Aufgeben können wir uns später immer noch

Zen
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Re: Aufgeben können wir uns später immer noch

Beitrag von Zen »

Die Klinik lag 20 Autominuten von unserem Zu hause entfernt.

In den ersten Wochen ging es meinem Mann anstatt besser immer schlechter.
Er war total antriebslos, müde, sogar mein Besuch war ihm zu viel.

Der Behandelnde Arzt klärte mich auf und sagte das es einige Tage dauert bis die Medikament wirken.
Auch muss erstmal getestet werden, wie hoch die Dosis sein muss, die ihm wieder Stabilität gibt.
Und das dauert natürlich seine Zeit.
Auch war ich bei den persönlichen Gesprächen meines Mann mit seinem Arzt dabei. Mein Mann wollte es so.

Da ich die ganzen Monate vorher unter Hochspannung stand, kam es jetzt bei mir zum Zusammenbruch.
Ich habe tagelang nur geheulen, vom Arbeitplatz schickte man mich gleich wieder nach Hause.
Mein Hausarzt schrieb mich erstmal 14 Tage krank.

Die ersten Wochen war an einem Wochenende zu hause für ihn garnicht zu denken.
Darüber war ich auch garnicht böse, endlich hatte mal meine Ruhe.
Es tat gut keinen Stress zu haben, obwohl ich in der ersten Zeit garnichts mit mir anfangen konnte.
Ich hatte weder Lust zu lesen ( bin ein Vielleser) keine Lust fürs Fernsehen, keine Lust meine Musik zu hören ( ein großes Hobby von mir ) keinen Bock auf Freunde. Sollten mich bloß alle in Ruhe lassen.
Im Grunde hatte ich für garnichts Bock.
Manchmal habe ich einfach nur rumgesessen und nichts getan.
Nach 14 Tagen bin ich wieder arbeiten gegangen, denn dieses nur abhängen und grübeln, was eventuell in nächster Zeit auf uns zukommt, dazu hatte ich keine Lust.
Ausserdem war mein Krankenstand in den letzten Jahren ziemlich nach oben geschnellt.

Wenn es in den Jahren 2000-2005 so im Durchschnitt 8- 14 krank feiern war, so waren es in den Jahren nach 2005 schon um die 20 Tage.

Mit unserem Schiff ging es auch bergab.
2006 u. 2007 waren wir überhaupt nicht da.
Deswegen hatten wir auch sehr häufig Streit.
Da lag eine Menge Geld einfach so rum und vergammelte vor sich hin.

Mein Vater sprach mich an, ob es nicht besser wäre das Schiff wieder zu verkaufen.
Das kam für mich überhaupt nicht in Frage.
In meiner Brust schlugen zwei Seelen.
Die Eine war stinksauer auf meinen Mann und die Andere hatte Mitgefühl.
Mir kamen die tollsten Gedanken.
Wollte selber einen Bootsführerschein machen, soll er doch zu hause bleiben, mir doch egal.
Verkaufen niemals, nur über meine Leiche.
Das wäre eine persönliche Niederlage für mich gewesen.
Aber was soll ich dann da alleine?
Alleine die Wochenenden verbringen, alleine Urlaub machen??
Ausserdem fehlte mir völlig die Fahrpraxis.
Aber auch dafür hatte ich schon eine Idee.
Aber es kommt ja meistens anders, als man denkt.

Um die Weihnachtszeit dürfte mein Mann dann an den Wochenenden nach hause.
Ich konnte ihn dann Samstagsmorgens abholen und Sonntagsabend musste er wieder in der Klinik sein.
Belastungswochenende wurde es genannt.

Fragt sich nur für wen, diese Belastung war?

In der Klinik nahm mein Mann rege am Tagesablauf teil.
Er meldete sich freiwillig für den Frühstücksdienst, das hieße Kaffee und Tee kochen, den Tisch decken, anschließend alles wieder abdecken und die Spülmaschine betätigen.

Nur zu hause rührte er keinen Finger.
Er verbrachte weiterhin seine Wochenenden im Bett und hinterließ wenn er dann Sonntagsabend in die Klinik fuhr ein Chaos.

So hatte ich mir das alles nicht vorgestellt.
Der behandelnde Arzt frage mich, wie es denn so klappt zu hause und ich sagte natürlich die Wahrheit.
Mein Mann hatte ihm wohl was anderes erzählt, was mit meiner Schilderung nichts zu tun hatte.

Sollte ich etwa lügen? Etwas erzählen was nicht stimmt? Das konnte doch wohl nicht der Sinn des Aufenthaltes hier sein.
Ich wollte das meinem Mann geholfen wird, mehr nicht.

Es ging ihm ja auch schon besser, die Medis fingen langsam an zu wirken und eine Veränderung war für mich zu spüren.

Er wurde egoistischer und zwar auf meine Kosten.

Was vorher das Krankheitsbild war, keinen Antrieb, kein Selbstbewustsein, war jetzt sein Ego.
Er machte das waran er spass hatte und sonst nichts.

Bin vom Regen in die Traufe gekommen.

Fortsetzung folgt.
rm
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Re: Aufgeben können wir uns später immer noch

Beitrag von rm »

>...Nur zu hause rührte er keinen Finger....<

Guten Morgen Sammie,

schön, daß Du 'am Ball' bleibst und hier weiter schreibst. Finde ich gut und hilft auch mir.

Es wäre zu einfach für mich, hier - wie von mir oben in dem herausgegriffenen Zitat demonstriert - nur einen Aspekt dieser Krankheit herauszugreifen. Dennoch ist dies m.E. nach eine ganz wichtige Wahrnehmung, die Du da äußerst.

Hier ist ein Mensch, Dein Mann, der aus seinem 'Alltagsleben' herausgetreten ist. Für ihn scheint die Klinik meiner Meinung nach ein etwas Neues, Unbelastetes, frei von persönlichen Anforderungen, reizarm gewesen zu sein.

Hier sieht er wie selbstverständlich andere Menschen - einer 'einfachen' Struktur folgend - Gemeinschaft erleben.

Mir ging es ähnlich:

Zuhause schienen mir alle Aufgaben - und waren sie auch noch so klein - fast unüberwindlich. Und außerdem war da ja jemand, der anfänglich alles erledigte, was ich nicht zu schaffen schien.

Ich wollte unbedingt wieder so sein, wie mich meine Angehörigen/ Nächsten zu kennen glaubten: nämlich stark, richtungsweisend , eben ein 'kompletter' Familienvater wie man ihn so langläufig als Ideal in meinem Umfeld sich diesen vorstellte.

Was ICH SELBST sein wollte und war, blieb mir eher verborgen. Ich wollte es anfänglich auch eigentlich garnicht wissen, es lief ja alles so recht und schlecht.

Ehe ich jetzt wieder zu stark auf mich focussiere, möchte ich lieber den Blick auf Dich, Sammie und Eurer gemeinsames Erleben, richten, was den Punkt 'Klinik' angeht:

Ja, das Umfeld ist ein anderes in diesem Moment und andere Anforderungen sind gefragt. Solche, die ich zuhause als Lapalie abtun würde, erfahren hier selbstverständliche Anerkennung. Ich setze mich da nicht unter Druck, denn es besteht dazu kein Anlaß.

Viele dort in der Klinik haben ähnliche Probleme. Es wird nicht lange gefragt, wenn man mal nicht so gut drauf ist. Es ist einfach so und wird damit zur 'Normalität'. Kein fordernder, kein erwartender, kein hilfloser Blick, sondern einfach 'nur' Verstehen ohne große Worte.

Deshalb wird man NICHT aus der Verantwortung gelassen, wieder Eigeninitiative zu ergreifen, im Gegenteil. Aber alles geschieht LANGSAM, je nach Befindlichkeit und ohne überzogene Erwartungshaltung.

Ist es möglich, in einem EIGENEN gewohnten, eingefahrenen 'Zuhause' dann wieder überzogene Erwartungshaltungen -und seien sie auch nur von sich selbst - ganz abzulegen? Ich glaub ja, aber nur unter großen Anstrengungen und mit viel Geduld.

So, jetzt geh ich erst mal raus an die SONNE!

Dir/ Euch einen sonnigen, erfrischenden
Sonntag wünsche ich,
Reinhart
Zen
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Re: Aufgeben können wir uns später immer noch

Beitrag von Zen »

Hallo Reinhart,

Bin ich unsensibel?
Diese Frage habe ich mir oft gestellt.

