Morgengrauen

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gisela Eschenbach
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Beitrag von gisela Eschenbach »

Das berüchtigte Morgengrauen ist das, was mich im Augenblick nach Überwindung einer Depression vor fünf Jahren noch quält. Aufstehen geht gerade noch, weil ich genau weiß, daß Liegenbleiben mir ein noch schlimmeres Gefühl vermittelt, vor dem ich soviel Angst (im untechnischen Sinne) habe, daß Aufstehen gerade noch klappt. Aber dann geht es aufs Sofa und alle Belastungen aus Gegenwart und vergangenheit mit fürchterlichen Vorstellungen für die Zukunft prasseln auf mich ein, verbunden mit dem berühmten "Bleiplattengefühl", mit dem ich immernoch nicht klarkomme. An den meisten Tagen hebt sich die Bleiplatte und ich kann unter ihr im Laufe des Tages hervorkrabbeln. Gibt es einen Trick, einen Kniff o.ä., mit dem ich dem Morgengrauen entgehen kann, weil mir das immer das Gefühl gibt, es ginge wieder los. Mir ist klar, daß es bei vielen momentan brennt, wäre dennoch für jeden Rat dankbar. Nur der Vollständigkeithalber: Mir ging es vor fünf Jahren elend, ich war über Monate wie erstarrt, jetzt -hoffentlich- nur das kleine Morgengrauen. Es geht also, man schafft es, nicht aufgeben !
waltraut
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Beitrag von waltraut »

Liebe Gisi,oja,dieses gefühl kenne ich leider sehr gut.Man kann nicht aufstehen,aber liegenbleiben ist noch schlimmer. Ich krieg da manchmal richtige Panikzustände,die mich dann aus dem Bett treiben. Frühstücken und meist auch zeitunglesen geht dann einigermaßen,aber danach kommt erst mal ein totaler Einbruch,tödliche Müdigkeit und das Gefühl,dem Tag absolut nicht gewachsen zu sein. Vor zwei Jahren in der Klinik habe ich ein Gedicht drüber geschrieben(findest Du im Forum unter Gedichte).Ich will dann nur noch in eine Ecke wie ein Hund und mich am liebsten auflösen und nicht mehr da sein. Was hilft??? Ich weiß nicht,ob es irgendwelche Tricks gibt,aber mir helfen zwei Dinge: das Morgengrauen muß keineswegs ein Vorbote eines neuen Schubs sein,es ist einfach eine eigenständige Krankheit wie Migräne,mal besser,mal schlimmer,aber man kann es irgendwie aushalten und es geht immer wieder vorbei!Das Aushalten und Warten,Hinnehmen ohne zu versuchen,ein warum und wieso zu finden,ist eine große Hilfe.Denn die Verzweiflung über diesen Zustand finde ich oft viel schlimmer als den Zustand selbst,so schlimm der auch ist. Ich habe viel öfter erlebt,daß es wiexder vorbeiging,als daß es sich wieder zur großen Katastrophe steigerte... Das zweite ist,daß ich diesem Gefühl der Schwäche und Ohnmacht zunächst einmal nachgebe,ohne mich dafür zu beschimpfen.Ich denke mir,die Seele verlangt eine Pause,vielleicht hab ich mich wieder mal überfordert.Ich leg mich dann noch mal hin,je nach dem wie schlimm es ist,ein paar Minuten oder stunden oder auch Tage und igel mich richtig ein,ohne zu denken,es tut einfach weh und ich versuch mich selber zu trösten,es geht vorbei! Und dann mach ich ganz kleine Schritte,die mechanischsten Tätigkeiten,die ich kenne,etwas wegräumen,Geschirrspüler ausräumen,betten machen,irgendwas was mich nicht beansprucht und finde in dieser automatischen Tätigkeit langsam wieder Boden,bis ich es schließlich schaffe,aus dem haus zu gehen,zur Arbeit,einkaufen oder einfach ein paar Schritte um den Block.Damit ist das Schlimmste meist überwunden und ich hab wieder einen Tag gewonnen. Vielleicht gibt es noch andere in diesem Forum,die auch ihre Erfahrungen gemacht haben,bitte meldet Euch,weil es trotz aller Zuversicht verdammt schwer ist,fast jeden Morgen mit diesem Gespenst umzugehen...Dir alles Liebe,Waltraut
titanic
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Beitrag von titanic »

