Grenzen ziehen

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KaRo
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Grenzen ziehen

Beitrag von KaRo »

Hallo,

bin jetzt das 2. Mal hier. Das letzte Mal habt Ihr so nette Worte gefunden, vielleicht kann mir jetzt auch jemand helfen? Ich suche jemanden, mit dem ich mich zum Thema Nein-Sagen/Grenzen ziehen austauschen kann.

Habe eben leider wieder den Fehler gemacht und bin zu meiner Nachbarin 'rüber gegangen. Eigentlich weiß ich, daß sie mir im Moment nicht gut tut. Sie ist Hausfrau und redet ohne Punkt und Komma über ihren alltäglichen Sch... Ich arbeite Vollzeit (bin allerdings im Moment krank geschrieben), und eigentlich haben wir gar nix gemeinsam... Ich also rüber auf 'nen Kaffe. Wollte ich nett sein? War ich einsam? Wollte Ihr zeigen, daß es mir so schlecht gar nicht geht? Von allem etwas, schätze ich. Am Anfang war es auch ok, aber dannn hab ich gemerkt, daß ich mich völlig verliere. Höre ihr dann nur noch zu (oder tu so), sitze da und mache gute Miene zum (für mich) bösen Spiel. Warum tu ich mir das an, verdammt nochmal? Inzwischen hasse ich sie schon richtig, obwohl sie mir eigentlich am A... vorbeigehen könnte. Der Kontakt ist mir einfach zu eng. Mein Freund kennt solche Probleme nicht, er hat ein entspanntes Verhältnis zu ihr und ihrem Mann, deshalb werde ich auch immer wieder mit den beiden konfrontiert. Nun sind wir auch noch Samstag mit ihnen zum Fußball verabredet. Wenn ich daran denke, kriege ich jetzt schon die Krise!

Okay, genug erstmal. Vielleicht klingt es etwas wirr, aber es mußte echt mal 'raus.

Danke für's Zuhören und Gruß an alle,
Katja
geborgenheit
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Re: Grenzen ziehen

Beitrag von geborgenheit »

Hallo Katja

oft ist Nein-Sagen schwer, wenn man in sich selber unsicher ist. Man möchte von den Mitmenschen nicht verurteilt werden und sagt aus diesem Grunde einfach ja...

Du möchtest Dich besser abgrenzen können. Und das kannst Du lernen.

Ich selber weiss wie es ist, wenn man nicht nein sagen kann. Ich war Jahrelang eine "Ja-Sagerin". Zum Glück durfte ich lernen, dass es ganz wichtig ist, was ich in mir fühle. Und dass es selbstverständlich ist, dass ich zu diesen Gefühlen stehe. Und mit dieser Selbstverständlichkeit kann ich heute Nein sagen, wenn es gegen meine Gefühle geht.

Der Weg führt nicht über das Verurteilen, dass dies noch nicht möglich ist, sondern über das Annehmen, dass Du hier noch einen Weg vor Dir hast. Wenn Du versuchst, immer mehr in Dich hinein zu horchen, wer Du bist und was Du möchtest, dann wird es mit der Zeit auch immer einfacher, Dich abzugrenzen, wo es nötig ist.

Liebe Grüsse
Geborgenheit
KaRo
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Registriert: 1. Apr 2003, 04:57

Re: Grenzen ziehen

Beitrag von KaRo »

Hallo Geborgenheit,

vielen Dank für Deine Nachricht. Du hast natürlich Recht, ich sollte mich nicht noch beschimpfen dafür

Es ist nur so, daß ich es schon länger versuche und in allen möglichen Bereichen immer wieder über meine Grenzen gehe, ohne es zu merken. Wenn ich es dann endlich mitkriege, z. B. vor zwei Wochen durch eine Panikattacke, ist es schon längst zu spät. Zum Glück habe ich mich diesmal wenigstens gleich krank schreiben lassen und nicht noch wochenlang die Fassade aufrechterhalten, bis ich ich mehr weiß, wo oben und unten ist. Bleibe diese Woche auf jeden Fall noch zuhause. Komme im Augenblick wohl am besten alleine klar. Natürlich bin ich aber trotzdem froh, wenn mein Freund abends von der Arbeit kommt, so muß ich nicht auch noch die Nacht alleine durchstehen. Selbst wenn wir getrennt schlafen

Viele Grüße an Dich,
Katja
geborgenheit
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Re: Grenzen ziehen

Beitrag von geborgenheit »

Liebe Katja

entschuldige, dass ich so lange nicht geantwortet habe. Ich war beruflich viel unterwegs...