Sind Menschen die Depressionen bekommen, besonders feinfühlig, sensibler wie andere.
Warum bekommt der Eine eine Depression, der Andere aber nicht?

Ich habe die Klinik als einen sehr einfühlsamen Ort empfunden.

Nur geht das zu hause auch?
In der Klinik ist alles auf den Patienten ausgerichtet. Er wird im großen Ganzen von der Aussenwelt abgeschirmt.
Das Personal und Ärzteteam hören sich geduldig die Probleme und Sorgen des einzelnen an.
Wenn es muss über Monate.

Zu hause in der realen Welt sieht es aber anders aus.
Ich als Ehefrau, habe keine psychologische Ausbildung.
Auch wenn es so rüber kommen sollte, ich bin nicht der Macher hier in unserer Ehe.

Sämtliche Entscheidungen (die Großen Entscheidungen) werden von uns beiden getroffen.
Mir würde es nicht im Traum einfallen, meinem Mann dabei zu übergehen.
Er kann sich mir gegenüber sehr gut durchsetzen.

Du hast mal geschrieben, hoffentlich kann auch deine Familie etwas positives in deiner Krankheit sehen und nutzen für sich daraus ziehen.

Ich habe durch seine Krankheit, viel mehr Selbstbewustsein bekommen.
Ich habe Dinge gemacht, die ich mir vor Jahren nie im Leben zugetraut hätte.

Auch das kam meinem Mann zugute.

Er war schon immer der Ruhepol. Der Überleger, der sich nie schnell aus der Reserve locken ließ.
Er hat mich oft vor Entscheidungen zurück gehalten, die ich bestimmt im nach herein bereut hätte.

Ich bin der spontane Typ, hat auch seine Vorteile, auch seine Nachteile.

Wir haben uns in unserem Verschieden sein, aber auch sehr ergänzt.

Wir haben uns gegenseitig angepasst.
Trotz seiner Krankheit kann ich mir ein Leben ohne ihn nicht vorstellen.

Er sagt mir oft, das er ohne mich garnicht mehr klar kommen würde.
Das Glaube ich eigentlich nicht.
Er ist ein Kämpfer, sonst hätte er sich schon längst aufgegeben.
Nur er kämpft gegen sich.
Das ist so schlimm an dieser Krankheit.
Diese Energie die er dafür verbraucht.

Ich behaupte jetzt einfach mal, dass sein Leben mit mir für ihn bequemer ist.
Weil er weiß, dass ich viele Dinge für ihn mit erledige.

Ich habe oft eine Stinkwut auf meinem Mann, sollte aber irgend jemand, sich negativ über meinen Mann äußern, bin ich wie eine Schwanenmutter die ihre Jungen verteidigt.

Ich könnte es mir ja auch einfacher machen, durch eine Trennung.
Ich habe mich aber für einen Weg mit ihm entschieden und den werden wir auch gemeinsam gehen mit allen Höhen und Tiefen.

Denn aufgeben, kann ich mich später immer noch.

Einen schönen Tag wünscht
Sammie
rm
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Re: Aufgeben können wir uns später immer noch

Beitrag von rm »

>Auch wenn es so rüber kommen sollte, ich bin nicht der Macher hier in unserer Ehe.<
>Er kann sich mir gegenüber sehr gut durchsetzen.<
>Ich habe durch seine Krankheit, viel mehr Selbstbewustsein bekommen.Ich habe Dinge gemacht, die ich mir vor Jahren nie im Leben zugetraut hätte.<
>Wir haben uns in unserem Verschieden sein, aber auch sehr ergänzt.<
>Trotz seiner Krankheit kann ich mir ein Leben ohne ihn nicht vorstellen.<
>Er sagt mir oft, das er ohne mich garnicht mehr klar kommen würde.<
>Ich behaupte jetzt einfach mal, dass sein Leben mit mir für ihn bequemer ist.<
>Ich könnte es mir ja auch einfacher machen, durch eine Trennung.<

Ich sag jetzt einfach mal:
LIEBE Sammie ,

Kann es sein, daß Ihr beide so eine Art 'Schicksalsgemeinschaft' lebt? Der Eine kann nicht ohne den Anderen, ist aber im innersten Kern doch lieber unabhängig?

Ich merke bei MIR Folgendes: Je unabhängiger wir (meine ehemalige Frau und ich) werden, desto besser geht es uns. Wir treffen nach wie vor sog. 'große' Entscheidungen zusammen (jedenfalls was unsere gemeinsamen Berührungspunkte angeht) schon noch und das verbindet irgendwo auch noch locker.

Wir haben aber schon ein Stück weit lernen dürfen/müssen, daß auch jeder für sich selbst Entscheidungen treffen kann/ muß, wo er eben NICHT mehr den Partner fragt. Ob es dem anderen auf den ersten Blick gut tut oder auch nicht.

Es ist ziemlich unangenehm auf dem ersten Stück des Wegs, auch mal allein loslaufen zu müssen und es tut weh. Ich weiß ja nie, ob der andere folgen kann/ will.
WENN er aber folgen kann, so geschieht dies dann in den meisten Fällen freiwillig und nicht aus moralischem Zwang.

Das Ganze geht natürlich auch umgekehrt. Und wenn ich es mir recht überlege, so ist dies auch in einer Lebensgemeinschaft durchaus möglich. Gemeinsame Wege gehen, OHNE sich zu verbiegen.

Mit anderen Worten: Ich plädiere immer wieder FÜR gemeinsames Probieren und durchhalten, aber NICHT um den Preis der SELBSTAUFGABE (wie es bei mir in großen Teilen war). Ich will so bleiben, wie ich mich gut fühle, ich will mich nicht mehr verbiegen.

Das gleiche möchte ich gern meine Partnerin erleben lassen.

Puh, viel habe ich heut geschrieben. Momentan eigentlich nicht so mein Ding. Doch es war mir wichtig.

Herzliche Grüße an Dich und bitte:
auch DU solltest Dich NICHT verbiegen lassen, gerade auch, was Deine Spontanität hier im Forum angeht.

Reinhart
sunshine45
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Re: Aufgeben können wir uns später immer noch

Beitrag von sunshine45 »

Hallo Sammie,
ich finde auch, dass Du weiterhin genauso schreiben solltest wie Du empfindest und es gerade in Deinem Kopf ist.
Dieses Recht steht absolut jedem zu und jeder darf seine eigenen Emotionen äußern. Hier im Angehörigenforum genauso wie es täglich auf der Betroffenenseite auch geschieht.
Wenn nicht hier, wo sonst?

Wir kennen uns ja auch persönlich und ich kann Dir versichern, dass Du ganz bestimmt nicht unsensibel bist.
Aber ich glaube, dass es Dir schwerfällt zu akzeptieren, dass es Dinge gibt an denen man einfach nichts ändern kann.
Manchmal muss man einfach seine Ziele verändern, sein aktuelles Leben an die Geschehnisse anpassen oder andere Wege gehen.
Wichtig ist immer dabei zu definieren was das eigene Glück bedeutet.
Für mich besteht das Leben aus vielen Puzzleteilen, die als Ganzes mein persönliches Glück bedeuten.
Wenn mein Partner 50 % dieses Puzzle ist, so ist das schon unglaublich viel. Mehr kann ein Mensch gar nicht leisten ohne sich zu verbiegen.
Ein großer Teil unseres Glücks liegt auch in uns. Zu erfahren wer man eigentlich ist, was das eigene Potential ist, welche Talente man hat und dieses auch alles zu leben.
Sich selbst zu spüren und sich so richtig zu finden wie man ist, das ist das große persönliche Glück und wenn man das gefunden hat, so ist der Druck auf den Partner auch nicht mehr so groß.
Auch in mir ist manchmal eine große Wut auf die momentane Situation, die ich manchmal einfach so rausbrüllen könnte. Oft habe ich hier schon Beiträge wieder gelöscht bevor ich auf veröffentlichen gedrückt habe.
Letztendlich war es immer so, dass ich mir beim durchlesen gesagt habe, dass einige Dinge auch durch mein eigenes Verhalten provoziert wurden oder ich gemerkt habe, dass mir einiges passiert ist, weil ich mich selbst aufgegeben habe. Das mußte ich akzeptieren, war teilweise eine dicke Kröte, die ich da schlucken mußte.
Aber es hat mir geholfen so langsam aber sicher meinen eigenen Weg wieder zu finden.
Vielleicht ist es bei mir ja auch noch etwas anderes, weil mein Ex-LG ja leider auch noch an anderen schweren psychischen Erkrankungen leidet.
Vielleicht konnte ich daher eher akzeptieren, dass ich nichts ändern kann.
Sammie, Du bist nicht unsensibel, aber ich glaube manchmal möchtest Du gern das Glück erzwingen (würde ich zwar auch gern) und das geht leider nicht.
Liebe Grüße
von der Koboldin
Love it, leave it or change it!
Zen
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Re: Aufgeben können wir uns später immer noch

Beitrag von Zen »

Hallo und guten Abend,

Lieber Reinhart, lieber Kobold ( ich hoffe Dir geht es gut, nach dem heutigen Abend ?)

