Irrtümer der Depression im Presse-Statement

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Salomon
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Irrtümer der Depression im Presse-Statement

Beitrag von Salomon »

Liebe Forianer,

was denkt ihr zu den Irrtümern der Depression? Irre ich mich selbst oder gibt es da auch andere Ansichten?

Ich hatte zum Kongress-Feedback bereits Fragen zu den Presse-Statements eingestellt. Damit diese nicht in Vergessenheit geraten, kopiere ich sie nochmals in einen neuen Beitrag und bitte euch alle um Feedback:

1. Fast 50% der Frauen sind berufstätig, davon arbeiten 46 % in Teilzeit, Männer nur zu 8 % in Teilzeit. Frauen erkranken doppelt so häufig an Depressionen.
Könnte das nicht der Grund sein, warum mehr Teilzeitbeschäftigte an der Depression erkranken?

2. Die Selbstmordrate hat in den letzten 5 Jahren wieder zugenommen und hat fast den Stand von 2005 wieder erreicht. Ist das nicht eher ein Indiz dafür, dass die Depressionen wieder zunehmen?

3. Bei der TK gab es letztes Jahr prozentual mehr Berufstätige, die an Depressionen erkrankt sind, als Arbeitslose. Spricht das nicht eher für einen Zusammenhang zwischen schlechten Arbeitsbedingungen und der Erkrankung?


Salomon
jolanda
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Re: Irrtümer der Depression im Presse-Statement

Beitrag von jolanda »

Hi,

ich habe mal die Überschrift in einer Zeitung gelesen

"Teilzeitarbeit macht Männer krank" im Artikel stand dann, dass der Prozentsatz an psychische Erkrankten bei den Männern, die in Teilzeit arbeiten höher sei, als bei jenen, die Vollzeit arbeiten.
Daraus den Rückschluss zu ziehen, dass es Männer psychisch krank mache, in Teilzeit zu arbeiten finde ich allerdings sehr gewagt.
Es könnte ja auch sein, dass eben diejenigen, die sowieso schon krank sind deswegen nur Teilzeit arbeiten.

Ich finde aus Statistiken solche Rückschlüsse zu ziehen immer sehr kritisch.

zu deinem Punkt 3:
es könnte ja auch sein, dass sich Arbeitslose eben seltener krank melden, weil sie eh zuhause sind. So ließe sich die Statistik auch erklären.

LG, jolanda


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Feedom's just another word for nothing left to lose (Janis Joplin)
Salomon
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Registriert: 17. Apr 2013, 09:21

Re: Irrtümer der Depression im Presse-Statement

Beitrag von Salomon »

Liebe Jolanda,

ja das habe ich auch gelesen. Männer arbeiten vornehmlich Teilzeit, wenn sie bereits krank sind und dann meist unfreiwillig.

Frauen dagegen arbeiten Teilzeit, wenn sie Kinder bekommen und bleiben dann in Teilzeit. Sie verzichten freiwillig auf Karriere.

Daher ist es doch vielleicht eher ein Irrtum, dass Vollzeit-Arbeit vor dem Ausbruch der Erkrankung Depression schützt.

Männer arbeiten fast ausschließlich in Vollzeit und erkranken trotzdem an Depression. Frauen sind zerissen wie noch nie, so schreibt die Zeitschrift Brigitte. Wenn Frauen dagegen Teilzeit arbeiten, dann arbeiten sie meist mehr als 40 Stunden die Woche, um bezahlte Arbeit und unbezahlte Familienarbeit zu vereinbaren.

Andererseits schützt Teilzeit-Arbeit vor einer Wiedererkrankung. Daher werden in Zukunft sicher auch immer mehr von der Depression betroffene Frauen in Teilzeit arbeiten.

