen Kranken??

**Nachtrag: Konkret gefragt: Ist der Sohn Deiner Partnerin in Deinen Augen einfach nur faul oder ernsthaft krank?
Polarlicht
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Re: Wie viel Verständnis muss, soll oder darf man haben?

Beitrag von Polarlicht »

Hi nurmalso,
hast Du selber studiert, mit körperlichen und seelischen Einschränkungen, um beurteilen zu können, was machbar ist? Ein Studienabschluss ist nicht so mal eben eine Studienarbeit zu schrieben. Abschlussarbeiten, gerade in Geisteswissenschaften sind echte Marathonarbeiten. Und der Abschlussarbeit folgen nach meinen Kenntnissen immer ein Kolloquium über die Arbeit sowie weitere mündliche Prüfungen in unterschiedlichen Fächern. Wie das jemand wuppen soll, der Depressionen hat, ist mir nicht klar und ich habe Geisteswissenschaften und Ingenieurswissenschaften studiert, wobei der geisteswissenschaftliche Abschluß eindeutig aufwendiger war. Ich war damals auch schon depressiv, musste das Ding durchziehen, weil mir eben niemand eine Hängematte gespannt hatte. Ob das gut war, möchte ich angesichts meiner aktuellen Situation bezweifeln - obwohl das sicherlich alles so ist, wie Du es gern hättest: für mich die Hölle, aber extrem komfortabel für die Umwelt.

Ich habe ebenfalls den Eindruck, dass Du weniger am Wohlbefinden des Sohnes Deiner Partnerin interessiert bist, als an Deinem eigenen Wohlbefinden: er soll verschwinden, um Deine Leben nicht zu stören und seiner Mutter nicht auf der Tasche liegen, was Dich vielleicht in der Lebensgestaltung auch einschränkt. Du klingst nicht besorgt, sondern erfüllst, was Deine Partnerin von Dir erwartet, eindeutig zähneknirschend und abgenervt. Deine Partnerin hat offensichtlich eine andere Einstellung als Du - kein Wunder, ist ja auch ihr Kind.

Da wirst Du wohl ein klärendes Gespräch mit Deiner Partnerin führen müssen, wie das denn nun weitergehen soll. Ich finde Deine Haltung durchaus akzeptabel und würde im fortgeschritten Alter sicherlich auch kein erwachsenes "Kind" im Haushalt haben, sondern meine Lebensführung frei gestalten wollen. Ich glaube auch nicht, dass das "Nichtstun" von seiten Sohn und Mutter ihn irgendwie voran bringt, sondern dass es die Krankheit konserviert.
Wenn das für Dich garnicht mehr geht, muss es eben getrennte Wohnsitze geben und wenn Mutter und Sohn in einem gemeinsamen Haushalt bleiben wollen, dann kann es sein, dass Du als Single von der Situation entlastet wird. Dann musst Du das Elend nicht jeden Tag sehen.

Deine Beschreibung klingt eher nach sozialer Phobie, Depression taucht da oft als Komorbidität auf. Es wäre sicherlich notwendig gewesen, ihm in der Kindheit professionelle Hilfe zukommen zu lassen, weil nach Deiner Schilderung das Störungsbild früh offensichtlich war und es war vor 12 Jahren ja nun nicht so, dass Therapiemöglichkeiten für Kinder- und Jugendliche nicht existiert hätten und man von nichts wusste. Da wäre das sicherlich einfacher gewesen und hätte ihm eine höhere Lebensqualität als Jugendlicher/junger Erwachsener ermöglicht. Jetzt auf ihm rumzuhacken, weil er nicht wie gewünscht funktioniert, ist eine ziemlich schlichte bis schlechte Lösung.

Keine Ahnung, ob jemand anderer einen brauchbareren Tipp für Dich hat,
Polarlicht


@ so-calm: doch, das gibt es, dass Kinder nicht mehr leben wollen. Dafür gibt es Gründe und es ist furchtbar unbequem für die Erwachsenen sich darum zu kümmern. Das Problem schleppt sich in der Tat seit meiner Kindheit durch mein Leben. Und das ist nicht nur eine Mutmaßung oder falsche Erinnerung - ich habe neulich meine seit der späten Kindheit geführten Tagebücher vernichtet und vorher darin quergelesen - erschreckend, was mit 10-12 Jhren schon da war und gedacht wurde. Nur: ich bin alt und damals gab es die Therapiemöglichkeiten nicht und es hat niemanden interessiert/niemand hat gesehen, was los ist.
so-calm
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Re: Wie viel Verständnis muss, soll oder darf man haben?

Beitrag von so-calm »

@Polarlicht

das ist mir schon klar, dass es das bei Kindern gibt.
nurmalso
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Re: Wie viel Verständnis muss, soll oder darf man haben?

Beitrag von nurmalso »

Hallo,

danke für Eure Sichtweisen und Meinungen.

@so-calm: Anscheinend macht meine Darstellung einen unglaubwürdigen Eindruck auf Dich. Entschuldige, aber ich habe natürlich nur einige Eckpunkte genannt. Diese sind aber wahr. Warum sollte ich hier Unwahrheiten erzählen?

@Polarlicht: Ich habe selber studiert und mein Leben war auch nicht leicht um es mal vorsichtig auszudrücken. Es geht bei dem Jungen um einen Bachelor Abschluss, also eine ca.30 Seiten lange schriftliche Arbeit. Mehr nicht. Ich kann nicht beurteilen, ob es zu schwer ist das zu tun. Ich weiß auch nicht, wie es ist wenn man depressiv ist. Aber wenn man 1,5 Jahre dafür Zeit hatte…. Und bisher noch kein Wort zu Papier gebracht hat?

Hauptsächlich mache ich mir Gedanken um die Zukunft des Jungen und in diesem Zusammenhang natürlich auch mit seiner extremen Passivität was seine Zukunft angeht. Bei anderen Dingen kann er super aktiv sein… sich mit Freunden treffen, Computer, Fantasy Spiele...

Eines habt ihr falsch verstanden. Bei uns gibt es keinen Familienstreit oder Trennungsgedanken. Der Junge wird bei uns behandelt wie ein König. Keine Vorwürfe, kein Druck bzw. nur wenig. Aber Gedanken mache ich mir schon, wie lange das so weitergehen soll. Je länger man so passiv ist, desto schwerer kommt man da wieder raus, oder?

Ach ja, und sollte man nicht auch jemandem der depressiv ist, einen Job wünschen indem er glücklich ist und Geld fürs Leben verdienen kann?

Aber ob er depressiv ist oder nicht? Wir wissen es nicht. Er geht nicht zum Arzt oder zu einer anderen Hilfe, denn seiner Meinung nach ist er vollkommen gesund. Er war halt mal ein paar Wochen in Reha wegen seiner Bulimie. Da haben wir aber nie ein Wort von erfahren, was dort im Detail diagnostiziert wurde. Wir dürfen ihn nicht darauf ansprechen. Die Therapie dort hat auch „super“ geholfen. Die Bulimie scheint verdrängt und mausert sich nun wohl zu einer Magersucht.

