Fühle mich wie kastriert

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ff
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Registriert: 25. Aug 2003, 22:44

Fühle mich wie kastriert

Beitrag von ff »

Hallo Leute,

seit Wochen fahre ich wieder Achterbahnen, wobei die Ups und Downs mitunter im schnellen Wechsel passieren. Wenn ich gut drauf bin, dann kommt unmittelbar Zweifel oder Zurückhaltung. Diese häufigen Antriebsstörungen machen mich fertig. Auch nach meinen Therapiesitzungen (2 x p. Woche) bin ich immer fix und fertig, richtig erledigt, als ob ich stundenlang gearbeitet hätte. Ich möchte wieder arbeiten, ein Teil der Gesellschaft sein, aber ich weiß nicht was ich tun möchte oder kann. Entscheide ich mich für einen Weg, dann kommen die Zweifel und ich bleibe wieder stehen.
Mein Therapeut meint, ich wäre in einer Verfassung, die einer Kastration gleich käme: Keine Kraft, keine Lebensenergie, Gleichgültigkeit, kein Stromfließen. Es ist wirklich so, ich lebe in den Tag hinein, habe dann Existenzsorgen (ab März werde ich ein Hartz IV-Fall), mir ist manchmal alles egal, so dass ich sogar schon mit dem Gedanken, aus dem Leben auszuscheiden, mehrmals gespielt habe. Aber ich möchte es nicht so weit kommen lassen, denn ich würde nicht nur mir schaden, sondern auch den Menschen und auch meinem geliebten Hund eine unnötige Sorge bereiten. Jedoch diese Gleichgültigkeit macht mir zu schaffen. Seit zweieinhalb Jahren bin ich aus dem Arbeitsleben heraus, ich bin einen langen Weg gegangen, war auch wochenlang in einer Rehaklinik, nehme Antidepressiva, aber wann bin ich wieder ein zufriedener Mensch?
In meinen Gedanken ist alles klar und logisch, was ich zu tun habe, Bewerbungen schreiben, Vitamin-B aktivieren, mit möglichen Arbeitgeber sprechen, aber das Umsetzen der Vorhaben, das klappt nicht. Da verlassen mich mein Kopf, meine Gedanken, mein Sprechen, mein Handeln. Ich bin gefangen in mir selbst. Ich komme mir oft vor wie ein Rennpferd, was loslaufen möchte, aber in einer engen Box eingesperrt ist und sich abfindet mit der Situation, doch manchmal am liebsten ausbrechen möchte.
Ich bin ungeduldig, bin enttäuscht von den Menschen, finde sie alle verlogen (auch ich bin verlogen)und, und, und...
Wäre schön, wenn ihr mir mitteilen könntet,ob ihr das auch so kennt und wann man endlich aus der Deprifalle herauskommt.
Mir ist vollkommen klar, dass ich handeln muss, mich in Bewegung setzen muss, aber das ist gerade der Punkt, der nicht so klappt.
Bellasus
Beiträge: 1628
Registriert: 10. Jun 2004, 21:41

Re: Fühle mich wie kastriert

Beitrag von Bellasus »

Hallo ff,

einen wirklichen Plan, wie du da raus kommst, kann dir natürlich niemand anbieten, aber das weißt du ja auch.
Mir fällt nur ein, was bei mir funktioniert: Nicht mit den großen Vorhaben anfangen, sondern mit den Dingen, die lächerlich klein erscheinen. Ich vermute mal, dass dein Alltag auch anders läuft, als du ihn dir wünschst. Dann fang dort an, tu jeden Tag irgendeine Kleinigkeit, die zwar vielleicht schwer fällt, aber zu bewältigen ist. Und damit ist es dann gut für den Tag, mehr als eine Sache schaffen pro Tag brauchst du nicht am Anfang. Bei mir waren/sind es Dinge wie: Arbeitsplatte in der Küche säubern. Blumen gießen. Einen leckeren Tee kochen. Bügeln (anfangs nur 1 Teil!). Unmerklich wird es mehr (dauert aber schon Monate, bis ich spürbar Fortschritte machte), und wenn ich mir nach jeder Erledigung eine Belohnungspause schenke, schaffe ich mittlerweile einiges, ohne zu sehr angestrengt zu sein.

Und auf diesem Wege kann man sich vielleicht auch dem Arbeitsleben wieder annähern.

Wenn dieser Vorschlag für dich verwertbar ist, dann probier es doch einfach mal aus - verlieren kannst du nichts.