Ich halte es für ein schlechtes Argument, dass, nur weil mehr Menschen in Teilzeit an Depressionen erkranken, Arbeit Therapie ist. Ganz im Gegenteil, weniger Arbeiten ist Therapie, wie zum Beispiel bei der Wiedereingliederung und um einer Wiedererkrankung vorzubeugen.

Viele Grüße
Salomon
otterchen
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Re: Irrtümer der Depression im Presse-Statement

Beitrag von otterchen »

Hi,

viele bekommen ihre Depression erst im Laufe ihres weiteren Lebens diagnostiziert -
und diese Depressionen resultieren oftmals (nicht immer, aber doch zu einem beachtlichen Teil) aus der Kindheit oder Jugendzeit.

Ob man da berufstätig oder arbeitssuchend, in Voll- oder Teilzeit angestellt war, ist meiner Meinung nach absolut ohne Belang. Dies spielt nur dann eine Rolle, wenn die Arbeit auch wirklich der ausschlaggebende Grund war.

Ich hatte hier mal einen Thread zu dieser Fragestellung eröffnet, und bei vielen lagen die Ursprünge schon in den frühen Lebensjahren begründet; bei manchen kamen sie etwas später - und es hat sich niemand gemeldet (soweit ich mich erinnere), der durch die Situation bei der Arbeit depressiv geworden wäre.

Die Frage nach der Berufstätigkeit ist also wohl ähnlich wichtig (oder unwichtig) wie die Frage, ob derjenige bei Diagnosestellung in einer Beziehung lebt, Kinder hat und dergleichen.
WANN die Diagnose gestellt wird und in welcher Situation sich derjenige gerade befindet (oft eine Belastungssituation, aber auch nicht immer), sagt noch nicht viel aus, wo die Gründe der Depression letztendlich liegen.
mein gelerntes Sammelsurium: https://otterchenblog.wordpress.com/
Zarra
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Re: Irrtümer der Depression im Presse-Statement

Beitrag von Zarra »

Liebe Salomon,

(meine angefangene Antwort auf einen Deiner anderen Beiträge steht noch aus - Überblick und vor allem das entsprechende Handeln sind gerade nicht so meins ...)

... ich habe, glaube ich, sogar das Pressestatement nachgelesen, mußte eine Stelle mehrmals lesen ... ... damit ist es ja immer so eine Sache, es ist ja keine wissenschaftliche Aussage. Und sobald Zusammenhänge fehlen ...

Deine Liste ist nochmals zusammengestellt aus wahrscheinlich verschiedenen Quellen. Deren Angabe und nicht nur Zusammenwürfelung fände ich hilfreich für eine sinnvolle Diskussion. - Denken und Meinen kann jeder von uns vieles. Dann sollte man sich aber besser nicht auf Halbfakten wie Statistiken beziehen.

Zu 1. wahrscheinlich:
http://www.deutsche-depressionshilfe.de ... ession.pdf
(http://www.deutsche-depressionshilfe.de ... ngress.pdf)

Eine der anderen Angaben meine ich, auch wo so gelesen zu haben, weiß aber nicht mehr wo. - Bei 2. und 3. wäre ich mir auch keineswegs sicher, daß es nicht genauso die Gegenangabe irgendwo anders geben könnte.

... man glaube nur an die Statistik, die man selbst erstellt und zusammengestellt hat??!? Ein bißchen schon. Und zumindest in diesem Fall ist das garantiert meine Meinung.

Meine Zusatzfragen beantworten nichts.

