Kann ich meinem depressiven Bruder helfen? Wenn ja – wie?

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Prado
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Registriert: 21. Sep 2010, 19:21

Kann ich meinem depressiven Bruder helfen? Wenn ja – wie?

Beitrag von Prado »

Diesen Beitrag habe ich schon unter "wie kann ich helfen?" gepostet, wo er aber wohl nicht reinpasst bzw. übersehen wird:

Mein Bruder hat eine schwere Depression hinter sich, die auch medikamentös behandelt wurde. Die Medikamente hat er vor etwa einem Jahr ausschleichend abgesetzt. Er war zwar nicht mehr so leistungsfähig wie früher, es ging ihm aber scheinbar recht gut. In all diesen Jahren hatte ich aber relativ wenig Kontakt zu ihm.

Im Juni diesen Jahres ist er vorübergehend zu meiner Mutter gezogen, um sie bis zu ihrem Tod Anfang Juli zu pflegen. Das hat er in großer Geduld und Gelassenheit getan. In dieser Zeit haben wir uns oft getroffen. Nach dem Tod meiner Mutter haben wir an drei Wochenende gemeinsam den Haushalt aufgelöst. In all dieser Zeit, während der Pflege meiner Mutter und auch die Wochen danach schien es ihm sehr gut zu gehen. Abgesehen von den Phasen der Trauer hat er gescherzt und gelacht wie früher.

Er lebt seit 17 Jahren mit einer Frau zusammen. Während der Zeit, die er bei meiner Mutter bzw. bei mir gewohnt hat ist mir und meiner Lebensgefährtin aufgefallen, wie gedämpft und bedrückt seine Stimmung war, wenn er mit ihr telefoniert hat. Am Ende meiner Zeit bei mir sagte er, dass er an Trennung denke. Da er aber finanziell von ihr abhängig ist (eine längere Geschichte) müsse er das schrittweise tun. Er war voller Pläne, wollte aber zunächst mit ihr den geplanten Jahresurlaub antreten und dabei alles mit ihr klären.

Danach hat er sich lange nicht gemeldet. Als ich anrief stellte sich heraus, dass er einen schweren Rückfall erlitten hat und wieder schwer depressiv ist. Er will wieder eine Therapie beginnen, wobei seine Partnerin großen Einfluss nimmt und Therapeuten und ggf. eine Klinik für ihn aussucht (sie ist Psychologin).

Nach allem was ich von der Beziehung weiß (seit 10 Jahren kein Sex, keine Zärtlichkeiten, viel Streit, dazu merkwürdige geschäftliche Verknüpfungen und Abhängigkeiten) habe ich Sorge, ob er in dieser Umgebung wirklich aus seiner Depression herauskommt. Ich sehe nur die zwei Gesichter meines Bruders vor mir: Der gelassene, humorvolle Bruder, der Veränderungen plant, und der bedrückte, gedämpfte Charakter, sobald seine Partnerin ins spiel kommt.

Ich habe großen Respekt vor anderen Beziehungen. Ich will mich auch nicht einmischen. Aber sowohl ich als auch meine Partnerin sind überzeugt, dass er zumindest zeitweise „Tapetenwechsel“ braucht. Ich hab ihm angeboten, bei mir zu wohnen (wäre kein Problem) und angeregt, sich zumindest einen Therapeuten in meiner Stadt zu suchen und die Fahrt als regelmäßige Aufgabe zu verstehen und uns bei der Gelegenheit regelmäßig zu treffen. Er hat darauf nicht reagiert und meldet sich nicht mehr.

Was kann ich tun? Kann ich was tun?? Ich habe Angst, dass er sich noch mehr zurückzieht, wenn er sich bedrängt fühlt.

fragt Prado


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tangram
Beiträge: 131
Registriert: 24. Mai 2010, 19:40

Re: Kann ich meinem depressiven Bruder helfen? Wenn ja – wie?

Beitrag von tangram »

Hallo Prado,

wenn ich richtig zwischen deinen Zeilen lese, dann denkst du dass die Partnerin deines Bruders ihm mehr schadet als nützt bzw. bist du nicht ganz sicher ob sie nicht Auslöser der Depression deines Bruders ist.

