Sind Depressionen ein Schutzschild?

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Tesora

Sind Depressionen ein Schutzschild?

Beitrag von Tesora »

Hallo ihr!

Ich glaube zwar, dass ihr mir alle widersprechen werdet und sagem, dass Depris auch eine Hormonstörung sind. Aber manchmal habe ich das Gefühl, wenn ich über mein Leben und diese Krankheit nachdenke, dass die Depri nur ein Schutzschild ist. Ich fühle mich durch diese Krankheit überhaupt nicht alleine überlebensfähig, habe ich deswegen Angst allein im Leben zu stehen und für mich und mein Handeln selbst die Verantwortung zu übernehmen? Ich denke, dass due Depri daher ein sehr guter Schutz davor ist ins kalte Wasser zu springen und diese Verantwortung übernehmen zu müssen! Aber wie kann ich dieses Gefühl selbst ändern. Die Depri lenkt einen davon ab, sich um die alltäglichen und alterstypischen Entwicklungsprozesse kümmern zu müssen, denn man hat ja diese Krankheit als gute Ausrede (zumindest für sich selbst). Ich bin in diesem Punkt irgendwie zerrissen: zum einen will ich ja selbständig sein, da es mit 20 Jahren doch mal langsam Zeit wird und ich auch mal die schönen Seiten des Lebens alleine erleben will, aber andererseits habe ich durch die Depri das Gefühl, dass ich dazu nie fähig sein werde auch wenn mich das Zuhause wohnen manchmal extrem nervt (da versteht mich ja irgendwie auch keiner)
!Sollte man sich doch trauen diese ganzen Ängste überwinden, um herauszufinden wer man wirklich ist?

Tut mir leid, dass ich euch so zugetextet habe, aber das schwirrt in meinem Kopf herum und mich würde vor allem eure Meinung dazu interessieren!

Gute Nacht
Tesora
Yogibär
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Registriert: 28. Mai 2003, 20:55

Re: Sind Depressionen ein Schutzschild?

Beitrag von Yogibär »

Hallo,
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Du, ich sehe das genau andersrum als Du. Ich übernehme eigentlich gerne Verantwortung (allerdings liebe für andere als für mich). Ich mußte schon sehr früh viel Verantwortung übernehmen. Die Depris schützen mich daher nicht, weil ich eh nicht drum herum komme.
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Ich glaube, es ist eher das Gefühl, der Verantwortung nicht gerecht werden zu können für sich selbst.
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Gruß
Yogi
MadMax
Beiträge: 383
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Re: Sind Depressionen ein Schutzschild?

Beitrag von MadMax »

Hallo tesora!

Was Du da schreibst hat mich zum Nachdenken gebracht. Auch wenn ich mir wie bei so vielen Dingen nicht hundertprozentig sicher bin und das Ganze nicht so richtig greifen kann, denke ich dass Du in gewisser Weise schon recht hast. Zwar möchte ich Dir erst mal insoweit widersprechen, dass Depressionen sicherlich nicht nur deswegen entstehen, um als Schutzschild zu fungieren. Da kommen eine Reihe von verschiedenen Aspekten zusammen, die letztendlich zu einer Depression führen.
Aber was ich sehr gut nachvollziehen kann ist, dass die Krankheit wunderbar als Ausrede benutzt werden kann. Soll heissen, dass ich mich so vor mir selber rechtfertigen kann, wenn ich auf irgendetwas keine Lust habe, mich nicht aufraffen kann. Wunderbarstes Beispiel: Lernen. Dann sage ich mir schon bevor ich angefangen habe oder spätesetns nach ein paar Minuten, dass ich krank bin, es mir im Moment schlecht geht und es deswegen überhaupt keinen Zweck hat zu lernen.
Bezieht man das jetzt auf das eigene Leben, die Weiterentwicklung (gerade so mit Anfang 20), dann kommt natürlich schnell das Gefühl auf, etwas zu verpassen, aus dem Leben nichts zu machen. Bleibt zwar die "gute" Entschuldigung mit der Krankheit, aber das verändert auch nichts. Die Angst, Dinge selber nicht zu schaffen, die für andere selbstverständlich sind, drückt aufs Selbstbewußtsein (oder was davon noch übrig ist) und lässt einen unselbstständig erscheinen.