Wie wird Teilzeit definiert? Arbeitet jemand, der 80 % (... oder 90 %) arbeitet, Teil- oder Vollzeit? Aus welchen Gründen arbeitet jemand Teilzeit? Weil sie(/er) zusätzlich zwei oder drei Kinder zu betreuen hat oder die Großmutter pflegt? Arbeitet ggf. der Partner auch Teilzeit? Oder ist jemand alleinerziehend? Arbeitet jemand Teilzeit, weil er/sie auf dem Arbeitsmarkt keinen Vollzeitjob gefunden hat? (Oder auch: Arbeitet jemand Vollzeit, weil er keinen Teilzeitjob findet? ... diesen Fall gab es hier im Forum auch mal.) Arbeitet jemand Teilzeit, weil er eine halbe Erwerbsminderungsrente bezieht? Arbeitet jemand Teilzeit, weil er sich mehr nicht zutraut? Arbeitet jemand Teilzeit, weil es auf das Geld nicht ankommt und derjenige es sich statt dessen lieber gemütlicher macht oder gerne mehr Freizeit hat? Wie werden Leute erfaßt, die zwei Teilzeitjobs haben?

Ich stehe nicht hinter Deiner eventuellen These, daß die Arbeit(swelt) in der Regel die Ursache der Depressionen ist - doch das weißt Du inzwischen. Daß sie mit zum Ausbruch einer Depression beitragen kann oder zusätzlich belastend wirkt, ist etwas anderes.

Ich würde außerdem sagen: Die Kranheit Depression macht oftmals Arbeiten schwieriger. Aber auch da werden nicht alle zustimmen, weil für einige das auch eine gute Ablenkung, eine gute Struktur, Kontakte und Bestätigung bedeutet - manchmal mit Kraftaufwand, manchmal aber auch weil das noch wirklich gut für sie geht.

LG, Zarra
Salomon
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Re: Irrtümer der Depression im Presse-Statement

Beitrag von Salomon »

Liebe Zarra,

danke für die Links auf die Pressestatements nach dem 2. Patientenkongress. Genau auf diese öffentliche Position der Deutschen Depessionsstiftung gegenüber der Presse beziehe ich mich.

Aber auch für das gegensätzliche Statement "Depression steht im Zusammenhang mit schlechten bzw. stressigen Arbeitsbedingungen" gibt es mindestens genausoviele Argumente. Das will ich mit meinen Fragen bzw. mit meinem Hinterfragen ausdrücken.

Wenn die Depression eine Krankheit mit vielen Ursachen ist, warum wird dann die Arbeitswelt als Ursache ausgeschlossen?
Dann könnten auch Menschen wie ich sich dazu bekennen, dass sie unter Arbeitsdruck zusammengebrochen sind und müssten nicht von einem Burnout sprechen.

Prof. Berger hat dies in seinem Vortrag auf dem Patientenkongress sehr gut und poiniert formuliert. Nur in Deutschland gibt es keine Anti-Stressverordnungen, in allen anderen europäischen Ländern wurden diese längst umgesetzt. Nur in Deutschland und Österrich wird über Burnout diskutiert. Was soll denn auch ein Mitarbeiter seinem Chef sagen, wenn er aufgrund der Arbeitsbedingungen erkrankt ist? Eine Depression kann es dann ja nicht sein.

Vielleicht löst sich der ganze Burnout-Knoten, wenn der Zusammenhang zwischen Arbeitswelt und Depression endlich öffentlich anerkannt wird und nicht als Irrtum bezeichnet wird.

Viele Grüße
Salomon
Salomon
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Re: Irrtümer der Depression im Presse-Statement

Beitrag von Salomon »

Liebe Forianer,

wow - es bewegt sich etwas. Der Arbeitgeberverband empfiehlt seinen verbundenen Arbeitgebern, "die genannten Merkmale bei der betrieblichen Gefährdungsbeurteilung zu berücksichtigen. Zum einen geben sie Orientierung, den gesetzlichen Vorgaben des
Arbeitsschutzes zu entsprechen. Zum anderen bieten sie konkrete Ansatzpunkte für
eine systematische betriebliche Prävention."

http://www.arbeitgeber.de/www/arbeitgeb ... GemErk.pdf

Also wenn der Arbeitgeberverband schon einen Zusammenhang zwischen Arbeit und Depression anerkennt, dann ist der Weg doch nicht mehr weit.

