Depressiv und niemand will es wahrhaben

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Nalia
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Registriert: 31. Jul 2009, 19:32
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Depressiv und niemand will es wahrhaben

Beitrag von Nalia »

Hallo zusammen,

ich bin Ende 40 und habe seit über 30 Jahren Depressionen die mal mehr und mal weniger stark sind aber immerhin so stark dass man mich vor 9 Jahren in Vollrente geschickt hat.
Mein Problem ist meine Familie: Eltern und Geschwister, alle erwarten von mir dass ich mich "normal" verhalte und dass ich mich deren Vorstellungen entsprechend verhalte, d.h. regelmäßig zu Besuch komme, oft anrufe usw. und wenn ich sage dass mir das zuviel ist ernte ich komplettes Unverständnis bis hin zur Mißbilligung im Sinne von: die übertreibt. Dass ich meine ganze Kraft brauche um täglich gegen die Krankheit anzukämpfen, ganz abgesehen davon dass ich selber noch 2 (erwachsene) Kinder und ein eigenes Leben habe, wird völlig außer acht gelassen, nach deren Meinung habe ich auf Knopfdruck zu funktionieren so wie sie das wollen und obwohl ich schon oft gesagt habe dass ich krank bin wird das weiterhin ignoriert und mir fast schon böser Wille unterstellt wenn ich deren Erwartungen nicht entspreche. Wie würdet ihr mit der Situation umgehen?

Gruß, Nalia




In der Mitte der Nacht beginnt der neue Tag.
Reve
Beiträge: 754
Registriert: 4. Jun 2008, 17:35

Re: Depressiv und niemand will es wahrhaben

Beitrag von Reve »

sorry...
Reve
Beiträge: 754
Registriert: 4. Jun 2008, 17:35

Re: Depressiv und niemand will es wahrhaben

Beitrag von Reve »

Hallo Nalia,

>Eltern und Geschwister, alle erwarten von mir dass ich mich "normal" verhalte

genau dieser Aspekt zermürbt mich zuweilen auch gewaltig und war und ist auch immer wieder ein Grund dass meine depress. Symptomatik aufflackert, wo der Docht eh immer am schwelen ist.

Wenn ich eins gelernt habe dann ist es das Erfassen der Tatsache, dass man nicht die anderen ändern kann - wenn dann seine eigenen Ansichten, seine Reaktionen, seine Gedanken, letztendlich seine Gefühle. Und die steuern das Wohlbefinden, sie entscheiden über Zufriedenheit, manchmal gar Glück, oder im Extremfall über Rastlosigkeit, Melancholie oder Abrutschen in die Depression.

Nachdem ich es jetzt immer wieder erlebt habe, dass in meiner Familie (Bruder, Vater) die Lieblingsbeschäftigung und der Sinn des Lebens hauptsächlich darin besteht zu reisen, Geld zu verschwenden und Gefühle vorzugaukeln, die in dem Maße gar nicht existieren, bin ich dazu übergegangen, sie alle zu meiden wie meine Katze das Wasser.

Und ich bin mir darüber im Klaren, dass jedes Treffen wieder (in meinem speziellen Fall) einen kleinen „Rückfall“ auslösen kann, was alles in Frage gestellt hat, was ich mir in mühseliger Kleinarbeit aufgebaut habe. Im Moment steh ich dann immer vor einem Scherbenhaufen.

Wenn es also zu Kontakten kommt, dann sage ich von vornherein nur kurz, nicht zu oft, sage auch mal sehr bestimmt nein, klammere grundsätzlich im Vorfeld bereits einige Themen aus und wundere mich zwischenzeitlich nicht mehr, wenn ich trotz guter Vorsätze wieder „überreagiere“.

Ich sag mir, die Welt ist „zweigeteilt“ und meine Familie spricht zuweilen ein Sprache, die ich nicht verstehe und genauso umgekehrt.

>Dass ich meine ganze Kraft brauche um täglich gegen die Krankheit anzukämpfen,

Das weiß du, das weiß ich, das wissen Ärzte und Therapeuten, dass weiß vielleicht eine gute Freundin, die Kinder ahnen es vermutlich, der Rest tappt im Dunklen bzw. auf der Sonnenseite des Lebens, die nur aus Hitze, Grelligkeit und Lärm besteht. Da lob ich mir doch meine Melancholie, die sehr wohl zwischen gespielter Fröhlichkeit und heiterem Ernst zu unterscheiden vermag.

>Wie würdet ihr mit der Situation umgehen?

Versuchen eine andere Einstellung zu gewinnen, um die Kraft zu schonen, die man benötigt um gegen D. anzukämpfen. Es geht meiner Meinung nicht anders.

lG Carin
niederländer

Re: Depressiv und niemand will es wahrhaben

Beitrag von niederländer »

Hallo Nalia,

Es ist schwer um als Angehörige eine Depression zu verstehen. Darum stoßen wir als Betroffenen oft auf Unverständnis.
Meine Frau hat sich über das Internet und Bücher schlau gemacht und kann dadürch mehr Empathie für mich aufbringen.
Bei meine andere Angehörigen ist das schon weniger.
Ich versuche dennoch sie darauf aufmerksam zu machen wenn es mir nicht gut geht.

Wenn man schwer depressiv ist möchte man einerseits eigentlich nichts mit Menschen zu tun haben, anderseits wünscht man sich Verständnis.
Es ist dieses ständiges Dilemma das uns dann noch weiter herunter zieht.

