Positives Denken macht krank

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Rheinwind
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Positives Denken macht krank

Beitrag von Rheinwind »

Hallo liebe Forenteilnehmer,

vielleicht ein heißes Eisen dieser Betreff, aber dennoch möchte ich diese Problematik einmal thematisieren:

Über positives Denken habe ich schon einige Bücher gelesen und irgendwie hatte ich am Ende das Gefühl bei einer Art Verkaufsveranstaltung gewesen zu sein, frei nach dem Motto "Tschakka Du schaffst es" und schwupp aus der armen Kirchenmaus wurde innerhalb kürzester Zeit ein reicher, ansehnlicher Prinz.
Dann fiel mir das Buch "Positives Denken macht krank" von Günter Scheich(Psychotherapeut) in die Hand und dessen Werk habe ich dann zweimal "studiert".
Zwei verkürzte Auszüge:

"...machen die Vertreter der Lehre des positiven Denkens ihre Leser selbst für ihr angebliches Scheitern verantwortlich, was in einem Teufelskreis aus Schuldgefühlen und Frustation führt"

"Beim positiven Denken sollen die Probleme nur verdrängt werden, was letztlich für den Patienten erst recht zum Hindernis wird"

Es erinnert mich an meine Klinikaufenthalte. Freitags haben wir dem Therapeuten gesagt, was wir uns am Wochenende Positives vorgenommen haben und Montags waren wir dann erst richtig depremiert, weil wir manches oder alles nicht geschafft haben.

Mich würde einmal Eure Meinung dazu interessieren.
Ich kann freilich nicht sagen, ob es besser wird, wenn es anders wird, aber soviel kann ich sagen: Es muß anders werden, wenn es gut werden soll.

Georg Christoph Lichtenberg, (1742 - 1799), deutscher Physiker und Meister des Aphorismus

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flocke
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Re: Positives Denken macht krank

Beitrag von flocke »

ich denke ein gelichgewicht ist da wichtig... also dass man zwar positiv denkt und nicht immer gleich sagt "das wird eh nix" , aber eben auch realistisch bleibt und bestimmte dinge akzeptiert.

flocke
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kormoran
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Re: Positives Denken macht krank

Beitrag von kormoran »

hallo,

schwarzer peter, dein ansatz gefällt mir irgendwie. weil ich mich durch all diese aufforderungen auch für blöd verkauft vorkomme. ich hab zwar noch nie so ein buch gelesen und es könnte sein dass die ganz vernünftig sind aber oberflächlich falsch verstanden werden.

so wie es rüberkommt, mit den werbebotschaften, lädt es dazu ein, sich nicht ernsthaft mit sich und der welt auseinanderzusetzen (und vieles ist nunmal nicht positiv, wie man es auch betrachtet) sondern einfach "positiv drüber weg zu sehen" oder sich ein bild zu malen.

ich stimme flocke zu: realistisch, und mit sich selbst in kontakt, mit dem willen, was gutes draus zu machen. darauf kommt es an. wenn wir trauer nicht zulassen, krankheit nicht auch als beschissenen schicksalschlag erkennen dürfen, machen wir uns langfristig erst recht kaputt.

mir scheint, das problem haben jeweils weniger die von welchem übel auch immer betroffenen, sondern vielmehr die umwelt, die es schwer erträgt, wenn jemand leid nicht weglächelt, und dann auch gerne schuld zuweist. zT vielleicht ein wichtiger sozialer mechanismus(?), aber nicht ganz....
k.
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flora80
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Re: Positives Denken macht krank

Beitrag von flora80 »

Hallo!

Ich glaube nicht, das echtes positives Denken krank macht. Krank macht nur, wenn man sich etwas vormacht, also, wenn ich so tue, als sei alles toll, obwohl es das gar nicht ist. Die "Denke Positiv Bücher" vermitteln oft genau den Eindruck, dass man sich einreden soll, alles sei toll und dann ist auch alles toll. Ganz so leicht funktioniert das natürlich nicht.

