Offenen Auges Richtung Burnout?

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bgdjay
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Registriert: 10. Nov 2013, 18:58

Offenen Auges Richtung Burnout?

Beitrag von bgdjay »

Liebes Forum,

ich bin neu hier, gerade ziemlich durch den Wind und auf der Suche nach Rat. Danke schon jetzt für's Lesen und eure Tipps!

Hier meiner Geschichte:

Ich habe vor ein paar Monaten meinen Job gewechselt und schlittere gerade in eine Mischung aus Depression und Burnout. Vieles an meinem neuen Job war bei Arbeitsantritt nicht so, wie abgesprochen. Es gab einige Überraschungen. Vor allem bin ich unerwartet und ungefragt in eine Führungsposition gerutscht, die mich jetzt völlig überfordert.

Ich schlafe schlecht, auch am Wochenende, träume immer von der Arbeit, bin angespannt und unruhig und kann so gut wie nie abschalten. Am Abend drehen die negative Gedanken im meinen Kopf ihre Endlos-Loopings, und morgens komme ich kaum aus dem Bett. Ich verspüre eine große Leere in mir, Erschöpfung – dazu häufig Verzweiflung und Perspektivenlosigkeit.

Erstaunlich ist, dass ich im Büro funktioniere – anscheinend sogar gut. Auch der Umgang mit den Kollegen klappt harmonisch und locker. Ich kämpfe mich mit viel Kraft durch die Tage und meine Arbeit, denke dabei kaum nach. Sobald ich abends dann aber das Büro verlasse, falle ich in ein tiefes Loch aus Depression und Angst. Angst vor dem nächsten Tag und seine Aufgaben, Angst vor dem Burnout und um meine Gesundheit. Angst davor, beruflich auf dem falschen Dampfer zu sein, aber keine Alternativen zu haben.

Meine großen Probleme sind:

Ich schaffe es zeitlich nicht, professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen. Ich bin einfach zu lange im Büro. Ich hatte bereits einen Termin mit einer Therapeutin. Es hat ewig gedauert, ihn zu organisieren. ja sogar die Zeit zu finden, sie überhaupt anzurufen und einen Zeitpunkt zu vereinbaren. Das Erstgespräch war gut. Sie konnte mir aber keinen Therapieplatz am Abend oder Morgen anbieten.

Momentan bin ich irgendwie im Autopilot-Modus und erkenne meine Bedürfnisse aber auch meine Grenzen nicht mehr. Ich fühle mich wie in einem Sportwagen mit angebundenem Gaspedal – und kann die Dimension meines Problems kaum greifen. Wie schlimm ist das eigentlich alles gerade?

Andererseits fühle ich, dass da gerade was sehr Ungutes mit mir passiert und ich dringend Hilfe brauche – gleichzeitig habe ich unglaubliche Angst, meinen Job einfach hinzuwerfen – und dann eventuell keine neue Stelle zu finden.

Vor allem verliere ich langsam den Glauben, dass es in meiner Branche eine Stelle gibt, die zu mir passt. Ich habe in meinen letzten Jobs immer mein Bestes und mehr gegeben, habe auch sehr gute Zeugnisse bekommen. Irgendwie bin ich aber nie glücklich geworden – habe nie eine vernünftige Balance aus Freizeit und Arbeit hinbekommen.


Ich bin Akademiker, jetzt knapp 40 Jahre alt, Single.

Wie könnte ich meine Probleme angehen – was sind die ersten Schritte? Geht es jemandem von euch ähnlich – was sind eure Erfahrungen?

Kennt ihr vielleicht Beratungs- oder Therapie-Angebote, die man auch am Wochenende in Anspruch nehmen kann? Ich weiß, dass das "Keine Zeit zum Handeln haben" Teil meines Problems ist - aber auch hier brauche ich schon Hilfe!


Vielen, vielen Dank für eure Tipps!

Johannes_K
Rudi-Reiter
Beiträge: 448
Registriert: 5. Jul 2009, 00:18

Re: Offenen Auges Richtung Burnout?

Beitrag von Rudi-Reiter »

Hallo Johannes

Willkommen hier im Forum!

Was glaubst du ist dein Problem,
Dein Job,
oder Deine Einstellung zum Job?

Du kannst beides ändern:
Was das Richtige ist, musst Du selbst entscheiden,
denke ich.


LG Rudi
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Die Welt und das Leben können schön sein,

wenn ich es wirklich will!
La_crimosa
Beiträge: 468
Registriert: 28. Mär 2010, 22:05

Re: Offenen Auges Richtung Burnout?