Schicksalsgemeinschaft, meinst Du?

Nein das sind wir beide nicht.
Nein, ich möchte nicht sein Schicksal sein.

Es ist nicht so das mein Mann und ich nur Stress haben.
Es gibt zum Glück auch viele Momente wo wir lachen, uns gut unterhalten, uns einfach verstehen.

Was ist Glück?
Jeder interpretiert Glück anders.
Wir, mein Mann und ich haben beide eine sehr soziale Ader.
Wir haben gemeinsam Menschen aus dem größten Schlamassel geholfen, den das Wasser wirklich schon bis zum Hals stand.
Auch Finanziell, sowas geht nur wenn der Partner mitmacht.
Wir sind dabei oft entäuscht worden, ich war meißtens mehr entäuscht wie er.
Mein Mann sagte dann immer zu mir " So ist das Leben, hauptsache Du brauchst dich vor dich selber nicht schämen"
Das brauchen wir wirklich nicht.

Anderen konnten wir helfen, nur uns selber nicht.
Komisch, wenn ich jetzt so darüber nachdenke.

Er kümmert sich viel um Andere, aber warum nicht um sich selber??

Will nicht jeder von uns ein klitze kleines Stück Glück haben wollen?

Erzwingen können wir das Glück nicht, aber darum kämpfen, will ich schon. Auch wenn die Wege, die ich gehe nicht immer asdrein sind.

Eine gute Nacht wünscht euch
Sammie
rm
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Re: Aufgeben können wir uns später immer noch

Beitrag von rm »

>Anderen konnten wir helfen, nur uns selber nicht. Komisch, wenn ich jetzt so darüber nachdenke.<
>Er kümmert sich viel um Andere, aber warum nicht um sich selber??<

Liebe Sammie,

da beginnt sich doch gerade etwas zu erklären, zu melden... spürst Du es?

Und dann nochmal etwas von Dir von weiter oben:

>Trotz seiner Krankheit kann ich mir ein Leben ohne ihn nicht vorstellen.<
>Er sagt mir oft, das er ohne mich garnicht mehr klar kommen würde.<

Es klang für mich zuerst so, als wärd ihr beide auf Gedeih und Verderb aufeinander angewiesen, könntet nicht voneinander ( auch nur zeitweise )loslassen. Dies verstand ich unter 'Schicksalsgemeinschaft'.

Mittlerweile habe ich den Eindruck durch Deine Schilderung gewonnen (ist aber wirklich nur MEIN subjektiver Eindruck), daß ihr sehr wohl auch sehr viele Gemeinsamkeiten entwickelt habt, die Euch im positiven Sinne gegenseitig Kraft und Zuversicht vermitteln können.

Wie groß muß erst das Zutrauen und die 'Bindung' zueinander werden, wenn ihr - jeder für sich - die Geheimnisse des eigenen Selbst zu entdecken versucht? Was ist gut für MICH? Was tut erstmal nur MIR gut?

Ich hatte gelernt, daß eigenes Wohlbefinden hinter dem Wohlbefinden anderer zurückzustehen hat. Resultierend daraus war in meinen Augen das 'an-sich-selber-denken' purer Egoismus.

Folgend daraus: immer, wenn ich anfing, mein eigenes Ding zu machen, habe ich mich selbst ausgebremst, mich schlecht gefühlt. Immer, wenn ich für andere etwas tat, dann war ich in Ordnung. Helfersyndrom?

Mittlerweile bin ich noch ähnlich hilfsbereit anderen Menschen gegenüber, aber mit einem nun eher gesunden Abstand. Schwer fällt mir dieser Abstand 'nur' bei meinen Nächsten. Und dies hat was mit Angst vor 'Liebesverlust' zu tun.

Auch da bin ich selbst wieder gefragt, denn 'wirkliche Liebe' erscheint mir nur dann möglich, wenn ich mich eingehend mit MEINEN Bedürfnissen und Wünschen befasse, auch auf die Gefahr hin, daß diese dann mit den Wünschen des Nächsten kollidieren.

Aber Kompromisse sind dann ja AUCH kein schlechter Weg .Muß ich Stück für Stück immer wieder üben.

Ich wünsche Dir, Sammie, daß Du und Dein Mann sich auch mit Euch selbst, jeder für sich, auseinander-setzen könnt und Euch auch dann wieder heiler zusammen-setzen könnt.

Herzliche Grüße,
Reinhart
Zen
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Re: Aufgeben können wir uns später immer noch

Beitrag von Zen »

Hallo Reinhart und alle anderen Leser,

mein Urlaub ist leider um, und ich kleine Sardine muss wieder jeden Tag ins Haifischbecken, aber was willste machen.

Du schreibst genau das, was ich auch immer empfunden habe.
Das" an sich selber denken " habe ich auch immer als meinen eigenen Egoismus angesehen.
Auf die Idee, dass es für mich Kraft tanken bedeutet, bin ich garnicht gekommen.

Seit ein paar Wochen klappt es recht gut mit dem eigenen Ego ( auch mal an sich denken, ohne schlechtem Gewissen ).
Es tut meinem Mann gut und mir auch.

Das musste ich aber erstmal lernen. Was sich über Jahre fest eingefahren hat, kann man so einfach von heute auf morgen nicht ablegen.

Mein Mann und ich, wir sind schon ein gutes Team, darum habe ich ja auch solche Probleme das zu akzeptieren, was die Depression aus ihn bemacht hat.
Man kennt seinen Partner anders und soll akzeptieren das es jetzt nicht mehr so ist wie früher.
Da nutzen auch keine Bücher, die die Depression erklären und wie man sich als Partner verhalten soll.
Das ist für einen " normalen " Menschen kaum nachvollziehbar und über so einen langen Zeitraum, wie es bei mir der Fall ist auch kaum machbar.

Mein Fehler war, dass ich mir zugetraut habe, ich schaffe es alleine ( den Umgang mit der Krankheit ). Irgendwie krieg ich das schon hin, dachte ich immer.

Erst jetzt nach 1 J. selber in Therapie geht es mir etwas besser und ich kann heute mit einigen Situationen besser umgehen.

Obwohl ich ja jetzt schon so lange mit ihm und seiner Krankheit zusammenlebe, bin ich noch weit vom normalen Umgang mit seiner Depression entfernt.

Einen schönen Abend wünscht euch
Sammie

Fortsetzung folgt in den nächsten Tagen
rm
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Re: Aufgeben können wir uns später immer noch

Beitrag von rm »

>Mein Mann und ich, wir sind schon ein gutes Team, darum habe ich ja auch solche Probleme das zu akzeptieren, was die Depression aus ihm gemacht hat.<
>Man kennt seinen Partner anders und soll akzeptieren das es jetzt nicht mehr so ist wie früher....<

Es fühlt sich gut an, Sammie,

...was Du da sagst: selbst immer wieder - jeder für sich - Energie tanken, genau dies scheint mir ein guter Ansatz, denn ohne Energie geht auf Dauer nichts.

Zum Thema Veränderung in der Depression: Ja es stimmt, man ist nicht mehr der, der man mal war, aber auch das ist nur die halbe 'Wahrheit'.

Ich für mich kann sagen: So wie ich jetzt bin, ist es schon mal in Ordnung, mit all meinen Haken und Ösen, aber auch mit meiner Lebendigkeit und dem großen Gefühl, mich meinen Mitmenschen mit-teilen zu wollen und oft auch zu können.

Ich fühle mich jetzt sehr viel besser seit ich nur noch sehr wenig in mich 'reinlasse', was in mir Unwohlsein hervorruft. Ich lasse es bei dem, von dem es kommt. Und so geht es auch meinen Nächsten besser, auch wenn's erst mal wehtut und sich unbekannt anfühlt.

