Bin ich noch zu retten?

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Tom99
Beiträge: 2
Registriert: 28. Jul 2003, 17:22

Bin ich noch zu retten?

Beitrag von Tom99 »

Seit einigen Jahren leide ich (38) unter schweren Depressionen mit permanent
vorhandenen Suizidgedanken. Einen Versuch habe ich schon hinter mir.
Letztes Jahr habe ich mich dann in Behandlung begeben. Die Ärztin
wollte mich eigentlich sofort in eine Klinik einweisen.
Jetzt gibt es aber folgendes Problem, ich bin beruflich recht erfolgreich und anerkannt, meine Maske, welche ich hier trage, hat bisher funktioniert, niemand kennt meine Probleme. Eine stationäre Behandlung würde alles zerstören. Wahrscheinlich soweit, dass man sagen würde, nicht mehr für diese Tätigkeit ( Vertrieb ) geeignet. Es ist auch so, dass die Arbeit auch eine von meinen Problemen ablenkende Funktion hat, d.h. so lange ich beruflich tätig bin, geht es auch, aber wehe wenn ich wieder mit mir allein bin, dann ist wieder alles beim Alten. So nehme ich seitdem verschiedene Medikamente, welche z.B. die auch massiven Schlafstörungen eingedämmt haben, das ursächliche Problem ist aber immer noch vorhanden.
Ich habe mich nun doch vor kurzem für eine stationäre Behandlung entschieden, ich sehe es als letzten Ausweg, egal was dies für Folgen für mich hat, ich kann einfach nicht mehr. Nach dem tausendfach überlegten Schritt sind nun natürlich drei Monate Wartezeit.
Die Firma weiß auch noch nicht von ihrem Glück.
In der Erwartung von Post von der Klinik bin ich nun hin- und hergerissen. So sehe ich die Lage aller Minuten anders. Hat das überhaupt alles einen Sinn? Ist mir überhaupt zu helfen, ich kann es mir nicht vorstellen. In der Firma muss ich auch noch „outen“, wie geht es dann dort weiter? Diese Anspannung und das ständige gedankliche Pendeln zwischen Licht und Finsternis ist kaum noch zu ertragen. Dabei ist erst ein Monat vergangen, ich habe also noch zwei vor mir.
Hat sich eventuell schon einmal jemand in einer derartigen Situationen befunden?
Was erwartet mich bei einer stationären Behandlung, wie kann es danach weiter gehen?
Biggi_4
Beiträge: 75
Registriert: 11. Jul 2003, 18:07

Re: Bin ich noch zu retten?

Beitrag von Biggi_4 »

Hallo Tom,

Du hast richtig gehandelt und Dich für eine Therapie in der Klinik entschieden.

Ich denke, wenn man so stark unter D. leidet (ich kenne das mit dem grübeln und den Suizidgedanken) dann sollte man vorerst das tun, was die Gesundheit fördert. Es ist zwar richtig, man soll immer in der Aktivität drinbleiben in einer depressiven Phase, aber da merkst Du , wieviel Kraft in Dir steckt, und was Du alles schaffst in Deinem Arbeitsleben. Diese Kraft solltest Du in Deinem Klinikaufenthalt nur für Dich nutzen. Du wirst es schaffen, Du lernst in der Klinik mit der Krankheit umzugehen und findest vielleicht auch heraus, woher die Symptome kommen.

Depressive Symptome sind die Spitze eines Eisberges. Alles was sich unter Wasser befindet, sind die eigentlichen Ursachen.

Sicherlich ist es sehr schwer, wenn Du in der Firma fehlst, hast Du denn jemandem, der Dir in dieser Zeit die Verantwortung abnehmen kann ? Das wäre sehr wichtig, es ist an der Zeit, dass Du Abstand von dem Stress und der Hektik gewinnst und nicht mit jedem Gedanken an der Firma hängst. Ich hoffe, es gibt jemandem, der das in der Zeit, wo Du in der Klinik bist, für Dich managt.

Vertraue auf Hilfe. Es ist sehr schwer, die Krankheit auszuhalten, wir nutzen die Kraft, die wir dafür aufbringen, für die Linderung der psych. Schmerzen.

Ich grüße Dich ganz lieb. Biggi
monalisa
Beiträge: 200
Registriert: 22. Mär 2003, 09:00

Re: Bin ich noch zu retten?

Beitrag von monalisa »

...der berufliche Werdegang kontra eigenen Bedürfnissen....
das kenne ich. Mein Gesicht auf der Arbeit - und mein Gesicht privat- sind schon lange zweierlei....
Aber, will ich nur arbeiten oder will ich auch irgendwie glücklich mit mir sein ?
Das hört sich so banal an. Auf der Arbeit alles im Lot - privat = 0
Was zählt ?
Muß man selber entscheiden..muß man selber wissen oder ahnen.....
Ich wünsch Dir viel Kraft ....
Du wirst die richtige Entscheidung treffen......
ben1
Beiträge: 1379
Registriert: 13. Feb 2003, 09:52

Re: Bin ich noch zu retten?

Beitrag von ben1 »

Hallo Thomas,

erst mal viel Kraft und herzlichen Glückwunsch zu Deiner Entscheidung!!