Naja, ich habe hier jetzt noch viel mehr im Forum gelesen. Ich denke eigentlich geht es unserer Familie noch ganz gut. Ich hab schon fast ein schlechtes Gewissen hier zu schreiben. Sorry dafür, aber was dieses Thema angeht, habe ich bisher absolut überhaupt kein Wissen und es fällt mir auch superschwer dieses Thema zu begreifen. Das schlimmste ist eigentlich mit der betroffenen Person nicht darüber reden zu dürfen und zu können!

Ist übrigens einfach nur mal schön Meinungen von Leuten zu hören die sich mit dem Thema auskennen oder da auch Erfahrungen gemacht haben.
so-calm
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Re: Wie viel Verständnis muss, soll oder darf man haben?

Beitrag von so-calm »

@nurmalso

"Aber ob er depressiv ist oder nicht? Wir wissen es nicht."

Wieso schreibst Du dann, dass Du es "denkst/weißt"?

"anscheinend macht meine Darstellung einen unglaubwürdigen Eindruck auf Dich. Entschuldige, aber ich habe natürlich nur einige Eckpunkte genannt. Diese sind aber wahr. Warum sollte ich hier Unwahrheiten erzählen?"

Ich will Deine Darstellungen zur familiären Situation etc. überhaupt nicht anzweifeln.

Ich denke aber, dass Du null Grundverständnis für das Krankheitsbild einer Depression hast. Anders kann ich mir folgende Ausführungen deinerseits nicht erklären:

"Ach ja, und sollte man nicht auch jemandem der depressiv ist, einen Job wünschen indem er glücklich ist und Geld fürs Leben verdienen kann?"

"Ach ja, einen depressiven einfach machen lassen… gut gesagt, wenn es eigentlich ein erwachsener Mensch ist und er dieses einfach mal „nichts“-machen vom Geld andere Menschen tut und das über einen langen Zeitraum."
schraatisbraut
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Re: Wie viel Verständnis muss, soll oder darf man haben?

Beitrag von schraatisbraut »

@so-calm ...
mag sein, dass die äußerungen hier im forum "merkwürdig" oder "komisch" rüberkommen, aber ich glaube, dass das einfach daran liegt, dass sich nicht jeder so gut mit dem krankheitsbild der depressionen auskennt.
ich glaube, darum sind auch einige angehörige hier, um sich ein bißchen was "erzählen" oder "raten" zu lassen von den leuten hier, die mehr darüber wissen.
und meine meinung zu dem ganzen ... ich denke, es kommt für neuankömmlinge hier im forum vielleicht manchmal ein wenig "angreifend" rüber was hier an antworten kommt.bitte jetzt nicht böse nehmen, ist überhaupt gar nicht so gemeint!!
wir sind ja alle nur deshalb hier, weil wir dringend rat und hilfe brauchen. und vielleicht drückt man sich manchmal auch nicht gleich so aus, dass es für jeden hier verständlich ist.
so-calm
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Registriert: 31. Aug 2011, 09:37

Re: Wie viel Verständnis muss, soll oder darf man haben?

Beitrag von so-calm »

@ besorgte Mama,

ich will Dir gar nicht widersprechen.

Die Fragen kommen nicht "merkwürdig" oder "komisch" rüber.

Ich kann einfach jemanden, der von einem "finanzierten Nichtstun" und "im Job glücklich sein" im Zusammenhang mit einer - von ihm vermuteten - Depression spricht, nunmal keinerlei Anregungen geben.
nurmalso
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Re: Wie viel Verständnis muss, soll oder darf man haben?

Beitrag von nurmalso »

Hallo besorgte mama,
danke für Deinen netten Beitrag.
Damit hast Du den Nagel auf den Kopf getroffen.
Ich will mich einfach nur schlauer machen, auch mal meine Sorgen loswerden und gleichgesinnte treffen.
schraatisbraut
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Registriert: 31. Aug 2011, 12:04

Re: Wie viel Verständnis muss, soll oder darf man haben?

Beitrag von schraatisbraut »

Ich glaube, ich kann ganz gut verstehen, was Du meinst.
Denn auch bei meinem Sohn habe ich mich oft gefragt, wie es sein kann, dass er stundenlang am PC sitzen und Spiele spielen kann, aber auf der anderen Seite nicht in die Gänge kommt, um wichtige Dinge in seinem Leben zu regeln.
Auch ich weiß manchmal nicht, ob er das einfach nicht kann aufgrund der Depressionen, oder ob er sich "auf den Depressionen ausruht", um alle unangenehmen Dinge anderen zu überlassen.
Das klingt vielleicht jetzt ziemlich hart und ich hoffe, man versteht mich hier richtig. Es ist absolut nicht böse gemeint und ich möchte natürlich keinen erkrankten Menschen zu Nahe treten, aber ich finde, dass man als Angehöriger auch ein hartes Stück Arbeit hat, mit dem man erstmal umzugehen lernen muss.
Denn eines kann ich als Angehörige sagen, das Leben mit einem Depressiven ist wirklich sehr sehr anstrengend und man muss aufpassen, dass diese Situation nicht die komplette Familie aufreibt.
Natürlich wünscht man der betreffenden Person nur Gutes, aber trotzdem bleibt doch immer die Frage, wielange diese Situation noch andauern soll, weil das natürlich kein Dauerzustand für alle sein kann.
Polarlicht
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Re: Wie viel Verständnis muss, soll oder darf man haben?

Beitrag von Polarlicht »

Hallo nurmalso,

ja, wenn man ein bisschen mehr Hintergrund hat, kann man auch einen Eindruck bekommen, worum es eigentlich geht. Jetzt kann ich Dir auch was zu Deinem Problem schreiben - leider keine Lösung, denn Du kannst es nicht lösen. Das muss der Junior selber tun, mit professioneller Hilfe. Kein Angehöriger kann das leisten. Das ist ein nicht erfüllbarer Anspruch und der beste Weg, selber in eine Depression zu schlittern.

Ich schreibe jetzt mal, was ich als jemand, der seit seiner Kindheit an Depressionen leidet, über das von Dir geschilderte denkt:

Es ist eigentlich egal, ob es eine 30-seitige BC-Arbeit oder ein vollwertiger Masterabschluss ist - es gibt etwas, was ihn hindert, das aus Deiner Sicht Notwendige zu tun. Das gilt es herauszufinden - er, nicht Du. Nur wenn er das gefunden und den Willen zur Änderung entwickelt hat, kann er zielgerichtet handeln. Er flüchtet vor dem, was ihn hindert in komplizierte PC-Spiele, für die man Konzentration und Hirn braucht. Das heißt, er hat grundsätzlich die benötigten Fähigkeiten für den Studienabschluß und zwar auch jetzt - er kann sie nur nicht anwenden. Ich, als selber Betroffene kann verstehen, dass er in anspruchsvolle Computerspiele flüchtet - machen viele, ich manchmal leider auch. Anspruchsvolle Spiele binden die Aufmerksamkeit. Das depressive Gedankenkreiseln, welches ungeheuer quälend ist, ist parallel nicht möglich. Insoweit ist das Spielen Rettung aus echten Qualen. Außerdem vergeht die Zeit, die sonst stillzustehen scheint. Ihr, als nicht Betroffene könnt es Euch vielleicht nicht vorstellen, aber das ist wirklich die Hölle, was man sich da zusammengrübelt und man zweifelt an seinem Verstand, dessen Vorhandensein man täglich unter Beweis stellt. Die Spiele verschaffen dann auch Erfolgserlebnisse - man ist clever.

