Frage an Betroffene - das tiefe Loch.....

Pluto
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Frage an Betroffene - das tiefe Loch.....

Beitrag von Pluto »

Ich habe mal eine Frage an diejenigen die von dieser blöden Krankheit betroffen waren oder sind. Vielleicht könnt ihr sie mir beantworten.

Ich lese hier ja immer wieder, dass Männer und Frauen mit Depressionen auf einmal - so von jetzt auf nachher - sich von ihrem Partner trennen. War ja bei mir auch so, von Mittags: ich liebe dich - auf Abends: ich will nichts mehr, keine Familie und nichts.

Man hört ja auch immer wieder bzw. liest in Fachbüchern, dass Depressionen heilbar sind. Jetzt meine Frage: Wie ist es wenn man zurück ins "normale" Leben kommt, wenn man sozusagen wieder aufwacht. Geht das genauso schnell wie man rein kommt in die Depression oder geht das langsam.

Ja ich weiss, ist eine blöde Frage aber ich als nicht Betroffene kann mir es ja auch irgendwie nicht vorstellen wie man so etwas von jetzt auf nachher erleben kann bzw. sich von jetzt auf gleich von dem geliebten Partner trennt und auf einmal keine Gefühle mehr hat. Deshalb würde es mich interessieren ob die Gefühle auf einmal wieder zurück kommen können oder wie der Weg ist.
Liebe Grüße...Pluto
Blümli
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Re: Frage an Betroffene - das tiefe Loch.....

Beitrag von Blümli »

^^ Vielleicht muss man die Liebe gefühlt haben, um die Freundschaft richtig zu erkennen^^ Nicolas Chamfort
otterchen
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Re: Frage an Betroffene - das tiefe Loch.....

Beitrag von otterchen »

Guten Morgen!

Ich versuch's mal
einen
- meinen -
Aspekt zu schildern (da Depressionen sehr individuell sind, gibt es sicher noch viel mehr Gründe)

Die Beziehung verlangt zuviel vom Depressiven.
Man kann sich nicht (mehr) um sich selbst kümmern, man nimmt sich selbst nicht (mehr) wahr.
Man dreht sich um Partner, evtl. Familie, Sozialleben, Verpflichtungen... und hat sich selbst dabei verloren.
Oft braucht der Depressive dann das Alleinsein, um zu sich selbst zu finden, oder jemanden, der ganz selbstlos ohne Ansprüche einfach nur da ist.
(Diese Ansprüche können auch einfach nur vom Depressiven so empfunden werden - Unterstützung kann z.B. so empfunden werden, dass er sich noch hilfloser und nutzloser in der Beziehung fühlt)

Diese Selbstfindung ist ungemein wichtig. Ablenkung von außen stört nur, so blöd das klingt. Dann ist der Depressive (der, von dem ich hier rede - wohlgemerkt, es gibt noch andere) wieder abgelenkt und in seinem Denken und Fühlen beim anderen.

Ja, Depressionen sind heilbar, aber nicht alle und oft nicht in kurzer Zeit. Ich vertrete die These, dass viele Depressive oft latent schon länger depressive Denkens- und Verhaltensmuster leben. Manchmal schon ihr ganzes Leben lang. Dies innerhalb kürzester Zeit alles zu erkennen und zu ändern, ist nicht in kurzer Zeit (wie immer man diese definieren möchte) machbar. Wenn man 20 oder 30 oder mehr Jahre so gelebt, gedacht, empfunden hat, kann man dies - auch mit Hilfe einer guten Therapie und Antidepressiva - meiner Meinung nach nicht innerhalb von wenigen Monaten ändern.
Ich bin seit vielen Jahren depressiv und immer noch / immer wieder in Therapie, weil vieles in meinem Leben noch nicht "stimmt".

