Angst, mit den Eltern "darüber" zu sprechen

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Schneckerl
Beiträge: 11
Registriert: 16. Feb 2007, 21:12

Angst, mit den Eltern "darüber" zu sprechen

Beitrag von Schneckerl »

Hallo zusammen!

Ich mach hier mal nen neuen Thread auf, weil ich bei meiner Suche nach diesem Thema nicht so ganz fündig geworden bin. Sollte es diesen Thread also schon geben, ganz großes Entschuldigung

Wenn es ok ist, möcht ich (noch) nicht so viel über mich rauslassen bzw. preisgeben. Ich denke, da ging es einigen anfangs auch nicht anders.

Mein Problem, abgesehen von meiner Krankheit natürlich, ist, daß ich keine Ahnung hab, wie ich das meinen Eltern "erklären", also sagen soll. Bei meinen engsten Freunden war es null Problem, denen hab ich das sofort gesagt und die Reaktionen waren super. Nichts von dem gefürchteten "Reiß dich mal zusammen" oder "Depressiv? Du? Soviel wie du immer lachst?", im Gegenteil. Es kamen natürlich erstmal unverständliche Gesichter (aufgrund Unkenntnis), aber: es wurde nachgefragt. Wie äußert es sich bei mir, warum merkt man Depressiven nach außen hin nicht an, daß sie es sind (da kann ich jetzt nur von mir sprechen und ich hab jahrelang an meiner Fassade gebastelt, die immer nur dann bricht, wenn ich allein bin), wie war der 1. Termin bei der Therapeutin usw.

Ich für meinen Teil kann sagen, daß ich durchaus stolz bin, solche Freunde zu haben und zu wissen, daß sie immer für mich da sind und mich so akzeptieren wie ich bin. Und trotz aller Instabilität meinerseits (die ich derzeit nicht leugnen kann) immer ehrlich zu mir sind, egal wie sehr es in dem Moment möglicherweise an mir kratzen könnte. Kurz gesagt, sie nehmen keine falsche Rücksicht, aus angst, ich könnte einen Zusammenbruch erleiden (was nicht passiert, sie wissen instinktiv, wo die Grenze ist).

Ich bin mir auch darüber im Klaren, daß ich, sobald wieder ein Mann in mein Leben treten sollte (dank an meinen mittlerweile Ex-Freund, daß er mir die Augen geöffnet hat, hätte er mich nicht "abgeschossen", wäre ich immer noch nicht beim Arzt gewesen), möglichst früh mit ihm über dieses Thema sprechen muß. Natürlich nicht gleich beim ersten Treffen, aber spätestens dann, wenn der Schritt von Kennenlernen zu Beziehung erfolgt.

Und jetzt mein eigentliches Problem: ich hab ein super Verhältnis zu meinen Eltern, im Prinzip könnte ich mit ihnen über alles reden, könnte mit jedem Problem zu ihnen kommen, sie hätten immer ein offenes Ohr für mich und auch immer Verständnis. ABER: ich schaffs nicht... Ich steh vor ihnen, sie fragen mich, ob alles ok ist und es kommt das übliche überschwengliche "Natürlich! Alles bestens, kann nicht klagen!"

Irgendwie bekomm ich den Satz nicht raus, daß ich wegen Depressionen in Behandlung bin... Ich weiß auch nicht, warum... Ich hab ja nichts zu befürchten, aber trotzdem hab ich irgendwo angst davor, sie könnten enttäuscht sein?!? Total bescheuert...

Meine Frage an euch: geht es dem einen oder anderen hier auch so? Wie lange hat es gedauert, bis ihr euren Eltern reinen Wein eingeschenkt habt? Und wie waren die Reaktionen?
sentiero
Beiträge: 15
Registriert: 16. Mär 2004, 11:48

Re: Angst, mit den Eltern "darüber" zu sprechen

Beitrag von sentiero »

Hallo Schneckerl!

Da Dir noch keiner geantwortet hat, will ich ein paar Zeilen schreiben. Ich kann Deinem Beitrag leider nicht entnehmen, ob Du schon älter oder noch jugendlich bist, ob Du mit Deinen Eltern zusammenlebst, ob Du ein enges Verhältnis zu ihnen hast. Ich bin Angehörige, Mutter eines depressiv (gewesenen?) Sohnes. Das ganze ist jetzt ein paar Jahre her, zur Zeit scheint es dem jungen Mann relativ gut zu gehen.