Das nachfolgende klingt jetzt möglicherweise etwas unfreundlich, daher möchte ich meine Position nochmal klarstellen: wenn ein junger Mensch eine Essstörung hat/Selbstverletzungen oder was auch immer betreibt, zu Alkohol/Drogen greift und sonst vieles schlecht läuft und er sein Leben nicht auf die Reihe kriegt, dann geht es ihm schlecht und er braucht professionelle Hilfe.

Dass er viel mit seinen Freunden durch die Gegend butschert und sich ein gutes Leben macht, (was Euch zu Recht nervt), lässt mich nicht wirklich an Depressionen als Hauptdiagnose glauben. Ich bin gerade von einem mehrwöchigen Klinikaufenthalt zurück und die jungen Leute, die mit ähnlicher Symptomatik da waren, wie Du sie hier schilderst, waren ähnlich drauf - arbeiten geht nicht, Party fast immer. Die waren alle auf Angststörungen diagnostiziert, wo in Komorbidität depressive Reaktionen auftauchten, wenn von ihnen gefordert wurde, sich in ihrer Einstellung und ihrem Verhalten zu bewegen, sich ihren Ängsten zu stellen und dem auch was entgegen zu halten, mal was zu versuchen.
Die meisten waren in der Klinik, weil die Eltern nach langem aushalten anfingen, Druck zu machen, dass es voran gehen soll mit Schule/Studium/Beruf und die Kids ihre Krankheit als Begründung für das Nicht-Können nachweisen wollten. Die Therapeuten haben sich sehr direkt zu den Verweigerungshaltungen geäußert und auch klar ausgedrückt, dass die meisten, die wirklich schweres zu verkraften haben, sich auch in der Therapie als viel belastbarer zeigen - oft aber genauso erfolglos blieben.
Prosafrei ausgedrückt: die meisten hatten einfach ein Problem, erwachsen zu werden. Die Schokoseite des Erwachsenenwerdens wollten sie gern geniessen (Ansprüche stellen, Freiheit haben), aber eben die negative Seite nicht haben, Selbstverantwortung übernehmen, den Platz eines Erwachsenen in der Gesellschaft einnehmen und selber einen Beitrag zum Gemeinwohl zu leisten.
Das ist jetzt kein Vorwurf, sondern Angst ist eine total normale Reaktion auf Veränderung. Manche Menschen sind von der Natur nicht begünstigt worden (genetisch bedingt) und reagieren mit so heftiger Angst, dass sie das Problem nicht lösen können und an Veränderungen keine Freude haben. Und dann passiert das, was Du hier beschreibst - innere Lähmung, aktive Verweigerung, Krankheit.

Mit der gleichen Einstellung, mit der ich mein Studium durchgezogen habe, gehe ich trotz schwerer Depressionen täglich arbeiten. Im Grundsatz ist es also möglich, das zu tun, was Du forderst. So wie er mit Spielen vor den Anforderungen des Lebens flüchtet, kann man auch in die Arbeit flüchten (meine Wahl), das bleibt dann immer grenzwertig Richtung Burn-Out, ist also auch nicht schön und nicht gesund. Welchen Weg man geht, ist eine Frage der Bedingungen. Ich hatte garkeine andere Chance, als das Ding durchzuziehen, keine Unterstützung, keinen Anreiz in ein gewaltgeprägtes Elternhaus zurückzukehren. Erwachsen und selbstständig zu werden hatte also einen hohen Anreiz für mich.

Ich habe Deinen Austausch mit "besorgte mama" gelesen und sehe exakt das Gleiche bei einer Freundin - der Sohn ist auch behandlungsunwillig. Behandlung heißt, es wird von außen eingewirkt, Bewegung/Veränderung verlangt, durchaus Druck erzeugt. Wie mit einem Mal soll man erwachsen sein und Verantwortung für sich selber übernehmen? - Das ist Angst und Abwehr auslösend.

Aufgrund meiner Erfahrungen mit psychischen Erkrankungen (diverse Diagnosen und einige Klinikaufenthalte, in denn ich viel über die Krankheitsbilder gelernt habe) denke ich, dass Ihr es Euren Kindern sehr lange zu bequem gemacht habt (rundum gepampert) und dann mit einem Mal sollen sie funktionieren. Aber woher soll das funktionieren kommen, wenn es nicht gelernt wurde und sie von der Natur mit einer geringeren Belastbarkeit ausgestattet sind? Sie haben jetzt einen komfortablen Platz eingenommen und den verteidigen sie. Das ist aus ihrer Sicht total nachvollziehbar.
Jetzt ist es an Euch, es ihnen unbequem zu machen, damit sie in Fahrt kommen, z.B. indem sie wie die Kiddies, die ich in der Klinik kennenlernte (alle längst volljährig, aber keiner erwachsen), erst einmal dorthin flüchten, um zu zeigen, dass sie nicht können. Dort wird auf sie eingewirkt und leider könnt Ihr nicht damit rechnen, sie geheilt zurück zu bekommen. Oft ist das der Auftakt zu einem jahrelangen Behandlungsprozess, mit Auf's und Ab's auch mit Therapieabbrüchen usw denn sie sind ja wirklich krank.

Ich kann Dir nur den ganz einfachen verhaltenstherapeutischen Tipp geben, mal einen geistigen Rollentausch zu vollziehen: schlüpf' mal in seine Position und frag' Dich, warum er was ändern sollte. Und dann frag' Dich als nächstes, wie die Bedingungen sein müssten (welche Restriktionen), damit es so unbequem wird, dass er was ändert.

Das machst Du am besten zusammen mit Deiner Lebensgefährtin, denn die Umsetzung müsst Ihr gemeinsam durchziehen - sonst wird das nichts. Meine oben bereits erwähnte Freundin hat auch zu lange abgewartet: selber depressiv und Ehe kaputt. Das ist wirklich nicht erstrebenswert.

Ich wünsche Euch Einigkeit und viel Kraft, das durchzustehen. Und wenn es schlecht läuft, erinnert Euch: er ist krank und macht weiter, bis er Hilfe außerhalb sucht. Einen anderen Weg wird es nicht geben.

Polarlicht
so-calm
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Re: Wie viel Verständnis muss, soll oder darf man haben?

Beitrag von so-calm »

@nurmalso

Sorry, wenn ich Dir bisher wenig Verständnis entgegengebracht haben sollte.

Aber man kann nun mal keine Vermutungen ("ich denke er ist depressiv") anstellen, ohne Fakten zu kennen.

Wir Angehörigen hier im Forum sind keine Experten und nicht in der Lage, eine Diagnose zu stellen. Auch ein Facharzt würde sicherlich keine Ferndiagnose stellen können.

Ich kann Dir zu Deinem Anliegen nur so viel sagen: Nach allem was ich gelesen habe, ist es einem depressvien Menschen so ziemlich egal, ob er morgen noch einmal aufsteht oder nicht. Er hat keine Lebensfreude mehr. Selbst ein 6er im Lotto ist ihm sch...egal.

Mein Cousin studiert seit zehn Jahren und blockt Gespräche mit seinen Eltern ab. Depressiv ist er aber nicht.

so-calm
ratfragender
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Re: Wie viel Verständnis muss, soll oder darf man haben?