Und manchmal - so bitter das auch ist - sind die Gefühle wirklich weg. Das "ich liebe dich" am Mittag kann bereits beim Aussprechen schal gewesen sein. Es sind gewiss Gefühle für den anderen da, aber der Depressive weiß, dass diese vielleicht nicht so sind, wie sie sein sollten und wie der andere sie verdient hätte.
Und er fühlt sich so schwer, als eine solche Belastung, dass er das (sich selbst bzw. seine Probleme) niemandem antun möchte.
Seine Rolle, die er in der Beziehung spielen "sollte", kann er nicht mehr einnehmen. Der Anspruch des Partners "liebe mich" kann nicht mehr erfüllt werden, weil er sich selbst nicht liebt und gar keine Liebe mehr für irgendwas empfinden kann.
Und vielleicht gibt es vieles, was unausgesprochen blieb, weil er nie gelernt hat, Konflikte auszutragen... weil er nicht damit leben kann, unverstanden und unbeliebt zu sein...
Es gibt tausend Gründe, ganz individuell.

Ich könnte mir vorstellen, dass andere Betroffene das bestimmt noch um ihre Sicht der Dinge ergänzen können.
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lonely83
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Re: Frage an Betroffene - das tiefe Loch.....

Beitrag von lonely83 »

Hallo zusammen,

das ist eine sehr interessante Frage von Pluto und Blümli, die mir auch sehr auf der Seele brennt...
Ich hoffe es gibt noch weitere Ausführungen und Erfahrungen dazu...

LG
lonely
Schwester70
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Re: Frage an Betroffene - das tiefe Loch.....

Beitrag von Schwester70 »

Hallo alle hier!

Das ist wirklich eine gute Frage,die da Pluto gestellt hat!

Ich finde die Ausführung von otterchen sehr aufschlussreich und verständlich!

Danke otterchen....

Liebe Grüsse Schwester
Hinfallen,aufstehen....Krone zurecht rücken,weitergehen!
CJ43
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Re: Frage an Betroffene - das tiefe Loch.....

Beitrag von CJ43 »

Hallo Pluto!

Ob Gefühle, die in der Depri langsam verschwunden sind, genauso langsam wieder kommen: ja, das kann ich nur bestätigen!
In Deprizeiten fühle ich mich leer und ohne positive Emotionen, geradezu eingefroren, dass braucht seine Zeit um wieder aufzutauen.

Allerdings habe ich mich deshalb nicht von meinem Partner getrennt (oder er sich von mir), den Wunsch hatte ich einfach nicht.
Mein Leben war schon so anstrengend genug, da auch noch mit Mann und Kindern zu brechen, dass hätte ich gar nicht gewollt, geschweige denn geschafft.

Es gab schon Phasen, da habe ich meine Beziehung kritischer gesehen. In meinem Fall ist das so, dass ich meinem Mann immer viel abgenommen habe, was mich aber überlastet hat. Ich habe mir immer seine Sorgen angehört und bin auf meinem Zeug sitzen geblieben.
In der Reha ist mir klargeworden, dass ich wirklich auf mich selbst achtgeben muss.
Das hatte aber nichts damit zu tun, dass meine Gefühle der Familie gegenüber erloschen sind.
Das stelle ich übrigens auch bei anderen Depressiven fest: sie rödeln sich auf für andere und denken, das muss so sein.

In den Schilderungen, die ich hier im Angehörigenforum zum Teil so lese, finde ich mich nicht wieder.
Sicher war ich oft anstrengend für meinen Mann, vor allem wenn ich nur noch fertig und traurig gewesen bin, aber so völlig aus dem Kontakt zu gehen, synchron zur Depression, dass kenne ich so nicht.

Viele Grüße, Constanze!
Blümli
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Re: Frage an Betroffene - das tiefe Loch.....

Beitrag von Blümli »

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otterchen
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Re: Frage an Betroffene - das tiefe Loch.....

