Politisches Statement und Patientenkongress

Salomon
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Re: Politisches Statement und Patientenkongress

Beitrag von Salomon »

Liebe Zarra und liebes Forum,

ich verabschiede mich jetzt wieder für einige Zeit in diesem Forum. Die Pflicht ruft.

Ich freue mich, vielleicht einige von euch auf dem Patientenkongress kennenzulernen und danke euch für die anregenden Beiträge.

Grüße
Salomon
Zarra
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Re: Politisches Statement und Patientenkongress

Beitrag von Zarra »

Hallo liebe Salomon,

etwas unnötig "nachgekartelt", aber ich tu's mal:

Ich bin nicht medienhörig (teils zwangsweise depressions-, aber auch kritikfähigkeitsbedingt). Auch wenn (freie) Medien wichtig sind. Trotzdem wird mir gerade mit meinem uninformierten Abstand immer klarer, wie schnell etwas hoch- oder runtergeschaukelt, wie schnell etwas zigfach falsch oder richtig nachzitiert wird.

Ja, vermutlich kann man den Tod von Robert Enke [! ... auch als nicht Fußballfan] als Markstein nehmen, und es ist gut, daß seither das Thema zumindest weniger tabuisiert wird, daß versucht wird, mit falschen Vorurteilen aufzuräumen, Berührungsängste zu verringern, Wissen und im möglichen Maße Verständnis zu vermitteln. Trotzdem gibt es immer noch viele Schwierigkeiten in diesem Zusammenhang.

> Momentan habe ich den Eindruck, es starren alle ängstlich auf die Depression: "Was, wenn sich psychische Erkrankungen weiterhin so dramatisch verbreiten?" Irgendwann lässt sich das Thema nicht mehr bagatellisieren.
Ich glaube nicht, daß dies in diesem Maße der Fall ist - es gab schon immer Depressive (mit halt früher weniger Behandlungsmöglichkeiten), es wird immer welche geben (vielleicht nur rechtzeitig und besser behandelte, so daß vor allem diese, aber in der Folge auch die Gesellschaft weniger darunter leiden); es gibt vermutlich durch die Arbeitsbedingungen ein paar mehr Menschen, die nicht mehr weiter können, die gezwungen sind, sich zu "outen", bei denen dies das Faß zum Überlaufen bringt; es bleibt aber auch zu berücksichtigen, daß die Tabuschwelle - glücklicherweise! - niedriger geworden ist.

>Die Arbeitsbedingungen als Ursache zu ignorieren, birgt die Gefahr, dass die Entwicklung nicht gebremst wird.
Ich sehe schlechte Arbeitsbedingungen ggf. eben nur als Verstärker, Katalysator für Depressionen. (Im positivem Fall können gute Arbeitsbedingungen durchaus auch stabilisierend wirken.) Darüber hinaus wirken sie ggf. (!) unspezifisch schlecht für eine größere Gruppe; daraus kannst Du aber keine Logik "Arbeitsbedingungen -> Depression" machen. Zumal es um ganz Konkretes gehen müßte, so wie es früher mal um die Stundenanzahl, um Pausenmöglichkeiten etc. ging. Auch echtes Mobbing läßt sich vermutlich im Einzelfall eher doch schlecht nachweisen. Gute soziale Kompetenz kannst Du einem schlechten Vorgesetzten nicht in einem Wochenendseminar "anhängen" (das ist wohl das größere Problem); und Du kannst die Umsetzung nur in begrenztem Maße verordnen.

> Wäre das nicht ein Traum, wenn wir offen über unsere Erkrankung reden könnten und Mitgefühl und Anerkennung von unseren Mitmenschen bekommen wurden, dass wir diese Erkrankung durchgestanden haben und noch leben? Wäre das nicht wundervoll, wenn wir als wertvolle Arbeitskräfte nach unserer Erkrankung im Arbeitsmarkt wieder aufgenommen würden. Wenn der Arbeitgeber verständnisvoll nach einem weniger belastenden Arbeitsumfeld suchen würde, um unsere Arbeitskraft zu erhalten. Wenn wir das Image hätten trotz unserer Erkrankung durch unser Engagement, unsere Sensibilität, unsere Kreativität, unsere Empathie, unsere Intelligenz gute Beiträge in der Ökonomie leisten können.
Ja, das kann ich so unterstützen!