Beitrag von ratfragender »

Guten Abend zusammen,

also zum Thema Bachelorarbeit und ob es schwierig ist 30 Seiten zu schreiben wenn man depressiv ist: Selbstverständlich ist das schwierig! Das ist für gesunde Menschen schon schwer und manche verzweifeln fast daran. Auch wenn man in der Lage ist zu studieren heißt das nicht, dass man dafür geboren ist eine wissenschaftliche Arbeit zu verfassen. Manchen fällt das Schreiben einfach nicht so leicht. Die Bachelorarbeit stellt vorallem deshalb so eine schwere Aufgabe dar weil es (vorallem am Anfang) einem wie ein weit entfernter Gipfel vor kommt. Also ja - ist schwer - für einen Depressiven mit Sicherheit so gut wie nicht machbar.

Was das Computerspielen betrifft das besorgte Mama erwähnt hat: Das ist vollkommen normal. Mit den Computerspielen ist der Mensch in der Lage sich aus der realen Welt in eine Fantasiewelt zu flüchten. In der es nicht die Probleme gibt mit denen er sich nicht beschäftigen möchte. Daher denke ich ist obsessives Computerspielen auch eine Art Ersatzdroge sein kann. Also statt mit Alkohol die Sorgen wegezuschieben oder sich ins Bett zu legen spiele ich Computer.

Als Mutter (oder natürlich auch als Partner einer Mutter) eines depressiven Kindes stellt sich natürlich die Frage was soll ich tun? Soll ich was tun? Wo habe ich Verständnis?

Ich denke es wäre falsch nichts zu tun. Dem Depressiven jetzt Vorhaltungen deshalb zu machen weil er depressiv ist ist falsch. Aber dafür zu sorgen, dass derjenige sich nicht voll und ganz in seiner Krankheit fallen lässt ist schon richtiger. Ich würde vermutlich versuchen mein Kind dazu zu bringen sich in eine Therapie zu begeben. Nichts zu tun ist auf jeden Fall keine gute Option.

Falls die größte Sorge die Bachelorarbeit ist die vielleicht nicht fertig wird: Ich denke man sollte die FH / Uni darüber informieren wie es aussieht. Man kann eigentlich immer was erreichen wenn man mit den Leuten redet. Ich würde vielleicht mit der Studiengangsleitung reden und versuchen ob die vielleicht nicht das Studium erstmal "ruhen" lassen kann. Vielleicht einfach mal nachfragen welche Optionen für den Sohn vorhanden sind. Das dürfte auch Dich etwas beruhigen weil Du dann etwas besser weißt woran er (und somit auch Du) dann bist. Wenn das ein Studium oder eine Hochschule ist an der der einzelne eine Matrikelnummer ist kann das schwierig werden. Das Verständnis für eine "Numemr" ist teilweise sehr grenzwertig. Ich glaube aber gelesen zu haben, dass das Prüfungsamt bei entsprechender Diagnose Rücksicht nehmen muss. Ich würde aber - bevor etwas anbrennt oder die Exmatrikulation droht mit der Hochschule sprechen.

Herzliche Grüße
ratfragender
La_crimosa
Beiträge: 468
Registriert: 28. Mär 2010, 22:05

Re: Wie viel Verständnis muss, soll oder darf man haben?

Beitrag von La_crimosa »

@polarlicht: Mir gefällt Dein posting SEHR gut! Hab Dank dafür!

Susanne
nurmalso
Beiträge: 10
Registriert: 31. Aug 2011, 12:57

Re: Wie viel Verständnis muss, soll oder darf man haben?

Beitrag von nurmalso »

Hallo Polarlicht,

danke für Deine nette, tolle, kompetente, lange Antwort! Du hast ja einen ganz klaren Blick und kennst Dich offensichtlich super aus. Ich hatte mehrere „Aha“ Erlebnisse als ich Deine Mail las. Abgesehen davon, habe ich das Gefühl, das Du ein ganz toller Mensch bist

Zu Deinem Satz: „Prosafrei ausgedrückt: die meisten hatten einfach ein Problem, erwachsen zu werden.“….

Als ich das las, erinnerte ich mich an einen Satz den der Junge mal vor einigen Monaten gesagt hatte: „Am liebsten würde ich gar nicht erwachsen werden.“. Du triffst den Nagel also wohl auf den Kopf. Bei jedem neuen Schritt baut sich wohl eine riesige Mauer bei ihm auf. Beim Wechsel in den Kindergarten, Grundschule, Gymnasium, Uni. Wenn der Wechsel dann mal vollzogen ist, klappt alles ganz gut. So war es zumindest bisher… auch in der Uni lief es gut. Wir vermuten, das sich das stark geändert hat, als seine Freundin ihn vor zwei Jahren verlassen hat!?

Deine Antwort klang überhaupt nicht unfreundlich. Das mit der professionellen Hilfe sehen wir genauso. Wir wollen ihn nur nicht so direkt zwingen. Da blockt er momentan total ab.

Das mit der Angststörung klingt für mich plausibel. Er hat ja Angst vor neuen Lebensabschnitten, aber auch vor vielen kleineren Dingen des Lebens. Auch das mit der sozialen Phobie klingt in manchen Dingen einleuchtend. Obwohl, mit seinen Freunden gibt es keine Berührungsängste. Freunde sind ihm superwichtig und er hat viele. Auch sind ihm Familienfeste etc. sehr wichtig. Vielleicht weil da immer Leute sind die er kennt? Er ist auch sprachgewandt und eloquent. Nur wenn es auf die Themen Beruf oder andere wichtige Dinge des Lebens geht, da werden sofort die Schotten dicht gemacht. Mit uns redet er nicht über solche Themen, jedoch anscheinend auch wenig mit den Freunden. Nicht nur das er nicht drüber reden will, ich vermute auch er selbst blendet dieses unangenehme Thema gedanklich aus.

Auch dass er vor der realen Welt flüchtet sehe ich genauso. Entweder ist es der Computer oder ein komplexes Fantasie Kartenspiel, welches er stundenlang mit Freunden spielt.

Zu Deiner Äußerung: „Und dann frag' Dich als nächstes, wie die Bedingungen sein müssten (welche Restriktionen), damit es so unbequem wird, dass er was ändert. Das machst Du am besten zusammen mit Deiner Lebensgefährtin, denn die Umsetzung müsst Ihr gemeinsam durchziehen - sonst wird das nichts.“…

Danke für diesen Satz!!! Da haben meine Partnerin und ich noch unterschiedliche Ansichten. Sie ist halt ein ganz lieber, herzensguter Mensch. Sie will es dem Jungen wie auch anderen Menschen jeden Tag so schön wie möglich machen. Das sehe ich halt anders, also so wie Du…, ein bisschen unbequem darf es manchmal schon werden. Aber Du hast recht… man muss als Eltern an einem Strang ziehen. Sonst macht Erziehung keinen Sinn.

So, jetzt habe ich noch mal eine persönliche Frage an Dich. Du hast geschrieben dass Du Dich, als depressiver Mensch, in Deine Arbeit flüchtest was immer in Richtung Burn Out geht. Würde das für jede Arbeit gelten, oder kannst Du Dir einen Job vorstellen, der so gut gefallen würde, das er einen zumindest nicht so „auffrisst“?