Beitrag von otterchen »

Hallo Blümli,

ich bin oft sehr erstaunt, was hier im Angehörigenteil geschrieben wird, das muss ich ehrlich gestehen.
Immer wieder gibt es neue Threads mit den Titeln "hat mein Freund/Partner eine Depression", und es wird darüber gemutmaßt und spekuliert, was denn nun womöglich im anderen vorgeht und wie man damit am besten umgeht...
ich frage mich dann immer, wo das eigene aktive Anpacken des Lebens ist.

Ich weiß nicht, ob Du womöglich auch so einen Thread gepostet hast und ich Dir damit auf die Füße trete - das will ich nämlich überhaupt nicht!
Aber ich spüre eine Tendenz von
a) da zieht sich jemand aus der Affäre, ist "komisch" und "anders", und direkt wird eine Depression vermutet
b) der zurückgelassene Partner dreht sich nur noch um den vermeindlich Depressiven und will alles tun, um die Beziehung zu retten

Oft habe ich Bedenken, dass das einfach nur ein Schlussmachen, ein Herausschleichen aus der Beziehung ist, die verständlicherweise auch dem, der geht, der sich nicht mehr so an den anderen gebunden fühlt, schwer fällt - er hätte vielleicht auch gerne tiefere Gefühle für seinen Partner und mag sich selbst nicht, weil diese Gefühle lau geworden sind.
Und dann fällt es den Verlassenen oder denen, die diese Sicherheit in der Beziehung nicht mehr spüren, auf einmal sehr schwer, mit dieser neuen Lage umzugehen.

Wenn der Partner diagnostiziert depressiv ist, ist es wieder etwas anderes!
Und man muss leider damit rechnen, dass dies in einer Trennung münden kann (aber nicht muss). So bitter das ist.
Wie man sich dazu stellt, ob man es darauf ankommen lässt, ob man bei diesem Menschen bleibt, um hinterher festzustellen, dass man sich umsonst quergelegt hat, oder ob einen diese Phase zusammenschweißt, weil man den anderen auch in seiner Gefühllosigkeit nicht alleine gelassen hat, das kann nur die Zeit zeigen.

Ich möchte jedenfalls nicht in der Haut eines "Depri-Partners" stecken. Und ich habe nur den Rat, selbst gut für sich zu sorgen, den Partner mal auszublenden und seine Weichen selbst zu stellen, unabhängig vom Partner. Es bringt ja nichts (und man ist auch kein besserer Mensch dadurch), wenn man sich genauso quält wie der Depressive. Ich kann Dich also nur darin bestärken, Deinen Fokus jetzt mehr auf Dich und weniger auf den depressiven Partner zu legen.

Das war vielleicht jetzt etwas am Thema vorbei, aber irgendwie... wollte das raus
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bigappel
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Re: Frage an Betroffene - das tiefe Loch.....

Beitrag von bigappel »

Liebe Otterchen,

vielen Dank für Deine klaren Worte.

Auch ich fühle mich davon angesprochen und es tut einfach gut, malwieder "erinnert" zu werden, dass man ein eigenes Leben hat.

Hört sich auch irgendwie "gestört" an, wenn ich das von mir selber lese, aber da entwickeln sich manchmal Kreisläufe - zumindest bei mir - , die, wie sagt man so schön, kontrapruduktiv sind.
Ich habe mich wissend - was ich so für Wissen hielt - für meinen Partner entschieden, wie ich jetzt nach und nach weiß, hat er eine Angststörung, die sich auch mit Depressionen äußert.

Manchmal ist es phantastisch, wenn der erwachsene Teil handeln kann, manchmal vernichtend. Ich weiß nicht, ob wir eine gemeinsame Zukunft haben, denn die Störung fängt er erst jetzt an sowas wie aufzuarbeiten - liegt seit frühester Kindheit vor - , das wird wirklich die Zeit zeigen. Aber ich fange immer wieder an, mich zu verbiegen und alles um ihn zu drehen (diesem Problem sollte ich mich wohl auch mal widmen , was definitiv nicht funktioniert.