Meine Erfahrung aus dieser langen, schweren Zeit ist "redet miteinander". Für uns war die Phase, wo wir nur merkten, es stimmt etwas massiv nicht, aber nicht verstanden, was los war, vielleicht die allerschwerste (ich glaube, für unseren Sohn auch). Wenn man miteinander spricht, kann man zumindest überflüssige Missverständnisse vermeiden. Man kann ein wenig ausloten, welche Hilfe man geben kann, welche vielleicht angenommen wird. Man kann sogar gesagt bekommen, wo man sich lieber zurücknehmen soll.

Ich weiß, ich wiederhole mich, aber auf die Gefahr, zu langweilen: mach den Versuch, mit Deinen Eltern zu sprechen! Habe keine Angst, sie zu belasten, sie spüren sowieso etwas. Die Angst vor Unbekanntem, Namenlosem ist schlimmer, als etwas, wogegen man kämpfen kann. Und, bei allen oft beschriebenen Problemen, es ist besser, ein wenig unterstützen zu können, als sich später unendliche Vorwürfe machen zu müssen! Erlaube Deinen Eltern, zu Dir zu stehen, wie Deine Freunde es tun!

Liebe Grüße, Sentiero
Antje
Beiträge: 445
Registriert: 1. Dez 2004, 15:37

Re: Angst, mit den Eltern "darüber" zu sprechen

Beitrag von Antje »

Hallo Schneckerl,

ich kann mich Sentieros Posting nur anschließen.

Ich habe selbst die Erfahrung gemacht, je offener ich mit der Krankheit umgegengen bin, um so mehr Unterstützung habe ich bekommen. Ich bin mit der Krankheit natürlich nicht hausieren gegangen, aber meinen engsten Freunden und meinen Eltern habe ich es gesagt.

Als ich die erste schwere depressive Episode hatte, war ich "schon" 37. Aber in den Augen unserer Eltern bleiben wir immer ihre Kinder. Und sie wollen uns bestmöglich helfen.

Ich wünsche Dir, daß Du Dich schnell dazu überwinden kannst, es Deinen Eltern zu sagen.
Denn dies nimmt bestimmt auch einen großen Druck von Dir.

Lieber Gruß

Antje
Schneckerl
Beiträge: 11
Registriert: 16. Feb 2007, 21:12

Re: Angst, mit den Eltern "darüber" zu sprechen

Beitrag von Schneckerl »

Liebe Sentiero,

danke für deine Antwort. Bin Mitte 20 und wohn schon seit ein paar Jahren nicht mehr zuhause. Ich hab einfach nur angst davor, daß sie enttäuscht sein könnten. Nicht, weil ich nicht so bin, wie sie es erwarten, sondern weil sie sich vielleicht dann selbst Vorwürfe machen, weil sie die ganzen Jahre nichts gemerkt haben. Und daß ich meine Maske nach außenhin (selbst mir gegenüber) perfektioniert habe, weiß ich mittlerweile aufgrund der geschockten Reaktionen meiner engsten Freunde, die nicht fassen konnten, daß sie nie etwas bemerkt haben.

Nachdem ich mit der Therapie angefangen hab, ist mir so einiges aufgefallen, ich hab mich an Situationen erinnert, die sehr schlecht für mich hätten ausgehen können, hätte ich mich nicht gezwungen, dagegen anzukämpfen und jetzt grad nicht vor die einfahrende U-Bahn zu springen, ohne eigentlich zu wissen, warum dieser Kampf stattfindet. Und das hat bereits mit 13 angefangen.

Ich glaub einfach, wenn ich mit ihnen rede, wird das auch aus mir rausbrechen und davor hab ich einfach angst.

