Depressive Mutter & Panik vor den Feiertagen

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lilAngel
Beiträge: 3
Registriert: 20. Dez 2006, 00:05

Depressive Mutter & Panik vor den Feiertagen

Beitrag von lilAngel »

Hallo.

In wenigen Tagen ist Weihnachten und während um mich herum die Leute so langsam in Stimmung kommen, steigt bei mir der Adrenalinspiegel aus anderen Gründen.
Meine Mutter ist depressiv und das seit ich denken kann (ich bin jetzt 25). Ich habe schon einige akute Phasen miterlebt... dazu alles von Gesprächstherapie, medikamentöse Behandlungen, stationären Therapien auf eigenen Wunsch und auch die Einweisung in die Psychiatrie wg. akuter Suizidgefahr.

Seit einigen Monaten bewegt sie sich nun wieder auf einer Talfahrt abwärts und ist inzwischen trotz Medikamenten und ambulanter Therapie arbeitsunfähig und hat seit einigen Tagen auch wieder suizidale Tendenzen. Nach langem Ringen konnten wir sie nun endlich von einem stationären Aufenthalt überzeugen - da wir mit unserem Latein und den Kräften am Ende sind - und nun dauert der bürokratische Kram mit Krankenkasse usw. schon so lange, dass sie wohl vor den Feiertagen gar nicht mehr aufgenommen werden kann. (Ich fasse es nicht, dass sie ihre Drohung Tabletten zu schlucken wohl wahr machen müsste, dass das alles schneller geht!)

Ich bin im Moment auch sehr entkräftet, weil ich seit Monaten zuhöre und Unterstützung leiste und die Verantwortung, die sie mir überträgt nicht länger tragen kann. Sie meint immer in mir die einzige Person zu wissen, die sie gut genug versteht, um ihr wirklich helfen zu können... bei meinem letzten Besuch hat sie mir vor meiner Abreise indirekt mit Selbstmord gedroht, wenn ich wirklich fahren würde...

Ich weiß, dass ich im Moment wichtig für sie bin, auch wenn sie meine Fähigkeiten hier überschätzt, aber ich bin nicht mehr in der Lage ständig für sie da zu sein per Telefon oder gar physisch anwesend. Ich kann inzwischen nicht mal mehr entspannt einen Samsatag mit Freunden verbringen ohne dabei vom schlechten Gewissen zerfressen zu werden, was noch gespeist wird von den latenten Vorwürfen, die sie mir dann anschließend macht (DU hast halt noch Spaß. ICH bin hier so allein und will einfach nicht mehr.). Seit Wochen schlafe ich nur noch sehr wenig und mein Magen ist auch sehr empfindlich geworden. Ich versuche mir vor Augen zu halten, dass ich nicht die Kranke bin, aber inzwischen belastet mich die Situation so sehr, dass ich aus manchen Situationen flüchte (das Telefon ausstecke oder Besuche bewusst verkürze...), weil ich
einfach nicht mehr kann.

Die Feiertage nun doch mit ihr zu verbringen - in diesem Zustand - ist ein unerträglicher Gedanke, da nach max.2 Tagen mein Limit erreicht ist und ich mit meiner Wut, Angst, Ohnmacht... zu platzen drohe.

Hat jemand einen Rat, wie ich sie weiterhin gut unterstützen kann, ohne mich selbst dabei noch weiter zu überfordern? Ganz praktische Ratschläge wie ich kleine Verschaufpausen gut in den Feiertagsmarathon einplanen kann?