Zum Glück gibt es gute Freunde und klasse Menschen hier, die einen bewußt oder unbewußt immer wieder anstossen, die eigene Sichtweise zu überprüfen.

Danke Dir dafür!
Alles Liebe

Pia
Ein Tier zu retten, verändert nicht die Welt, aber die ganze Welt ändert sich für dieses Tier.
Blümli
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Re: Frage an Betroffene - das tiefe Loch.....

Beitrag von Blümli »

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Pluto
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Re: Frage an Betroffene - das tiefe Loch.....

Beitrag von Pluto »

Ich weiss zwar nicht wen du gemeint hast aber ich fühle mich auch nicht auf die Füsse getreten. Bei uns ist es auch erwiesen - es haben mir die Ärzte bestätigt als er das letzte Mal wegen Epianfälle im Krankenhaus war aber er will es nicht einsehen.

Und ja ich denke auch an mich und meine Tochter - ich bin kaum zu Hause und habe super gute Freunde.

Eine Zukunf wird es für uns eh nicht mehr geben da er die Entscheidung getroffen hat zurück in die Staten zu gehen und zwar schon am 17. März - also Thema für mich abgeschlossen....
Liebe Grüße...Pluto
otterchen
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Re: Frage an Betroffene - das tiefe Loch.....

Beitrag von otterchen »

Hallo,

eine Trennung ist immer schlimm, ob der, der geht, depressiv ist oder nicht.
Bei Depressiven hat man als "Zurückgelassener" aber vielleicht eher noch die Unsicherheit, ob man nicht doch besser dem Depressiven beistehen soll und/oder ob dessen Gefühle vielleicht nur vorübergehend weg sind und womöglich wieder zurückkommen.

Einen grundlegenden Rat dafür habe ich nicht.
Kommunikation zwischen beiden Partnern halte ich für ganz wichtig. Mir hat bzw. hätte geholfen, wenn der "gesunde" Part auch seine Schwächen offenbart, seine Zweifel, seine Ängste, seine Unsicherheiten - erst dann war es für mich möglich, mich selbst zu öffnen. Bei Menschen, die "alles im Griff" haben, war ich verschlossen wie eine Auster. Nicht willentlich; es ging einfach nicht anders.

Ach, es ist schwierig...
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CJ43
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Re: Frage an Betroffene - das tiefe Loch.....

Beitrag von CJ43 »

Hallo,
ich kann das, was Otterchen sagt, nur unterstreichen. So geht es mir hier beim Lesen auch öfter, dass ich denke: na, das sind Beziehungs- und Liebensgeschichten und oft auch sehr traurige und kummergeschüttelte - aber was hat das mit Depression zu tun?

Nicht, dass ich bezweifle, dass depressive Partner sehr anstrengen und Rätsel aufgeben können! Nein, dass ist mir völlig klar.
Mit kommt es nur merkwürdig vor, dass so eine Hoffnung aufscheint, als könne besseres Verstehen von Depressionen und Wissen um die Erkrankung und Vermeiden von Fehlern eine Beziehung wieder richten und kitten.

Ich möchte wirklich auch keinem hier auf die Füße treten oder das Bemühen um andere abwerten, nein.
Mir denke nur, dass manchmal in der Krankheit nicht der Schlüssel zur Lösung zu liegt.
Hmm, weiß nicht, ob ich mich richtig ausgedrückt habe. Na ja.

Viele Grüße, Constanze!
otterchen
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Re: Frage an Betroffene - das tiefe Loch.....

Beitrag von otterchen »

Hallo Constanze,

doch, ich finde, das hast Du gut ausgedrückt:
das Verstehen der Depression ist nicht der Schlüssel zum Ganzen.