Jetzt danke ich Dir nochmal für Deine ganzen Anregungen und offenen Gedanken und wünsche Dir erst alles Liebe und nur das Beste dieser Welt!

nurmalso
nurmalso
Beiträge: 10
Registriert: 31. Aug 2011, 12:57

Re: Wie viel Verständnis muss, soll oder darf man haben?

Beitrag von nurmalso »

Hallo ratfragender,

danke für Deine nette Antwort und die ganzen Anregungen. Ja, ich denke auch… der Junge sieht die 30 Seiten als riesigen Berg. Jedoch hat er schon höhere Berge erklommen und zum Schreiben…… ein zweiter Schwerpunkt seines Studiums ist Journalismus. Aber wir vermuten auch inzwischen, dass die Situation sich mit der Trennung der Freundin verschlimmert hat.

Zu der Idee die Arbeit zu verschieben. Die Arbeit wurde bereits drei Mal und insgesamt über 1,5 Jahre verschoben. Alle Möglichkeiten sind voll ausgeschöpft, alle Tricks wurden bereits ausgereizt. Wenn er die Arbeit jetzt nicht schreibt, dann verfällt das Thema komplett. Man kann das Studium sicher ruhen lassen, aber das tut es ja quasi schon seit 1,5 Jahren. Aber mal sehen, ob wir den Jungen nicht doch ganz sanft anschubsen können diesen allerletzten Schritt zu tun.

Allerdings denke ich manchmal, vielleicht ist gar nicht die Bachelor Arbeit das Schlimme, sondern das was ihn danach erwartet. Wenn das Studium abgeschlossen ist, muss ja was Neues kommen. Im Zweifel ein Job! Das macht ihm wahrscheinlich noch viel mehr Angst…?

Liebe Grüße

nurmalso
schraatisbraut
Beiträge: 14
Registriert: 31. Aug 2011, 12:04

Re: Wie viel Verständnis muss, soll oder darf man haben?

Beitrag von schraatisbraut »

also ich möchte mal ganz kurz eben allen ein riesengroßes dankeschön sagen für die antworten hier für "nurmalso"...auch mir haben diese schilderungen von euch sehr viel weitergeholfen. vielen lieben dank!
Babi
Beiträge: 1972
Registriert: 23. Jul 2009, 17:07

Re: Wie viel Verständnis muss, soll oder darf man haben?

Beitrag von Babi »

Hallo nurmalso
hab für dich und besorgte Mama was in den Beitrag von besorgte Mama reingeschrieben.
Hoffe, das hilft dir und auch besorgte Mama ein wenig.
Man sieht nur mit dem Herzen gut, das wesentliche ist für das Auge unsichtbar
(Exupery)
:) ;)
Polarlicht
Beiträge: 121
Registriert: 7. Jun 2011, 23:46

Re: Wie viel Verständnis muss, soll oder darf man haben?

Beitrag von Polarlicht »

Hallo nurmalso,
danke für Deine Rückmeldung. Ich entschuldige mich schon immer im Vorwege für meine prosafreie Art, weil ich Dauererfahrung als "Bad Guy" habe. Die meisten Menschen mögen die Direktheit leider nicht gern hören und wer hier im Forum unterwegs ist, hat auch ein Problem mit erhöhter Verletzlichkeit - da komme ich dann immer ganz schlecht rüber. Ich weiß das und kann trotzdem nicht anders, weil bei mir "Falschheit" eben ein Angstauslöser ist. Entweder sage ich meine Meinung, wie sie ist oder garnichts.

Ja, was Du schreibst, über Deine Lebenspartnerin, die als Mutter da in tiefem Konflikt steht, das dachte ich mir schon. Ich würde mit Euch nicht tauschen wollen, denn bei aller Abgenervtheit seht Ihr ja auch das Elend, was dahintersteckt und macht Euch berechtigte Sorgen um seine Zukunft.
Ich denke, mit dem sanft anschubsen, dass wird nichts. Das geht bei Unmotiviertheit, aber nicht bei Ängsten und in die Therapie hineinzwingen geht garnicht, er muss das wollen. In eine erzwungene Therapie startet er mit Abwehr - das ist quälend und wirkungslos, zementiert die Krankheit und stiehlt ihm Lebensjahre. Es geht nur, es ihm so unbequem zu machen, dass er dorthinein flüchtet. Wenn Deine Partnerin so herzensgut ist und es sich mit dem "unbequem machen" so schwer tut, dann bekommst Du eine Ahnung, was Ihr von dem Junior verlangt. Ihr seid beide gesund und tut Euch schwer, mit berechtigten Forderungen sowie mit eigener Verhaltensänderung gegen Eure Natur. Er leidet höllisch unter seinen Ängsten. Das ist ein ganz anderes Kaliber, was ihm bei einer Verhaltensänderung entgegensteht, im Vergleich zu Euch. Bei Euch liegt ein Ausflugdampfer quer im Kanal, bei ihm ist es ein Flugzeugträger (wie immer der dahingekommen sein mag). Das ist die Aufgabe, beide in Bewegung zu bringen - Ihr liegt auf dem Weg zum Meer, also müsst Ihr Euch zuerst bewegen, sonst kann der Flugzeugträger garnicht Fahrt aufnehmen.

Alles, was Du schreibst, deutet auf Angst hin, eben das sicher sein und super gut drauf sein in bekanntem Umfeld. Ja, ziemlich wahrscheinlich, dass die Trennung von der Freundin irgendwas bei ihm angetickt hat, was zu dem Totalabsturz geführt hat. Die Situation wird belastender, das Studium nähert sich dem Ende, Veränderung droht, der Spannungspegel steigt und dann passiert eine Extremsituation und er rauscht kopfüber talwärts. Du schriebst, es ist der Sohn Deiner Lebensgefährtin, also gab es da schon mal eine Trennung für ihn oder es hat lange was gefehlt.
Das war bei mir ähnlich - langanhaltende zunehmende Belastung und immer kam noch was dazu, über Jahre und dann noch eine Sache - bekannt, schon x-mal dagewesen, aber sie war zuviel und alles brach zusammen, jede Sicherheit ...