Beitrag von La_crimosa »

Hallo Johannes,
eine Möglichkeit besteht in Online-Therapien... Hier ein Link:
http://www.psychologie.uzh.ch/fachricht ... rapie.html

Alles Gute Dir,
Susanne
jolanda
Beiträge: 1147
Registriert: 16. Okt 2003, 10:29

Re: Offenen Auges Richtung Burnout?

Beitrag von jolanda »

Hallo,

erstmal herzlich willkommen hier.

Burnout ist eine Depression - aber nicht jede Depression ist ein Burnout.

Die Bezeichnung Burnout beinhaltet lediglich die Ursache der Depression - nämlich Überlastung.

ich spreche jetzt mal Klartext:
Wenn du die Belastung nicht schaffst zu reduzieren, wirst du da auch nicht raus kommen. Dann nutzt dir auch die Therapie nichts.
Wenn du dir also Zeit schaffst für die Therapie, hast du schon doppelt gewonnen: Du hast die Arbeitsbelastung reduziert (damit du hin gehen kannst) - und du bekommst Hilfe.

Von der Idee, am Wochenende oder online (was ja auch in der FReizeit wäre, Abends oder am WE) Therapie zu machen,halte ich wenig.

Die Wochenenden brauchst du zum regenerieren.

Was genau ist denn zu viel? Das musst du für dich klären und da musst du ansetzen etwas zu verändern.

Meines erachtens ist z.B. alles, was über eine 40 h Woche hinaus geht zu viel - zumindest dauerhaft.

Und bei Burnout gilt: radikal Belastung reduzieren, kleine Schritte, langsam machen, Geduld haben

LG, jolanda


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Feedom's just another word for nothing left to lose (Janis Joplin)
Zarra
Beiträge: 5734
Registriert: 12. Mär 2010, 15:16

Re: Offenen Auges Richtung Burnout?

Beitrag von Zarra »

Hallo Johannes_K,

meine Sicht von außen aufgrund Deiner Beschreibung ist auf alle Fälle: Anscheinend mußt Du an Deiner neudeutsch "Work-Life-Balance" etwas ändern. WIE ist dann die wichtige Frage, ... und da muß dann eben schon wieder jeder selbst den ihm angemessenen Weg finden, Patentrezepte gibt es da sicher nicht.

"Zu lange im Büro" klingt für mich nicht nur nach "zu lange ... für einen Psychotherapietermin", sondern nach insgesamt zu lange. Achtung (!) ..., das kann man sicher eine Zeitlang machen, doch ob man das dauerhaft machen kann, ohne Schaden zu nehmen (!), wage ich zu bezweifeln. - Vielleicht könnte ein Psychotherapietermin ja auch der Anreiz sein, wenigstens einmal in der Woche früher zu gehen und so zu sehen und mal einen Anfang zu machen?

Jemand hat schon die Online-, Internettherapien erwähnt. Da gibt es wohl inzwischen einiges. Von "Deprexis" habe ich mal halbwegs Gutes gehört. Am besten Du suchst ggf. hier im Forum (und natürlich auch im Internet ggf.) noch mal; da müßten sich auf alle Fälle Erwähnungen finden.

Besser als nichts. Und vielleicht hat der Ansatz was für Dich, mal abgesehen davon, daß Du dann zeitlich und örtlich unabhängig bist. - Allerdings bin ich da irgendwie skeptisch, weil ein direktes Gegenüber, das einem eventuell auch die Wahrnehmung spiegelt, etwas anderes ist. Und irgendwie ist mein Eindruck, daß das bei Dir hilfreich sein könnte.

An Wochenenden kann es Selbsterfahrungskurse o.ä., Entspannungskurse und so geben - VHS, manchmal auch von den Krankenkassen, andere Anbieter. Das kann u.U. hilfreich sein, ergibt aber natürlich keine Psychotherapie.

Viele Grüße, Zarra
bgdjay
Beiträge: 3
Registriert: 10. Nov 2013, 18:58

Re: Offenen Auges Richtung Burnout?

Beitrag von bgdjay »

Hallo liebes Forum,

tausend Dank für die schnellen Antworten!

Jolanda und auch Zarra haben völlig Recht: Ich müsste mir die Zeit für eine Therapie natürlich um meiner Gesundheit Willen unbedingt nehmen. Das sagt auch die Therapeutin, bei der ich schon kurz war. Dass ich das nicht schaffe, ist natürlich Teil meines Problems. Schon hier bräuchte ich einen "Sparrings-Partner", der mir dabei hilft die erste Schwelle hin zu einer Therapie zu nehmen und Unwichtiges von Wichtigem zu unterscheiden.