Hm, war das einigermaßen verständlich? Hab den Eindruck, konnte mal wieder meine Gedanken nicht ordnen und schon gar nicht in Worte fassen.

tesora, wenn Du magst, dann schick mir doch eine email, vielleicht kann ich Dir dann noch einiges sagen....

Viele Grüße!

Mad Max
tomroerich
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Re: Sind Depressionen ein Schutzschild?

Beitrag von tomroerich »

Hallo Tesora,

ich stimme dir zu, man kann Depr. wie auch andere Störungen durchaus so sehen, dass sie eine Schutzfunktion erfüllen. Allerdings eine, die wir uns nicht freiwillig ausgesucht haben und die wir deshalb auch nicht so ohne weiteres ablegen können. Genauer müsste man sagen, das Verhalten, das schließlich eine Depr. auslöst, schützt vor weiteren Verletzungen. Wenn ich z.B. in meinen Beziehungen oberflächlich bleibe weil ich auf Grund schlechter Erfahrungen tiefe Beziehungen vermeide, schütze ich mich zunächst damit. Aber schließlich funktioniert das dann eben doch nicht, weil ich auf diese Weise einsam bleibe und somit tritt genau das ein, wovor ich mich eigentlich schützen wollte. Diese Strategie geht nicht auf und man steht unbarmherzig vor dem alten Problem und fällt in die Depression. Aus meiner Sicht zum Glück, denn nur so gibt es eine neue Chance, ein authentischer Mensch zu werden. Der alte Lug und Trug, der ja nur schützen sollte, wird so massiv in Frage gestellt, dass die meisten Menschen dann erkennen, dass sie so etwas wie Wahrheit und Ehrlichkeit in ihr Leben bringen müssen.

Du fürchtest dich davor, Verantwortung für dein Leben zu übernehmen und willst dem ausweichen. Weil du nicht an dich selbst glauben kannst, oder? Sicher leistet dir die Depr. dabei wertvolle Dienste, bei anderen Menschen sind das andere Krankheiten, die eine ähnliche Funktion erfüllen. Es ist auch kein Entweder-Oder, ob das die Biochemie ist oder eine unbewusste Strategie denn irgendwann wird der Körper immer reagieren und die Seele spiegeln.

Nein, dein Gedanke ist klug und hat Hand und Fuß. Die ganzen Ängste zu überwinden ist das Ziel aber ich denke, es lässt sich nur erreichen, wenn man einmal die Ursache dafür wirklich verstanden hat. Und die ist wohl immer mangelndes Selbstvertrauen, ein ganz großes Ich-Pack-das-sowieso-nicht. Solange man den Glauben an sich selbst nicht hat, wäre das Überwinden von Ängsten ein ständiger Gewaltakt und hat man mal die eine überwunden, wird sie durch eine andere ersetzt. Andererseits lösen sich Ängste (die im Zusammenhang mit Selbstablehnung stehen)einfach auf, wenn man sich einmal ganz und gar akzeptiert hat.

Herzliche Grüße

Thomas
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Data

Re: Sind Depressionen ein Schutzschild?

Beitrag von Data »

Hallo Mad Max und Thomas,

sehr gute Beiträge, wie ich finde! Ihr trefft die Nägel auf die Köpfe!

Viele Grüße!

Data
ismile4you
Beiträge: 99
Registriert: 13. Feb 2003, 09:52

Re: Sind Depressionen ein Schutzschild? (Gedanken,lang)

Beitrag von ismile4you »

hallo ihr,

bin gerade über eure beiträge gestolpert und kann das nur bejahen, was ihr da schreibt zum thema schutzschild vor verletzung, flucht vor der übernahme der verantwortung für das Selbst ect. deshalb ist es auch so schwer auszubrechen. ich rede jetzt mal in der ich-Form, meine das aber nicht nur auf mich bezogen, sondern ganz allgemein:

das ausbrechen aus dem alten verhaltensmustern und depri-verhalten gelingt wohl erst wenn man, wenn ich ganz für mich persönlich, individuell, herausgefunden habe, was mich so verletzt hat, wovor ich solche angst hatte oder habe, vor was ich mich eigentich schützen musste/muss. erst wenn ich erkennen kann, dass es andere optionen gibt, dass ich mich auch anders verhalten kann, anderes (re)-agieren kann in diesen, bestimmten, individuellen situationen, also kurz, wenn mir klar wird, dass die alten verhaltensmuster heute als erwachsener mensch nicht mehr nötig sind, erst dann kann ich sie ändern und hinter mir lassen.