Im Rahmen von Therapien das Augenmerk auf das Positive zu richten, finde ich gar nicht so schlecht, denn als depressiver Mensch beschäftigt man sich ja nun auch wirklich ganz gerne mal ausschließlich mit negativen Gedanken, oder? Dabei geht es nicht darum, eine Frustration herbeizuführen, sondern die Wahrnehmung für das Positive zu schärfen. Kein Mensch erlebt ständig und andauernd AUSSCHLIEßLICH Negatives. Das kann mir keiner erzählen, auch wenn er noch so depressiv ist. Therapeuten versuchen genau diese Dinge in den Fokus zu nehmen, um dem Patienten zu helfen, aus der Negativspirale auszusteigen. Wenn also jemand aus dem Wochenendurlaub wieder in die Klinik kommt und auf die Frage, was er denn positives erlebt hat, "nichts" antwortet und dann in ein tiefes Loch fällt. Entschuldigung, aber das empfinde ich als absolut nicht Wahrheitsgemäß. Es kann in der Tat sein, dass die negativen Erlebnisse überwiegen. Aber das heißt nicht, dass es keine positiven gegeben hätte, man hat sie nur nicht wahrgenommen. Und ich glaube kaum, dass ein Therapeut einen Patienten dann einfach so in das Loch fallen lässt, sondern, dass er bei der Suche nach positiven Dingen behilflich sein wird. Und wenn ich mich als depressiver Patient dann nicht darauf einlassen kann, dann hat das vielleicht seinen Grund, signalisiert aber ganz deutlich, dass ich mich in meinem Sumpf eigentlich ganz wohl fühle und ihn ungern verlassen möchte, weil ich offenbar einen Krankheitsgewinn daraus habe. Wenn das mal nicht positiv ist!

Insofern sehe ich die Sache ziemlich skeptisch. Es gab im Übrigen mal eine Studie darüber (ich weiß nicht mehr genau wo), dass man sich tatsächlich besser fühlt, wenn man mehrmals am Tag in den Spiegel schaut und sich dazu zwingt, sich anzulächeln.... Also ist diese "ich tue so, als sei ich gut drauf" Kiste vielleicht auch nicht ganz sinnlos, wie man denken könnte auf den ersten Blick. Einen ganz großen Einfluss auf Stimmung und Selbstwertgefühl hat außerdem auch die Körperhaltung. Wenn ich mich bewusst ganz aufrecht durch die Welt bewege, dann ist es sehr viel schwerer, mich schlecht zu fühlen.

Und vielleicht ist es auch gut, sich klarzumachen, dass solche Bücher nicht unbedingt für Menschen mit Depressionen geschrieben werden, da gibt es wohl weitaus hilfreichere Methoden... Für jemanden, der einigermaßen zufrieden durch sein Leben geht stelle ich mir solche Bücher aber schon recht hilfreich vor, wenn es nur darum geht, ein wenig Stressvermeidung zu betreiben. So ein Buch kann aber ganz sicherlich keine Depression heilen. Und wenn ich mit der Erwartung an die Sache herangehe, dann kann es eigentlich nur schiefgehen und zu Frustration führen.

Positiv denken heißt, sich selbst ernst zu nehmen, aber unrealistisches Depri-Katastrophendenken zu erkennen und auszumerzen. Nur dann kann ich auch echte Positivität erkennen.

Gruß von Flora
flora80
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Re: Positives Denken macht krank

Beitrag von flora80 »

Nachtrag: Ich habe gerade noch mal nachgelesen. Hatte die "Klinkszene" etwas anders in erinnerung, als ich geschrieben habe. Aber auch, wenn ich mir positive Dinge vornehmen soll und sie dann nicht "schaffe", so habe ich mich doch trotzdem zwischendurch damit beschäftigt, was positiv sein könnte, auch wenn ich es vielleicht noch nicht zulassen kann, das tatsächlich zu erleben. Ein "ich habe es nicht geschafft" ist in dem Sinne ja nur ein "ich habe es NOCH nicht geschafft". Und ich hatte immerhin den Vorsatz, mir etwas gutes zu tun. Ansonsten hätte ich nicht mal mit dem Gedanken gespielt... Und dann finde ich es spannend, hinzusehen, WARUM ich es nicht geschafft habe, sprich, was mich innerlich daran gehindert hat und wie ich dieses Hindernis vielleicht aus dem Weg räumen kann, um beim nächsten mal gut zu mir sein zu können. Das halte ich für keinen schlechten Ansatz!