Was meine Situation kompliziert macht: Ich bin noch in der Probezeit - und habe plötzlich viel mehr Verantwortung, als in meinem vorherigen Job. Ich muss Projekte mit extrem engen Zeitplan managen, für die ich eigentlich (noch) zu wenig Erfahrung habe. Auch mein Team ist noch relativ unerfahren. Wir leisten quasi Pionierarbeit. Gleichzeitig ist die Stelle meines direkten Vorgesetzten derzeit vakant - ich habe also keinen direkten Ansprechpartner. Das macht auch das Nein-Sagen schwierig (@Manuela), weil so ein Chaos herrscht und ich keine direkten Ansprechpartner habe.

Die Geschäftsführer wiederum sind der Meinung, dass alles gut läuft - in den Meetings mache ich ja auch eine gute Figur. Gleichzeitig habe ich das Gefühl, dass ich das alles nicht schaffe. Nicht schaffen werde. Noch kann ich das aber nicht sicher sagen - denn die Projekte laufen über mehrere Monate - erst in ein paar Wochen wird sich zeigen, ob alles klappt oder nicht.

Andererseits denke ich auch manchmal: Reiss Dich zusammen - jeder neue Job ist anstrengend!

Auf der Skala (@Manu) würde ich mir eine 7 bis 8 geben - obwohl auch Aspekte der 10 (innere Leere) schon immer wieder auftreten. Depressive Verstimmungen hatte ich schon in meinem alten Job, der mich eher unterfordert hat. Ihn in einer labilen Phase zu wechseln, war natürlich nicht so schlau. Aber der Blick in die Vergangenheit bringt mich jetzt nicht weiter.

Wie viele Menschen mit ähnlichen Problemen bin ich ein Perfektionist und möchte "gefallen" - diese Antreiber einzudämmen, ist mir schon immer schwer gefallen, denn aus ihnen hat sich bisher auch irgendwie immer mein beruflicher Erfolg abgeleitet.

Ganz schwierig finde ich die Sache mit dem Abschalten - ich lebe alleine und auch mein Freundeskreis ist klein. Oft sitze ich abends wie ein Kaninchen vor der Schlange und warte auf den nächsten Arbeitstag. Ich probiere gerade Meditation, die mir hilft, runterzukommen. Trotzdem wache ich - auch am WE - früh morgens mit Adrenalinschüben auf.

Ich würde so gerne mehr Gelassenheit entwickeln, eine Einstellung à la "ist doch egal", "mir kann doch eigentlich nichts passieren" - das fällt mir aber sehr schwer (@Rudi) - ich weiß also, dass vieles auch an meiner Einstellung liegt. Und an mangelndem Selbstvertrauen. Sie zu ändern ist nur leider ein langer Weg, ohne Hilfe schaffe ich das nicht

Ich habe einfach den Fehler gemacht - auch das habe ich hier schon oft gelesen -, dass ich mich in meinem bisherigen Leben zu sehr habe treiben lassen - ohne herauszufinden, was ich wirklich will. Ich dachte immer, das passiert von alleine. Ist es aber nicht. Hier müsste ich sehr viel nacharbeiten.

Die spannende Frage bleibt für mich: Finde ich einen Weg, mich in kleinen Schritten aus meiner Lage zu befreien, ohne meinen Job aufgeben zu müssen - oder braucht es tatsächlich die Reißleine, vor der ich so viel Angst habe?

Danke für eure Rückmeldungen - ich bin froh, dass ich dieses Forum gefunden habe und mit euch Menschen, die sich die Zeit nehmen, mir zuzuhören. Das ist ja alles andere als selbstverständlich.

G!
Johannes
Breizh-izel
Beiträge: 127
Registriert: 31. Jul 2013, 22:10

Re: Offenen Auges Richtung Burnout?

Beitrag von Breizh-izel »

Hallo Johannes,

willkommen hier in diesem Forum.Die Arbeit scheint dir sehr viel in Anspruch zu nehmen und du hast gesagt, dass du damit Anerkennung suchst.Dafür musst du immer etwas leisten.Und nach einer erledigten Aufgaben kommt die Nächste und ich vermute du findest dich in jede neue Situation wieder an den gleichen Punkt, du musst wieder beweisen. Wie wär die Idee für dich sich in einer Wohltätigkeitsbeschäftigung einzusetzen, nicht weil du etwas leisten solltest und irgendwas zurückerwartest?
Klar gibt die Gefahr die eigene Problemen bei den Anderen zu verlagern, aber du kennst sicherlich deine Stärke, die du für einen unbezahlten Zweck schenken kannst.
Frage: bei deiner Arbeit hast du eine Kernzeit? Wenn ja, vielleicht findest du die Zeit für dich um die Psychotherapeutin zu besuchen.

