Biographie bearbeiten oder lieber nicht?

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DYS-
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Biographie bearbeiten oder lieber nicht?

Beitrag von DYS- »

Hallo Leser
Ich versuche mal zu schreiben und hoffe auf stressfreien Austausch

Also, bei meiner ambulanten Therapie soll ein sehr heikles und für mich belastendes Thema angesprochen werden. Alleine die Ankündigung meines Therapeuten, dieses Thema zu besprechen macht mir Angst.

Erst heute sagte er „nur“: „Wir müssen Ihre Biographie in nächster Zeit einmal genauer betrachten“ und bei mir verkrampfte sich alles. Ich bekam schlagartig Magenschmerzen und mir wurde schwindelig.
Habe mich bis heute Abend noch nicht richtig erholt.

Es ist nicht die Angst, vergangenes noch mal oder erst jetzt zu betrauern, es ist die Angst, alleine trauern zu müssen. Ich habe Angst, genau wie als Kind, etwas zu erleben und es nicht ausdrücken zu können.

Als Kind habe ich eine Fassade aufgebaut um mich zu schützen und irgendwie hat es ja auch geklappt. Schlechte Erfahrungen habe ich irgendwie vergraben um andern und auch mir kein Leid zu zufügen. Ich hatte zu keinem Menschen vertrauen.

Jetzt bin ich aber in einer ähnlichen Situation. Es gibt nur ganz wenig Menschen, denen ich vertraue. Dazu gehören leider nicht mein Therapeut und auch kein Familienmitglied.

Ich befürchte, mein Schutzschild nicht aufrechterhalten zu können. Ich bange, wieder alleine mit den Gefühlen zu stehen.
Ist es nicht manchmal besser, einfach das vergangene Ruhen zu lassen und nach vorne zu schauen? Soll man die schlummernden Hunde wecken?

Oder ist meine Befürchtung evtl. unbegründet? Kann ich vielleicht mehr ertragen als ich mir zugestehe? Würden sich vielleicht meine Albträume und Intrusionen durch die Bearbeitung meiner Kindheit bessern?

Ich weiß nicht ob dies alles nachzuvollziehen ist. Vielleicht schreibt ja jemand seine Meinung!

Gruß Dys
°^°^°^°^°^°^°^°^°^°^°^°^°^°^°

Gerade weil wir alle in einem Boot sitzen,

sollten wir heilfroh darüber sein,

dass nicht alle auf unserer Seite stehen.
Xenia
Beiträge: 2051
Registriert: 20. Apr 2003, 12:31

Re: Biographie bearbeiten oder lieber nicht?

Beitrag von Xenia »

Liebe Dys,

nur kurz:

Alpträume und Intrusionen sind ein deutliches Zeichen für mich, daß etwas "raus" muß. So lange Dich Deine Vergangenheit nicht in Ruhe läßt, kann ich mir nicht vorstellen, daß es eine gute Idee wäre, dorthin nicht zu schauen.

In Deiner Lebensgeschichte sind wahrscheinlich der eine oder andere Schlüssel für Dein heutiges <em>Über</em>leben vergraben. Und erst nachdem diese Schlüssel gefunden wurden und die entsprechenden Schlösser damit auf- oder zugeschlossen wurden, denke ich, wirst Du Deinen Frieden mit der Vergangenheit machen...

Ich denke also auch, daß Du nicht umhin kommst, Dir Deine Biographie ganz, ganz genau anzusehen. Das wird hölle schmerzhaft, aber im Endeffekt wirst Du gestärkt daraus hervorgehen. Meinst Du nicht?

Wünsche Dir alles Liebe

Xenia
°*°*°*°*°*°*°*°*°*°*°*




ТЪПАЦИ!!!
gfb
Beiträge: 1864
Registriert: 20. Feb 2005, 21:30

Re: Biographie bearbeiten oder lieber nicht?

Beitrag von gfb »

@Dys

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Also, bei meiner ambulanten Therapie soll ein sehr heikles und für mich belastendes Thema angesprochen werden. Alleine die Ankündigung meines Therapeuten, dieses Thema zu besprechen macht mir Angst.
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Ich ahne, was kommt!