Flora
kormoran
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Re: Positives Denken macht krank

Beitrag von kormoran »

n'abend noch einmal von mir. zustimmung zu floras ausführungen.

und mein bescheidenes resumee:
best of positiv denken hier im forum ist der thread "drei gute dinge des tages".

gute nacht
k.
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Rheinwind
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Re: Positives Denken macht krank

Beitrag von Rheinwind »

@ Flora:

Bitte, bitte nicht böse sein, aber Deine ausführlichen und bestimmt lieb gemeinten Zeilen kann ich (für mich) nicht unterschreiben. Im Gegenteil: Ich behaupte sogar, daß man so positiv wie Du nur schreiben kann, wenn man keine schwere Depressionen hat. Nachdem ich mir zum x-ten Male eine bestimmte mich positiv stimmende Angelegenheit vorgenommen hatte und diese auch nach dem x-ten Male nicht geschafft habe, habe ich mit Sicherheit nicht daran gedacht, daß ich sie noch nicht geschafft habe. Und beim Rasieren und zeitgleichen Anlächeln im Spiegel sagte ich zu meinem Spiegelbild nur "...und nenne mir jetzt einen Grund zum Fröhlichsein". Ich denke mittlerweile, die Sache ist viel komplexer und läßt sich nicht durch "Handauflegen" lösen. Ein Beispiel dazu: Meine Frau befindet sich derzeit wegen einer Trauerbewältigung in einer psychosomatischen Klinik und bekam nun von ihrer Therapeutin die Aufgabe einen Brief an ihre vor einem halben Jahr verstorbene beste Freundin (38 Jahre !) zu schreiben. Harter Tobak, aber den Weg "per aspera ad astra" finde ich richtig und erfolgsversprechend. Wenn mir in dieser Situation ein Arzt etwas von positiven Gedanken erzählen würde, hätte ich danach wahrscheinlich ein weiteres Problem...
Ich kann freilich nicht sagen, ob es besser wird, wenn es anders wird, aber soviel kann ich sagen: Es muß anders werden, wenn es gut werden soll.

Georg Christoph Lichtenberg, (1742 - 1799), deutscher Physiker und Meister des Aphorismus

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flora80
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Re: Positives Denken macht krank

Beitrag von flora80 »

Hallo Schwarzer Peter,

wenn du genau hinsiehst, dann widersprichst du mir gar nicht.
Ich habe im Übrigen nicht gesagt, dass andere Methoden nicht sinnvoll sind. Die Mischung machts.

Ob ich eine schwere Depression hatte oder nicht kannst du, mit verlaub, nicht beurteilen, sorry.

Flora
Rheinwind
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Re: Positives Denken macht krank

Beitrag von Rheinwind »

@ Flora:

Natürlich steht es mir nicht an Deine Erkrankung zu analysieren (dafür habe ich auch garnicht die Befähigung), aber wenn Du so positiv schreibst, wo ist denn Dein Problem?
Ich kann freilich nicht sagen, ob es besser wird, wenn es anders wird, aber soviel kann ich sagen: Es muß anders werden, wenn es gut werden soll.

Georg Christoph Lichtenberg, (1742 - 1799), deutscher Physiker und Meister des Aphorismus

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flora80
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Re: Positives Denken macht krank

Beitrag von flora80 »

Hallo Schwarzer Peter!

In diesem Forum schreiben durchaus auch Menschen, die die Depression bereits relativ erfolgreich überwunden haben. Muss ich jetzt gehen, weil es mir besser geht? Ich war bisher der Überzeugung, dass aktuell depressive Menschen ein Interesse daran haben, sich auch mit denen auszutauschen, die das schon hinter sich haben. Vielleicht liege ich da aber auch falsch. Ich möchte dir deine Depression nicht wegnehmen, du darfst sie so lange behalten, wie du sie brauchst.

Flora
flora80
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Re: Positives Denken macht krank

Beitrag von flora80 »

Ich habe gerade deine unglaublichen Thesen im TV-Tips Thread gelesen und ziehe mich hiermit aus diesem Thread zurück.
tomroerich
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Re: Positives Denken macht krank

Beitrag von tomroerich »

"Positives Denken macht krank" ist ein Titel, der ein wenig unglücklich gewählt ist.