das zu erkennen ist das eine. das dann aber umzusetzen, ist das andere, das eigentlich schwere daran. denn zu wissen, dass es auch andere möglichkeiten gibt und diese dann auch umzusetzen - zwei paar unterschiedliche paar stiefel. denn das ganze läuft ja, meist seit vielen jahren, unterbewusst verautomatisiert ab. und das kennen wir, das ist uns nah. davon loszulassen, schafft erstmal große unsicherheit, eine lücke, eine leere, die gefüllt werden muss. ausserdem ist es so, dass ich im leben in vielen situationen erstmal erkennen muss, wo mein fehlverhalten, meine fehlreaktionen denn genau liegen um das dann auch zu ändern. meist gelingt es mir erstmal nicht, es fällt mir dann auf, es macht mich wütend (weil schon wieder versagt...), aber dann kann ich mir ja ganz fest vornehmen, das das nächste mal in der gleichen oder ähnlichen situationj besser zu machen.

gesunder egoismus. sich um mich selbst kümmern. auf mich achten. mich schützen. mich nicht mehr für andere verbiegen. mich wehren. mich auseinandersetzen. mich konflikten stellen. mich abgrenzen können. mich nicht mehr verstricken zu lassen in andere ihre probleme. die lösung nicht bei anderen suchen. selbst entscheiden. frei sein. einfach ich sein und mich so annehmen. auch mal einen fehler machen dürfen. mir selbst verzeihen können. für mich kämpfen können. mich selbst vertreten zu können. zu mir zu stehen. mir selbst wichtig sein. mir selbst das alles wert zu sein.für mich verantwortung übernehmen. -

Tja. wenn das so einfach wäre. ich bin dran. aber ich merke, ich falle immer wieder hin. und es schmerzt sehr. ich komme mir oft unendlich klein vor. es beschämt mich, mein leben so wenig im griff gehabt zu haben und zu haben und es die ganzen jahre nicht einmal gemerkt zu haben! fremdbestimmt. achtlos. mir selbst gegenüber wertlos. immer wieder selbstverletzend. und ich habe es noch nicht einmal gemerkt. es tut weh. ich denke oft während meiner VT die ich gerade durchlaufe, ich komme mir vor wie ein kleines kind, das zum ersten mal laufen lernt. - krabbeln klappt schon ganz gut, stehen und festhalten auch, aber alleine laufen? das braucht wohl noch viel geduld, aber ich werde es schaffen.

ich hoffe, ihr kapiert da draussen, was ich meine, weil ich so sinnbildlich schreibe....

grüsst euch alle

Ismile4you
cool
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Re: Sind Depressionen ein Schutzschild?

Beitrag von cool »

Liebe Tesora, lieber Tom (winke,winke) und natürlich auch ihr anderen Lieben !

Bei mir führten 3 Faktoren zum Ausbruch einer schweren Depression : genetische Disposition, Persönlichkeitsstruktur und soziales Umfeld. Die beiden ersten Faktoren haben bis Anfang 30 eher zu leichten depressiven Verstimmungen geführt, die mich nicht wirklich aus der Bahn geworfen haben. Ich konnte Schule/Beruf/Alltag bewältigen.
Anfang 30 zeichnete sich ein Konflikt ab, den ich trotz grösster Bemühungen nicht lösen konnte. Und die Depression hat mich aus dieser Situation sozusagen "rausgenommen". Der Preis war hoch, denn gleichzeitig kam auch mein sonstiges Leben/Erleben/Fühlen/Wahrnehmen zum Stillstand. Sicher war es eine unbewusste Schutzfunktion. Ich denke ein anderer Mensch an meiner Stelle hätte vielleicht ein Magengeschwür bekommen, wäre Alkoholiker geworden oder hätte eine andere schwere Krankheit entwickelt. Das hängt eben unter anderem von den oben genannten Faktoren ab. Ich kann also zustimmen, dass die Depression durchaus auch eine Schutzfunktion haben kann. Aber das ist es nicht alleine. Zuerst ist da entweder ein grosses Problem oder eine körperliche Ursache.
Ups, muss schnell weg. Schreibe später weiter. Cool
cool
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Re: Sind Depressionen ein Schutzschild?