Hallo Waltraud, Hallo Gisi, "Gespenst"- das ist der richtige Ausdruck. Ich kenne das morgendliche Gespenst leider auch nur zu gut: Das Gefühl, dem Alltag nicht gewachsen zu sein, das Gefühl, dass einem die Probleme wie eine Riesenwelle überschwemmen und die Sehnsucht, sich einfach in Luft aufzulösen und nicht mehr da zu sein. Trotzdem schaffe ich es noch, täglich in mein "Hamsterrad" zu springen und meinen Tag irgenwie zu bauen. Ich weiß aber auch, dass viele Depressive nicht einmal mehr in der Lage sind, morgens aufzustehn. Davor habe ich große Angst und hoffe, dass ich nie in diese Situation komme. Keiner in meinem Umfeld hätte je Verständnis dafür. Ich habe das Gefühl, ich darf mich nicht einen einzigen Tag ausruhen... The Show must go on... Ich bin so erschöpft, und kann trotzdem nicht schlafen. Viele Grüße von Titanic
gisela Eschenbach
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Beitrag von gisela Eschenbach »

Hallo, Waltraud und Titanic, vielen Dank für Eure Nachrichten. Ich merke mal wieder -wie schon in der Gruppentherapie damals- daß es von großem Wert ist, nicht lange erklären zu müssen, wie es sich anfühlt und genau zu wissen, daß mir niemand kommt mit diesem verfluchten "jetzt reiß` Dich mal zusammen". Man bekommt das Gefühl, man kann es schaffen, da es Leute gibt, denen es genau so dreckig ging und die es jetzt im Griff haben. Was bleibt, ist die Angst, es könnte wieder hart zuschlagen und mich erstarren zu lassen. Titanic, Dir geht es wohl momentan ziemlich übel, kann ich was tun ? Im Augenblick grassiert doch die Magen-Darm-Grippe, Erkältungen und man kann ja auch mal mit dem Fuß umknicken. Mein Psychologe hatte immer einen "neutralen" Arzt an der Hand, damit die Krankschreibung keinen Rückschluß auf die Erkrankung zuließ. Natürlich dürfte sich dann bei Dir für den Fall, daß Du zu Hause bleiben kannst, nicht das Gefühl einstellen, jetzt hättest Du schon wieder verloren. Also schön planen und aktiv ausruhen und abhängen, das positiv entgegennehmen und es nicht für eine Niederlage halten. Es geht vorbei, es wird besser, ich weiß das. Morgen früh werde ich an Euch denken. Alles Liebe !
titanic
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Beitrag von titanic »

Hallo Gisi, vielen Dank für den Tipp mit dem Krankschreiben lassen. Mein Arzt würde mich auf jeden Fall öfter mal krankschreiben. Daran hängt's nicht. Aber Arbeiten gehen hat auch manchmal was Gutes: Man grübelt nicht ständig nach. Ich habe schon die Erfahrung gemacht, dass ich mit Tränen in den Augen und dem Gefühl, alles nicht zu packen, ins Büro gegangen bin und plötzlich ist dann doch wieder alles ganz OK, sei's die Ablenkung, sei's ein witziger Kollege, der es geschafft hat, mich aufzumuntern. Als es mich wirklich vor kurzem auch körperlich "flachlegte", weil ich so gut wie nichts mehr essen konnte, war ich eine Woche krankgeschrieben, was mir auch sehr gut tat. Hinterher erfuhr ich dann, dass mein Chef (keine weitere Beschreibung...) gleich Ausschau nach einer anderen Kraft gehalten hat, weil er wohl befürchtete, ich käme nicht mehr. Klasse, was? So ist das halt mit den sogenannten "Geringfügigen Beschäftigungs-verhältnissen". Während einer Krankheit bekomme ich auch kein Geld gezahlt und die ganze Arbeit bleibt liegen....nicht gerade sehr aufmunternd. Aber wenn alle Stricke reißen, ist mir das auch egal. Früher oder später möchte ich eh da weg. Ich wünsche euch allen einen schönen Tag Titanic
waltraut
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Beitrag von waltraut »