Du fragst, welchen Job ich brauche. Ich habe den richtigen Job, um mit Depression und Ängsten fertig zuwerden, ich muss ihn nur richtig machen, um nicht in ein Burn-Out zu laufen. Ich arbeite jetzt als IT-Beraterin, nach meinem zweiten Studium. Das ist ein Job, der Dir jede Menge Anerkennung bringt und wo man es auch sehr gern sieht, wenn jemand viel arbeitet. Das ist für mich gefährlich, weil ich mein Leben lang nur positive Resonanz auf Arbeit/Leistung bekommen habe - ich als Mensch war nichts wert, im Gegenteil, ein absoluter Minusposten. Also, wenn ich positive Bestätigung brauche, muss ich nur viel und gut arbeiten - das ist immer richtig, bringt Belohnung, Anerkennung, alles, was der Mensch zum Leben braucht.
Viel arbeiten ist mich natürlich nicht richtig, weil doch sehr beeinträchtigt durch die Erkrankung mit Schlafstörungen usw. Wenn Du depressiv bist, bist Du nicht gerade ein Entertainer. Solche Qualitäten brauche ich in dem Job aber und das strengt dann natürlich sehr an. Also habe ich meine Arbeitszeit auf 4 Tage begrenzt, um nicht wieder völlig zusammenzubrechen. Ich brauche mehr Ruhepausen als gesunde Menschen und muss viel Sport treiben, damit mein Körper die Belastungen aushält, wenn albtraumartige Ängste den Puls hochtreiben und ich die Angst nicht zeigen darf, sondern einfach weiter funktionieren muss. Körperliche Fitness ist ganz wichtig, um mit der Erkrankung fertig zu werden - sie ist auch körperlich sehr anstrengend. Das war ein langer und mühseliger Lernprozess, die Bedingungen für mcih herauszufinden, einigermaßen gut leben zu können.
Im Erststudium habe ich Geisteswissenschaften studiert. Das war nichts, weil ich in dem Job, den ich in der Beratungsstelle hatte, ständig einem Wiedererleben der eigenen Kindheit und Jugend ausgesetzt war. Ich hatte damals eine hervorragende Supervisorin, die das zwar nicht so direkt herausgearbeitet hat, aber gesehen hat, wie extrem leistungsorientiert ich bin und für die betreuten Kids als Lösung immer nur gesehen habe, dass man sich durch Leistung aus dem Elend befreien kann - immer nur in die Richtung geguckt, keine anderen Optionen, die für sie vielleicht besser/schaffbarer gewesen wären sehen konnte und und erst recht nicht meine eigenen sehr schlechten Gefühle (Ängste). Nach 2 Jahren (Vertragsablauf) habe ich es dann aufgegeben, einen Quereinstieg in die Informatik gemacht und als ich sah, das ist auch was für mich, logisch denken und so, habe ich doch noch mal studiert und jetzt ....

Ich schreibe das so ausführlich, weil ich Euch Mut machen will. Wenn das erste Studium nichts wird, ist nicht das ganze Leben verloren. Natürlich wäre es für einen Wechsel des Berufsfeldes besser, einen Abschluß zu haben, aber das ist kein Muss. Man wird nicht zwangsläufig zu einem Looser, sondern geht einen anderen Weg. Anders ist nicht unbedingt schlechter. Ich denke als Journalist muss man extrovertiert und durchsetzungsfähig sein (außer vielleicht als Fachjournalist für Physik oder Chemie). Ich glaube, das passt nicht gut zu Ängsten, egal wie eloquent und sprachbegabt man ist. Das macht es vielleicht sehr schwer, sich in dem Beruf durchzusetzen, ähnlich wie alles was mit Vertrieb, Marketing, Werbung etc zu tun hat - wo immer Druck/Konkurrenz herrscht, ständig Änderungen sind, schnell wechselnde Kontakt, schelle Kontaktaufnahmen gefordert sind.

Ich habe den Preis mit einer sehr geringen Lebensqualität bezahlt und gelernt, dass bei Kummer und Sorgen nie jemand da war, d.h. ich habe auch heute keinerlei Vertrauen in andere Menschen. Das könnt Ihr anders machen. Ihr könnt da sein, aber trotzdem nicht pampern, im Sinne von: wir helfen Dir, aber wir können und wollen Dich nicht davon abhalten erwachsen zu werden - das ist ein zwangsläufiger Prozess, unentrinnbar, also am besten schnellstmöglichst damit anfangen.

Ich bin froh, dass wir das anfängliche Kommunikationsproblem lösen konnten und ich wünsche Euch dreien alles Gute,
Polarlicht
bigappel
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Registriert: 10. Dez 2010, 08:10

Re: Wie viel Verständnis muss, soll oder darf man haben?

Beitrag von bigappel »

Hallo Ihr lieben Forianer,
Ihr seid echt der Hammer,

ich sitze als Angehörige gerade hier, habe Eure Beiträge durchgelesen und immer nur gedacht, Ihr schreibt über die Jugendversion meines Lebensgefährten (ausschließlich auf das Verhalten gesehen, nicht die Krankheitsauslöser)

Klar, er und seine Geschichte sind kein Einzelfall; trotzdem: die Klarheit Eurer Worte
und die Analogie zu seiner Lebensgeschichte berühren mich.

Die Situation des geschilderten jungen Mannes könnte möglicherweise unbehandelt langfristig so weitergehen, wie die meines Partners:

Heute, mit Mitte 40 ist er pensioniert und hat vor ein paar Tagen erstmalig eine Therapie in einer Tagesklinik begonnen.

Heute Morgen (Montage sind irgendwie immer kritisch) erst, war es für mich eine Gradwanderung ihn zu unterstützen, sich zur Tagesklinik zu begeben.

Jede, noch so kleine Veränderung in seinem Leben scheint eine Bedrohung für ihn zu sein und sei sie wirklich, aus Sicht eines Gesunden noch so belanglos.

Mein Freund hat eine gewaltvolle Kindheit hinter sich. Er kommt aus sehr gutem Hause;
der Schein nach Außen, als glückliche Familie war immer das was zählte.

Die Mutter, meiner Meinung nach selber schwer psychisch krank, hoffnungslos mit sich und der Welt überfordert mit einem Ehemann versehen, der zu schwach war, ihr die Schranken zu weisen...... da hat man als Kind echt ne Chance, eine gesunde Überlebensstrategie zu bilden.

Im Gegenzug zu den häuslichen Schlägen stand die Überbemutterung. Normale, zur Kindheit und Jugend gehörende Probleme wurde kommentarlos und ohne Schilderung des Lösungsweges aus dem Weg geräumt...... schließlich mußte die Perfektion nach Außen ja stimmen.

Mein Freund ist ein wunderbarer Mensch.
Er ist sehr intelligen, sensibel, hat gelernt, das was das Gegenüber sich wünscht, zu erahnen und zu erfüllen, seine Wünsche dabei zurückzustecken, bzw. wohl eher vollständig zu ignorieren.

Die Mutter hat seinen Charakter und das was für ihn zur Entwicklung lebensnotwendig ist, niemals wirklich wahr genommen und der Vater, tja, hatte kurzfristig den Mut, die Dame am schlimmsten zu hindern, hat sich aber dann lieber auf die Arbeit verzogen und intensiv sein Hobby gepflegt, als sich Gedanken darüber zu machen, wie seine Kinder wohl mit dieser Furie überleben können...

Mein Freund hatte meines Erachtens wenig genetische Grundausstattung zur Problemlösung und niemals die Chance zu lernen.
Super! Das Ergebnis haben wir heute.....

Für mich als Angehörige und selber auch Mutter ist es manchmal so schwer, weil ich mir nie sicher bin, ob es richtig ist, ihn anzuschupsen, wieweit und ob ich ihm damit nicht mehr schade, als nütze.

Heute morgen (er hat die ganze Nacht vor Angst vor dem heutigen Tag nicht geschlafen,
obwohl er die letzten 3 Tage Tagesklinik prima hinter sich gebracht hat) konnte ich sein echtes Leid sehen und spüren und am liebsten hätte ich "beschützt" und in Watte gepackt *schäm*.

Naja, zum Glück hat irgendwann mein Gehirn wieder funktioniert, wir haben über die Ängste soweit es ansatzweise ging (die verbale und denktechnische Lähmung hatte bereits eingesetzt) gesprochen und ich habe ihn erinnert an unsere Vereinbarung:

ein reales Bild von der Klinik und der dortigen Arbeit machen (mit anderen Worten:
diese Woche auf jeden Fall noch durchhalten,
den nächsten Montag auch und Dienstag beleuchten, was er wirklich davon hält) und bevor er nicht mehr hin gehen will, mit einer Vertrauensperson der Klinik über sein Abbruchwunsch sprechen.