Beitrag von cool »

Also weiter ......
Aber Depressionen sind nicht nur ein Schutzschild, mit Betonung auf "nur". Sie sind wirklich eine ernsthafte Erkrankung. Von Aussenstehenden wird unsere Erkrankung gerne heruntergespielt. Deshalb bin ich innerhalb des Textes von Tesora über dieses "nur" ein bisschen gestolpert. Wenn ich gesund bin und damit auch leistungsfähig, erledige ich auch unangenehmes irgendwann und freue mich wenn ich es erledigt habe und stelle mich auch sonstigen grösseren und kleineren Dingen des Alltags. In der Depression fällt alles schwer und selbst wenn man etwas geschafft hat, fehlt es an der Freude über den Erfolg.
Was mich immer traurig macht ist, wenn ich Leute kennen lerne, die schon sehr früh an einer Depression erkranken. Terosa, du bist ja erst Anfang 20. Ich konnte ja schon auf einiges im Leben zurückblicken. Hatte berufliche Erfolge hinter mir, habe mir in einer fremden Stadt ein eigenes Leben aufgebaut oder zum Beispiel schöne Reisen hinter mir. Ich hatte also einiges zum "Ausgraben", zum Erinnern : "Mensch, das hast du doch alles schon mal geschafft/gemacht." Was ich dir Terosa sagen will : Nimm die Depression als Krankheit an. Sage dir nicht, das ist ja alles n u r ein Schutzschild weil ich nicht will/kann. Und versuche dir eine Zukunft wie du sie für dich haben willst vorzustellen. Mir hilft es oft, wenn ich in Gedanken in die Zukunft überbrücke. Heute kann ein beschissener Tag sein, aber für die Zukunft plane ich realistische und konkrete schöne Dinge ein und arbeite darauf hin, o.k. zwar in kleinen Schritten, aber immerhin ! Im Chat hat vor kurzem jemand erzählt, er kann zwar im Moment nicht fürs Studium lernen, wegen mangelnder Konzentration, aber Literatur sammeln und sonstige Vorbereitungen gehen. Das finde ich einen sehr konstruktiven Umgang mit Situationen, wo halt nicht mehr alles geht. Und wenn halt nichts mehr geht, sollte man sich wirklich eine Auszeit nehmen und zum Beispiel auch an einen stationären Klinikaufenthalt denken. Und das ist kein Drücken vor dem Alltag oder gar Urlaub, sondern harte Arbeit an sich selbst.
Liebe Grüsse, Cool
tomroerich
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Re: Sind Depressionen ein Schutzschild?

Beitrag von tomroerich »

Hallo 4u,

ja ich verstehe jedes Wort. Stimmt auffallend, was du sagst. Nach der Erkenntnis, die oft so schwer gar nicht zu erlangen ist, kommt der weitaus schwierigere Teil, sich selbst zu ändern. Nichts ist schwieriger als das und du brauchst dazu Geduld und Geduld und Geduld. Aber der Erfolg wird sich einstellen, wenn du an dich und den Erfolg glaubst. Alles, an was wir glauben, stellt sich ein.
Und zu den Gehversuchen, wie du es so schön anschaulich beschreibst, wollte ich dir etwas sagen: Ich sehe es durchaus nicht so, dass die anderen, also die sog. Gesunden, ihr Leben im Griff haben. Vielmehr hat das Leben sie im Griff. Was so gesund auf uns wirkt ist das (vermeintliche) Fehlen von Konflikten, das scheinbar mühelose Bewältigen des Alltags, der Erfolg. Aber sehr viele davon sind gehetzte, getriebene Gestalten, die nicht das tun, was sie wollen sondern was sie sollen. Die könnten sich auch nur mit ebenso vielen Schwierigkeiten ändern wie du und ich, aber sie müssen es nicht und tun es darum auch nicht. Krisen und Krankheit sind eine Chance zur Selbstentwicklung und dazu, ein authentischer Mensch zu werden.

LG

Thomas
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tomroerich
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Re: Sind Depressionen ein Schutzschild?

Beitrag von tomroerich »

Liebe Cool,

*heftigzurückwinke*
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Tesora

Re: Sind Depressionen ein Schutzschild?

Beitrag von Tesora »

Danke für die vielen Beiträge von euch!