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Erst heute sagte er „nur“: „Wir müssen Ihre Biographie in nächster Zeit einmal genauer betrachten“ und bei mir verkrampfte sich alles. Ich bekam schlagartig Magenschmerzen und mir wurde schwindelig.
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Die (meine) Biographie wurde bei meinem "bezahlten Freuind" im Erstgespräch und in den zwei probatorischen Sitzungen "näher" betrachtet; das war nicht schön, ganz und gar nicht.

Da kochte sofort die totale Scheiße (=Kindheit/Jugend) hoch und floss über...

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Habe mich bis heute Abend noch nicht richtig erholt.
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Ich kanns dir nachfühlen... -:(

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Es ist nicht die Angst, vergangenes noch mal oder erst jetzt zu betrauern, es ist die Angst, alleine trauern zu müssen.
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Du bist nicht allein! Du hast das KND und du hast deinenTherapeuten - und wenn du ganz viel Glück hast, gibt es auch im RL noch jemanden, mit dem du derlei bereden kannst.

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Es gibt nur ganz wenig Menschen, denen ich vertraue. Dazu gehören leider nicht mein Therapeut
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Woran liegt das? Den "ersten besten" genommen?

Evtl. einen anderen suchen?

Ohne Vertrauen zum "bezahlten Freund" gehts nun mal nicht (sag ich jetzt mal einfach so nach zweieinhalb Jahrzehnten Beschäftigung mit dem Thema "Therapie"...)

> und auch kein Familienmitglied.

Arrrrgh!

"Im Wort 'Familienbande' steckt ein Körnchen Wahrheit!" (frei nach Karl Kraus zitiert...)

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Ist es nicht manchmal besser, einfach das vergangene Ruhen zu lassen
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Das "Vergangene" (Kind bist du immer!) ist leiderleiderleider die Basis deines jetzigen Seins: du komst nicht aus dem luftleren Raum!

(Nimms mir nicht übel: mich hats auch ne Menge Kraft gekostet, das zu akzeptieren - und so richtig hab ichs immer noch n icht akzeptiert...)

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und nach vorne zu schauen? Soll man die schlummernden Hunde wecken?
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Die "schlummernden Hunde" schlummern nicht wirklich; beim einen oder anderen machen sie sich unüberhörbar bemerkbar...

Ich würde die Köter (meine Köter) auch am liebsten einschläfern, aber ich bin nun mal mit ihnen aufgewachsen - und muss insofern mit ihnen zurechtkommen - und mein Therapeut (tiefenpsychologisch orientiert) geht zu meinem Leidwesen ab und an ganz gerne mit diesen (meinen) Tölen Gassi

Was ich ihm hoch anrechne: wenn er merkt, dass mir das Gassi-Gehen zu viel wird, können wir jederzeit umkehren und "nach Hause" gehen (mit dem Wissen, dass am "nächsten Tag" (nächste Sitzung) die Töle sich wieder erleichten muss...

Kurz&knapp: Stress ohne Ende...

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Oder ist meine Befürchtung evtl. unbegründet? Kann ich vielleicht mehr ertragen als ich mir zugestehe?
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Ich wundere mich seit zweieinhalb Monaten, was der Mensch (in meinem Fall: ich!) alles ertragen kann. War mir vorher so noch nicht bekannt. Ist eine "interessante" (wenn auch äusserst schmerzhafte, Trennung, Gesundheitskram, Finazmisere etc.etc....) Erfahrung!

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Würden sich vielleicht meine Albträume und Intrusionen durch die Bearbeitung meiner Kindheit bessern?
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Welche Art von Therapie machst du?

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Ich weiß nicht ob dies alles nachzuvollziehen ist.
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Ist es! Du hast es hier mit "Profis" (oder *Profis* auf der Klientenseite?) zu tun...

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Vielleicht schreibt ja jemand seine Meinung!
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Das sollte (u.A.) hiermit geschehen sein.

Alles Gute und Grüße

Friedrich
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"Warum sind wir so kalt?

Warum? Das tut doch weh!"



Erika Mann, "Die Pfeffermühle"
susan
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Re: Biographie bearbeiten oder lieber nicht?

Beitrag von susan »

Liebe Dys,

wenig oder gar kein Vertrauen zum Therapeuten ist keine gute Voraussetzung, um die Reise in die Vergangenheit anzutreten. Es ist wichtig, dass der Therapeut "Hand in Hand" mit dir geht, dass er dich nicht überfordert, dass er achtsam ist und dass er dich auffängt, wenn nötig.