Viele Grüße und ich glaube an die Zeichen der Zeit...
Salomon
Guinevere
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Re: Irrtümer der Depression im Presse-Statement

Beitrag von Guinevere »

Liebe Salomon,

Wenn die Depression eine Krankheit mit vielen Ursachen ist, warum wird dann die Arbeitswelt als Ursache ausgeschlossen?
Dann könnten auch Menschen wie ich sich dazu bekennen, dass sie unter Arbeitsdruck zusammengebrochen sind und müssten nicht von einem Burnout sprechen.

Also, in "Die Welt" war im Frühjahr mal ein Artikel dazu. *Mal sehen, ob ich diesen noch finde* ...hier:
http://www.welt.de/wirtschaft/article11 ... -Chef.html

Ich bin im Gastgewerbe (Chef) und, wie es sich halt so entwickelt, dass Miete, Energieaufwand für Wohnung, Benzin etc. immer teurer werden, haben wir ein paar zusätzlich Teilzeitarbeitende im Service.
Hmmm, eine arbeitet Hauptberuflich in ner Bäckerei im Verkauf. Sie hat ne ziemliche Angst, dass sie gekündigt wird, wenn es zu Beschwerden seitens ziemlich "anstrengender" Kundschaften kommt, dass sie nicht genug, kurz nicht scheissfreundlich ist , alles über sie ergehen lässt, weil das ja ansonsten den Verlust dieser Kundschaft bedeuten könnte...und nimmt z.T. Beruhigungstropfen um es durch-/auszuhalten.

Ne andere hat vor kurzem - ich glaub - bei Penny-Markt als 2.Job angefangen. Sie hat als u.a. Einstellungsbedingung ein Schreiben bekommen, was sie wann zum Kunden zu sagen hat. Z.B. nicht einfach nur "Tschüss", sondern sie muss lächelnd "Auf Wiedersehen" sagen. Vorher war sie in nem teuren Modegeschäft, und, wenn sie dem Kunden nicht zusätzlich was andrehn konnte, musste sie zum Chef und bekam ne Verwarnung. Bei der 3. steht/stand dann die Kündigung an.

Was die Diagnose Burn-Out angeht. Hier im Ort gab es in letzter Zeit mehrere - darunter auch Selbständige - mit dieser Diagnose... und, ich denke, es spricht sich dann darüber auch einfacher.

Meine Tochter - ihr Chef ist oft ziemlich fordernd, hat den Konditorjob selber nicht gelernt, und m.E. keine Ahnung in Bezug auf Arbeitszeitaufwand - hat sich das Buch, das ich für ihren ehemaligen Arbeitskollegen, der zusätzlich mit der Pflege seiner schwerkranken Mutter mehr als überfordert war, lieber selber behalten und doch sehr interessiert gelesen. Wenn das ein Buch über Depressionen gewesen wäre, dann, denk ich wäre das für sie wohl nicht so leicht anzunehmen gewesen. Hätte das wohl eher ne abweisende Wirkung gehabt.

Lieber Gruß allen,
manu
Salomon
Beiträge: 49
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Re: Irrtümer der Depression im Presse-Statement

Beitrag von Salomon »

Liebe/r Manu, liebe Forianer

danke für den Link.Ich habe meine Erkrankung nicht versteckt und das hat mir auch nicht geholfen.

Danke auch für Deine Beipiele, die dieVerschärfung der Arbeitsbedingungen aus Deinem eigenen Erfahrungsbereich und Bekanntenkreis beschreibt.

Als Trainerin für Stressbewältigung und Burnout-Prävention erfahre ich viel über die Rahmenbedingungen der Kursteilnehmer und könnte Deine Erfahrungsberichte noch weiterführen, wäre da nicht die Schweigepflicht.

Habt ihr in eurem Umfeld ähnliche Verschärfungen der Arbeitsbedingungen wahrgenommen?

Viele Grüße
Salomon
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