Scheinbar muss mann zuerst völlig zusammenbrechen um auf sich aufmerksam zu machen.

Wünsche dir viel Mut und Kraft,

Gruss,

Dutchy
Biho
Beiträge: 25
Registriert: 29. Okt 2009, 21:43

Re: Depressiv und niemand will es wahrhaben

Beitrag von Biho »

Hallo Nalia,

mein Mann ist auch Ende 40 und wahrscheinlich schon seit Jahrzehnten depressiv. Wir habn auch 2 erwachsene Kinder. Die Diagnose hat er aber erst dieses Jahr im Frühjahr bekommen. Er hat mir (als Ehefrau) oft das Zusammenleben mit der Familien(feste) so geschildert wie du es tust. Ich konnte das nicht verstehen, weil ich ja immer davon ausging, dass er gesund ist. Jetzt wo ich weiß, dass er krank ist und ich mich viel über diese Krankheit informiere, kann ich ihn und dich gut verstehen. Zumal das Thema Depression wohl auch "salonfähig" und "medienwirksam" geworden ist. Vielleicht findet ja endlich ein Umdenken in der Gesellschaft statt, auch wenn es ganz langsam gehen mag. Vielleicht hat man dann auch mehr Verständnis für dich. Ich möchte hier im Forum keine Schleichwerbung machen, aber in einer bekannten Zeitschrift ist eine Titelgeschichte über dieses Leiden, mögliche Ursachen, Zusammenhänge, wissenschaftliche Belege, Angehörige, Pyschotherapeuten geschrieben worden (12 Seiten) inkl. einer sehr eindrucksvollen Zeichnung eines Depressiven Menschen gezeigt. Das TV hat in den letzten Tagen auch für mehr Verständnis zu diesem Thema beigetragen. Und tatsächlich merke ich in meinem Umfeld, für meinen Mann und mich hat auch niemand Verständnis, weder meine Freundin noch meine Eltern und Geschwister- und trotzdem merke ich, dass wenigstens ein kleines bißchen Verständnis, ein kleines bißchen Umdenken da ist. Das eine Depression nicht nur Quatsch ist. Vielleicht geht es dir ja auch so, vielleicht müssen deine Angehörigen auch mal etwas über diese Krankheit hören oder lesen, vielleicht wird es wie bei mir - plötzlich im Kollegenkreis- Gesprächsstoff, plötzlich redet man über diese Krankheit, plötzlich gibt sie sie ja tatsächlich.
Ich drücke dir die Daumen, dass man Verständnis für dich hat, die Dinge dich tun läßt so wie du sie in dem Moment für richtig hälst, schade, dass ich dir nicht diese Zeichnung aus der Zeitung zusenden kann, damit du sie deinen Angehörigen zeigen kannst, sie ist nämlich selbsterklärend.Sie ist wirklich sehr beeindruckend. Alles Gute
Nalia
Beiträge: 198
Registriert: 31. Jul 2009, 19:32
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Re: Depressiv und niemand will es wahrhaben

Beitrag von Nalia »

Hallo Carin, Dutchy und Loewin,

vielen Dank für eure ausführlichen Antworten die für mich sehr hilfreich waren. Ich habe auch schon gemerkt dass es für Nicht-Betroffene offenbar sehr schwer ist diese Krankheit zu verstehen, ich erwarte auch nicht dass jemand in meiner Familie mich versteht sondern einfach nur dass ich als Kranke mit meinen Einschränkungen akzeptiert werde. Ich bin auch der Meinung dass innerhalb einer Familie auf die Schwächsten Rücksicht genommen werden sollte und in meiner Familie bin ich das nunmal. Es ist ja auch nicht so dass ich keinen Kontakt will sondern nur einen, den ich auch bewältigen kann und das heißt für mich in allererster Linie dass es nicht zu viel sein darf denn das ginge zu meinen Lasten.
Ich habe auch vor bei dem nächsten Treffen das Thema mal anzusprechen und klar zu sagen was ich leisten kann und was nicht und was sie dann daraus machen ist deren Sache.

Euch auch alles Gute,
Gruß, Nalia




In der Mitte der Nacht beginnt der neue Tag.
Babi
Beiträge: 1972
Registriert: 23. Jul 2009, 17:07

Re: Depressiv und niemand will es wahrhaben

Beitrag von Babi »

Hi Nalia,
du hast mit deiner Familie dasselbe Problem wie ich, ich kenne das alles, was du schilderst. Dabei dachte ich immer, meine Angehörigen müßten eigentlich Verständnis haben, weil mein Dad auch depressiv ist, aber Fehlgedanke.
Ich ziehe mich deshalb oft vor meiner Familie zurück und auch vor Familientreffen, weil mir das oft einfach zu anstrengend ist, ich schnell erschöpft werde und es kein Verständnis dafür gibt, daß ich eine Auszeit brauche.
Ich würde mir da auch mehr Verständnis wünschen, aber ist leider nicht so. Und ich habe auch aufgegeben, das zu fordern, denn das bringt nichts. Wenn meine Family kein Verständnis hat, muß sie sich eben damit abfinden, daß ich oft nicht kommen kann.
Lieber Gruß und viel Kraft Babi
Man sieht nur mit dem Herzen gut, das wesentliche ist für das Auge unsichtbar
(Exupery)
:) ;)
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