Danke!
lilAngel
menschenwesen
Beiträge: 113
Registriert: 15. Nov 2006, 23:38

Re: Depressive Mutter & Panik vor den Feiertagen

Beitrag von menschenwesen »

hallo angel,

leider kann ich dir keinen wirklich guten rat geben, wie du die feiertage unbeschadet überstehen kannst.

grundsätzlich glaube ich aber, dass du unbedingt an dich denken musst; höre in dich hinein und versuche rauszufinden, was deine bedürfnisse sind. ich kenne diese zwickmühle aus eigener erfahrung, meine mutter war psychisch schwer krank und hat unausgesprochen gefordert, mein vater seelisch zwar weitesgehend gesund, wurde nach dem tod meiner mutter zum klammeraffen, so dass auch ich immer mit schuldgefühlen kämpfen musste.

weihnachten ist immer eine schwere zeit, um grenzen zu ziehen, aber vielleicht gelingt es dir nach den feiertagen stück für stück etwas abstand aufzubauen. du solltest unbedingt auf dich aufpassen, deine akkus sind nicht ewig aufladbar.

ich red' hier schlau daher, dabei zieht mir mein verantwortungsgefühl für meinen vater (der nicht psychisch krank im klinischen sinne ist, aber klammert und manchmal etwas altersschrullig bzw. -starrsinnig ist) auch immer wieder energie ab. doch mittlerweile gelingt es mir zumindest punktuell, mich nicht zu sehr davon vereinnahmen zu lassen.

liebe angel, habe mit meinem vater eine klare absprache für diese weihnachten getroffen: ich besuche ihn von nachmittags 24.12. bis nachmittags 25.12., danach fahre ich wieder nach hause.
vielleicht schaffst du das ja auch. nur solltest du deine mutter rechtzeitig darauf vorbereiten.

bedenke: auch DU bist wichtig. achte auf dich

liebe grüße und viel kraft wünscht dir
menschenwesen
Hina1
Beiträge: 761
Registriert: 23. Mai 2006, 23:23

Re: Depressive Mutter & Panik vor den Feiertagen

Beitrag von Hina1 »

Liebe lilAngel,

gute Ratschläge, wie Du Dich ausreichend von der Krankheit Deiner Mutter abgrenzen kannst, sind natürlich schwer zu geben. Jeder kennt am besten selbst seine Belastungsgrenze aber da Du das alles schon so sehr lange mitmachst, wird die sicher auch immer weiter schwinden.

Auf alle Fälle wäre es für Dich vielleicht interessant, das Thema Co-Abhängigkeit zu googlen. Da geht es zwar oft um die Angehörigen Alkoholkranker, weil der Begriff dort das erste mal verwendet wurde, Du kannst aber ganz getrost das Wort Alkohol gegen Depression auswechseln und wirst Dich wundern, wie sehr Du Dich wiederfinden wirst. Entsprechend gibt es auf den Seiten auch recht gute Verhaltensvorschläge. Deine Mutter ist irgendwie auf dem "Tripp" ihre Verantwortung, die sie für sich selbst hat, auf Dich zu übertragen und Du trägst sie auch. Sie versucht Dich sogar mit Suiziddrohungen in der Abhängigkeit zu halten. Warum hast Du nicht sofort zum Telefonhörer gegriffen und eine Einweisung veranlaßt? Das Recht hättest Du absolut gehabt, denn in einer Depression sind Suizidgedanken ja nun wirklich alles andere als abwegig. Auf jedenfall wird es Zeit, daß Du mit Deiner Mutter eindeutige Spielregel aufstellst, z.B. bestimmte Telefonzeiten, wo Du ausschließlich für sie da sein wirst, bestimmte Besuchsabsprachen, wo sie Dich auch ganz alleine für sich hat aber auch kontaktlose Zeiten, wo sie Dich einfach nicht zu stören hat. Es kann nicht sein, daß IHRE Krankheit Dein Leben diktiert. Du hast vor allem auch Verantwortung für Dein Leben und die solltest Du auch wirklich übernehmen, sonst kannst Du Dich über kurz oder lang selbst in Therapie begeben. Was hast Du dann davon? Davon ist Deine Mutter zwar nicht gesund, Du aber krank. Auch das wäre wohl an der Zeit, Deiner Mutter mal klar zu machen.