Wenn du ihm nicht vertraust, wenn dir seine Absichten Angst machen, kann es meiner Meinung nach nicht funktionieren. Hast du ihm gesagt, wie es dir mit seiner Ankündigung geht, erkennt er, dass es dir zuviel ist, weiss er, dass du ihm nicht vertraust? Sicher ist es nicht einfach, so offen darüber zu reden, aber ich finde, es ist Voraussetzung für eine für dich effektive Therapie. Hast du schon mal daran gedacht, dir einen anderen Therapeuten zu suchen?

Oft reicht ambulante Therapie nicht aus und ein Klinikaufenthalt kann mehr bewirken. Die Frage ist, ob es jetzt wichtig und richtig für dich ist, die Vergangenheit aufzuarbeiten. Wenn du dich nicht in der Lage dazu fühlst, geht es in erster Linie darum, stabil zu werden.

Gruss
Susan


AF
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Registriert: 6. Jun 2003, 11:47

Re: Biographie bearbeiten oder lieber nicht?

Beitrag von AF »

Hallo Dys
auch ich habe mehrfach eine Reise in meine Vergangenheit gemacht. Ich habe es per Tagebuch gemacht. Am Anfang war es nicht so schön ich kam in die Sachen hinein. Aber im Laufe der Zeit bekam ich den Überblick wo und warum die Sachen so liefen. Nachdem ich alles verdaut hatte ging es mir viel viel besser und ich konnte endlich mit meinem alten Depressiven Leben abschließen.
Ich kann Dir nur raten tue es, laß Dich aber voher gut beraten. Denn auch hier gibt es viele Fallstricke.
Gruß
Theo
DYS-
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Re: Biographie bearbeiten oder lieber nicht?

Beitrag von DYS- »

Hallo ihr Lieben

Danke für die Meinungen.

@Xenia,
eigentlich sehe ich es so wie du, Ich hätte ähnliches auf solch ein Posting geantwortet.
Aber, wie soll ich es erklären, ich befürchte einfach, ich kann dann meinen Kummer nicht mehr verbergen.
Ich habe keine Rückzugsmöglichkeit um "meine Wunden zu lecken". Im Idealfall ist natürlich ein Partner oder Freund/in an der Seite, der/die einen unterstützt. Bei mir ist es aber so, dass ich mir nicht meinen Kummer anmerken lassen darf.Es ist also genauso wie damals bei der kleinen Dys.

@Friedrich
Ich weiß nicht, woran es liegt das ich dem Therapeuten nicht vertraue, es wird aber schon etwas besser.
Es liegt sicher an mir, dass ich kaum jemanden vertraue.
Das Beispiel mit den "Tölen" ist einfach gut. Ich mache übrigens eine Verhaltenstherapie.

@ Susan
Wie schon beschrieben, das mit dem Vertrauen ist so eine Sache. Ich würde ihn gerne vertrauen und glauben,dass er mich auffängt, wenn nötig.
Aber vielleicht hast du mit der Frage, ob es zur Zeit für mich richtig und wichtig ist, die Historie zu bearbeiten auch recht. Ich fühle mich nicht stabil genug dazu.

@Theo
Hast du deine Vergangenheit ohne Therapeuten bearbeitet?
Von wem soll ich mich beraten lassen?

Euch allen ein dickes fettes DANKE
Dys
°^°^°^°^°^°^°^°^°^°^°^°^°^°^°

Gerade weil wir alle in einem Boot sitzen,

sollten wir heilfroh darüber sein,

dass nicht alle auf unserer Seite stehen.
AF
Beiträge: 412
Registriert: 6. Jun 2003, 11:47

Re: Biographie bearbeiten oder lieber nicht?

Beitrag von AF »

Hallo Dys
ich habe zuerst meine Biographie mittels eines Tagebuchs geschrieben und mich dann beraten lassen. Der Schritt umgekehrt wäre vielleicht besser gewesen. Beraten habe ich als allgemeinen Begriff genommen. Es gibt einige Gute Bücher die sich mit Tagbüchern auseinandersetzten (wo lauern die Fallen, welche Riskiken gibt es) bei Amazon kann man sie alle finden.
Gruß
Theo
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