Ich hoffe und denke, dass dieser Weg für ihn zumutbar ist und hoffe einfach darauf, dass er erkennen kann, das er Stärke besitzt.

Mein Freund hat den erwachsenen Weg, wie Polarlicht fantastisch beschrieben hat, niemals gelernt.

Heute, mit Mitte 40 ist es ein verdammt harter und sehr langwieriger Weg, dies nachzuholen. Das wünsche ich niemandem.

Wäre er noch 20, hätte er noch eine bessere Chance, von daher: Mut, dem jungen Mann Flügel zu geben! Es ist nicht leicht, aber zwingend notwendig.

@ Polarlicht:

ja, Menschen, die gerade raus sagen/schreiben was sie denken, sind die unbequemeren, aber eigentlich die viel angenehmeren Menschen.

Klar, gerade hier gibt es Menschen, die eine viel dünnere Haut haben und daher damit weniger gut umgehen können; trotzdem schätze ich diese offenen, ehrlichen Menschen weitaus mehr, die mir ins Gesicht sagen, dass sie mich für ein A.... halten, als die, die immer freundlich lächelnd, mit dem Messer hinterm Rücken einem zur Seite "stehen".

Bleib wie Du bist!

LG
Pia
Ein Tier zu retten, verändert nicht die Welt, aber die ganze Welt ändert sich für dieses Tier.
bigappel
Beiträge: 1488
Registriert: 10. Dez 2010, 08:10

Re: Wie viel Verständnis muss, soll oder darf man haben?

Beitrag von bigappel »

@ nurmalso:

Lieber Nurmalso.

Aus ganz anderen Gründen(schwere eigene Krankheit, Scheidung vom Mann und völlig verfehlte Schuldgefühle meinerseits dadurch) neige ich auch zum Beglucken meines (Teenager-) Kindes; sicherlich auch aus erlerntem Verhalten....

Ein sehr guter Freund, hat mich unsanft, aber wirkungsvoll von "diesem Tripp" geholt.
Dafür bin ich heute unendlich dankbar.

Ich denke, es wäre an der Zeit, mit Deiner Frau ein offenes Gespräch darüber zu führen,
dass sie ihm aus sehr gut gemeinten und durchaus nachvollziehbaren Gründen schonen und ihm Sicherheit geben will, aber genau dies die Entwicklung unheimlich behindert.

Damals, habe ich diesen Freund als entsetzlich hart und irgendwie widerlich empfunden, aber er hat mir den besten Freundschaftsdienst erwiesen, den er mir häte machen können und ich denke, meinem Kind sehr viel Leid erspart!

Du kennst Deine Frau, Du weißt genau, wie sie "tickt", welche Härte Du ihr zumuten kannst, damit sie erkennt, dass sie ihm nicht hilft, sondern seine Erkrankung fördert und das Du verstehst, wie schwer das für sie ist.

Viel Mut & Kraft;
LG

Pia
Ein Tier zu retten, verändert nicht die Welt, aber die ganze Welt ändert sich für dieses Tier.
nurmalso
Beiträge: 10
Registriert: 31. Aug 2011, 12:57

Re: Wie viel Verständnis muss, soll oder darf man haben?

Beitrag von nurmalso »

Hallo Polarlicht,

ich habe kein Problem mit erhöhter Verletzlichkeit. Auch von daher kommst Du bei mir ziemlich gut rüber Falschheit mag ich im Übrigen auch nicht.

Der Vergleich Ausflugdampfer quer mit Flugzeugträger gefällt mir. Flugzeugträger sind aber ganz schön groß! Mit den Trennungen hast Du Recht, der Vater ist gestorben, die Oma, die eine Bezugsperson war, auch... Das sind leider Dinge die man nicht beeinflussen kann.

Wow… Du bist IT-Beraterin und das ist der richtige Job um mit Depressionen und Ängsten fertig zu werden!? Die Welt steckt ja voller Überraschungen! So etwas hätte ich absolut nicht vermutet. Da herrscht doch auch extremer Druck und Konkurrenz, es gibt ständige Änderungen, schnell wechselnde Kontakte… Ich bin auch IT-Berater, aber mich macht der Job meistens nicht so glücklich und helfen tut er mir nur aus finanzieller Sicht. Aber ich verstehe schon was Du in Bezug auf Deine Person meinst. Machst Du eher technische Beratung, oder Applikationsberatung oder noch was anderes?

Das mit Deiner Kindheit hört sich ja wirklich traurig an. Für mich kommst Du hier so ganz und gar nicht als „Minusposten“ rüber. Du stehst eher ganz weit auf der Plus Seite Zeiten ändern sich!

Erststudium abschließen oder nicht… Du hast ja Recht. So wichtig ist das ja vielleicht auch nicht. Aber wenn nach all den Anstrengungen nur der allerletzte kleine Aufwand gemacht werden muss um das Ding einzulochen. Man hat den ganzen Parcour mit 18 Löchern komplett durchgespielt und jetzt liegt der Ball auf dem Green und muss nur noch eingeputtet werden. Quasi ein kleiner Schlag noch... seufz! Naja, wollen wir mal sehen was passiert und auch was danach kommt!

Liebe Grüße

nurmalso

P.S.: Wir hatten niemals ein Kommunikationsproblem
schraatisbraut
Beiträge: 14
Registriert: 31. Aug 2011, 12:04

Re: Wie viel Verständnis muss, soll oder darf man haben?

Beitrag von schraatisbraut »

hey du -

sag mal, ich wüßte gern mal, wie die mutter des juniors mit der ganzen situation so umgeht...
denn ich stelle fest, dass es mir als betroffene mutter glaube ich viel viel schwerer fällt mit den ganzen situationen umzugehen, als meinem jetzigen mann zum beispiel.
der versucht natürlich auch meinem sohn zu helfen, wo immer er kann - und er versucht natürlich auch mir den rücken zu stärken wenn ich selber wieder mal am ende bin...trotzdem habe ich oft das gefühl, dass die väter/stiefväter anders mit den situationen umgehen als man das als mutter tut.
vielleicht magst du da ja noch ein bißchen was erzählen...bzw. wie geht deine partnerin damit um, dass du hier im forum bist und über das ganze "sprichst"?
Kieselstein
Beiträge: 179
Registriert: 18. Aug 2011, 16:07

Re: Wie viel Verständnis muss, soll oder darf man haben?

Beitrag von Kieselstein »

Hallo,

ich kann euch Müttern und Vätern erzählen, wie es bei mir und meiner Mutter war; es ist kein direkter Rat aber ein sehr guter Umgang mit dieser Problematik:

Meine Mutter ist selber schwer depressiv und (zur Zeit) trockene Alkoholikerin. Das ganze übrigens schon seit ca. 20 Jahren.
Das hat natürlich massive Auswirkungen auf mich und meine Geschwister gehabt. Sie konnte sich überhaupt nicht um uns kümmern.
Soviel zum besseren Verständnis.