Wenn Du wegen ihr nur noch unter Druck stehst, was nicht verwunderlich wäre, dann scheue Dich auch nicht, Dir selbst Hilfe zu suchen, z.B. bei einer sozialpsychiatrischen Beratungsstelle oder Du schließt Dich einer Selbsthilfegruppe für Angehörige psychisch Kranker an.


Liebe Grüße
Hina
lilAngel
Beiträge: 3
Registriert: 20. Dez 2006, 00:05

Re: Depressive Mutter & Panik vor den Feiertagen

Beitrag von lilAngel »

Hallo Menschenwesen.

Ich danke dir sehr für deine Antwort. Allein schon meine Gedanken und Ängste zu teilen hilft mir etwas durchzuatmen und mich in der Situation nicht alleine zu fühlen.

Ich wünsche Dir auf jeden Fall auch viel Kraft für die nächste Zeit und trotz allem schöne Feiertage,
Angel
lilAngel
Beiträge: 3
Registriert: 20. Dez 2006, 00:05

Re: Depressive Mutter & Panik vor den Feiertagen

Beitrag von lilAngel »

Liebe Hina,

auch Dir ein herzliches Dankeschön für deinen Rat.

Warum ich sie nicht habe einweisen lassen, hängt damit zusammen, dass sie es schon als großen Vertrauensbruch sieht, dass wir glauben ein Klinikaufenthalt wäre besser für sie als bei meinem Vater zu sein (und mich regelmäßig zu sehen). Ich war in dem Moment einfach zu feige trotzdem zum Hörer zu greifen und da ich wusste, dass mein Vater (der jetzt auch schon über eine Woche Urlaub nehmen musste...) fast ständig bei ihr sein wird, könnte ich das mit meinem Gewissen vereinbaren. Das war ein zu großes Risiko - das weiß ich.

Es tut einfach gut zu hören, dass ich meine eigenen Grenzen achten muss, weil ich mir selbst dieses Recht nur noch schwer zugestehe. Ich will auch meinen Vater entlasten, der ja täglich bei ihr sein "muss"...

Ich habe mich nach Angehörigen-Gruppen in meiner Gegend umgesehen, aber das wird in diesem Jahr nichts mehr. Außerdem will ich die Kraft und den Mut sammeln, selbst eine Beratungsstelle aufzusuchen und anzufangen das aufzuarbeiten, was sich in den vielen Jahren angesammelt hat. Viele schlimme Erinnerungen aus frühen Kindertagen hatte ich wohl einfach verdrängt und ich erkenne auch jetzt erst wie sehr die Krankheit immer mein Verhältnis zu meiner Mutter und in folge dessen auch allgemein meine persönl. Beziehungen beeinflusst hat.

Auch Dir ein ruhiges Fest
und viele Grüße,
Angel
Hina1
Beiträge: 761
Registriert: 23. Mai 2006, 23:23

Re: Depressive Mutter & Panik vor den Feiertagen

Beitrag von Hina1 »

Liebe Angel,

ja, ich denke, bei Euch - auch bei Deinem Vater - läuft da gehörig etwas schief. Es kann doch nicht sein, daß Dein Vater wegen der Depression Deiner Mutter Urlaub nehmen muß und sie "bewacht" und Du immer zur Stelle bist, wenn sie "ruft". Wenn man um das Leben Deiner Mutter Angst haben muß, dann gehört sie natürlich in fachärztliche Hände. Die Verantworung für ihr Leben könnt Ihr doch gar nicht übernehmen. Suizidgedanken sind nicht steuerbar. Und was ein depressiver als "Vertrauensmißbrauch" sieht, wenn es um existenzielle Dinge geht, das solltet Ihr unbedingt lernen auch depressinsbedingt zu sehen. Ihr seid da in eine absolute Abhängigkeit geraten und Deine Mutter hat sich unglaublich dran gewöhnt und redet sich vermutlich sogar selbst ein, daß ihr das zustehen würde. Sie ist krank und alle anderen haben ihr zu Diensten zu sein. So geht das aber wirklich nicht. Sie ist definitiv kein Pflegefall. Auch für Deinen Vater wird es sehr wichtig sein, zu lernen, wie man wirklich mit depressiven Angehörigen umgeht, was ist wichtig, was läßt den Betroffenen eher sich in der Krankheit "einrichten". Kennt Ihr das Buch "Wenn der Mensch den Du liebst depressiv ist"? Ich kann es Euch sehr warm ans Herz legen, um zu lerenen, Eure eigene Gesundheit so gut es geht zu schützen und der Krankheit Deiner Mutter nicht noch durch Euer Verhalten vorschub zu leisten.