Es geht um Trennungen - Depression hin oder her.
Um Hoffnungen, Chancen, Möglichkeiten, Entscheidungen, Schmerz, Selbstquälerei, Sorgen, Wut, Verzweiflung, Unsicherheit, die Suche nach dem, was "richtig" ist...

und damit ist der, der verlassen wurde, womöglich näher an der Depression dran als der, der gegangen ist.
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Oskar
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Re: Frage an Betroffene - das tiefe Loch.....

Beitrag von Oskar »

Hi zusammen

@Pia: Dann lass es zu das er Dinge aufarbeitet und baue ihm und Dir keinen Druck mit der gemeinsamen Zukunftsvision auf.
OK nichts geht ohne Gedanken, Pläne, Hoffnungen an das Zukünftige.
Sich ab und an bewusst zu machen, dass einfach mal das Gegenwärtige das ist was genau jetzt zählt, hilft mir da.
Das Zukünftige ist ein Konstrukt aus Wünschen, Hoffnungen, Sorgen, Sehnsüchten, dass ich sicher gut aber nicht zu 100% beeinflussen kann.

Mir hilft dieser Ansatz manchmal mein "nerviges Grübel- und Hinterfragich" in den Griff zu bekommen.

Zitat:

"...Ich möchte jedenfalls nicht in der Haut eines "Depri-Partners" stecken..."
(wo ist die Fußnotenfunktion fürs korrekte zitieren? )

Ich auch nicht, bin ich aber.

Wie oben erwähnt, geht's doch um Beziehungen und weniger um Depris.

Beziehungen (also so etwas was Staaten und Geschäftspartner haben - nein ich mag das Wort nicht sehr) sind doch ohnehin schon nicht unkompliziert.

Also seitdem bei uns der folgende Partnerschaftsdruck raus ist und wir sehr offen mit dem Deprithema umgehen, läuft es gut.

Druck:

-Ich weiß nicht, ob ich als Partner tauge, weil ich oft mies drauf bin und auch mal nicht reden oder kuscheln mag.

-Meiner Freundin ist klar, dass meine ab und an scheinbare Distanz da nicht persönlich zu nehmen ist und sie dass sie sich auch nicht verbiegen muss oder besondere Rücksicht auf mich nehmen muss um.



Ich finde es zum Teil erschreckend, wenn ich hier Postings lese, dass der, die, das Depressive am besten nach ein paar Therapieerkenntnissen die Axt nehmen soll um seine Konstante (eine Partnerschaft) in einem Anfall von Selbstfindung und Egoismus zu zerschlagen.

Die Illusion, zu denken, dass alles wieder schön und gut und wie frisch verliebt ist, wenn der die das Depressive gerade in einer stabilen Phase ist, Therapieerfolge hat, ADs wirken (oder alles drei zusammen) finde ich auch strange.

Bei "stinknormalen" Paaren stellt sich doch auch so etwas wie Partnerschaftsnormalität ein.

Und fast völlig depressionsunabhängig stellt sich doch Fragen:

- Will ich ne feste Partnerschaft?
- Nix festes und ab und mal den Partner wechseln, was ja auch nicht reizlos ist?
- Wie hohe Ansprüche stelle ich an den Partner / die Partnerin?

Und so fort.

Ich denke auch, dass es viele "Gesunde" gibt, die Fluchtinstinkte haben, wenn man Ihnen emotional zu nahe kommt.

LGO
Blümli
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Re: Frage an Betroffene - das tiefe Loch.....

Beitrag von Blümli »

^^ Vielleicht muss man die Liebe gefühlt haben, um die Freundschaft richtig zu erkennen^^ Nicolas Chamfort
Antiope
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Re: Frage an Betroffene - das tiefe Loch.....

Beitrag von Antiope »

Hallo zusammen,

euer Wunsch nach weiteren Aspekten sei mir Befehl ...