Viele Grüße

Keryvon
Zarra
Beiträge: 5734
Registriert: 12. Mär 2010, 15:16

Re: Offenen Auges Richtung Burnout?

Beitrag von Zarra »

Hallo Johannes,

da ich kurz nochmals reinschaue, antworte ich doch gleich, weil sonst die Gefahr besteht, daß ich es bis morgen dann vergessen habe oder es untergeht .

Ich denke, Dein Job IST MOMENTAN SCHWER - siehe die verschiedenen Rahmenbedingungen. Zumindest zu einem Teil hat es mir oft geholfen, solche Sachen, die ich nicht direkt ändern kann, als Fakt möglichst anzunehmen. Was in Deinem Fall aber wahrscheinlich dennoch nicht heißt, daß Du Dich nur mit allen Händen und Füßen und Haaren um Deinen Job kümmern solltest.

Falls es die Möglichkeit gibt, Mängel oder auch Wünsche (z.B. möglichst kompetenter Ansprechpartner bei der Arbeit) ansprechen, auch wenn es erst mal Überwindung kostet.

Ich schätze mal, daß Du die Probezeit ohne größere (!) Ausfälle überstehen willst. Also bleibt die Frage, wo Du reduzieren kannst und was Du sonst tun kannst. P.S. etwas krass gesagt: Mit etwas weniger Arbeitseinsatz, aber ohne lange Krankschreibung, stehst Du vielleicht nicht ganz so gut da, wirst aber sehr wahrscheinlich nach der Probezeit übernommen. Bei einem längeren (!) Krankheitsausfall kann das so oder so ausgehen, das ist wohl auch nicht vorherzusehen. Falls Dir eine kürzere Krankmeldung helfen würde, solltest Du aber nicht ganz so viel Scheu haben. (Das kann ich aber auch falsch einschätzen. Doch gegen manche hartnäckigen Sachen ist keiner gefeit.)

... oder ist es eh nicht Dein "Traum-Job", auch wenn ein paar (der veränderlichen) Rahmenbedingungen anders wären? Dann sieht das natürlich etwas anders aus ...

Keine Ahnung, wie weit Du mit der Meditation fortgeschritten bist. - Vielleicht war meine Idee mit einem Entspannungskurs am Wochenende gar nicht so schlecht, denn da kommst Du vielleicht auch in Kontakt mit anderen, die zumindest in diese Richtung ähnliche Probleme haben, auf andere Gedanken oder erhältst Gedankenanstöße - das geht live halt besser als allein im stillen Kämmerchen, trotz aller Medien.

LG, Zarra
mime
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Registriert: 6. Sep 2013, 13:28

Re: Offenen Auges Richtung Burnout?

Beitrag von mime »

Hallo Johannes,

du hast nach ähnlichen Erfahrungen gefragt, daher schreibe ich hier ein bisschen, ob etwas Passendes für dich dabei ist, weiß ich allerdings nicht genau.

Wenn du das Gefühl hast, für nichts mehr Zeit zu haben (auch nicht, zum Arzt zu gehen, geschweige denn eine Therapie zu machen), du nur noch vom Büro träumst, Angst davor hast, den nächsten Tag zu überstehen, dir die Arbeit so langsam über den Kopf wächst, du keine Alternativen mehr siehst bzgl. Perspektive [und Glauben verloren, einen Job in deiner Branche zu finden, der zu dir passt], Dauererschöpfung usw. sind das deutliche Alarmzeichen. Bitte ignoriere sie nicht!!

Mir ging es ähnlich – zunächst ist es ein schleichender Prozess – man ist eben in der beruflichen Tretmühle, in der nur Leistung zählt, Grenzen werden übergangen, sowohl in physischer als auch psychischer Sicht. Da du Akademiker bist, wirst du vermutlich auch bisher verantwortungsvolle Posten gehabt haben, die ihren Tribut fordern. Mit einem jungen Unternehmen/Team und ohne Ansprechpartner ist es jetzt natürlich umso schwieriger. Du hast niemanden, den du fragen kannst. Alles lastet auf dir, und das wird sich von alleine auch nicht ändern.