Also ich kann dir dazu nur meine Sicht der Dinge geben:

Ich bin auch in der Rolle, dass mir die Depression meines Mannes zugeschrieben wird - und zwar von ihm selbst.
Diese Verantwortung an der schrecklichen Lage eines anderen schuld zu sein ist fürchterlich - und rationell betrachtet auch sehr unwahrscheinlich.

Dein Bruder projeziert vermutlich seine Probleme auf diese Frau - so wie mein Mann es mit mir tut.

Wenn ein Mensch, der "gesund" ist in dieser Situation deines Bruders wäre, und hätte seit 10 Jahren keinen Sex, keine Zärtlichkeit und nur Streit, dann wäre dein Bruder vermutlich schon längst --- auch ohne auf den finanziell negativen Aspekt zu achten -- gegangen und hätte die Beziehung beendet.

Dass er finanziell von ihr abhängig ist - bzw. in merkwürdige Verstrickungen auch beruflicher Art (wenn ich das richtig verstanden habe) zu ihr hat und deshalb den Absprung von ihr nicht schafft halte ich ehrlich gesagt eher für eine Ausrede, um nicht handeln zu müssen.

Meiner Meinung nach will er seine Themen nicht angehen und deshalb sitzt er auch noch in dieser Beziehung.

Dass du ihm angeboten hast, bei dir zu wohnen und auch in der Nähe einen Therapieplatz für ihn suchen würdest, war ein sehr super Angebot für ihn --- leider hat er sich daraufhin nicht mehr gemeldet.

Du hast deinen Teil eigentlich erfüllt - er ist erwachsen und muß selbst für sich Verantwortung übernehmen, dass kannst du nicht für ihn tun, noch kann es die Freundin.

Man kann begleiten - aber nicht für ihn leben, dass muß er allein.

Das ist jetzt meine Sicht der Dinge --- ich kann nur wiedergeben, was ich selbst erlebe und ich denke dass man für die Depression eines Menschen keinen anderen dafür Schuldig sprechen sollte.

Jeder Mensch ist frei und kann sich aus einer destruktiven Beziehung lösen, wenn sie ihm nicht guttut.

Das kann er nur für sich selbst bestimmen!

Ich hoffe ich war jetzt nicht zu streng!

Nimms nicht übel

Gruß Tangram
"Der längste Weg beginnt mit dem ersten Schritt"

Laotse
Prado
Beiträge: 7
Registriert: 21. Sep 2010, 19:21

Re: Kann ich meinem depressiven Bruder helfen? Wenn ja – wie?

Beitrag von Prado »

Liebe Tangram,

diesen Eindruck wollte ich vermeiden: Nein, er schreibt ihr gar nichts zu, lässt im Gegenteil nichts auf sie kommen. Er hebt sie bezgl. Ihrer fachlichen Kompetenz sogar regelrecht auf einen Sockel, wobei er gleichzeitig sagt, dass sie ohne seine Unterstützung (organisatorisch und Zuarbeit) "verloren" wäre, weil sie mit alltäglichen Dingen (z.B. finanziellen) überfordert sei. D.H. er organisiert alles um sie herum, angefangen von der Geschäftführung ihrer GmbH bis zur Rückholung ihres aus dem Parkverbot abgeschleppten Sportwagens. Nebenbei befürchtet er, dass sie alkoholgefährdet ist, weil sie zuviel trinkt. Auch hier fühlt er sich verantwortlich.

Recht hast Du aber damit, dass er Ausreden sucht, um nichts tun zu müssen. Er legt sich selbst Fesseln an (s.o.). Mir kommt die Beziehung eher wie ein Hörigkeitsverhältnis vor. Wenn also seine Partnerin überhaupt einen Anteil hat, dann allenfalls 50 %, wobei ich das bei Beziehungen generell so sehe - "es gehören immer zwei dazu".

Vielleicht sollte ich zur Geschichte seiner Depression noch ergänzen, dass die beiden vor dem Ausbruch der Depression jahrelang sprichwörtlich rund um die Uhr und täglich gearbeitet haben, wobei sein Anteil mit kruden Begründungen nicht honoriert wurde. Und genau das ist das Einzige, was er ihr vorwirft: Dass seine Arbeit, die i.W. aus Zuarbeit für sie besteht, weder angemessen bezahlt, noch vom Wert her anerkannt wird. Hier kann er sich nicht durchsetzten. Da er z.Zt. nicht arbeitsfähig ist, ist das aber momentan kein Thema.

Prado


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