Das erste Mal sind meine Gefühle zu Stein geworden. Mein ganzes Ich ist zu Stein geworden. Man ist ganz allmählich reingerutscht - hat sich permanent emotional überfordert, hat die Gefühle und Wünsche der Beweggründe der anderen als "wahr", die eigenen als "falsch", "unangemessen" wahrgenommen. Wie ein Glas Wasser ist man von außen nach innen gefroren.
Selbst meinen Körper habe ich nicht mehr gespürt, ich konnte heiße Dinge anfassen und habe es nicht gemerkt.
Ich hatte so viel Schuld auf mich geladen, dass ich es niemals abbüßen konnte - und doch musste ich es täglich, stündlich machen.

Plötzlich gab es eine Art "Schneeschmelze". Drama, zweiter Akt. Es war für mich völlig unfassbar, ob ich Gefühle hatte und welche. Sehr extrem bin ich von einem Gefühl in das andere gestürzt - und habe dabei nichts, *überhaupt nichts* gespürt. Mein Ich war vollkommen hohl, eine Leere, die nicht fassbar und nicht verstehbar ist.

Was in dieser Zeit nicht da war, überhaupt nicht existierte, waren positive Gefühle. Die gab es nicht. Über irgendetwas sich zu freuen - das ging nicht. Etwas schönes anzuschauen - völlig unmöglich. Eine andere Farbe als Schwarz zu tragen - unerträglich, die Farben haben meine Haut "verbrannt". Sonne war so "schmerzhaft", ein solcher Vorwurf an mich, dass es mir noch "schlechter" ging. Sich ganz zu fühlen, etwas zu lieben - in meiner Welt gab es das nicht.

Das dritte Mal hatte ich keine Kraft mehr zu gar nichts. Es gab nur noch Angst, ANGST, HOFFNUNGSLOSIGKEIT, abgrundtiefe Verzweiflung, LEBENSANGST.
Es gab kein Nachher, kein Morgen mehr. Ich hatte keine Kraft mehr zu essen, zu trinken. Lachen, gehen - es war eine übermenschliche Anstrengung, sich überhaupt zu einem Entschluß durchzuringen.
Angst und Verzweiflung, Aussichtslosigkeit, Kraftlosigkeit, das war alles, was es noch gab, was mein Gehirn noch produzieren konnte. Liebe, Freude, Lachen - alleine die Worten taten weh.

Wie kann man es Nicht-Betroffenen verständlich machen? Eine sehr sehr dunkle Sonnenbrille mit dunkelgrünen Gläsern aufsetzen. Plötzlich gibt es kein Rot mehr.
Taub werden: es gibt keine hohen Töne mehr. Nur noch tiefe und sehr tiefe Brummtöne. Alles andere ist nicht mehr wahrnehmbar.
Einen Bleiplattenanzug anziehen. Man kann nicht mehr schnell laufen, tanzen schon gar nicht. Der Bewegungsradius ist absolut eingeschränkt. Vieles fällt schwer, was völlig normal war, anderes ist nicht mal mehr denkbar.

Die Gefühle kommen wieder. Und sie sind nicht "schockgefroren", sondern unter Umständen auch "mitgewachsen". Sie waren schon längere Zeit unter einer immer stärker anwachsenden Aschendecke bedeckt, wurden grau und trocken, bis sie völlig zugedeckt wurden. Wenn aber alles wieder durch einen erlösenden Regen freigewaschen wird, dann kann sich auch das Gefühl der Liebe und Freude vertieft und erweitert haben. Man sieht dann manche Dinge anders, kann vieles viel eher schätzen und sich auch darauf einlassen, was vorher nicht so möglich war.

@Blümli: Es finde ich schon toll, wie Du versuchst zu verstehen. Was dabei aber nicht entstehen darf: Schuldgefühle bei Dir und falsche Rücksichtnahme. Zum einen macht Dich das völlig fertig und entfernt Dich von Dir selbst, zum anderen merkt es der Partner und bekommt es noch mehr mit der Angst zu tun. Ich glaube, es ist sehr schwer, auf diesem Balanceseil zu agieren, und ich wüßte nicht, wie ich das hinbringen würde.
Blümli
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Re: Frage an Betroffene - das tiefe Loch.....