Bei mir verlief es knapp 2,5 Jahre jobmäßig ebenfalls ziemlich extrem (der Job davor war auch nicht besser), als einzige Angestellte mit recht viel Verantwortung für alles mögliche (und unmögliche) – mit dem Gefühl der dauerhaften Erschöpfung, Schlafstörungen, der inneren Leere, Konzentrationsstörungen habe ich trotzdem noch irgendwie durchgehalten. Auch dachte ich, ich muss mich einfach nur noch mehr zusammenreißen. Dann wechselte ich den Job, doch ich spürte recht schnell, dass ich eigentlich nicht mehr konnte – wieder 10 bis 12 Stunden im Büro ohne Pause und „so gut wie nichts“ auf die Reihe bekommen zu haben, sich nicht konzentrieren zu können, dem Stress nicht mehr gewachsen zu sein, usw. führten dann zur arbeitgeberseitigen Kündigung in der Probezeit. Es ging so gut wie nichts mehr.

Ich bin zum Hausarzt, der mich krankschrieb und dann an eine psychiatrische Institutsambulanz (Kurzform: PIA) überwies. Dort bekam ich relativ schnell einen ersten Gesprächstermin bei einem guten Facharzt (Psychiater) – der zunächst zuständig für die Diagnose (später auch für die Medikamentierung – doch das war erst mal zweitranging) war. Die Institutsambulanz hat meistens Fachärzte, mehrere Psychotherapeuten und Sozialarbeiter vor Ort. Oftmals bekommt man dort auch schneller einen Termin und den würde ich dir dringendst empfehlen.

Irgendwann sieht man einfach keinen Ausweg mehr aus seiner verfahrenen Situation – auch ich dachte mir „irgendwann geht das nicht mehr gut aus“. Und so war es ja dann auch. Ich habe eigentlich erst erkannt, wie (ernst) meine Lage ist bzw. wie es um mich steht, als ich beim Facharzt saß und mein erstes Gespräch mit ihm führte.

Ich war dann 5 Monate krankgeschrieben und noch weitere 2 Monate zu Hause - da ich keine Kollegen hatte, die meine Arbeit abfangen mussten, einen Job hatte ich ja nicht mehr, war da auch ein Stück weit Druck raus, das hat mir ganz gut getan. Mit Hilfe der monatlichen Facharzttermine, einem Antidepressivum und der Weiterführung meiner Therapie (allerdings mit Therapeutenwechsel) versuche ich seit dem, wieder arbeitsfähig zu werden. Daher weiß ich ein bisschen, wie sich das Ganze anfühlt, und dass es ein langwieriger Prozess sein kann – ich stecke noch mittendrin, weiß also nicht, wie es ausgeht, doch ich glaube, dass es ein zielführender Weg ist.

Ich möchte dir raten, dich baldmöglichst an einen Facharzt zu wenden, vielleicht gibt es bei dir in der Nähe auch eine PIA? Ich weiß, wie das ist, wenn man das Gefühl hat, keine Zeit für so was zu haben, doch bitte suche dir JETZT Unterstützung. Hast du einen Hausarzt? Lass dich notfalls für einen Tag oder zwei krankschreiben, falls du einen Termin beim Facharzt büromäßig nicht genehmigt bekommst. Schildere bitte bei den Ärzten deine Situation und deine Symptome genau. Vielleicht gibt es einen Weg für dich, der möglich ist, ohne dass du den Job an den Nagel hängen musst. Noch ist es nicht zu spät. Wenn du zum Telefonieren keine Ruhe hast, um einen Termin auszumachen (das kenne ich auch) – notfalls per Handy am WC oder im Keller oder sonst wo, wo du einen Moment ungestört und ungehört sein kannst.

Es besteht m. E. die Gefahr, dass du in eine waschechte Krise hinein rutschst, wenn du deine Alarmsignale, die du ja spürst, zu Gunsten der Arbeit ignorierst – denn sie gehen zu Lasten deiner psychischen und ggf. physischen Gesundheit!

Ich kenne das Gefühl der Verantwortung, der beruflichen Unentbehrlichkeit usw. gut. Dennoch: Wenn du nicht die innerliche Notbremse ziehst (wie dies für deinen Fall aussehen wird, wirst du bestimmt herausfinden können – da kann ich dir nichts raten, da ist jede Geschichte anders und eine Jobaufgabe muss ja nicht immer sein), wirst du wahrscheinlich wirklich offenen Auges, wie du schreibst, in die Depression / in den Burnout hineinlaufen. Noch ist es ja so, dass es beruflich irgendwie noch ganz gut klappt, da wäre es ratsam, wenn du rechtzeitig intervenierst, soweit es noch möglich ist.