> Und ein noch größerer Traum, wenn erst gar niemand mehr unsere Erkrankung erleiden müsste.
Siehe oben. So verständlich Dein Wunsch ist, so befürchte ich leider doch, daß es so ein Traum bleiben wird - selbst wenn alle Anstrengungen der Welt unternommen würden. Was nicht heißt, daß es nicht Hilfe und Abmilderungen etc. geben kann.

Prävention:
Soweit ich - oberflächlich! - weiß, gibt es spezifische und weniger spezifische Präventionsmaßnahmen. Z.B. spezifisch: Malarieprophylaxe, Impfung gegen Tetanus. Das Unspezifische wie Entspannungskurse (oder Sport oder Sauna oder gesunde Ernährung) geht dann schon Richtung Gesunderhaltung und macht seinen Sinn (wobei die Ernährungsberatung für Übergewichtige sicher entschieden mehr Sinn macht als der Fisch-Kochkurs für alle ), und die Entspannungskurse als ein Teilbaustein auch für Depressive (die meisten gehen da ja auch erst hin, nachdem sie Probleme bekommen haben) - wichtiger sind oder wären sicher Psychotherapeuten und gute Psychiater.

Liebe Grüße,
Zarra

(Sorry für das Bruchstückhafte.)
Zarra
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Re: Politisches Statement und Patientenkongress

Beitrag von Zarra »

P.S. (... war eh schon lang)

Ich mag noch zwei persönliche Eindrücke von anderen Erkrankten im Zusammenhang mit Arbeit anfügen.

- Eine Frau, die ich in einer Art Selbsthilfegruppe für Burnout (!) in einer Klinik - oberflächlich! - kennenlernte ... (ich bin dann wohl nicht wieder hin) und die ganz selbstverständlich immer noch davon ausging, daß sie mindestens wohl 60 Stunden (oder sogar viel mehr - mir (!) schwindelte jedenfalls) in der Woche arbeiten könne. Hm, kann ich da nur sagen. ... das hatte vermutlich sehr viel mit Selbstbestätigung und Selbstsicht zu tun.

- Und ich kenne einen anderen Mann, der nach mehreren depressiven Episoden Probleme mit seiner noch oder wieder Arbeitsstelle oder überhaupt auf dem Arbeitsmarkt hat, weil er halt nicht dauerhaft arbeitstäglich viele Überstunden machen will (egal, ob bezahlt oder unbezahlt), weil er merkt, daß er dies nicht mehr so locker kann - und in diesem Fall gehe ich davon aus, daß derjenige zwar seine Arbeit gut machen will, daß er aber nicht überperfektionistisch ist, sondern daß wirklich der Arbeitsmarkt oder die typische Arbeitsplatzbeschreibung für diesen Bereich so aussieht. Und da müßte man ansetzen können, ohne daß derjenige eine sehr viel weniger qualifizierte Arbeit machen muß!
Salomon
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Re: Politisches Statement und Patientenkongress

Beitrag von Salomon »

Liebe Zarra,

vielen Dank für Deine Antworten. Leider habe ich momentan nicht mehr die Zeit hier im Forum zu schreiben. Noch eine letzte Antwort:

Wie Du richtig sagst: gute Arbeit macht nicht krank, sondern schlechte Arbeitsbedingungen. Ein gutes Arbeitsumfeld wirkt sicher stabilisierend. Meine persönliche Erfahrung aber, dass nach der Wiedereingliederungsphase wieder die alten Arbeitsanforderungen gestellt werden.

Aber ein gesundender Mitarbeiter ist auch nach 2 oder 3 Monaten meist nicht so belastbar wie vorher. Die Krankheit hinterlässt ihre Spuren. Der Psychiater Post hat das vor Jahren schon als Narbe in der Stressachse bezeichnet. Dies bestätigen doch auch die häufigen Rückfälle, Chronifizierungen und Frühverrentungen.

Solange die Arbeit nur als Therapie und als gut angesehen wird, gibt es doch in Unternehmen auch keine Einsicht, ein weniger belastendes Arbeitsfeld zu suchen. Warum hätte mein Chef mir denn eine andere Arbeit anbieten sollen?

Ich musste darum bitten, dass ich ein Jahr keine Führungsaufgaben übernehmen muss. Daran hat sich leider niemand gehalten. Hier müsste doch die Fürsorgepflicht des Unternehmens greifen.

Ich hoffe für alle Betroffenen, dass sich diese Situation bald ändert.