Beitrag von Blümli »

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Antiope
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Re: Frage an Betroffene - das tiefe Loch.....

Beitrag von Antiope »

Hallo Blümli,

auf die Gefahr hin, Dich wieder zu verwirren, Folgendes.

Depression hat zwei wichtige Komponenten:
ich sehe nicht mehr das Helle, sondern nur noch das Dunkle. Ich fühle nichts mehr oder nur noch Jammer, Trauer, Elend, Angst und Panik, Schmerz, Wut, Hilflosigkeit, Hoffnungslosigkeit, Kraftlosigkeit, Mutlosigkeit, ... Es gibt nur noch die dunkle Brille, es gibt weder Wärme noch Sonne noch Licht oder Tag.
Ich verliere mich selbst oder das, was ich bisher für mein "Ich" hielt, ich verliere *vollständig* den Bezug zum anderen.
Die zweite Komponente: ich bin schuldig. Es gibt ein solch überwältigendes Schuldgefühl, ein beständiges "hätte", "müsstest", "nicht gesollt". Es ist völlig egal, ob es "real" (was ist das schon??) Schuld gibt - die Schuld spürt ein Depr., niederdrückende Schuld. Mama geht es schlecht? SCHULD - musst liebenswert sein! Papa hat sich den Zeh gestoßen? SCHULD - hättest Möbelstück wegräumen müssen! Nachbar schaut böse? SCHULD - war zu laut, zu unfreundlich, zu ...! Das Schulheft zerknittert? SCHULD - nicht achtsam! Kollege macht Überstunden? SCHULD - hätte schneller arbeiten müssen, hätte ihn nicht alleine lassen dürfen!

Wenn mich die Schuld quält, wenn mich die Niedergeschlagenheit übermannt, dann kann ich gar nicht mehr Kontakt halten. Zum einen gehe ich den anderen auf den Nerv, zum anderen ertrage ich nichts mehr um mich herum. Ich habe die Kraft nicht mehr, den Kontakt aufzunehmen und ihn zu halten. Es ist unvorstellbar anstrengend, mit anderen zu reden.
Ich habe auch keine guten Gefühle mehr. Weder mir gegenüber noch anderen. Diese Gefühle existieren nicht mehr, und sie sind auch kaum mehr erinnerbar! Das ist wichtig - meine Seele kann sich an das andere *nicht mehr erinnern*. Es ist weg.
Unvorstellbar?
Nein, die schwarze Brille.

Nachher gibt es wieder die Gefühle, auch die guten. Sie haben sich verändert - für mich waren sie reicher, vielfältiger, viel besser und mehr zu spüren. Viel mehr Zwischentöne. Wie es bei anderen ist? Ich weiß es nicht. Ich weiß es nicht...
Blümli
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Re: Frage an Betroffene - das tiefe Loch.....

Beitrag von Blümli »

^^ Vielleicht muss man die Liebe gefühlt haben, um die Freundschaft richtig zu erkennen^^ Nicolas Chamfort
Antiope
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Re: Frage an Betroffene - das tiefe Loch.....

Beitrag von Antiope »

Hallo Blümli (Rose im Dornbusch ...),

schau her, jetzt hast Du ein ganz unerwartetes Geschenk, das die Depr. für Dich hatte. Du hast gelernt, dass Du verwundbar bist, dass Du auch bestimmte Dinge brauchst.

Ich denke, es ist schwer, vom Bild des kompetenten Partners Abschied zu nehmen. Aber es ist, was Otterchen meint, jetzt kann ein beiderseitiges Geben wachsen, man ist beiderseits verletzlich.