Denn: dass du nicht mehr abschalten kannst, dich leer und kraftlos fühlst, du Gedankenendlosschleifen fährst, Schlafstörungen hast (!), du deinen Maßstab/deine Messlatte sehr hoch hängst (Stichwort Perfektionist), du dich beruflich überfordert fühlst, deine Ausweglosigkeit usw. usw. sind einige deiner vielen Symptome, die dich momentan beeinträchtigen und belasten. Sie können sich auch irgendwann negativ auf deine Arbeit niederschlagen, daher wäre es gut, sie ernst zu nehmen.

Innere Antreiber kenne ich auch zu gut – sie in den Griff zu kriegen, ist nicht leicht, aber nicht unmöglich. Man kann da einiges lernen, ich arbeite da momentan auch mit Hilfe der Therapeutin dran.

Eine schwierige Phase kann u. U. auch etwas Gutes bewirken, aber bis man das merkt und in der Rückschau erkennt, dauert es länger, und man kann es nicht alleine bewerkstelligen. Man braucht professionelle Unterstützung, mit deren Hilfe man auf die Denk-/ Verhaltensmuster einen Blick „von außen“ werfen kann. Andernfalls wird man schwer seine eingefleischten Gewohnheiten (Stichwort: Antreiber) ändern können. Ich bin jetzt erst – genauso alt wie du – dabei, zu lernen, dass man/frau sich nicht nur durch Leistung definiert.

Mein Facharzt meinte vor kurzem zu mir, dass viele Menschen in dem Alter um die 40 eine Therapie in Anspruch nehmen, weil man zu diesem Zeitpunkt meist merkt, dass man so nicht mehr weiter machen kann. Früher ging es irgendwie, man hat sich so durchgewurschtelt, aber irgendwann ist der Punkt erreicht, dass man so einfach auch nicht weitermachen kann/möchte, wie bisher – auch in beruflicher Hinsicht. Oft gerät man gerade dann in eine Art Krise, macht sich Gedanken, wie es weitergeht und vor allem, wie man sein Leben noch gestalten möchte.

Ein Wunsch, einen Gedanken, den ich dir mitgeben möchte, könnte z. B. lauten, das Leben wieder lebenswert zu finden; den eigenen (Selbst-) Wert nicht nur aus Leistenmüssen zu ziehen; Zeit zu haben, wieder durchatmen können – ohne Druck, ohne Angst. Vielleicht wieder Dinge / Hobbys / Freundschaften aufzugreifen, die einem früher etwas gegeben haben, Freude empfinden zu können usw., wieder zu leben, nicht nur zu funktionieren (Autopilot-Modus)...

Ich wünsche dir, dass du das Seil des Sportwagens, das das Gaspedal momentan knebelt, lösen wirst und jederzeit bremsen und anhalten kannst - dass du Autobahn gegen Landstraße eintauschst und Naturpausen genießen lernst (oder jedenfalls aus dem jetztigen Überholmanöver ausscheren kannst).

Dass du einen Weg für dich findest, du dir Unterstützung suchen kannst und du aus dieser Überforderungs-situation möglichst bald und gut herauskommst, ist ebenfalls mein Wunsch für dich.

Alles Gute und viele Grüße
Mime
Wir müssen lernen,
die Menschen weniger auf das, was sie tun und unterlassen,
als auf das, was sie erleiden, anzusehen.

(Dietrich Bonhoeffer)
kormoran
Beiträge: 3276
Registriert: 29. Mai 2007, 21:56

Re: Offenen Auges Richtung Burnout?

Beitrag von kormoran »

hallo johannes,

ich kriege ein bisschen wut, wenn ich das lese ...

gut - du hast beschrieben, dass da die stelle über dir gerade vakant ist und du daher keinen direkten ansprechpartner hast. und du bist noch in der probezeit, da agiert man natürlich vorsichtig, weil man ja den job behalten will.

trotzdem.
in erster linie gibt es da eine menge ganz offensichtlicher belastungen von außen, an deinem arbeitsplatz.

bevor du dich für krank erklärst und dir alle haxen ausreißt, neben zu viel arbeit auch noch in therapie zu gehen usw. sollte es völlig klar sein, dass du als allererstes die dinge ansprichst und zu ändern versuchst, die jeden gesunden arbeitnehmer früher oder später auszehren oder krank machen.