Also, was ich zum Thema Veränderung/ 'anders sein' meine: Es ist die große Chance für einen bewußten Neuanfang (allein oder im Idealfall zusammen). Und da seid ihr beiden m.E. auf einem tragfähigen Weg, mmmh ?

Ich wünsche Dir/ Euch Kraft und neue Wege! Und dies - wenn möglich - gemeinsam.

Bis dann einmal,
Reinhart
Zen
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Re: Aufgeben können wir uns später immer noch

Beitrag von Zen »

Januar 2008

Der Klinikaufenthalt verlief positiv.
Die Medikamente zeigen so langsam ihre Wirkung.
Belastungstage unter der Woche wurden von meinem Mann genutzt, um zum Tüv zu fahren, sich um einen Therapeuten nach der Klinik zu kümmern.
Unter anderem auch ein Gespräch mit seiner Vorgesetzten.
Mein Mann war ca. 10 J. an diesem Arbeitsplatz, er kam mit Kollegen und Vorgesetzten gut zurecht.

Das Gespräch verlief positiv und seine Chefin sprach meinem Mann gut zu, dass wenn es Probleme mit Kollegen geben sollte, wegen seiner Krankheit (z.b. dumme Bemerkungen ) wäre sie jederzeit sein Ansprechspartner.

Die Kollegen und Chefin schickten meinem Mann zum Geburtstag einen riesigen Korb mit vielen Leckerreien, dazu eine Karte mit vielen guten Wünschen und das er bald wieder
seinen Platz in der Runde einnehmen sollte.

Unter diesen Voraussetzungen sah mein Mann relativ entspannt dem Ende der Behandlung entgegen.

Die Entlassung sollte Ende Jan. Anfang Feb. sein.
Es wurde ein Wiedereingliederungsantrag gestellt. Denn von Null auf Hundert, wollte er sich nicht zumuten.
Außerdem unterstützten die Ärzte seinen Antrag.

Mir ging es auch ganz gut.
Es war zwar noch nicht alles so wie es sein sollte, aber der Anfang war schon mal gemacht.
Durch den Klinikaufenthalt, konnte ich auch etwas Luft holen und blickte eigentlich optimistisch in die Zukunft, bis der Brief kam.

Der Wiedereingliederungsvertrag wurde abgelehnt. Einfach so, ohne irgendeine Erklärung oder Begründung.

Wir waren beide mehr als erstaunt.
Konnte doch nur ein Irrtum sein.

Ich will hier nicht lange drumrum schreiben, aus dem einen Antrag wurden acht, die Alle abgelehnt wurden, von seiner Chefin.
Es wurde für ihn ein Gang über glühende Kohlen, direkt in die Hölle.

Chefmobbing vom Feinsten.
Das zog sich über 7 Monate hin und sein erster Arbeitstag war Ende September.

Die Klinik setzte alle Hebel in Bewegung um ein Gespräch mit seiner Chefin führen zu können. Alle wurden von ihr abgelehnt.

Diese Frau, die noch vor Monaten meinem Mann
Mut zugesprochen hat, wollte ihn plötzlich nicht mehr haben.

Seine Kollegen waren alle sehr nett und viel freuten sich, meinen Mann wieder zusehen.
Doch vom ersten Tag an gabe es nur Druck aus der Chefetage.

Alles Positive was er sich in den letzten Monaten erkämpft hatte, war mit einem mal wieder hinfällig.

Und ich konnte nichts dagegen tun, ich war selber am Boden zerstört. Mein Vater war gestorben.

Fortsetzung folgt.
Laura.M
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Re: Aufgeben können wir uns später immer noch

Beitrag von Laura.M »

Hallo Sammie,

darf ich dich fragen, ob die damalige Chefin deines Ehemannes einen Vorgesetzten in dieser Hierarchie hatte… und ob dein Mann diesen ersten Wiedereingliederungs-Antrag gestellt hatte, ohne es vorher mündlich mit seiner Chefin (welche sich als seine Ansprechpartnerin anbot) abzusprechen.

Ich wünsche dir und allen anderen ein schönes Wochenende.

Herzliche Grüße
Laura
Zen
Beiträge: 201
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Re: Aufgeben können wir uns später immer noch

Beitrag von Zen »

Mai 2008

Wir verstanden die Welt nicht mehr.

Mein Mann hatte in seinem 4 Augengespräch im Jan. mit seiner Chefin, das Thema Wiedereingliederung angesprochen.

Zur Info: Mein Mann arbeitet seit fast 40 J. bei der Stadt. Er hatte sich, als eine Umstrukturierung statt fand, auf diese ausgeschriebene Stelle beworben.
Dort arbeitete er seit ca. 12 Jahren.

Er arbeitete in einem öffent. Gebäude der Stadt und war mit noch einem Kollege für den reibungslosen Ablauf zuständig.
So eine Art Hausmeister, obwohl sein Bereich viel komplexer war. ( Ist schwierig das jetzt zu beschreiben, darum schreib ich vereinfacht Hausmeister )

Es lief alles über die Personalabteilung.
Als die ersten Anträge abgelehnt wurden, wurde mein Mann von der Klinik wieder aufgenommen. Er bekam einen Tagesklinik Platz.
Morgens hin und Abends zurück.
Man wollte ihm in dieser Phase nicht alleine lassen, ihm dabei unterstützen und stabilisieren.

Auch ich blieb nicht untätig.
Ich arbeite bei einer großen Krankenkasse.
Wählte mir die Finger wund und suchte bei uns im Haus Kollegen die sich mit diesen Dingen auskennen.
Ich ging bis an die höchste Stelle und fragte unseren Geschäftsführer, wie es möglich ist, dass ein Antrag noch dem andern abegeleht wurde.
Die Wiedereingliederung wird ja weiterhin von der Krankenkasse bezahlt, solange bis der Kranke wieder seinen nomalen Arbeitstag bewältigen kann.
Es entsteht dem Unternehmen, also keinen finanz. Verlust.
So sieht es auch der Gesetztgeber vor.
Das Problem ist, das ein Arbeitgeber einer Wiedereingl. nicht zustimmen muss.

In einem kleinen Handwerksbetrieb kann ich das ja noch nachvollziehen, dass jeder einzelen Mitarbeiter gebraucht wird.
Aber nicht bei tausenden Mitarbeiter einer Stadt.

Mein Mann war am Boden zerstört.
Ich wollte es nicht zulassen, dass alles was in den letzten Monaten positiv für ihn gelaufen war, mit einem mal zunichte gemacht wurde.

Ich setzte mich mit der Personalabt. in Verbindung um die Gründe der Ablehnung zu erfahren.
So viel an den Haaren herbei gezogenen Mist, habe ich vorher noch nie gehört und das sagte ich den Sachbearbeitern auch.
Der Beamte der für meinem Mann zuständig war, konnte natürlich auch nichts dafür, er hatte ja auch wieder einen Chef über sich sitzen, der die Anweisungen gab.

Ich wollte mich aber nicht mehr mit diesem Sachbearbeiter auseinander setzen, ich wollte seinen Chef sprechen.
Dieser aber nicht mit mir.
Die Pers. Abtl. schob die Ablehnung der Amtsleiterin ( Chefin meines Mannes ) in die Schuhe, die Chefin hingegen wieder der Pers.Ablt.
Zwischenzeitlich gestellte Antrage wurden mal wieder abgelehnt, bis mir der Kragen platzte.

Ich rief bei der Pers. Abtl. an und wollte den Chef sprechen.
Das geht leider nicht, sagte man mir.
Darauf setzte ich ein Ultimatum fest.
Habe ich nicht innerhalb einer Stunde den Chef der Pers. Abt. an der Strippe, werde ich persönlich vorbei kommen und so einen Terror vor seiner Türe veranstalten, das er bis an sein Lebensende daran denken wird.

Das habe ich in den letzten Beiträgen damit gemeint, dass mein Selbstbewustsein durch die Krankheit meines Mannes gewachsen ist.
Das hätte ich mir vor Jahren nie zugetraut, so zu reden und auch zu handeln.
Aber was hatte ich zu befürchten? Nichts.
Und mein Mann?
40 J. Betriebszugehörigkeit und 60% Schwerbehinderung? Raus schmeißen konnten sie ihn nicht. Aber es gibt ja andere Methoden einen Menschen zu knicken.