Der Beitrag von Ismile4you hat mich mal wieder zum Nachdenken gebracht. Sollte man alte, auf Dauer krank machende, Verhaltensmusterdann einfach ändern, um zu lernen mit verletzenden Situationen anders umzugehen und sie aktiv zu bewältigen, anstatt sie passiv durch eine Depression zu verarbeiten? Aber gerade wenn man eine Depression durchmacht, hat man das Gefühl, dass man eben nicht fährig ist solche Prozesse aktiv mitzugestalten! Ich frage mich manchmal, ob es mir was bringen würde, alte zwischenmenschliche Probleme (v.a. Zurückweisung)zu klären? Oder glaubt ihr dass das zu schmerzhaft sein könnte und die Situation bzw. Krankheit nur noch verschlimmern würde? Was denkt ihr darüber? Sollte man seinem in sich hineingefressenen Ärger vielleicht doch Luft machen um anschließend eine Erleichterung spüren zu können?

Gute Nacht
Tesora
ismile4you
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Re: Sind Depressionen ein Schutzschild? (lang)

Beitrag von ismile4you »

hallo tesora,
hallo all ihr anderen,

bin sehr müde und muss auch gleich ins heia-bettchen huschen, aber hier noch eine kurze antwort auf letzten beitrag: ich denke es macht immer sinn, an sich zu arbeiten, aber der zeitpunkt muss stimmen. die depression zeigt, dass mit der seele, mit dem selbst, mit dem ich, etwas nicht im gleichgewicht ist. etwas ist nicht in ordnung. die seele wehrt sich. ich persönlich habe auch schon bei mir selbst bemerkt, dass es situationen gibt, wo ich mich hinter der krankheit depression verstecke, weil das manchmal bequemer ist, als aktiv die dinge anzugehen. wenn ich erstmal im loch unten bin, sprich unter der decke, im bett oder auf der couch, mich zumache mit schlaf oder fernsehen und wegsehe, weil es zu sehr schmerzt hinzusehen, weil es zu sehr anstrengt, dann komme ich gleich in selbstvorwürfe, selbstanklage, schuldgefühle rein, die mich dann natürlich noch weiter runterziehen. wenn ich soweit unten bin, schaffe ich es nur noch mit der helfenden hand von aussen, das ist klar. aber das ist keine lösung, sondern nur eine überbrückung, denn ich kann von meiner umwelt als erwachsener mensch nicht erwarten, dass mir andere immer und dauerhaft helfen werden, mein leben zu bewältigen. und das würde mich auch nicht befriedigen. ich will selbst agieren, nicht nur reagieren. ich will selbst verantwortung für mein leben übernehmen. selbst entscheidungen treffen. dann kann ich stolz darauf sein, dann fühle ich mich als selbstbestimmtes, freies, vollwertiges gesellschaftliches wesen. ich möchte mich nicht mehr für andere verbiegen müssen, nur um zuwendung zu bekommen und ich will auch nicht mehr das dauer-sorgenkind in familie und freundeskreis sein, das jahrelang ständig jammerte aber ohne etwas zu ändern. ich will mich nicht von anderen abhängig machen, nicht von deren gutmütigkeit, menschlichkeit, güte und auch nicht von deren finanzen oder meinungen und entscheidungen. ich will endlich das sein, was ich bin und das leben, was ich schon immer leben wollte.

der zeitpunkt muss stimmen. ich musste 33 werden, um zu erkennen, dass ich mein bisheriges leben nicht gelebt habe, sondern immer auf der flucht vor meinen gefühlen war oder der anderen ihr leben gelebt habe, aber eben nicht meines. ich will nicht glücklich, aber ich will zufrieden sein können. mein ziel ist es, alt zu werden, aus der krise kraft zu schöpfen, an der krise zu wachsen und eines tages auf dem sterbebett sagen zu können, ich habe das beste gemacht, was mir möglich war, ich bin zufrieden damit und dann friedlich einschlafen. klar, ich habe auch manchmal schon gedacht, ich halte das nicht mehr aus, habe mir gewünscht, nicht mehr leben zu wollen, aber das ist keine lösung, das ist kein ausweg, davon bin ich überzeugt, denn es ist zwar ein mutiger, dennoch ein bequemer weg im vergleich dazu, wenn ich mich dem leben mit der krise, mit der depression stelle! es wäre flucht! und flucht ist auf dauer keine lösung. man muss sich dem stellen, auf in den kampf...