du hast einen job angenommen, und machst offenbar jetzt einen anderen, denn du hast mehr verantwortung als du übernehmen wolltest.
dass die stelle über dir nicht besetzt ist, macht natürlich auch für die geschäftsführung die sache schwieriger, aber bis sie jemand gefunden haben, müssen sie eben auch dafür sorgen, dass die überbrückung funktioniert. man beißt schon mal durch, wenn not am mann ist, aber manchmal ist es einfach nicht zu schaffen. wenn deine grenzen erreicht oder schon überschritten sind, musst du das der geschäftsführung sagen und entlastung fordern.

du musst für dich sorgen, nicht dich so zurichten, dass du ewig in überzogenen leistungsvorstellungen funktionierst. das wird dich sicherlich in der therapie noch beschäftigen, auch, woher du sonst deinen selbstwert, freude, lebenssinn beziehst. aber fang schon mal an, es anders zu machen als bisher!

liebe grüße
kormoranin
 http://www.depressionsliga.de
*** zurück ins leben!
NadineRS

Re: Offenen Auges Richtung Burnout?

Beitrag von NadineRS »

Hallo Johannes, kann das alles total nachvollziehen und schließe mich den Anregungen hier im Forum an: solange du dir die Zeit nicht nimmst, die du für dich zur Regeneration brauchst, wirst du da nicht raus kommen. Da du noch eine Geschäftsführung über dir hast, würde ich sagen, ist dort ein Ansprechpartner zu suchen und dem schilderst du deine Situation und wie du dich fühlst. Sie werden dich sicher nicht rauswerfen, auch wenn du in der Probezeit bist, denn wenn ich dich richtig verstehe, brennt die Hütte bei euch. Kenne ich alles. Ich habe die Notbremse zu spät gezogen und habe jetzt mit Leistungseinbuße zu kämpfen, dass ich das Gefühle habe, nur noch 10 oder 20 % von dem leisten zu können, was ich vorher alles gemacht habe. Ich kann mich kaum noch länger auf etwas konzentrieren, ohne zu ermüden oder Kopfschmerzen oder gar Migräne zu bekommen. Ich vergesse viel und oft fallen mir Wörter nicht ein oder es kommt ein falsches heraus, was zwar sehr lustig ist in dem Moment, aber wenig Sinn macht. Ich bin 38 Jahre alt und fühle mich wie 80, was das angeht. Ich war auf der Arbeit auch immer so unter Strom, dass ich alles irgendwie jongliert bekommen habe. Aber abends musste ich zum Sport, weil ich das Gefühle hatte, unter der Anspannung zu zerplatzen. Erst nach dem Sport ging es mir besser. Aber der hat mich auch noch mal zusätzlich Kraft gekostet. Gedanken rund um die Uhr bei Arbeit und Chef und Lösungsfindung für die Probleme waren normal geworden und das ist das Problem. Die Grenze zwischen normaler Aufopferung im Beruf und gesundem Egoismus für die eigene Freizeit verwischt. Ich würde heute einen Gang runterschalten, um mir die Gesundheitseinbuße zu ersparen, die ich jetzt habe. Ich kann kaum 3 Stunden täglich arbeiten. Voll der Horror! Ich habe jetzt einen Antrag auf Erwerbsminderungsrente gestellt, weil ich seit Mai 2011 nicht auf die Füße komme...die Therapie hilft mir, dieselben Fehler nicht zu wiederholen, aber meine Gesundheit muss sich von selbst erholen und das scheint wohl länger zu dauern. Also überlege dir gut, ob du so weitermachen willst. Du schreibst, du bist wie ein Sportwagen...mit Vollgas auf die Mauer zu, würde ich leider mal so prognostizieren.. Nimm es bitte nicht auf die leichte Schulter und dieses "reiss dich zusammen" ist schön und gut, aber eine Einstellung, die zusammen mit dem Hang zu Perfektionismus und Gefallenwollen - kenne ich alles irgendwoher.. - eine gefährliche Mischung ergibt...
Ich wünsche dir, dass du die Kurve kriegst, bevor es zu spät ist.
bgdjay
Beiträge: 3
Registriert: 10. Nov 2013, 18:58

Re: Offenen Auges Richtung Burnout?

Beitrag von bgdjay »

Liebe Nadine, Mime, Kormoranin, Zarra, Manu und alle anderen, die auf meinen Beitrag geantwortet haben,

danke für eure Zeilen - und eure teilweise so langen, wirklich sehr netten, einfühlsamen und aufschlussreichen Beiträge. Sie machen mir Mut - teilweise aber auch große Angst.