Liebe Titanic,die Angst vor dem Absturz ist schlimmer als die Depression selbst,aber glaub mir,es geht alles ganz anders aus,als man es befürchtet. Ich hab es erlebt nach vollkommenem Zusammenbruch,der sich vor niemandem verheimlichen ließ.Die Sache mit Deiner Arbetit ist sicher kritisch,aber Du sagst ja selbst,Du möchtest was anderes. Wenn Du wirklich mal flachliegst,findet sich jemand,der dir wieder aufhilft oder noch besser,du findest selber in dir kräfte,die du gar nicht vermutet hast.Eine Tür geht zu und eine andere öffnet sich,die man vorher gar nicht gesehen hat.Du bist viel stärker als du denkst und das äußere Leben kann noch ganz anders aussehen. Magst du mal von deiner Arbeit erzählen und was du lieber tun würdest? Dir und Gisi alles Liebe Waltraut
waltraut
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Beitrag von waltraut »

Entschuldige wenn das alles ein bißchen schlau klingt,aber es ist mit allem Schmerz erlebt..
titanic
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Beitrag von titanic »

Hallo Waltraud! Ganz doll lieb, wie du heute vormittag geschrieben hast. Das hat mich sehr aufgebaut. Ich glaube dir, dass du deine erlebten Erfahrungen schilderst. Ich denke, du hast schon ein paar Jährchen mehr Depression auf dem "Buckel" als ich. Ich habe ja erst vor kurzem eingesehen, dass da mehr im Busch ist als nur eine Schlafstörung. Dazu mußte ich aber erst einmal eine Bruchlandung machen. Ja, was meine Arbeit betrifft: Wie gesagt, ein geringfügiger Job, zwei bis dreimal pro Woche halbtags, ich schreibe die Korrespondenz (auch Englisch) für den Geschäftsführer. Aber das Betriebsklima ist durch den Chef bedingt mehr als erdrückend. Er lässt keinerlei eigene Ideen zu, alles muß genau "in seine Form" passen, und Schikanen sind an der Tagesordnung. Und das lähmt total, macht uns alle immer resignierter. Seit 6 Jahren, wo ich dort bin, ist ein ständiges Kommen und Gehen an Mitarbeitern. Mind. drei Kollegen sind gegangen, nachdem sie ernsthafte psychische Probleme bekamen. Sicher nicht nur wegen des Betriebsklimas, aber auch. Ich kann dir gar nicht sagen, wie lange ich schon nach einem neuen Job suche. Die Angst, vom Regen in die Traufe zu kommen, ist größer als der Mut, was neues zu beginnen.... Ganz liebe Grüße Titanic
gisela Eschenbach
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Beitrag von gisela Eschenbach »

Hallo, Ihr Lieben ! Ich fühle mich um Klassen besser und leichter, seit ich mich hier gemeldet habe und hoffe, ich kann ein wenig behilflich sein. Deshalb für Titanic meine Job-Geschichte: Ich habe fast drei Jahre in einem Büro von morgens 7.15 bis abends 20.30 bei einem verhaltensgestörten Chef geknechtet, der schrie und/oder zur Stafe schwieg, Türen warf, nicht in der Lage war, mich vor Mobbing-Attacken seiner Mitarbeiter zu schützen. Das Morgengrauen war schier unerträglich, nur die Angst vor der Sanktion (s.o.) hat mich morgens aus dem Bett getrieben. Eines Tages habe ich mich entschlossen, dort früher oder später -je nach Jobangebot, und die sind in meinem Beruf ganz ganz dünn gesät- nach meinem Willen zu kündigen, ich würde entscheiden, wann dort Schicht ist. Das hat erstaunlicherweise schon etwas geholfen. Dann habe ich -nicht besonders intensiv- gesucht und einen neuen Job gefunden (ich hätte auch bei Saddam Hussein angefangen). Wie ich die Vorstellungsgespräche geschafft und die Leute überzeugt habe, weiß ich bis heute nicht: Klein, schwach, blaß. Aber es hat geklappt: Montagmorgen die Zusage, mittags den Vertrag unterschrieben, abends gekündigt (und anschließend geweint) und mittwochs angefangen. Und bei welchen Chefs: Die haben es begriffen, durch gutes Betriebsklima die Leistungsfähigkeit ihrer Mitarbeiter anzuregen. Kein böses Wort in über einem Jahr, Kopfschütteln, wenn ich fragte, ob ich wegen meiner kranken Katze eher gehen könnte, mehr Gehalt ohnehin. Nur ich mußte mich gewöhnen, daß ich nicht mit der Kaffetasse (beim alten Chef mußten wir den bezahlen) durchs Treppenhaus zu rasen, damit ich da bin, wenn meine Chefs mich anrufen. Ich habe Wochen gebraucht, bis ich merkte, daß die mich nicht anrufen. Die interessieren sich nicht für mich, solange der Job stimmt. Ich habe aber immer noch wenn nicht Angst doch Bedenken, wenn ich eine Akte auf den Tisch bekomme, auf der steht;Bitte Rücksprache, Chef. Du siehst, es geht, solche Jobs gibt es. Mach Dich frei von den Schikanen ("seit wann haben Sie Ihr Problem mit Ihrem zu kleinen Penis ?"). Erlaube denen nicht, Deine Lebensqualität einzuschränken! Insoweit wünschte ich mir, eine Scheibe von der Einstellung eines meiner Chefs zu haben, denn der -und kein anderer- bestimmt, über wen er sich aufregt. Im nächsten Job kann es doch kaum noch schlimmer kommen. Paß gut auf Dich auf ! Alles Liebe an alle
titanic
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Beitrag von titanic »