Wenn Du schreibst, Du hast alles falsch gemacht - ist es eine globale Abwertung, die einfach nicht stimmt. Du hast es so gemacht, wie es Dir möglich war. Und Du weißt jetzt, warum.
Aber das ist auch nur die halbe Wahrheit. Du machst das doch nicht *nur*, weil Du Liebe einkaufen gehen willst, sondern auch, weil Du genau dem Partner etwas geben kannst, was Du hast oder bist. Was gerade ihm fehlt. Du machst das auch, weil Dir das Du wichtig war, weil Du seine innere Schönheit gesehen hast.

Ich glaube nicht, dass Du hier fehl am Platz bist, ich heiße Dich immer noch herzlich willkommen hier. Für mich ist es auch wichtig, über den Tellerrand rausschauen zu können. Und Du kannst hier lernen und lehren.

Bitte lasse es Dir gutgehen, mache Dich wegen Deinem Menschsein nicht fertig.
Lilly84
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Re: Frage an Betroffene - das tiefe Loch.....

Beitrag von Lilly84 »

Hallo ihr Lieben,

ich habe hier bei diesem Thread bisher nur mitgelesen, finde es aber sehr interessant.

Ich möchte ein wenig Abstand von dem Thema nehmen, mich nicht mehr Tag täglich damit beschäftigen um mit meiner Geschichte abschließen zu können. Aber ganz schaffe ich das noch nicht! Heute habe ich Schuldgefühle ihn im Stich gelassen zu haben.

Dank eurer Worte verstehe ich diese Krankheit und habe verstanden dass ich nichts machen kann als loszulassen, denn man kann einfach nichts daran ändern!

Ich wollte nur mal danke sagen dass ihr mir dabei helft das alles zu verstehen und damit umzugehen!!

Ich drück euch alle mal ganz fest

Lilly
otterchen
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Re: Frage an Betroffene - das tiefe Loch.....

Beitrag von otterchen »

Hallo,

die beiden letzten Postings haben mich gerade ziemlich bewegt, und ich würde gerne etwas dazu schreiben, kann es jedoch nicht oder nur sehr schlecht.

Blümli: in Dir hat sich gerade etwas geöffnet, und für mich fühlt sich das an, als wäre Dir etwas geschenkt worden. Sowas wie Selbsterkenntnis oder Bewusstsein oder Weichheit... ich kann's schlecht in Worte fassen.
Du bist hier nicht verkehrt - vielleicht kannst Du die Rolle eines Mittlers (Betroffene/Angehörige) einnehmen, vielleicht präventiv gegen Depressionen vorgehen, vielleicht einfach nur mehr über Dich selbst lernen, über Bedürfnisse, Ansprüche, das innere Selbst.

Antiope: auch Dir würde ich gerne etwas schreiben, aber im Moment... kann ich Deinem Text eigentlich nichts mehr hinzufügen


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Edit: mit "die letzten beiden Postings" bezogen sich auf Blümli und Antiope - ich habe zu langsam geschrieben
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Nico Niedermeier
Moderator
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Re: Frage an Betroffene - das tiefe Loch.....

Beitrag von Nico Niedermeier »

Hallo auch von der Moderation,
auch wir haben öfter das Gefühl, dass es sich im Angehörigenthread oft um "normale Paarprobleme" handelt und sogar ziemlich oft das Gefühl, dass es sich wenn, dann um jede andere psychische Problematik beim Partner handelt, aber totsicher nicht um eine Depression:-))
Um so schöner finde ich hier aber Ihrer aller Postings untereinander und die wirklich uneitle, freundliche und respektvolle Diskussion daraus...
Kompliment
Gruß
Dr. Niedermeier Nico
Blümli
Beiträge: 782
Registriert: 18. Jan 2011, 18:41

Re: Frage an Betroffene - das tiefe Loch.....

Beitrag von Blümli »

^^ Vielleicht muss man die Liebe gefühlt haben, um die Freundschaft richtig zu erkennen^^ Nicolas Chamfort
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