Viele Grüße
Salomon
Zarra
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Re: Politisches Statement und Patientenkongress

Beitrag von Zarra »

Liebe Salomon,

verspätet, aber ich mag doch noch was schreiben:

Arbeit ist sicher keine Therapie! Zumindest würde ich das ganz laut sagen.

Wann es nicht mehr geht, ob, ab welchem Ausmaß und unter welchen Bedingungen sie "schadet" bzw. das eh schlechte Befinden über ein akzeptables Maß hinaus beeinträchtigt, sind andere Fragen.

Ich gehe jetzt mal davon aus, daß das Unternehmen groß genug war und man Dir eine entsprechende Stelle hätte anbieten können.

Andererseits muß man sehen, daß auch nicht alle mit dieser "Degradierung" (inhaltlich und wohl auch finanziell) gut zurecht kämen. - Außerdem fänden wir Erkrankte es natürlich gut, wenn das Anrecht auf die alten Stelle erhalten bliebe und man z.B. nach einem Jahr wieder zurück könnte. ... und der andere Mitarbeiter, der während dieses Jahres die frühere Arbeit gut gemacht hat??

>Warum hätte mein Chef mir denn eine andere Arbeit anbieten sollen?
Tja, z.B. damit Du nicht wieder ausfällst. Eigentlich gibt es teilweise dieses Denken schon. Zumal es ja auch Dein ausgesprochener Wunsch war. ... vermutlich war Dein Wunsch für ihn zu unbequem, oder?

>dass nach der Wiedereingliederungsphase wieder die alten Arbeitsanforderungen gestellt werden.
Das müßte man vermutlich im Einzelfall genauer ansehen. - So pauschal ist das ja von der Arbeitgeberseite aus auch verständlich: Wenn er nichts Ungerechtfertigtes wollte und will, der Arbeitnehmer so bezahlt wird, ...

Oft spielen bei Hilfreichen nach einer depressiven Episode ja auch eher sog. weiche Faktoren eine Rolle - mehr Verständnis, eine kleine, nett gemeinte Rückfrage nach dem Ergeben, ...

Viele Grüße,
Zarra
Salomon
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Re: Politisches Statement und Patientenkongress

Beitrag von Salomon »

Liebe Zarra,

mich lässt das Thema doch nicht los. Ich versuche Deine Fragen konkret an meinem Fall zu beantworten, was hätte nach der Wiedereingliederung besser laufen können?

Meine Firma wusste, aufgrund welcher Krankheit ich für 10 Monate ausgefallen war. Mein Chef kannte die Krankheit aus eigener Erfahrung. Als mein Chef drei Monate nach meiner Wiedereingliederung in Urlaub war, hat der Chef meines Chefs mir wieder eine Leitungsfunktion in einem terminkritischen Umfeld übertragen.

Ich habe nicht nein gesagt und wieso?
Einerseits wollte ich mir meine gesundheitliche Instabilität und die Überforderung so kurz nach der schweren Erkrankung nicht eingestehen. Andererseits hätte meine Chef-Chef auch wenig Verständnis dafür gehabt, denn er wußte offenbar nichts von der Vereinbarung und den Hintergründen.

Der Druck kam wie erwartet. Mit den Nebenwirkungen des ADs konnte ich die Anforderungen nicht erfüllen, ich war zu müde und benommen. In Abstimmung mit meinem Arzt habe ich das AD ausgeschlichen. Dann kam der Rückfall und diesmal fast 2 Jahre krank...

Was hätte besser laufen können?
1. Ich hätte nein sagen müssen und auf der Vereinbarung mit meinem Chef bestehen müssen.
2. Mein Chef hätte seinen Chef über diese Vereinbarung informieren müssen, als er in Urlaub gegangen ist.
3. Mein Chef-Chef hätte sensibler für die Erkrankung und das Risiko eines Rückfalls sein müssen. Eine Depression ist immer noch für die meisten völlig unbegreiflich - bei einem Herzinfarkt ist man da sensibler.

Natürlich ist eine Degradierung nicht die Lösung. Wäre ein offener Umgang mit der Erkrankung in Unternehmen möglich, dann könnten - wie Du vorschlägst - nach Zwischenlösungen gesucht werden.

Dazu ist aber auch ein Wissen um die Ursachen und Zusammenhänge der Depression notwendig. Das alte Arbeitsumfeld ist eben häufig keine Therapie für einen Rekonvaleszenten. Das berücksichtigen auch die Wiedereingliederungsmaßnahmen. Die Gefahr danach wieder in die alten Geleise zu geraten ist sehr groß.