auch ich habe dinge in der kindheit erfahren und erlebt, worauf ich auch gerne verzichtet hätte. andererseits bin ich überzeugt, hat mich das auch stark gemacht. innerlich. es schmerzt immer noch und ich bekomme manche bilder auch nicht aus dem kopf, so sehr ich mir das letztes jahr wünschte, wo alles nochmal hochkam. aber - irgendwann habe ich begriffen, dass das leben nur vorwärts gelebt werden kann, aber nie rückwärts und dass diese bilder und dieser schmerz aus der vergangenheit eben vergangen sind und zu meinem leben dazugehören, vielleicht so etwa wie meine krumme nase die angeboren ist. aber es ist jetzt nicht mehr schlimm, denn es ist vorbei und ich brauche diesen schutz von damals nicht mehr, also brauche ich auch keinen neuen schmerz mehr. neuer schmerz, immer und immer wieder, zum beispiel weil ich mich immer viel zu schnell verliebt habe, fixiert auf den anderen, aufgegeben habe für den anderen, nur um ein bisschen liebe und geborgenheit, wärme und zuwendung zu bekommen. aber das was ich gesucht habe, war keine gleichberechtigte liebe, es war die liebe, die mir in der kindheit flöten ging. und der schmerz, der mit unerfüllten hoffnungen und unerfüllter liebe verbunden war, der mich seit der frühen pubertät begleitet, dieser ständige schmerz, ohne den ich mich selbst gar nicht spüren konnte, diesen schmerz, der mir so bekannt und so nah war wie einem säugling mutters brust, diesen schmerz den will ich jetzt nicht mehr. ich werde mich also nicht mehr so schnell verlieben wollen und schon gar nicht in einen partner, der gar nicht zu mir, zu meinen interessen und lebenszielen passt und die unzufriedenheit und depression wegen der selbstaufgabe und schliesslichen trennung schon vorprogrammiert ist. nein, ich brauche dieses ganze chaos nicht mehr und ich will diesen schmerz nicht mehr.

ich habe mich nach meinem klinikaufenthalt bzw. während diesem verliebt. kein einzelfall. aber recht schnell kamen diese ganzen, unverhältnismäßig intensiven gefühlswirren wieder in mir hoch und da meine hoffnungen enttäuscht wurden, war da auch wieder dieser schreckliche schmerz. leidenschaft die leiden schaft. nein, solche leidenschaft will ich nicht mehr. mir ist da erst das licht aufgegangen, was das ablief bei mir. ja, ich bin vor mir wieder mal geflüchtet, vor den realen dingen, die zu erledigen sind und doch so unangenehm sind, für die ich aber die verantwortung übernehmen muss. mein unterbewusstsein hat mich wieder mal ausgetrickst. ich habe doch was gelernt in der klinik. ich habe gemerkt, dass dieser tiefsitzende, wieder aufkeimende schmerz gar nicht zu der situation liebeskummer aktuell passte - es war der schmerz aus der vergangenheit. deshalb konnte ich auch nicht verstehen, warum es nach so kurzer zeit, wo alles eigentlich noch unverbindlich war (3 wochen) so sehr weh tat. flucht. flucht vor mir und vor der verantwortung. ich wollte mich wieder mal abhängig machen vom anderen und mir meine liebe aus der kindheit einfordern. aber diese damals verlorengegange, nie erhaltene liebe, die werde ich nie wieder bekommen, denn es ist vergangen.

ich glaube ich habe es dadurch letztich endlich kapiert. und - zurück zum thema schutzschild - es war jetzt einfach an der zeit, das schutzschild fallen zu lassen. ich wünsche mir sicher, das wäre schon vor 10 jahren passiert, aber ich kann die zeit nicht zurückdrehen und sehe inzwischen, dass ich noch glück habe, weil ich inzwischen viele menschen kennenlernen durften, die das erst mit 40 oder 50 oder 60 erkennen und beginnen, ihr leben zu ändern. somit habe ich ja noch zeit und vielleicht schaffe ich es ja dann sogar noch einen partner zu finden mit dem ich gleichberechtigt lieben darf? die hoffnung stirbt zuletzt.

sorry für den langen beitrag.
MadMax
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Re: Sind Depressionen ein Schutzschild?

Beitrag von MadMax »

Hallo Data!

Seid vielmals bedankt für die Blumen!

Viele Grüße,

Mad Max
MadMax
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Re: Sind Depressionen ein Schutzschild?