Wenn nicht gesehen werden kann, was negativ ist, macht positives Denken wahrscheinlich krank. "Denke positiv" kann man als Aufruf zur Verdrängung von Negativem sehen, aber das ist nicht gemeint. Wer es so versteht, will nichts mehr zu tun haben mit dem, was er negativ nennt und muss sich deshalb in Teilen selbst ablehnen. Was kann daran positiv sein? Positiv zu denken heißt eher, dass es nichts gibt, was abgelehnt werden muss. Es heißt, dass es garnichts Negatives gibt. Was sind die Maßstäbe dafür, etwas als negativ anzusehen? Dass es unangenehm ist? Lässt sich das wirklich aufrecht erhalten?
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kaitain
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Re: Positives Denken macht krank

Beitrag von kaitain »

flora80
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Re: Positives Denken macht krank

Beitrag von flora80 »

Hallo Kaitain, nur noch mal ganz kurz: ich habe unter "Umgang mit der Krankheit" einen neuen Thread aufgemacht. Zu "Arbeit, Ämter und Renten" hat er eh nicht sonderlich gepasst.
F.
Billa
Beiträge: 8
Registriert: 12. Okt 2007, 21:22

Re: Positives Denken macht krank

Beitrag von Billa »

Schwarzer Peter schrieb:

Über positives Denken habe ich schon einige Bücher gelesen und irgendwie hatte ich am Ende das Gefühl bei einer Art Verkaufsveranstaltung gewesen zu sein, frei nach dem Motto "Tschakka Du schaffst es" und schwupp aus der armen Kirchenmaus wurde innerhalb kürzester Zeit ein reicher, ansehnlicher Prinz.

> Mich würde einmal Eure Meinung dazu interessieren.


Hallo schwarzer Peter,

vor etlichen Jahren habe ich auch solche Bücher gelesen u. mir sind die gleichen Gedanken gekommen:
ich sage mir zig-mal am Tag z.B. "ich bin selbstsicher u. erfolgreich" und nächste Woche bin ich statt 'graue Maus' Miss/Mrs.od.Mr.Erfolgreich.
Wenn das so eínfach wäre,wären zig Therapeuten arbeitslos.

Und was ist, wenn das nicht passiert? Hab ich dann nicht oft u. fest u. intensiv genug geglaubt?

Ich bin zu der Überzeugung gekommen, dass man solche Sachen mit Vorsicht geniessen muß.
Nur, weil es in Büchern steht(egal welches Thema), muß es nicht richtig sein.
Es ist ähnl. wie mit Medizin: man muß für sich das richtige und die richtige Dosierung finden.
Positiv denken ist nicht grundsätzlich falsch. Nur Wunder darf man davon - ähnlich wie bei Medizinen u. sonstigen Heilmethoden, ob alternativ oder nicht, nicht erwarten.

mir haben diese Bücher gezeigt, dass andere Menschen ähnliche Probleme haben, und dass man nicht in seinen Problemen stecken bleiben muß. Und seinen Weg muß eigentlich jede-r selbst suchen u. gehen.

Gruß
Billa
maggy
Beiträge: 1150
Registriert: 13. Feb 2003, 09:52

Re: Positives Denken macht krank

Beitrag von maggy »

Hallo Schwarzer Peter,

wie wär's mit Weißer oder Bunter Peter; denn für mich sind Namen nicht Schall und Rauch ?!

Ich tu mich, genau wie Du, ein bisschen schwer mit dem abgedroschenen Begriff "Positives Denken" wenn es im Sinne von unrealistischer, rosaroter Brille verstanden wird.
Wenn es allerdings im ursprünglichen Sinne von "positum = das Gegebene, das was ist" verstanden wird, kann ich gut damit umgehen.
Z.B. kann ich dann alles, was von mir als negativ empfunden wird in eine Fähigkeit "umwandeln".
Wenn ich Depression in eine positve Deutung verwandle dann heißt das:

Die Fähigkeit, mit tiefster Gefühlsbereitschaft auf Konflikte zu reagieren.

Also nichts Negatives, sondern eine Fähigkeit.

Und so habe ich viele Fähigkeiten für mich entdeckt, die grundsätzlich in meinem frühen Leben erstmal von anderen Menschen, meinen Eltern, Lehrern usw. (und später dann auch von mir )als Makel dargestellt wurden, weil sie es selber nie anders gelernt und empfunden hatten.

Also, liebe Grüße
und einen erfolgreichen Tag im "Hier und Jetzt" (= das was gegeben ist)
wünscht Dir
Maggy
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Depression ist die Fähigkeit mit tiefster Gefühlsbereitschaft auf Konflikte zu reagieren
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