Es verging keine Stunde und ich hatte den Chef der Pers. Abtl an der Strippe.
Geht doch, du A....loch, dachte ich.
Ich machte Ihm klar, wenn nicht bald was passiert, werde ich mich an die Öffentlichkeit wenden.
Wir hätten einen guten Freund der bei der Zeitung und die freuen sich immer über solche Themen. (Stimmt zwar nicht, was ich da erzählte, aber das brauchte der ja nicht zu wissen ).
Ausserdem bekam ich mittlerweile spass an der ganzen Sache, diesen Sauhaufen aufzumischen.
Hätte nie gedacht, dass ich das konnte.

Und sieh da, es kam Bewegung in diese festgefahrene Situation.

Der Amtsarzt wurde eingeschaltet, der Betriebsrat führte Gespräche mit meinem Mann, der Integrationsbeauftragte der Stadt meldete sich bei uns.
Endlich tat sich was.
Nur seine Chefin stellte sich stur. Sie sagte immer noch nein.

Das alles ging natürlich nicht spurlos an mir vorbei.
Auch meine Nerven lagen blank, aber ich konnte damit besser umgehen, als mein Mann.

Es war Mitte Mai und ich hatte mal wieder einen Krankenschein. Ausgepowert, wegen diesem ganzen Arbeitkampf.
Da kam mein Vater ins KH.
Er war zwar nicht mehr der Fitteste und in den letzten Jahren des öffteren im KH, aber diesmal war es anders.

Sein Gesundheitszustand verschlechterte sich zusehenst und schnell wurde mir klar, dass es diesmal eng werden könnte.

Zwischenzeitlich ein großes Gefühlschaos.
Mal ging es ihm besser, dann wieder sehr schlecht. Intensivstation raus, Intensivstation runter. Das über Wochen.

Ich nahm mir kurzfristig Urlaub, als mir klar wurde, hier stirbt langsam mein Vater.

Mein Mann bekam von allem nicht viel mit, er war mehr damit beschäftigt seinen Arbeitskampf zu führen und ich wollte ihn damit nicht auch noch belasten.

Im KH meinen sterbenden Vater, zu hause meinen am Boden zerstörten Mann, meine Mutter die auch getröstet werden wollte und ich mittendrin.

Hab meinen Urlaub nochmals verlängert.
Ich habe zum Glück Vorgesetzte die volles Verständniss zeigten und mir keine Steine in den Weg legten.

Ende Juli verstarb mein Vater, obwohl es abzusehen war, war ich jetzt am Boden zerstört.
Die letzten Wochen und Monate waren einfach zu viel gewesen. Der Stress mit dem Arbeitgeber meines Mannes, der ja noch nicht zu ende war und das über Wochen miterlebende sterben meines Vaters.

Ich habe vor ein paar Tagen im Fernsehen gesehen das ein Mensch im laufe seines Lebens 70 Liter Tränen weint.

Diese 70 Liter Tränen habe ich vom Gefühl her geweint nach dem Tod meines Vaters und wegen dem ganzen Chaos was um uns rum tobte.

Von nun an schnellte mein Krankenstand in die Höhe.

Fortsetzung folgt.
Zen
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Registriert: 5. Jul 2010, 11:31

Re: Aufgeben können wir uns später immer noch

Beitrag von Zen »

Mein Hausarzt schrieb mich erstmal 14 Tage krank, dann nochmal 14 Tage. Anschließend nochmals 2 Wochen.

Meine Mutter brauchte meine Unterstützung, jetzt wo sie alleine war. Mein Mann brauchte Zuspruch, jetzt wo sein Arbeitsstress immer größer wurde.
Und ich habe einfach nur noch funktioniert.
Wenn ich auf meiner Mutter programmiert war, habe ich mich um sie gekümmert.
Wenn ich auf Haushalt programmiert war, hab ich den Haushalt gemacht.
Wenn ich auf meinen Mann programmiert war, habe ich mich mit ihm und seinen Problemen auseinander gesetzt.
Wenn ich auf mich programmiert war, hab ich nur geweint.
Herzrasen und Unruhe, ließen mich nachts nicht schlafen.
Auf meiner Festplatte in Gehirn waren Bilder abgespeichert die mir einfach keine Ruhe ließen.
Ich hatte zu meinem Vater ein ganz normales Vater - Tochter Verhältniss.
Als er im KH lag, ist mir zum ersten mal richtig bewusst geworden, dass mein Vater Blaue Augen hat.
Das muss man sich mal vorstellen.
50 Jahre hat er mich begleitet und erst als er im Sterben lag, sehe ich das er blaue Augen hat.
Diese Bilder seiner letzten Lebenswochen (obwohl von Leben, keine Rede mehr sein konnte )ließen mich einfach nicht mehr los.

Nach 6 Wochen Krankenschein ging ich wieder arbeiten.
Dieses zu Hause nur grübeln, machte mich nervös und ich brauchte wieder eine feste Struktur.
Mit der Arbeit, dass klappte ganz gut, nur zu hause hatte ich Probleme.
Es musste irgendeine positive Veränderung her.
Egal was, Hauptsache positiv.

Wir wohnten in einer relativ kleinen Wohnung.
Als ich 94 zu meinem Mann gezogen bin, von meiner großen Wohnung in seine kleine Wohnung, war die Rede von einer Übergangslösung. Erstmal meine Scheidung abwarten, dann meine Schulden abbauen und dann erst was Neues suchen.
Dabei ist es dann auch bis 2008 geblieben.

Hatte zwischenzeitlich mal den Versuch gestartet, eine neune Wohnung für uns zu suchen, aber mein Mann hatte immer wieder Ausreden. Warum, wieso, weshalb.
Wenn er nicht wollte, dann wollte er nicht und ich biss auf Granit.
Da nutzten es nichts, ihm die Vorzüge eines neuen zu Hauses zu erklären. Er wollte nicht.

Nach unserem Bootskauf hatte ich mich damit abgefunden, dass wir in unserer kleinen Wohnung bleiben. Mit dem Schiff hatte wir wenigstens im Sommer die Möglichkeit eines Ausgleiches.

Aber das Schiff wurde ja von uns auch nicht mehr genutzt und gammelte in Holland vor sich rum.
2007 und 2008 waren wir nicht einmal zusammen dort gewesen.
Ich bin ein paarmal hingefahren um nach dem Rechten zu sehen und jedesmal kam ich frustrierter zurück.

Ich machte mich auf die Suche nach einer neuen Wohnung.
Vielleicht tut es meinem Mann ja auch gut.
Eine neue Umgebung, mal andere Gesichter als Nachbarn, nach 25 J. mal einen anderen Weg fahren.
Für mich war es eine neue Aufgabe und Ablenkung, was schönes für uns zu finden.
Mein Mann ließ mich einfach machen.

Als mein Mann noch in der Klinik war, wurden Angehörigengespräche angeboten.
Dieses Angebot nahm ich auch an.
Im Aushang am Schwarzen Brett stand die Zimmer Nr. und die Uhrzeit 19.00.
So stand ich dann eines Abends vor diesem Zimmer und wartete.
Nach 10 Min. stand ich immer noch alleine dort und wartete.
Hatte ich mich etwa in der Zeit vertan, oder stand ich vor dem falschen Raum?
Das Krankenhaus war bis auf den letzten Platz voll, ich bin doch nicht die Einzigste Angehörige die Fragen hat, oder ?
Endlich kam der Ansprechspartner für uns Angehörige.
Es war ein Mann mittlerem Alters, der mich dann ins Zimmer bat.
Er stellte sich mir als Krankenpfleger vor, der eine spezielle Ausbildung mit dem Umgang von Angehörigen hat.
So saß ich dann in voller Erwartung das noch mehr Leute kommen werden. Aber es kam niemand mehr.
Ich fragte nach dem Warum?
Er sagte, obwohl das KH voll besetzt ist, haben viel Angehörige Probleme mit der Krankheit und wollen sich damit nicht auseinandersetzen.
So war ich also mit dem Pfleger alleine.
Und er beantwortete meine Fragen und ich hörte seine Antworten.
Ich soll durch mein persönliches Verhalten, meinen Partner entlasten.
Ich soll Hilfe, Unterstützung und Geduld aufbringen.
Ich soll mich in seinen seelischen Zustand einfühlen.
Ich soll Ihm keine Vorwürfe machen.
Ich soll mich damit abfinden das er für bestimmte Zeit, wie gelähmt erscheint und kein Interesse an gemeinsamen Dingen hat.
Ich soll viel Verständniss aufbringen und nicht ungeduldig werden, und, und, und.