Ich finde es ganz toll, dass Du es diesmal nicht auf die lange Bank geschoben hast und Dich ernst genommen hast, indem Du Dich krank schreiben liessest.

Machst Du eigentlich eine Therapie? Mir hat es sehr viel gebracht, in der Therapie daran zu arbeiten, wie und wo ich mich abgrenzen kann. Zeitweise hatte ich das Gefühl, dass ich jedes einzelne Ding in meinem Leben einzeln anschauen müsste und neu einordnen müsste. Aber es hat sich gelohnt. Heute kann ich mich viel besser abgrenzen und damit geht es mir auch viel besser.

Ich wünsche Dir, dass es Dir gelingen mag, Deine Grenzen zu spüren und sie zu schützen.

Liebe Grüsse
Geborgenheit
KaRo
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Re: Grenzen ziehen

Beitrag von KaRo »

Hallo Geborgenheit,

vielen Dank für Deine Nachricht. Du hast doch gleich am nächsten Tag geantwortet, das hat mir nicht zu lange gedauert

Inzwischen geht es mir zum Glück ein bißchen besser. In der letzten Woche bin ich viel spazieren gegangen, habe es auch mal geschafft, joggen zu gehen. Ansonsten habe ich ein bißchen was im Haushalt erledigt und meine Steuererklärung hinter mich gebracht. Damit ist mir ein Riesenstein vom Herzen gefallen! Die Panikattacken sind nicht wieder gekommen, jedenfalls nicht in dem Horrorausmaß wie noch vor zwei Wochen. Natürlich ist die Krise noch nicht vorbei, aber immerhin habe ich den Alltag einigermaßen aufrecht erhalten, auch wenn es unglaublich anstrengend ist. Ich sehe inzwischen wieder ein bißchen Licht und kann die Dinge wenigstens wieder ein bißchen realistischer beurteilen.

Ja, ich mache seit 1 1/2 Jahren eine Therapie und habe dort auch schon einiges gelernt. Aber nach so einem Rückschlag denke ich manchmal, es ist soviel, was ich mir ansehen, neu beurteilen und ändern muß, daß ich es nie schaffe. Dazu kommt natürlich dann die Angst, daß die Kasse irgendwann nicht mehr zahlt und ich dann plötzlich allein in dem ganzen Sumpf sitze. Ich habe auch einfach ewig gebraucht, bis in der Therapeutin einigermaßen vertrauen konnte.

Diese Woche bin ich noch krank geschrieben und werde Ostern mit meiner Familie und meinem Freund verbringen. Hoffentlich kann ich so viel Nähe ertragen (das ist eins meiner Hauptprobleme), aber alleine zu sitzen und zu grübeln ist auch keine Alternative...

Ab Dienstag werde ich versuchen, wieder arbeiten zu gehen. Vor der Arbeit selbst habe ich zwar keine Angst, dafür umso mehr vor den Leuten und der Frage "Was hattest Du dennn?" Da kann ich mich dann gleich weiter im Grenzen schützen üben, seufz. Im Moment ist das Leben wieder mal echt anstrengend

Für heute genug und alles Liebe,
Katja
tomroerich
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Re: Grenzen ziehen

Beitrag von tomroerich »

Hallo Katja,

ich denke, du sprichst mit dem "Grenzen- Ziehen"ein ganz zentales Thema an, das für die Krankheit von allergrößer Bedeutung ist. Nach meinen schweren Depressionen von 1994-1997 war dies die zentrale Frage für mich und auch die klare Erkenntnis, dass ich mich schlicht nicht traute, mich abzugrenzen. Ich sah es regelrecht als meine Rolle an, nicht bei mir, sondern bei den anderen zu sein, eigentlich in jeder Situation. Mir fiel bald auf, dass ich ständig in Gedanken und Gefühlen die Belange anderer im Kopf hatte, selbst in banalsten Situationen, wie z.B. beim Einkaufen. Da achtete ich nämlich ständig darauf, anderen bloß nicht mit meinem Einkaufswagen im Weg zu sein und hatte dabei sogar hinten Augen. Ganz anders die Miteinkäufer: Die bleiben seelenruhig mitten vorm Regal stehen und drehen Konservendosen hin und her um zu lesen, was da wohl drauf steht.