Es ist sicherlich richtig, Dir in einer solchen SItuation professionelle Hilfe zu holen, auch wenn das nicht in Dein Selbstbild (Der erfolgreiche Macher, der alles in der Hand hat) zu passen scheint.
ich habe diese furchtbar Phase hinter mir und es gibt nichts schmerzhafteres, als eine solche Erfahrung zu machen - aber es gibt eine Seite in Dir, die Leben möchte und der gilt es, mehr Aufmerksamkeit zu schenken - sonst hättest Du die Entscheidung nicht getroffen!

Ein paar Gedanken (so wars bei mir, vielleicht hilfts Dir, vielleicht auch nicht, dann vergiß es einfach):

- Man hat jahrelang an seiner Fassade gefeilt und geschraubt und glaubt, nur diese Fassade sei annerkenneswert, liebenswert, lebenswert - und dann kommt der Schlag wie mit dem Holzhammer auf den Kopf - "He, das bist Du ja gar nicht!"

- "Ja, was bin ich dann und wie gehts weiter?". Versuch erst mal, Deine Ängste zu verstehen, zu gucken, wo die herkommen und wovor Du Angst hast. Welches "Ich" ist da bedroht - Deine Fassade oder dein Selbst?

- Auf Deine Thread Frage "bin ich noch zu retten" gibst zwei Antworten (aus meiner Sicht - siehe oben - ich bin kein Guru oder Meister - der Meister Deines Lebens bist Du)
- wenn Du die Fassade meinst, denke ich, das die nicht zu retten ist. Da spielt Dein Körper nicht mit, das bist nicht Du

ABER

- Du als Mensch bist auf jeden Fall zu retten. Dazu gilt es aber erst mal zu verstehen, das sich hinter Deiner Fassade kein hässliches, kleines Entlein verbirgt, sondern ein kompletter, perfekter Mensch - und Deine Entscheidung zur Therapie hat dieser komplette Thomas getroffen, obwohl die Fassade wie wild protestiert.

Ich spreche gerne in Bildern, weil die viel mehr ausdrücken können als spachliche Hirnwicherserei

Du fährts zur Zeit in der Formel 1 mit und merkst auf einmal, das Du mit einem VW unterweg bist. Nun gut. Is auch nicht schlecht. Du kannst vielleicht noch ein, zwei Runden mitfahren, aber dann ist Dein Getriebe hin.

a) Schau Dir die anderen Fahrer gut an und bedenke, das Du nur deren Fassade siehst. Sind da nicht vielleicht ein paar aufgemotzte Trabbies oder Fahrräder dabei? Das wirkt nach außen nie so (auch Du hast ja Deine Fassade so gestaltet, das niemand etwas merkt)

b) Nimm Abschied von der Vorstellung, perfekt sein zu müssen! Das hat was mit Narzismus zu tun - wir sind verliebt in ein Idealbild von uns und können uns nicht vorstellen, anders zu leben. ABer nur anders gehts!

Noch was zur Reaktion Deiner Kollegen/Vorgesetzten. Stell Dir vor, ein Kollege erzählt Dir, ihm ginge es so, wie es Dir geht - wie würdest Du reagieren. WÜrdest Du ihn auslachen, denken "Der Versager" - NEIN - Du würdest mit Veständnis reagieren - und genau so wirds auch Dir gehen. Die4 Leute, die kein Verständnis für eine solche Situation haben, sind UNREIFE, UNERFAHRENE Spieser! Die denken immer noch, Geld und Erfolg sind alles (und haben nicht erkannt das sie sich damit nur ablenken und immer weiter vom LEBEN entfernen (das ist nämlich wirklich schön, auch wenn das jetzt wie purer Hohn klingen wird)

Viele Gedanken, die ich hier geschildert habe, findest Du auch im Thread "Spiritualität und Depression" - schau mal rein, wenns Dich interessiert.

Noch eine kleine Buchempfehlung, die mir sehr geholfen hat

Anthony de Mello: Der springende Punkt

Viel Kraft - geh weiter - es rentiert sich!!!!


Ben
detrau
Beiträge: 13
Registriert: 9. Jul 2003, 09:36

Re: Bin ich noch zu retten?

Beitrag von detrau »

hallo tom,

ich war auch schon wegen depri in einer klinik und kann dir nur raten:geh da unbedingt hin! du bist jetzt am wichtigsten, nicht die firma.klar machst du dir sorgen um deinen job,depression ist als diagnose nicht gesellschaftlich nicht "anerkannt". du mußt selbst entscheiden ob du den leuten in der firma die diagnose sagen kannst. mach dir jetzt nicht zu viele gedanken, das hin u. herüberlegen ist teil deiner depression. in der klinik wirst du einen weg finden für dich. ich wünsche dir viel kraft und alles gute.

dieter.
Tesora

Re: Bin ich noch zu retten?

Beitrag von Tesora »

Also ich bewundere deine Entscheidung! Ich denke bei dieser Krankheit gibt es einen Punkt, da kann man nicht mehr alleine weiterkämpfen (auch wenn man nach aussen hin die Fassade bewahren möchte)! Ich kenne diese Problematik auch sehr gut. Auf Dauer ist es wohl einfach zu anstrengend und unbefriedigend ständig zwischen zwei Fassaden pendeln zu müssen.