Und jetzt wollte ich eine neue Wohnung suchen.
Doch alles was ich meinem Mann präsentierte gefiel ihm nicht.
Er ging wieder Arbeiten, doch der Druck aus der Chefetage wurde immer stärker.
Ich immer unzufriedener.
Hatte manchmal das Gefühl, wenn ich eine Wohnung gefunden hatte, dass er so lange nach Fehlern sucht, bis er was gefunden hat.
Ihn erstmal davon zu überzeugen, sich diese Wohnung anzusehen war schon mit viel Überzeugungsarbeit verbunden.

Und dann hatte ich sie gefunden unsere Traumwohnung. Oder soll ich besser scheiben, meine Traumwohnung?
Wiunderschön, mit kleinem Garten, hinterm Haus nur Pferdeweiden mit einen kleinem Bach. So weit man gucken konnte nur grüne Wiese.
Schön ruhig, weit genug weg von starkt befahrenen Straßen und doch nah genug zu unseren Arbeitplätzen, zu meiner Mutter, und in die City.

Als ich nach Besichtigung der Wohnung nach hause kam, wusste mein Mann sofort, dass ich unsere Wohnung gefunden hatte.
Auch wusste er, dass er aus dieser Nummer nicht mehr raus kommt.

Ich war mir natürlich bewußt, was ich ihm jetzt zumutete.
Aber auch ich hatte in den letzten Monaten Stress und mir ging es auch nicht gut und so eine positive Veränderung kann doch für uns beide nur ein Bereicherung sein.
Man wacht morgens auf, blickt aus dem Fenster sieht die Pferde friedlich grasen und nicht vor irgendwelchen Wohnhäusern, wo alle Nasenlang ein und ausgezogen wird.

Ich wollte es jetzt richtig machen.
Meldete mich nochmals zu einem Angehörigen Gespräch im KH aus und wollte diesen Umzug dort besprechen.

Diesmal war ich wieder allein, mein Ansprechspartner war eine Frau. Auch ausgebildete Pflegerin.
Ich erzählte also meine Geschichte und von dem geplanten Umzug.
Sie fiel aus allen Wolken.
Das könnte ich meinem Mann auf keinem Fall antuen. Ihn in dieser Phase aus seiner gewohnten Umgebung reißen. Sein Zustand war ja nicht gerade der Beste, dann noch der Stress am Arbeitsplatz. Einen Umzug ? Nein, dass geht garnicht ?
Da platze mir der Kragen.
Ich machte Ihr klar, dass ich jahrelang auf so vieles verzichtet habe. Weder Urlaub noch sonst was hatte. Das mein Leben nur noch nach seinem ausgerichtet war. Das Rücksicht an erster Stelle stand und ich aus dieser kleinen Bude raus wollte.
Entweder er kommt mit oder er bleibt da. Ich aber ziehe aus, egal ob er mit kommt oder nicht. Sonst gehe ich vor die Hunde.
Darauf sagte sie nur " Wenn Sie das so sehen".
Ja, genau so sehe ich das! und rauschte davon.

Das mag sich jetzt wieder so anhören, als wenn ich mal wieder meinen Willen durchsetzen wollte.
Doch die letzten Jahre waren auch für mich eine einzigste Tourtour gewesen.
Ich habe nur noch nach seiner Krankheit gelebt. Keine Feier, keinen Urlaub, hörte nur negatives von ihm.
Ich wollte aber für uns etwas mehr Lebensqualität, nicht nur für mich. Auch für Ihn.

Ich bat Freunde von uns, sich die Wohnung anzusehen. Auch sie waren begeistert und sie überzeugten meinen Mann, dass es auch für ihn nur positiv sein wird, diese Veränderung.

Trotz Einschaltung eines Anwaltes wurde mein Mann an einem anderen Arbeitplatz versetzt.
Seine Chefin wollte nicht mehr mit ihm zusammen arbeiten und er musste von heut auf morgen seinen Platz räumen.
Zwar ist sie für diesen Bereich als Amtsleiterin auch zuständig, aber meine Mann läuft ihr nicht jeden Tag über den Weg. Oder besser gesagt, sie sehen sich jetzt garnicht mehr.
Jetzt kann es eigentlich nur besser werden.

Aber das war leider auch nur Wunschdenken von meiner Seite, denn die Wirklichkeit sah anders aus.

Fortsetzung folgt.
tangram
Beiträge: 131
Registriert: 24. Mai 2010, 19:40

Re: Aufgeben können wir uns später immer noch

Beitrag von tangram »

Hallo

Ich lese oft deine Geschichte.

Sie ist sehr gut geschrieben, obwohl sich das vielleicht blöd anhört, wenn man als Angehöriger weiß wie so eine Lebensgeschichte abläuft.

Hast du schon mal darüber nachgedacht das ganze als Buch zu schreiben?

Dein Schreibstil ist super und du drückst dich sehr gut aus.

War nur so ein Gedanke von mir....

Gruß Tangram
"Der längste Weg beginnt mit dem ersten Schritt"

Laotse
Zen
Beiträge: 201
Registriert: 5. Jul 2010, 11:31

Re: Aufgeben können wir uns später immer noch

Beitrag von Zen »

Hallo Tangram,

danke für das Kompliment. Hier im Forum bin ich schon mal darauf angesprochen worden.

Ok, hier wird es ja gelesen, obwohl, wie du ja selber sagst, viele Lebensgeschichten mit einem depressiven Partner sich gleichen. Du wirst dich bestimmt in vielen Situationen wieder erkennen.

Aber ob das für die große Bücher Welt reicht, weiß ich nicht?

Trotzdem Danke für deine Worte

Lieben Gruß von
Sammie
Optimistin
Beiträge: 20
Registriert: 5. Aug 2010, 13:12

Re: Aufgeben können wir uns später immer noch

Beitrag von Optimistin »

Hallo Sammie,

ich kann mich Tangram nur anschließen: Du schreibst so wunderbar! Wenn ich Deine Geschichte als Buch in den Händen hätte würde ich nicht mehr aufhören können zu lesen- super!!


Lieber Gruß,
Optimistin
Zen
Beiträge: 201
Registriert: 5. Jul 2010, 11:31

Re: Aufgeben können wir uns später immer noch

Beitrag von Zen »

Hallo Optimistin,

schön mal wieder von Dir zu lesen. Danke auch Dir für das Kompliment.
Wenn ich es wirklich mal versuchen sollte, ein Buch zu schreiben, wirst Du und Tangram von mir ein Sonderexemplar bekommen mit Unterschrift .

Lieben Gruß von
Sammie

werde mich in den nächsten Tagen mal per Mail bei Dir melden, hatte das schon vor ein paar Tagen vor. Aber seit ich wieder arbeite ist meine Zeit relativ knapp.
Optimistin
Beiträge: 20
Registriert: 5. Aug 2010, 13:12

Re: Aufgeben können wir uns später immer noch

Beitrag von Optimistin »

Hallo Sammie,

ich lese hier zurzeit nur hin und wieder mal rein ob es was Neues gibt oder Beiträge, die mich ansprechen.
Mein Freund ist seit einigen Wochen "stabil"-es geht ihm wieder gut und er ist ganz der alte.
Viel länger hätte ich es wahrscheinlich auch nicht ausgehalten. Ich war ein nervliches Wrack, meine Kräfte total am Ende, habe mich richtig mit runterziehen lassen. Das einzige was mir zum Schluss wirklich geholfen hat war der Tipp, mein Leben allein weiterzuführen, mich nicht nach ihm auszurichten und Dinge zu tun, die mir gut tun.
Jetzt kann ich sagen dass es mir gerade so richtig gut geht! Ich genieße jeden Tag in vollen Zügen und bin einfach nur glücklich.

Endlich ist da wieder der Mann an meiner Seite, der meine große Liebe ist und der mich endlich nicht mehr ablehnt, der wieder Nähe zulässt, sich mit mir zum Essen an den Tisch setzt und fragt wie mein Tag war....