So ging das auch beim Straßenverkehr, in meinen Beziehungen, bei der Arbeit. Immer schön schauen, was der andere so braucht.
So ein Verhalten wird noch dadurch unterstützt, dass man es für sich selbst als moralisch positiv ausschlachten kann, man steht ja ganz sauber da, wenn man so ist.
Und mir wurde klar, dass dieses "Immer-beim-anderen-sein" schlicht dazu führt, dass man sich selbst nicht mehr spürt und nicht mehr weiß, was man denn selbst gerade gerne hätte.
Wie du mit der Nachbarin. Da ist vielleicht Langeweile, Ärger, Ungeduld aber du traust dich nicht, das auch zu fühlen und evtl. auszudrücken und nichts davon wird sich auf deinem Gesicht oder deinen Gesten wiederspiegeln. So erfährt die Nachbarin auch nichts von deiner Gemütsverfassung und redet munter weiter. Du selbst wirst hilflos, weil eigentlich keine Kommunikation stattfindet, in die du dich mit deinen Empfindungen einbringst, sondern du wirst zur Erdulderin der Belange anderer.

Ich glaube, das ist ein ganz wesentliches Muster der Depression, dass man durch das Fehlen dieser Grenzen ständig Energien abgibt und keine aufnimmt. Bis das Feuer eben aus ist.

Herzlicher Gruß von

Thomas
Betroffene für Betroffene

http://www.depressionsliga.de
Annie
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Registriert: 16. Apr 2003, 20:01

Re: Grenzen ziehen

Beitrag von Annie »

Liebe Katja,
was Du da schreibst, kenne ich sehr gut. Ich halte auch alles aus, ohne eine Miene zu verziehen und dann komme ich heim und bin so unglücklich, daß ich nicht mehr weiterleben möchte und bin tagelang depressiv. Versuche Dich so wenig mit Menschen abzugeben, die Dir nicht guttun, d.h. die Dir nicht zuhören wollen und nur von sich erzählen.
Du mußt Dir das nicht alles klaglos anhören. Versuche das nächste Mal ihr zu sagen, daß Du leider keine Zeit hast. Sei lieber etwas "egoistisch" und tu etwas, was DIR gut tut. Du solltest Dir immer am nächsten sein (ich selber muß mir das auch immer vorsagen, da ich genauso dazu neige, mich um andere, aber nicht um mich zu kümmern).
Ich wünsche Dir für die nächste Begegnung mit Deiner Nachbarin die Kraft "nein" zu sagen.
Viele Grüße
Annie
geborgenheit
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Re: Grenzen ziehen

Beitrag von geborgenheit »

Liebe Katja

ja, seine Grenzen zu schützen, das ist oft sehr schwierig. Und doch denke ich, dass es ein Muss ist, es zu tun.

Ich kann mir gut vorstellen, dass es ungewohnt ist, wieder den Menschen zu begegnen und eine gewisse Unsicherheit besteht, wie Du Dich wohl am Besten verhalten sollst.

Dabei denke ich, dass es sicher hilfreich ist, wenn Du an diese Situation ein wenig "egoistisch" herangehst. Wenn Du versuchst, ganz deutlich in Dich hineinzuhorchen, was Du fühlst und wo Deine Grenzen sind, dann kannst Du diese wahrnehmen und auch schützen. Die Angst, deswegen abgelehnt zu werden, kenne ich auch. Aber sie hilft letzlich nicht weiter. Seit einigen Jahren versuche ich so zu leben und mich so zu geben, wie ich mich auch fühle. Das Risiko, deswegen abgelehnt zu werden, nehme ich gerne in Kauf. Denn auch wenn ich abgelehnt werden sollte, so habe ich doch mein Leben gelebt und muss dann nicht noch zusätzlich meinem verpassten Leben nachtrauern.

Ich hoffe, dass es Dir gelingen mag, Deine Grenzen zu spüren und zu ziehen. Es scheint mir ein wesentlicher Schritt zu sein.

Grenzen ziehen ist anstrengend, ja. Aber es lohnt sich. Sich selber wahrnehmen und für sich gut zu sorgen ist etwas ganz Wichtiges.

So wünsche ich Dir einfach ein gutes Grenzen ziehen!

Liebe Grüsse
Geborgenheit

@Thomas: Dein Beitrag hat mich sehr angesprochen. Danke!
tomroerich
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Re: Grenzen ziehen

Beitrag von tomroerich »

Liebe Geborgenheit,

ich danke dir für deine Rückmeldung. Einfach nur wahrgenommen zu werden, ist schon sehr viel wert!

Lieber Gruß von

Thomas
Betroffene für Betroffene

http://www.depressionsliga.de
geborgenheit
Beiträge: 178
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Re: Grenzen ziehen

Beitrag von geborgenheit »

Lieber Thomas

gern geschehen ! Deine Beiträge nehme ich durchaus wahr...

Liebe Grüsse auch Dir
Geborgenheit
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