Jeder Tag ist im Moment irgendwie anstrengend - und oft denke ich, wie soll ich das bloß alles schaffen. Manchmal, wenn 30 Aufgaben von allen Seiten gleichzeitig auf mich einprasseln, habe ich das Gefühl, dass jetzt nur noch ein kleiner Tropfen fehlt, um das Fass zum überlaufen zu bringen. Manche Tage sind dann auch wieder ganz gut - oder funktioniere ich nur einfach irgendwie gut?

Teil meines Problems ist, dass ich das Gefühl habe, meine Situation gar nicht (mehr) richtig beurteilen zu können. Wie sehr gehe ich gerade über meine Belastungsgrenzen? Irgendwie breitet sich im Moment eine gewisse Gleichgültigkeit und Leere in mir aus, die die Gedankenschleifen, die mich noch vor ein paar Wochen nach Feierabend plagten, verdrängen. Viel lieber wäre mir eine Art Panik oder Trotzreaktion, die mich zum Handeln anspornt - oder dazu, die Reißleine zu ziehen.

Ich hätte eventuell sogar die Chance, zu meinem alten Arbeitgeber zurückzukehren. Irgendetwas hemmt mich in dieser Hinsicht aber total - denn ich hatte ja Gründe, ihn zu verlassen. Dort war ich eher unterfordert. Und zurückgehen? Aufgeben? Andererseits ...

Aber es gibt auch gute Nachrichten: Wenn alles klappt und die Chemie stimmt, habe ich ab nächster Woche eine Verhaltenstherapeutin, die mich auch nach Feierabend behandeln kann und freie Kapazitäten hat. Ich hoffe so sehr, dass sie meinen Kurs irgendwie korrigieren und Denkblockaden lösen kann, die mich daran hindern, den für mich richtigen Weg einzuschlagen.

Viele Grüße und lieben Dank für Eure Anteilnahme!

Johannes
NadineRS

Re: Offenen Auges Richtung Burnout?

Beitrag von NadineRS »

Hallo Johannes, du bist offenbar doch schon einen Schritt weitergekommen, denn du hast jetzt die Überlegung, eine Entscheidung zu treffen. Vorher hatte ich nicht den Eindruck, eher, dass du gar nicht weißt, ob du überhaupt eine treffen musst.
Zwar kann ich dir keine Entscheidung abnehmen, finde aber, dass du schon sehr tief drin steckst und Hilfe brauchst. Niemand kann von dir Wunder erwarten, wenn du in´s eiskalte Wasser geworfen wirst. Daher bin ich immer noch der Meinung, dass man dir jemanden zur Seite stellen muss, der dir Sachen abnehmen kann. Wenn du was deligieren kannst, kannst du es vielleicht noch in den Griff bekommen. Aber dieses "30 Sachen gleichzeitig machen müssen" ist mir leider nur allzu vertraut. Bei meinem letzten Arbeitstag in der Firma, wo mich der Burnout erwischt hat, hatt ich 53 ungelesene E-Mails und das war von nur 3 Tagen. Ich hatte den Tag über aber bestimmt 20 oder 30 abgearbeitet und trotzdem waren die zum Feierabend noch so viel. Es stürzte alles langsam aber sicher ein und ich begriff, dass ich auf der Titanic sitze und es nur eine Frage der Zeit war und nicht ob die Titatnic untergeht...nur die Frage: wann. Kollege war schon im Burnout und alles lastete auf mir und der Kollegin, die zum Glück keinen Hang zur Aufopferung hatte und immer pünktlich ging, weil sie ein Kind zu Hause hatte...und einen Ehemann, der schon im Burnout war und sie dem erschreckenden Beispiel nicht folgen wollte.
Wenn du schreibst, du hast die Möglichkeit, zu deinem alten Arbeitgeber zurückzukehren, frag dich doch vielleicht, ob es so schlimm wäre, dorthin zurück zu gehen, ob der Kontakt mit den Kollegen gut war, die Atmosphäre und der Draht zum Chef und vergleiche deine Gefühle mit deiner jetzigen Situation, wie sie da aussehen...Wo fühlst du dich besser? Hier oder bei deiner alten Firma oder ist es schon vielleicht so weit, dass du ganz flüchten willst? Ich mache gern eine pro- und contra-Liste und schon beim Schreiben sagt mir meist mein Bauchgefühl, was gut für mich ist.
Wünsche dir ein Xaver-armes Wochenende und einen schönen Nikolaus-Tag.
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