Ich bin mir sicher, dass das nächste "Loch" kommt und dennoch bin ich zuversichtlich. Er hat mittlerweile eingesehen, dass er, wie er es nennt, einen "Burn-Out" hatte. Er nimmt nun Tipps an, reagiert nicht mehr aggressiv wenn ich das Thema anspreche und nimmt auch Emails an, die ich ihm hin und wieder schreibe (ich habe ihm z.B. den Link zu dem Betroffenen-Forum geschickt).
Wenn man das so liest sind das vielleicht nur kleine Schritte. Für mich sind es riesengroße Fortschritte auf dem langen Weg der Erkenntnis, dass er Hilfe braucht....
Vorher hat er alles vehement und aggressiv abgestritten, mich sogar ausgelacht, wenn ich wieder ein Buch zu dem Thema gelesen habe oder selbst bei einer Therapeutin war, um mir Tipps für den Umgang zu holen und selbst nicht kaputtzugehen....
Aber diesmal war die "Phase" so lang und so schlimm, dass er es einfach nicht mehr abstreiten konnte....
Wie gesagt, ich lebe im hier und jetzt und genieße es solange es gut ist.
Manchmal nur wünschte ich, ich würde nicht soviel über die Krankheit wissen, weil meine "Antennen" schon ganz fein eingestellt sind. Ich bemerke jede Unsicherheit von ihm, versuche dann ihn doppelt und dreifach zu bestätigen, aus Angst, es geht wieder "nach hinten" los..Ich ermahne ihn, mehr an sich zu denken und sich immer zu fragen "mache ich das jetzt, weil ICH es so will, oder mache ich es, weil die anderen es so von mir erwarten". Ich lobe ihn auch, wenn er z.B. nicht ans Telefon geht, wenn er nicht will und es nicht tut, weil es ja so von ihm erwartet wird. Oder dass er sagt, dass er nicht mitkommt, weil ihm alles zuviel wird, ich aber gehen soll...Das ist denke ich gut-er arbeitet an sich selber.
Nur ein kurzer Bericht von meiner jetzigen Situation. Freue mich auf Email-wenn Du Zeit hast natürlich...

Alles Liebe,
Optimistin
rm
Beiträge: 2209
Registriert: 5. Nov 2006, 15:46

Re: Aufgeben können wir uns später immer noch

Beitrag von rm »

>...Ich ermahne ihn, mehr an sich zu denken und sich immer zu fragen "mache ich das jetzt, weil ICH es so will, oder mache ich es, weil die anderen es so von mir erwarten". Ich lobe ihn auch, wenn er z.B. nicht ans Telefon geht, wenn er nicht will und es nicht tut, weil es ja so von ihm erwartet wird. Oder dass er sagt, dass er nicht mitkommt, weil ihm alles zuviel wird, ich aber gehen soll...Das ist denke ich gut-er arbeitet an sich selber....<

Hi Optimistin,

und wenn ich so etwas von Dir/einem Angehörigen lese, so kann ich nur sagen: .

Ihr seid auf einem guten Weg finde ich, und ich wünschte mir, es wäre bei uns auch so gewesen. Aber wie es ist, so ist es momentan auch bei mir gut.

Es wird die Zeit kommen, wo Dein Partner die von Dir o.genannten Hinweise/ Fragen selbst für sich stellt. Es ist Übungssache und wer weiß: vielleicht ist dies der Anfang vom Ende der Depression. Das wünsch ich Euch auf jeden Fall.

Neue, unbekannte, nicht mehr alte Wege wünsch ich Euch beiden,
Reinhart
Optimistin
Beiträge: 20
Registriert: 5. Aug 2010, 13:12

Re: Aufgeben können wir uns später immer noch

Beitrag von Optimistin »

Hallo lieber Reinhart,

vielen Dank für Deine liebe Antwort!

Naja, ich informiere mich und telefoniere auch hin und wieder mit einer Freundin, die selbst depressiv ist, die aber gute Wege gefunden hat, damit zu leben.
Natürlich mache ich auch hin und wieder Fehler, wenn er z.B. so lange Zeit nicht ansprechbar ist und ich nur "lass mich in Ruhe" von ihm höre, dann kann es auch mal passieren, dass ich etwas sage, das mir nachher leid tut, z.B. "dann lass Dir doch endlich helfen!". Aber das sind dann so Momente, wo meine Kraft zu Ende ist-obwohl das natürlich keine Entschuldigung ist...
Ich schrieb einmal hier als ich sehr verzweifelt war und kein "Licht am Ende des Tunnels" sah. Ich sah keine Veränderung und hatte große Zweifel an allem. Da schrieb mir tangram, dass sich immer etwas verändert, auch wenn wir es nicht sehen.
Nun sehe ich Veränderungen, winzig kleine, wie gesagt, aber sie sind da. Und ich habe gelernt. Ich habe gelernt, dass ich ihn nicht drängen darf zum Arzt zu gehen. Ich weiß mittlerweile, dass er da selber hinkommen muss, dass das ein Prozess ist, der in seinem Inneren stattfindet. Und so verändern wir uns beide und entwickeln uns weiter. Vielleicht sind wir so wirklich auf einem guten Weg, der zwar bestimmt auch wieder Rückschläge bringt, aber der uns einfach weiterbringt. Ich habe mittlerweile mehr Vertrauen darauf, dass er seinen Weg gehen wird und dass ich ihn dabei begleiten möchte und ich hoffe, dass ich immer die Kraft dazu habe und in dieser Zeit auf mich achten kann...

Alles Liebe und an alle viel Kraft,
Optimistin
Alma21
Beiträge: 57
Registriert: 11. Aug 2010, 15:07

Re: Aufgeben können wir uns später immer noch

Beitrag von Alma21 »

Hallo Sammie,

ich glaube, du erzählst die Geschichte vieler Angehörigen - mit dem Unterschied, daß nicht jeder ein Boot besitzt

In vielem erkenne ich mich wieder und kann dich eigentlich nur dazu ermutigen, weiterzuschreiben. Es ist zum Teil herzerfrischend und gleichzeitig macht es betroffen. Eben wie im wirklichen Leben.

Grüße Gizmo
Zen
Beiträge: 201
Registriert: 5. Jul 2010, 11:31

Re: Aufgeben können wir uns später immer noch

Beitrag von Zen »

Laufe nicht der Vergangenheit nach
Verliere Dich nicht in der Zukunft
Die Vergangenheit ist nicht mehr
Die Zukunft noch nicht gekommen
Das Leben ist Hier und Jetzt

Lao-Tse chin. Philpsoph

Es gab für mich eine Zeit vor der Klinik und eine Zeit nach der Klinik.

Vor dem Klinikaufenthalt hatte ich Mitgefühl und war einfühlsam im Umgang mit seiner Depression.
Ich versuchte zu trösten und Mut zu machen.
Ich habe versucht alle unangenehmen Angelegenheiten von Ihm fernzuhalten.
Ich versuchte zu motivieren.
Habe Ihn verteidigt, wenn Familie und Freunde blöde Fragen stellten.
Bin auf Zehenspitzen durch die Wohnung geschlichen, damit er seine Ruhe hatte.

Habe die Tage alleine verbracht, die Nächte auch, denn er machte für sich die Nacht zum Tag und die Tage zur Nacht.

Ich habe meinen persönlichen Freundeskreis vernachlässigt.
Ich konnte doch nicht, während es Ihm schlecht geht mich unbeschwert mit Freundinnen treffen und dann noch über den neusten Modetrend quatschen.
Außerdem ging mir dieser Smal Talk auf die Nerven.
Die Problemchen meiner Freundinnen waren lächerlich, gegen das was ich zu bieten hatte.
Nur verstehen und nachvollziehen konnte es keiner. Ich verstand es ja selber nicht.

Meine Interessen wurden von mir in den Hintergrund gedrängt, alles drehte sich für mich nur noch um seine Krankheit.

Wenn ich viel Verständniss aufbringe, keine Ungeduld zeige, wird er sich bestimmt schnell wieder erholen. ( Wunschdenken).

Ich hatte einige Bücher über das Thema Depression gekauft und gelesen, wie ein Schwamm aufgesaugt und wusste wie ich mich verhalten sollte.
Den Kranken nicht unter Druck setzen und Ihm nie das Gefühl geben das er an seiner Krankheit schuld sei.
Am Allerwichtigsten , Ruhe bewahren, auch dann wenn er nach der gefühlten 100 Aufforderung doch endlich aufzustehen, immer noch im Bett blieb.
Ruhe bewahren auch wenn man selbst, wie ein Vulkan kurz vor dem Ausbruch stand.

Ruhe und Geduld , hießen die Zauberworte.
Ruhe und Geduld im normalen Alltag unterbringen, ist nicht so einfach, manchmal sogar unmöglich.

Selbst kommt man gestresst von der Arbeit, diverse Dinge müssen noch erledigt werden und man steht mit allem alleine da.