Ist das jetzt wirr oder kommt mir das nur so vor????
Shay
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Registriert: 5. Jan 2007, 14:06

Re: Angst, mit den Eltern "darüber" zu sprechen

Beitrag von Shay »

Hallo Schneckerl,

nun, ich kann mich meinen Vor-Postern nur anschließen: Wenn Du halbwegs Vertrauen zu Deinen Eltern hast, dann sprich mit Ihnen drüber. Ich gehöre zwar auch zu den "Schon-ein-Stück-über-30-ern", aber auch ich habe mir diese Frage stellen müssen - um dann leicht erstaunt festzustellen, dass meine Mutter dieses Problem auch kannte, aus eigener Erfahrung. Okay, ich werde ihr sicher nicht alles erzählen (können), weil sie ein Teil meines Problems ist, aber es war ein kleiner Schritt der Annäherung für uns beide. Wir haben in unserer Familie jede Menge Mist mitmachen müssen und alle irgendwo unsere Schrammen abbekommen, aber da wir nicht der kommunikativste Haufen waren, sind viele Dinge einfach nicht angesprochen worden. Jetzt haben wir die Gelegenheit, das nachzuholen.
Ich habe mir vorgenommen, meiner Mutter nicht vorzuwerfen, dass sie durch ihre tätlichen Übergriffe und körperlichen Sanktionen in meiner Kindheit einen wichtigen Teil zu meinem heutigen Krankheitsbild - bis hin zu abschnittsweise wiederkehrenden Suizidgedanken - beigetragen hat. Ich finde, das muss ich ihr nicht sagen. Sie würde auch unnötig leiden, denn ich denke nicht, dass sie einfach die Augen zumachen würde. Aber ich habe mich etwas erleichtert gefühlt, als ich gesagt habe, wie es um mich steht, und dass das ganze alles andere als lustig ist...

Also, Du willst einen Rat hören - hier ist er: Sei weitestgehend ehrlich. In dem Moment, wo Deine Eltern an Deiner Historie beteiligt sind, solltest Du Dir aber genau überlegen, wie viel Du preisgibst. Immer nur so viel, wie Du Dich wohl fühlst...
Gruß: Martin





„A ship is safe in harbour - but this is not what a ship is made for."
tomroerich
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Re: Angst, mit den Eltern "darüber" zu sprechen

Beitrag von tomroerich »

Hallo Schneckerl,

ich verstehe. Es gibt das Problem schon lange und du hast es unter den Tisch gekehrt, weil du auch damals nicht reden konntest. Und womöglich ist es ja auch so, dass es Gründe für deine Krise innerhalb der Familie gibt? Dann ist es auch schwer, jetzt die Karten auf den Tisch zu legen, denn tatsächlich könnte da ja einiges aufbrechen. Aber auch, wenn deine Depressionen nicht ihre Ursache in der Familie haben, ist es ein großer Schritt und ich verstehe durchaus, warum du fürchtest, Enttäuschung hervorzurufen. Gerade die Menschen, die uns etwas bedeuten, wollen wir nicht mit unserer "Schwäche" konfrontieren und Eltern gehören meistens zu der Kategorie, die etwas Großes und Starkes und Besonderes aus uns machen wollten und nun das.... Das ist fast so als würdest du sagen "Schaut mal, was ihr da angerichtet habt". Oder als würdest du deine Eltern um die Früchte ihrer Bemühungen bringen. All solche Gefühle können da vorkommen und das finde ich auch ganz natürlich.

Warum denkst du denn überhaupt, dass du es erzählen musst? Ich meine, ich fände das gut, aber entscheide es doch zu einem Zeitpunkt an dem du fühlst, dass es nun richtig ist. Im Moment scheinst du eher zu fühlen, du müsstest es - so, als wäre es ein Vertrauensbruch, etwas so Wichtiges nicht zu sagen?

Ja, ein Risiko liegt darin, aber auch eine klare Chance. Vielleicht sind alle deine Ängste unbegründet und die Beziehung zu deinen Eltern wird nur noch tiefer und besser? Ich würde es davon abhängig machen, wie gut es dir geht und wie du selbst es einschätzt, wie sehr der schlimmste Fall, den du dir vorstellen kannst, dir zusetzen würde.

Zu Anfang deines Postings hast du geschrieben, du wolltest erst mal nicht so viel von dir preisgeben und das ist wirklich oK. Mach es mit deinen Eltern auch so, dass du drauf achtest, was mit die geschehen könnte, wenn du zu viel preisgibst. Wie Martin es schon sagte.