Ich finde es gut, daß Du Dich jetzt auch selbst um Deine psychische Gesundheit kümmern willst. So eine Belastung kann man einfach nicht auf Dauer unbeschadet tragen.

Ich wünsche Dir auch ein - trotz allem - ruhiges Weihnachtsfest und etwas Besinnung

Liebe Grüße
Hina
Edeltraud
Beiträge: 1495
Registriert: 22. Mai 2003, 16:49

Re: Depressive Mutter & Panik vor den Feiertagen

Beitrag von Edeltraud »

Hallo Lil,

es wurde schon viel Kluges geschrieben, ergänzend möchte ich zu folgendem Abschnitt was schreiben:

>>>Nach langem Ringen konnten wir sie nun endlich von einem stationären Aufenthalt überzeugen - da wir mit unserem Latein und den Kräften am Ende sind - und nun dauert der bürokratische Kram mit Krankenkasse usw. schon so lange, dass sie wohl vor den Feiertagen gar nicht mehr aufgenommen werden kann. (Ich fasse es nicht, dass sie ihre Drohung Tabletten zu schlucken wohl wahr machen müsste, dass das alles schneller geht!)
Bürokratischer Kram und so - ich denke, wenn der Arzt den verschiedenen Stellen klar macht wie dringlich deine Mutter einen Platz in der Klinik braucht so kriegt sie den auch umgehend. Weiß der Arzt genau wie schlecht es deiner Mutter derzeit geht?

Viele Grüße,
Edeltraud
Rossili
Beiträge: 6
Registriert: 15. Dez 2006, 07:55

Re: Depressive Mutter & Panik vor den Feiertagen

Beitrag von Rossili »

Hallo Angel,
ich weiß jetzt nicht aus welcher Stadt Du kommst. Hier in Düsseldorf ist es kein Problem, jemanden stationär in der Landesklinik unterzubringen. Zur Zeit ist meine Mutter wieder dort - zum Glück geht es ihr mittlerweile spürbar besser.

Letztes Jahr hatte sie sich sogar quasi selber eingewiesen. Sie hat dort angerufen und gesagt, dass es ihr absolut nicht gut gehen würde und gefragt, ob sie sich in die Obhut der Klinik begeben könnte(es bestand aber zu keiner Zeit eine Suizidgefahr!). Es war überhaupt kein Problem. Sie hat sich dann einfach in ein Taxi gesetzt ist rübergefahren.

Ich kann es irgendwie nicht nachvollziehen, dass es soviel Papierkram bedeuten soll, um deine Mum dort unterzubringen...den kann man doch später immer noch regeln.

Ach und zum Thema schlechtes Gewissen etc. - das hatte ich auch am Anfang (als meine Mutter das erste Mal im KH war) und nicht zu wenig. Mittlerweile bin ich ein alter Hase und ziehe ganz klar meine Grenzen, weil man mich sonst ebenso daneben legen könnte. Ich bin beim ersten Mal fast jeden Tag da gewesen, um sie zu besuchen. Mittlerweile, es ist der 4. KH-Aufenthalt, gehe ich einmal die Woche hin und wir beide kommen gut klar damit.

Ich wünsche Dir alle Kraft der Welt und trotz allem ein schönes Weihnachtsfest!

LG Tina
LG von Tina
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