Er in einem tiefen Loch. Trotzdem sieht die Wohnung aus wie nach einem Bombenangriff.
Man merke sich, trotz schwerer Depression ist Chaos in der Wohnung möglich. Das Chaos aber beseitigen nicht.
Ruhe bewahren.

Er ist soweit untern, dass er seine bestellten Medikamente nicht aus der Apotheke holen kann.
Für seine Camel, läuft er aber Meilenweit.
Ruhe bewahren.

Seinen Zeitplan, den er sich selber gestellt hatte, um einen geregelten Tagesablauf mit kleinen Aufgaben zu bewältigen, hielt er nicht ein.
Ruhe bewahren.

Meine eigenen Gefühle wie Wut, Trauer, Verzweifelung, habe ich nicht zeigen wollen.
Ich muss nur Geduld habe. Geduld, Geduld , Geduld.
Ich wollte Ihm nicht nicht auch noch das Gefühl eines schlechten Gewissens geben.
Dann hatte ich doch lieber eines, weil ich so ungeduldig war und er doch krank.
Denn oft hörte ich die Worte von Ihm - Du bist genau wie meine Mutter - . Diese Aussage erstickte jede Diskussion im Keim.
Also hielt ich die Klappe, denn wer will schon wie seine Schwiegermutter sein.
Ich nicht.

Die Zeit nach der Klinik war voller Hoffnung und Zuversicht.
Später ging die Hoffnung in Wüt über.
Es tat sich nichts zu Hause, nach der Klinik und den Medikamenten.
Trotz Gesprächs,-Kunst,- Belastungstherapie. Trotz Thai -Chi und andere Entspannungsübungen.

Sicher, er hatte z.zt einen schweren Stand an seinem Arbeitsplatz, aber hatten das nicht Millionen andere Menschen auch?
Er hat sich doch früher auch nicht die Butter vom Brot nehmen lassen.
Bis zur Rente sind es nur noch 5 Jahre.
Mit einem guten Arzt an der Seite, seiner Schwerbehinderung, seinem Urlaub kann er aus diesen 5 J. Arbeitszeit 2.05 Arbeitszeit machen. Zwischendurch noch eine Kur, alles ist möglich.
Und den Rest der Arbeitszeit kann man doch wohl locker auf einer Arschbacke absitzen bis zur Rente.

Nur die andere Arschbacke sollte mal so langsam in Bewegung kommen.
Das Gefühl Wut, stieg immer öfter in mir hoch.
Anstatt seine Freizeit positiv zu gestalten, sah es meißtens so aus das er vom Bett auf die Couch, von der Couch ins Bett pendelte.
Zwischenzeitlich fernsehen bis zum abwinken ( wie ich das gute alte Testbild vermisste).
Die Wohnung stank vom vielen rauchen wie eine Kneipe und des öfteren durfte auch der Alkohol nicht fehlen.
Toll, wenn das so weiter geht, habe ich bald einen depressiven Alkoholiker hier hocken.

Ich hatte keinen Bock mehr auf trösten, motivieren, mut machen.
Alles was ich hörte war " Morgen " und " Lass mich doch ".
Ich ließ Ihn ja, nur man sah auch das da nicht gescheites bei rum kam.

In den Arm nehmen konnte ich schon lange nicht mehr. Da war eine innerliche Sperre.
Ich wollte und konnte dieses immer nur negative nicht mehr hören.
Was nicht zu ändern ist, ist nunmal nicht zu ändern. Dann sucht man sich eben einen positiven Ausgleich, anstatt der Vergangenheit hinterher zu grübeln.

Mir ging es immer schlechter. Ich war gereizt und agressiv, gegen jeden der mir blöd kam.
Was mich nervlich so fertig machte war dieses ständige auf und ab.
Mal ging es ihm 3,4 Tage gut, dann wieder der Absturz, dann ging es mal wieder 2,3 Wochen, dann wieder der Absturz.
So war es vor der Klinik und danach auch.
Seit Jahren diese Achterbahnfahrt der Gefühle.
Rauf und runter, zwischendurch mal ein Luping.
Seine Aussage " Ich kann das jetzt nicht ändern Das ist nun mal so ", hörte ich heute, gestern, vor Wochen, Monaten und Jahren schon.

Er kann also nichts ändern.
Darum musste ich anfangen bei mir etwas zu ändern und zwar schnell.

Fortsetzung folgt.
Alma21
Beiträge: 57
Registriert: 11. Aug 2010, 15:07

Re: Aufgeben können wir uns später immer noch

Beitrag von Alma21 »

Hallo Sammie,

DEN (!) Film kenn ich nur zu gut. Nur schade, daß man nicht als Zuschauer, sondern als "Live-Held" hautnah dabei ist.

Die Parallelen sind erschreckend. Gerade, wenn es um Zigaretten geht - die konnten auch von meinem Mann zu jeder Tages- und Nachtzeit besorgt werden. Andere Dinge, die wir dringender benötigt hätten (wie z. B. was zum Futtern).... ach neeee, hab keine Lust was einzukaufen.

Genauso das Argument "laß mich doch..." - natürlich läßt man ihn, will ja nicht bevormunden oder gar entmündigen (obwohl man das Ergebnis schon vorher kennt und am liebesten eingreifen würde).

Es ist schon erstaunlich, wieviel man sich als Angehöriger eigentlich selbst antut bzw. erträgt - und es darf einem trotzdem nicht er Kragen platzen, weil man ja Verständnis haben muß, weil man ja Geduld haben soll, weil man ja nicht unter Druck setzen darf..... soll ich noch weitermachen?

Ich gestehe ganz ehrlich, daß es mir schwerfällt zu glauben, daß der Drepressionskranke sowas wie "ein schlechtes Gewissen" gegenüber seinem direkten Dunstfeld hat. Wenn ich weiß, daß ich mit diesem oder jenem Verhalten meinem Gegenüber auf die Füße trete, dann lasse ich es. Oder erfordert das Unterlassen zu große Anstrengung? (sorry - Ironie läßt grüßen).

Schreib weiter - es tut mir unglaublich gut zu lesen, daß sich dieses Schauspiel 1:1 in anderen Familien abspielt, gibt einem wirklich das Gefühl, das ganze nicht alleine er- bzw. durchleben zu "müssen".

Gruß Gizmo
feuerfisch
Beiträge: 1118
Registriert: 15. Jan 2005, 01:45
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Re: Aufgeben können wir uns später immer noch

Beitrag von feuerfisch »

Hai Allerseits

ich möchte hier nun mal nur als Betroffene schreiben, auch wenn ihr mich dafür verreissen werdet.......

Immer wieder habe ich den Eindruck das es für meinen Partner besser wäre wenn ich mich von ihm trennen würde. Für ihn, wohlgemerkt. Er wäre ohne mich besser dran, ich bin nur eine Last, usw.

Bislang wurde ich immer wieder davon überzeugt dass das so nicht richtig sei.

Doch hier lese ich nun immer wieder das ich als Depressive nur eine Last bin, keinen Beitrag zum Zusammenleben leiste und obendrein meinen Partner auch noch krank mache (nun gut, das kann ich in meinem Fall nicht - er war schon vor unserer Partnerschaft depri)

Naja, Kern meines Beitrags:
- warum bleibt ihr mit euren Partnern zusammen?
- und ist es denn dann nicht doch besser wenn ich die Beziehung zu meinem Partner beende?

Grüße

feuerfisch

.
Es gibt 1000 Gründe alles beim Alten zu lassen und nur einen einzigen etwas zu ändern - DU HÄLTST ES EINFACH NICHT MEHR AUS!
sunshine45
Beiträge: 685
Registriert: 16. Sep 2008, 14:26

Re: Aufgeben können wir uns später immer noch

Beitrag von sunshine45 »

Hallo Feuerfisch,
ich glaube Dich zerreißt keiner, denn Deine Seite ist ja auch nur zu gut zu verstehen.
Das größte Leid ist einfach über mehrere Jahre auszuhalten, dass der Partner null Einsicht zeigt und sich gegen eine Behandlung wehrt.
Die Hoffnung, die man hat, dass sich das vielleicht doch noch ändert, war bei mir zumindest der Motor mich nicht zu trennen.
Erst die Erkenntnis, dass sich so nichts ändern wird, führt zu Trennungsgedanken.
Nur weil ein Partner Depressionen hat, verläßt man ihn nicht gleich.
Liebe Grüße
von der Koboldin
Love it, leave it or change it!
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