Alles Gute und eine gute Nacht,
Annette




www.depressionsliga.de

- Betroffene für Betroffene -
oktober

Re: Fühle mich wie kastriert

Beitrag von oktober »

Hallo ff,

ich kann Annette nur zustimmen - ich habe es auch so gemacht und es funktioniert ganz gut.
Selbst, wenn es anfangs Erledingungen waren, zu denen ich mich nicht nur wahnsinnig aufraffen musste, sondern auch dann, wenn diese Dinge mir völlig sinnlos erschienen (aber was ist schon sinnvoll ) und ich mich desöfteren gefragt habe, aus welchem Grund es mir abends mit einem geputzten Fenster eigentlich besser gehen sollte (aber das tat es) ...
So allmählich hab ich meinen Tages"pflichtpunkt" immer zeitiger erledigen können (zu Beginn, um es hinter mir zu haben), und war dann irgendwann soweit, ein zweites Vorhaben pro Tag in Angriff zu nehmen.

Was mir wichtig erscheint und was auch Annette schon schrieb: Nicht bewerten - es können Mini-Schrittchen sein - nicht nachdenken und möglichst konsequent dran bleiben. Und trotzdem versöhnlich mit Rückschlägen umgehen.
Es geht ja vor allem erst einmal darum, sich ein anderes Verhalten (bzw. - wieder? - etwas mehr Aktivität) zuzulegen, das sich dann vielleicht irgendwann automatisiert.

Momentan verbringe ich tatsächlich schon einen erheblich größeren Teil meines Tages aktiver als ich das sonst von mir kenne.
Und gehe allmählich auch dazu über, wichtigen Dingen den Vorzug zu geben und das auch zu wollen

Ich weiß, das ist jetzt nichts wirklich Neues. Hatte trotzdem das Bedürfnis, auch meine Erfahrungen mitzuteilen - weil ich mir überhaupt nicht vorstellen konnte, dass das klappen würde...
Bin zwar nach wie vor meilenweit entfernt von einem normalen Alltag - aber es erscheint mir nicht mehr ganz so unrealistisch

Liebe Grüße,

Petra
Drucker
Beiträge: 28
Registriert: 3. Mär 2004, 13:08

Re: Fühle mich wie kastriert

Beitrag von Drucker »

Hallo ff, Du bist nicht allein mit Deinen niederschmetternden Gefühlen.
Seit zweieinhalb Jahren warte ich auf den Tag, an dem mich ein Gutachter entweder zurück in meinen menschenvernichenden Beruf oder alternativ in Hartz4 schickt. Selbst weiß man genau, dass es nicht mehr geht. Wie sehen das aber die Zuständigen, die darüber entscheiden, ob am Ende der Daumen nach oben oder nach unten zeigt. Meines Erachtens gibt es dann nur eine Alternative, diesem Zustand zu entfliehen.
Liebe Grüße, Simon
hubsia
Beiträge: 639
Registriert: 19. Mär 2003, 16:33

Re: Fühle mich wie kastriert

Beitrag von hubsia »

Hallo ff!
Ich kann mich nur meinen Vorrednern anschließen, leider habe auch ich kein Rezept
wie es besser klappen könnte. Bei mir ist das alles so verdammt ähnlich oder sogar gleich,
wenn ich dann bei meiner Therapeutin war erscheint alles logisch und lösbar doch einige Zeit später wieder dieser Zusammenbruch der
der Gedanken und Gefühle. Ich denke sehr offt mensch das ist doch ganz einfach wie sie es meint doch umsetzen geht offt nicht. Ich drücke Dich ganz fest und gebe Dir von meiner wenigen Kraft, alles liebe Hubert.
restless
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Registriert: 21. Feb 2006, 04:05
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Re: Fühle mich wie kastriert

Beitrag von restless »

hallo ff,
du hast geschrieben,du hältst alle Menschen für verlogen und bist es selber auch.
Genauso geht es mir auch.Ich gehe grundsäztlich davon aus,dass jeder der etwas nettes sagt ein Heuchler ist.Deswegen habe ich auch alle sozialen Kontakte abgebrochen.Immer in Angst jeder könnte merken,das ich nicht "normal" bin.
Jetzt habe ich dieses Forum gefunden und ich kann fast garnicht mehr aufhören die Wahrheit rauszulassen.
Ich werde es jetzt auch versuchen mal ehrlich mit einem Therapeuten zu sprechen.Ich hoffe ich schaffe das auch,ich bin so gut in lügen und vertuschen,dass ich befürchte ganz schnell in dieses Muster zurückzufallen.
Hier wird einem alles so leicht gemacht,dass ich wieder mutiger werde eventuell auch mit "echten Menschen" in Verbindung zu treten.Ich habe eine höllische Angst davor,aber ich habe mir ernsthaft vorgenommen es zu versuchen.Ich darf nur nicht wieder auf einen Therapeuten treffen,der mir erzählt ich wäre intelligent,vielseitig begabt und bla, bla bla.Bei dem letzten vor ein paar Jahren bin ich bei so einem Spruch aufgestanden ,gegangen und nie wiedergekommen.Diese Verlogenheit ist einfach unerträglich und ich brauche Ehrlichkeit gerade von einem Arzt.
Auch der Rest deines Beitrages könnte von mir sein .

Ich hoffe,es geht dir bald gut,
restless
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