Trotzdem hat sie uns immer ihre Liebe gezeigt und für uns gekämpft (so gut es eben phasenweise ging). Nie hat sie uns Vorwürfe gemacht (Wie bei euch, Nurmalso). Das ist absolut richtig! Durch Vorwürfe erreichst du überhaupt nichts! Vorwürfe machen einem depressiven Menschen, wie ich es bin, unendlich viel Druck und können einen an den Rand der Verzweiflung treiben. Das kann sehr weit führen... Ein depressiver Mensch ist häufig nicht nur von Ängsten sondern auch von Unsicherheiten geplagt. Ich wusste selber, dass etwas nicht stimmt...
Was mir aber sehr geholfen hat war, dass meine Mutter mir immer wieder gesagt und gezeigt hat, dass sie mich- egal was ich mache- oder auch eben nicht- liebt und mich trotzdem weiterhin unterstützt. So hatte ich keinen Druck mehr.
Mein Studium habe ich mit dem 1. Staatsexamen abgeschlossen. Während der Prüfungen hatte ich einen Totalzusammenbruch: Rettungswagen, Sanitäter, etc...
Ich habe in dem Moment überhaupt nicht realisiert, was passiert ist. Aber das Verständnis und die Liebe meiner Mutter hat mich getragen.

Ich könnte mir vorstellen, dass es deiner Frau auch so geht. Sie möchte ihrem Sohn durch Liebe und Unterstützung helfen- du ja auch:-). Finde ich echt klasse!
Deine Bedenken und Ansichten kann ich auch gut verstehen.
Eben solche Gedanken, wie du sie hast, hat mein Vater auch- verständlicherweise. Er versteht die Krankheit allerdings auch nicht. Somit habe ich keinen richtigen Zugang zu ihm- vielleicht auch deswegen. Deshalb lasse ich mir von ihm auch nicht helfen und mir nichts sagen. Das funktioniert einfach nicht.
Trotzdem liebe ich ihn.

Dein Stiefsohn wird dich bestimmt auch lieben- auch für die Unterstützung.
Gut möglich, dass er es dir später auch mitteilen wird. Das wünsche ich dir:-).
Alles Liebe
Polarlicht
Beiträge: 121
Registriert: 7. Jun 2011, 23:46

Re: Wie viel Verständnis muss, soll oder darf man haben?

Beitrag von Polarlicht »

Guten Abend nurmalso,

das Problem mit der erhöhten Verletzlichkeit haben Menschen, die psychisch angeschlagen sind - ich z.B. auch. Sich das einzugestehen ist ein großer Vorteil, dann kann man nämlich erst mal prüfen: darf ich jetzt ausflippen oder ist das bloss meine überscharfe Wahrnehmung, die mich zusammenzucken lässt. Das machen die meisten Depris leider nicht.

Mein Schwerpunkt ist Applikationsberatung, aber bis in die Technik rein, d.h. ich überprüfe auch Gesamtlösungen von externen Anbietern auf fachliche und technische Angemessenheit (Kosten, Zukunftsfähigkeit, Skalierbarkeit usw). Der Ton ist oft rau und damit habe ich trotz Depressionen keine Probleme, erkenne die Interessenskonflikte, das Konkurenzgehabe oder was immer dahinter steckt - die Attacke hat ja mit mir als Mensch nichts zu tun, es geht um meinen Etat. Und ich selber bin ja auch nicht so charmant in meiner Direktheit.

Doch, der Job kann was für Depris sein, aber man muss sich gut distanzieren können (s.o.) und im Griff haben. Was zu tun ist, interessiert mich so sehr, dass ich an nichts anderes nebenbei denken kann - das Hirn hat stundenlang Pause vom depressionsbedingten Grübelzwang. Schwierig sind für mich die diversen Arten von Anbieterveranstaltungen und besonders das abendliche come-together in gepflegter Umgebung. Daher meine Warnung vor allen Jobs mit viel Wechsel in Umgebung und Menschen - man muss das wollen und können.

Zum Thema einputten: manche Kids brauchen etwas länger für ihren Weg und müssen zwischendrin den Kurs korrigieren. Und zum Beweis, dass es garnicht so ungewöhnlich ist, und nichts schlechtes dabei rauskommen muss, gibt es dann Leute wie mich - ein echtes Überraschungsei.
Ich glaube, es ist nichts schlimmer, als einen Job zu haben, den man hasst oder für den man nicht geeignet ist, dem die eigene Persönlichkeit entgegen steht. Man verbringt einfach zu viel Zeit darin. Die unglücklichsten und mutlosesten Menschen, die ich in Kliniken getroffen haben, waren diejenigen, die im falschen Job feststeckten und sich an Sachzwängen festklammerten, um das nicht zu ändern. Da wird jede Stunde bis zur Rente gezählt. Wie soll man so froh werden.

Der Mann meiner Nichte hatte sein Chemiestudium geschmissen, zugunsten von einer Ausbildung zum Restaurator. Die ganze Familie steckte bei einem Fest in den Startlöchern, um ihn zu planieren. Ich bin als Erste auf ihn los und sagte unüberhörbar für alle "Herzlichen Glückwunsch, da muss man echt einen Arsch in der Hose haben, um so eine unpopuläre Entscheidung zu treffen. Ich wünsche Dir, dass Du glücklich wirst." Damit war die Tonart gesetzt - es hat sich keiner getraut, was anderes zu sagen. Wenn es jetzt, Jahre später mal jemand versucht (er Handwerker, sie Ärztin) das zu thematisieren, mache ich eine Blutgrätsche. Ich habe einfach zuviel berufsbedingtes Psycho-Elend gesehen.

Ich an Deiner Stelle würde mir einen Plan machen, zusammen mit Deiner Lebensgefährtin, was zu tun ist. Bevor in irgendeiner Weise Druck gemacht wird, erst mal das Gespräch suchen: keine Vorwürfe, sondern was Ihr Euch für Gedanken macht zu ihm als Person (nicht die berufliche Situation), sondern seine Probleme mit Veränderungen etc. Ihn fragen, ob er mit Euch über die Probleme, die ihn blockieren sprechen kann oder ob er sich Hilfe von außen holen will. Vielleicht habt Ihr Glück und er ist froh, dass Ihr ihm eine Tür öffnet. Manchmal reicht es, die Ängste zu thematisieren und sie schrumpfen auf ein handhabbares Maß. Da ist vieles möglich. Lasst Ihn seine Sorgen aussprechen, nicht kleinreden, denn für ihn sind sie riesig, nicht mit Logik und Sachkompetenz antworten, sondern ihn einfach mal ausreden lassen und seine Sorgen/Gefühle als wichtig würdigen. Beim aussprechen kann er vielleicht schon selber Ansatzpunkte finden oder er findet Fragen an Euch. So können Dinge in Bewegung geraten.
Vielleicht zickt er auch erst mal rum, weil das zu neu ist, dass auf Gefühle und nicht auf den Lebensplan geguckt wird. Dann gebt ihm eine gewisse Zeit. Vielleicht kommt er oder Ihr versucht es nach einem definierten Zeitfenster erneut. Wenn Ihr dann gegen die Wand lauft, ist es an der Zeit, einen Plan B zu machen - für ihn total transparent: was passiert wenn ...., nachvollziehbar, mit Ansage, keine angstauslösenden Überraschungen, aber durchaus Ärger erzeugende Taten.

Ich wünsche Euch gutes Gelingen und vielleicht berichtest Du mal, wie die Dinge sich entwickeln.
Polarlicht
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