@ Ben: Wie hast du wieder zu dir selbst gefunden bzw. dein "wahres" ich entdeckt? An diesem Problem scheitere ich irgendwie immer wieder? Ich habe zwar erkannt, dass ich nicht die Person bin, die ich bis jetzt immer nach aussen hin war, aber wie schafft man es wieder zu sich selbst zu finden? Wäre dir für eine Antwort sehr dankbar!

Gute Nacht
Tesora
ben1
Beiträge: 1379
Registriert: 13. Feb 2003, 09:52

Re: Bin ich noch zu retten?

Beitrag von ben1 »

Hallo Terosa

da ich heute etwas im zeitlichen Streß bin (das gibts durchaus noch, wenn man sich gefunden hat möchte ich Dich auf den Thread "Spititualität und Depression" verweisen - da habe ich vieles geschildert, das mir geholfen hat.

Machs gut

Ben
Lenny41
Beiträge: 25
Registriert: 21. Jul 2003, 16:08

Re: Bin ich noch zu retten?

Beitrag von Lenny41 »

Hallo Tom,
dein Entschluß in die Klinik zu gehen finde ich absolut richtig.
Überlege mal,was Dir schlimmsten falls passieren könnte,wenn du vor dem Outing Angst hast?
Ich habe mich schon zweimal geoutet,einmal dass ich Schwul bin,und nun dass ich vor kurzem in der Psychiatrie war.
Gehe jetzt offensiver mit meiner Erkrankung um.
Das hat auch mein Denken verändert in jeder hinsicht.
Ich scheisse (Sorry!) aber ist so drauf,was andere über mich denken.Ich bin mir wichtig,und ich will dass es mir besser geht.
Habe den Mut und gehe den Schritt in die Klinik,du wirst sehen,es kann nur besser für Dich sein.
Ich wünsche Dir Tom von Herzen viel Kraft,Mut,und Zuversicht.
Michel
Tom99
Beiträge: 2
Registriert: 28. Jul 2003, 17:22

Re: Bin ich noch zu retten?

Beitrag von Tom99 »

Hallo,
vielen Dank für die rege Anteilnahme an meinen Problemen. Es tat mir sehr gut. Davon beflügelt, wollte ich gestern eigentlich die Sache mit meinem Chef besprechen, hatte die ganze Nacht zuvor deswegen nicht schlafen können, aber ich habe es nicht herausgebracht, war einfach zu feige.
So ist es nun wieder aufgeschoben. Ich bin wirklich ein Idiot. Dabei weiß ich, dass ich von selbst wohl nie aus meinem tiefen Tal finden werde, ich eigentlich nichts zu verlieren habe.
Biggi_4
Beiträge: 75
Registriert: 11. Jul 2003, 18:07

Re: Bin ich noch zu retten?

Beitrag von Biggi_4 »

Du bist kein Idiot, ich hoffe das weißt Du.

Das ist es was uns so negativ denkend macht. Wir denken immer nur schlechtes. Wir müssen lernen, diese negativen Gedanken durch positive Gedanken zu ersetzen, dann fällt es leichter die Symptome zu ertragen.

Ich hoffe sehr, das Du das nicht ernstgemeint hast mit dem Idioten.

Biggi
ben1
Beiträge: 1379
Registriert: 13. Feb 2003, 09:52

Re: Bin ich noch zu retten?

Beitrag von ben1 »

Die Angst, die Du davor hast, mit Deinem Chef zu reden, ist absolut verständlich und nachvollziehbar.

Ich habe mich auch erst meinem Chef anvertraut, als ich mich gedanklich mit allen möglichen Konsequenzen abgefunden hatte (von Verständnis bis Kündigung) - und dann wars halb so schlimm - mein Chef hat sehr menschlich reagiert - das kann man mit Sicherheit nicht verallgemeinern, aber so wars bei mir. Und es hatte etwas sehr befreiendes für uns beide - ich gestand ihm, nicht die perfekte Maschine zu sein, die ich glaubte, in seinen Augen sein zu müssen, und er war erleichtert, das es auch bei mir "menschelte"

Ich mußte aber an den Punkt kommen, wo ich mir dachte "egal, was passiert, so gehts nicht weiter" - und dann hats geklappt.

Ben
Nila2003
Beiträge: 40
Registriert: 31. Jul 2003, 19:16

Re: Bin ich noch zu retten?

Beitrag von Nila2003 »

Hallo Tom,
und.....hast du es deinem Chef gestern gesagt ? ICH habe gekündigt, weil ich es nicht sagen wollte. Mords Risiko, denn ich bin die Familienernährerin. Ich habe mich selbständig gemacht und habe viel Angst, wegen des Geldes.
Freue mich, von dir zu hören, weil ich auch eine beruflich Erfolgreiche war und hoffentlich noch bin-trotz Depressionen.(Vor Montag kann ich mich wahrscheinlich nicht mehr melden)
Lieben Gruß
Nila.
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