Hallo Gisi, heute (aus Zeitmangel) einfach nur ein dickes DANKE für deine liebe Antwort. Ich werde mich in Zukunft stärker in der Jobsuche engagieren!!!! Euch allen einen schönen Tag und viele Grüße Titanic
waltraut
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Beitrag von waltraut »

Hallo Titanic und Gisela, wie geht es Euch? Lieben Gruß Waltraut
gisi
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Beitrag von gisi »

Hallo Waltraut ! Schön von Dir zu hören, ich hoffe, es geht Dir gut und auch Titanic hat alles etwas besser im Griff. Mir geht es so lala, ich ärgere mich (im günstigsten Fall) bzw. erschrecke mich (wenn ich nicht so stabil bin), wie groß meine Abhängigkeit von meiner Umwelt ist: Laufen Sachen besser als erwartet, bin ich obenauf und nehme mir (zum ungefähr zweimillionsten Male) vor, daraus meine Lehre zu ziehen, nämlich, daß es gar nicht so schlimm wird. Hilft aber gar nix, bei jedem kleinen Anlaß male ich mir das schlimmste aus und bin wie gelähmt, was dann natürlich auch dazu führt, daß ich vieles erst recht spät in Angriff nehme, dabei natürlich in Streß gerate, der mir gar nicht gut tut und vorher tüchtig Angst hatte. Bis zu einem gewissen Grad stehe ich mir selbst im Weg. Das Morgengrauen war heute anders (oder etwa stärker ?): Ganz ruhig, ohne Angst, aber arg gelähmt. Dennoch: Ich bleibe dran, ich will das schaffen ! Gut tun mir soziale Kontakte, das ist ganz wichtig für mich. Deshalb lieben Dank für die Nachfrage. Nur allein zu Haus ist der direkte Weg nach unten für mich. Titanic, was macht der Job ? Gibt es da nicht doch die Möglichkeit, mit jemandem solidarisch zu werden oder sich auf etwas (meinetwegen auch Banales) zu freuen. Ich wünsch`Dir das. Liebe Grüße, Gisi
titanic
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Beitrag von titanic »

Hallo Gisi, Hallo Waltraud, Danke der Nachfrage. Zur Zeit genieße ich meinen Job, mein Chef befindet sich auf Geschäfts- reise :-) einfach herrlich (das ist doch was ganz Banales zum Freuen!). Arbeiten in Ruhe und Frieden, ein bisschen zwischendurch schnacken mit den Kollegen. Trotzdem wird die Arbeit bewältigt, nur mit mehr Gelassenheit - Warum kann das nicht immer so sein? Letzte Woche hatte ich eine Bewerbung laufen- leider "ein Griff ins Kloo". Es hat nicht sollen sein. Ansonsten geht's mir z.Zt. ganz manierlich, außer dass ich wieder mal meine "nachtaktive Phase" habe, d.h. abends einfach nicht müde werde (viel zu aufgedreht), dann schließlich resigniert ca. um 2:00 Uhr zur Narkotisierung eine Tablette einschmeiße und morgens um 6:00 ist die Nacht wegen der Kinder leider wieder zu Ende. Morgengrauen? Weiß nicht - darüber kann mein Gehirn morgens noch nicht nachdenken. Ich weiß nur, dass es im Laufe des Tages besser wird. Ich wünsche euch allen ein gut's Nächtle und grüße euch ganz lieb! Titanic
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