Beitrag von MadMax »

Hallo Tesora!

Ich bin der Meinung, Du solltest auf jeden Fall Altes aufarbeiten. Zusammen mit einem Therapeuten. Denn nur wenn Du alte Verhaltensmuster und deren Ursachen kennst, kannst Du zukünftiges Verhalten zum Postiven verändern. Natürlich kann diese Aufarbeitung zunächt sehr schmerzhaft sein, aber es lohnt sich! Und Du kannst Dir dafür Zeit nehmen. Du brauchst nicht sofort alles geklärt zu haben.

Viele liebe Grüße!

Mad Max
tomroerich
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Re: Sind Depressionen ein Schutzschild?

Beitrag von tomroerich »

Hallo Karin,

die folgende Geschichte wurde schon an anderer Stelle ins Forum gestellt aber ich finde, sie passt gut zu dem, was du sagst. Und na ja, gute Geschichten darf man auch ruhig mehrmals erzählen.

Sunny Saturday

Thomas

Die Palme umarmen

Wieder einmal wird Akbar von den Menschen der kleinen, am Meer gelegenen Stadt, in der er lebt, gebeten, ihnen eine Geschichte zu erzählen. Akbar: "Kommt heute abend an den Strand - dort unten, wo die hohe Palme steht."
Die Menschen kommen zusammen, sitzen unter dem Baum, und Akbar beginnt: »Kennt ihr das Wunder dieser Palme? Da oben in seiner Krone - viele, viele Meter über dem Boden - hegt ein schwerer Felsbrocken. Niemand weiß, wie der Stein dort hinaufgekommen ist. Ich will es euch erzählen." Und Akbar erzählt: "Da war vor Zeiten ein großes Kriegsheer, das in einer Schlacht in der Wüste weit fort von hier geschlagen wurde. Nur wenige der stolzen Krieger überlebten das Gemetzel. Ein einziger erreichte nach beschwerlicher Flucht das Meer an dieser Stelle. Tagelang hatte er keinen Tropfen Wasser getrunken. Dem Verdursten nah, stürzte er sich gierig auf die Fluten, trank und - schreckte zurück, denn das Wasser war salzig. Voller Wut warf er einen
riesigen Stein auf den Boden. Er traf eine kleine Palme, die gerade begonnen hatte, ihre ersten Sprossen durch den Sand zu strecken. Die Palme hätte sterben können. Jede andere wäre gestorben. Aber diese Palme wuchs dennoch, und sie begann, langsam und allmählich, den Stein, der auf ihr lag, zu heben. Wachsend hob sie ihn immer höher. Heute ist er so hoch, daß ihr ihn kaum noch sehen könnt ? dort oben in der Krone der Palme."
Die Zuhörenden schwiegen erstaunt. Akbar aber fügte an: -Seht diese Palme. Lernt von ihr." Die Menschen gingen nach Hause. Nur ein einziger blieb - ein alter Mann. Er trat zu Akbar und sagte: "Ich bin es gewesen, der den Stein geworfen hat. Es muß ein halbes Jahrhundert her sein ? oder noch länger."
Darauf Akbar: "Umarme die Palme. Bitte sie um Verzeihung. Bereue. Und dann gehe hin und tue einem Wesen, das so klein ist wie die Palme damals war - vielleicht einem Kinde - etwas sehr, sehr Gutes."
Betroffene für Betroffene

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tomroerich
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Re: Sind Depressionen ein Schutzschild?

Beitrag von tomroerich »

Hallo Tesora,

Karin sagt es: Der Zeitpunkt muss stimmen. Wenn es dir zu schlecht geht, ist eine solche Arbeit evtl. zu schwierig und frustriert dich zu sehr, weil du es nicht aushalten kannst, wie wenig sich zunächst tut.
Und noch eines finde ich sehr wichtig- du bist keine kaputte Maschine, die instand gesetzt werden muss, damit sie ihre Aufgabe wieder efüllen kann. Wenn du dich ändern möchtest, dann nur für dich, nicht für die anderen. Aus Liebe zu dir selbst, nicht aus dem Gefühl heraus, so nicht in Ordnung zu sein.

LG

Thomas
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ismile4you
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Re: Sind Depressionen ein Schutzschild?

Beitrag von ismile4you »

@ thomas: danke für die kleine geschichte.

gruss, karin
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