Lieben Gruß von

Thomas
Betroffene für Betroffene

http://www.depressionsliga.de
Schneckerl
Beiträge: 11
Registriert: 16. Feb 2007, 21:12

Re: Angst, mit den Eltern "darüber" zu sprechen

Beitrag von Schneckerl »

Das ist es halt, ich hab einfach angst davor, sie könnten sich (unberechtigterweise) Vorwürfe machen, sie hätten versagt... Was sie definitiv nicht haben, ich kann mir keine besseren Eltenr als meine vorstellen. Ich bin auch unschlüssig, ob ich jetzt einfach nur das Gefühl hab, ich MUSS es ihnen erzählen, weil sie meine Eltern sind und irgendwie schon ein "Recht" darauf haben zu wissen, was mit ihrer Tochter ist oder ob ich das Gefühl hab, ich WILL es ihnen erzählen, weil ich keine Geheimnisse vor ihnen haben muß/will.

Das Problem ist auch, wenn ich mir so durchles, was einige Leute hier mitgemacht haben, dann hab ich das Gefühl, über mein Verständnis dieser Krankheit, daß es durch diese Schicksalsschläge absolut nachvollziehbar ist, daß sich eine Depression entwickelt. Bei mir gab es nichts... Absolut null... Glückliche Kindheit usw. Und die ersten Schübe, im Nachhinein betrachtet, hatte ich zu einer Zeit, als mein Leben auf jeden Fall noch 100 % in Ordnung war. Ich versteh es einfach nicht... Oder bin ich einfach nur zu engstirnig, um das zu verstehen?

Ich schau mal, ob ich es am Wochenende hinbekomm.
sentiero
Beiträge: 15
Registriert: 16. Mär 2004, 11:48

Re: Angst, mit den Eltern "darüber" zu sprechen

Beitrag von sentiero »

Liebes Schneckerl,

ich glaube, Depressionen brauchen nicht immer einen nachvollziehbaren Grund. Sie können auch aus scheinbar heiterem Himmel kommen und trotzdem (oder gerade drum?) äußerst belastend sein. Trotzdem wird der/die Depressive und auch die Angehörigen nach einer Ursache suchen, immer wieder. Ich habe mich auch in der Suche nach der Schuldfrage einigermaßen verstrickt. Von Zeit zu Zeit kommt das Thema auch wieder hoch, wird wieder innerlich oder auch mit meinem Mann (allerdings nicht mit meinem Sohn, ich glaube, dazu ist es noch zu früh) gewälzt.

Ich glaube nicht, dass wir Eltern ursächlich schuld an der Depression sind, würde aber heute auf viele Dinge anderes machen, und vor allem, viel früher reagieren. Der Schritt, sich einzugestehen, dass mit dem eigenen Kind etwas ziemlich in Unordnung geraten ist, ist gar nicht so leicht. Vielleicht wäre uns allen, bei früherer Reaktion, einiges erspart geblieben. Gott sei Dank haben wir zwar spät, aber nicht zu spät reagiert.

Nach meinem Verständnis ist es der Wert der Familie, dass man nicht nur immer strahlend und perfekt sein muss, sondern auch schwach sein darf. Dass man auch schwach geliebt wird. Das kann aber nur dann funktionieren, wenn Vertrauen da ist und keine unüberwindbare Maske getragen wird (sowohl von Eltern als auch von den erwachsenen Kindern). Das hat bei uns nicht immer geklappt und funktioniert auch jetzt nicht immer. Besonders schwierig finde ich es, zwischen erwünschter Nähe und notwendiger Abnabelung bei jungen Erwachsenen in einer schwierigen Entwicklungsphase abzuwägen. Vom Trend her habe ich aber das Gefühl, dass wir im Moment auf einem guten Weg sind.

Ich schreibe Dir so ausführlich, weil ich in Deinem Posting einiges wieder zu erkennen meine. Z. B. glaube ich heute auch, dass die Probleme unseres Sohnes schon in der späten Kindheit begonnen haben. Genau wie er willst Du vorsichtig mit Deinen Eltern umgehen, Du willst eigentlich keine Geheimnisse vor ihnen haben (ich meine, Kinder müssen und sollen ihren Eltern gar nicht alles erzählen, aber ob es ihnen gut oder schlecht geht, ob man helfen kann und wie, sollte man gegenseitig von sich wissen).

So, Entschuldigung dass es so lang geworden ist, aber es hat mir, glaube ich, geholfen, meine Gedanken noch mal zusammen zu schreiben.

Ich wünsche Dir ein gutes, gelungenes Wochenende,

alles Liebe, Sentiero
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