Solange aber der Zusammenhang zwischen Stress und Depression bzw. schlechte Arbeitsbedingungen und Depression nicht konsensfähig ist, wird sich da nur wenig ändern.

Grüße
Salomon
Zarra
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Re: Politisches Statement und Patientenkongress

Beitrag von Zarra »

Liebe Salomon,

da ich gerade eh nicht schlafen kann (... siehe "schlichter" Ärger am Arbeitsplatz ... schöne Ironie ...) (Ich habe "rechtlich" gesehen recht und es wird sich alles vermutlich "in Luft auflösen", aber vorher muß(te) ich mich mit der Unwissenheit und Doofheit eines Vorgesetzten rumschlagen - pures ... Und ich bleibe da irgendwie auf meinem Ärger sitzen (bei Dummheit und Uneinsichtigkeit des anderen hat man da echt schlechte Karten ); das ist mein Part an der Sache JETZT. Schimpfwörter bringen es auch nicht, obwohl die heute so locker bei mir sitzen würden, wie schon lange nicht. . Doch lassen wir das.)

Bei Dir: Dumm gelaufen. - !

... als Umgehensweise ist vielleicht aber auch das das Sinnvollste, was man hinsichtlich schlecht gelaufener Kindheiten oder anderer Ereignisse sagen kann: möglichst noch das Beste daraus machen, daraus lernen, wenn es möglich ist, sich nicht zuviel dahin "hineinbeißen", so schwer das auch erscheint.

Von Deinem Fall her kann ich das verstehen (Einzelfall und "Politik" gehen meines Erachtens eben oft schlecht zusammen ...), aber nicht jede Depression ist gleich, ist gleich schwer, ist gleich beeinträchtigend, ist gleich die Arbeit beeinträchtigend. Ich finde es schwierig, von der alleinigen Diagnose Depression allgemeine Handlungsanweisungen für Unternehmen abzuleiten, mal abgesehen davon, daß die Offenbarung der Diagnose auch so eine Sache ist ... Außerdem: Was ist mit demjenigen, bei dem die (relative) Ursache seine Scheidung oder der plötzliche Tod seiner Frau war?!? Gilt das dann für den auch, weil sein Nervensystem ja auch angegriffen ist, obwohl die Ursache eine andere war?

Schonfristen: In welchem Umfang? Wielange? Wie soll diese "Schonung" aussehen? Und: Ist diese gerechtigkeitshalber gegenüber anderen Mitarbeitern "lebbar"? In gewisser Weise gilt das vom Arzt festgestellte "arbeitsfähig". Das sagt in diesem Bereich nicht so viel aus, aber an was soll der Arbeitgeber sich denn sonst orientieren? ... und was sagt das eigene Ego, wenn einem dauernd gesagt wird, daß man nicht mehr voll einsatzfähig ist?!?

Vereinbarungen festschreiben. Ja, unter Umständen ist das sinnvoll. Andererseits kann ich mir gut vorstellen, daß Chefs schneller zu arbeitnehmerfreundlichen Good-will-Absprachen fast sozusagen unter der Hand bereit sind, damit sie selbst nicht in die Enge kommen, damit es keinen Präsedenzfall gibt. Generelles und offizielles Festschreiben nimmt also auch persönlichen Spielraum raus, den es bei Dir ja anfangs auch gab. - Ganz unproblematisch würde ich übrigens auch nicht die Rückkehr an den Arbeitsplatz nach einem Herzinfarkt o.ä. sehen, auch wenn man darüber natürlich eher reden kann.

Dein Arzt scheint ja Deinem AD-Absetzen zugestimmt zu haben. Also kann sein Eindruck von Dir so schlecht ja nicht gewesen sein. Wirfst Du ihm mangelndes Vorausschauen (das kann man so bei dieser Erkrankung nicht!) und mangelnde Fürsorge vor? (... da könnten andere wohl noch weiteres nennen.) Und was hättest Du getan, wenn er dem Absetzen nicht zugestimmt hätte?
Nach solch einer langen Krankheitszeit scheint mir das Absetzen aber auch etwas wagemutig gewesen zu sein; die Faustregel, daß man (nach wohl eher kürzerer akuter Krankheitsdauer) mindestens eine gutes halbes Jahr ohne Symptome das AD weiternehmen sollte, hat sich inzwischen wohl eher verlängert.

Letztendlich kann aber auch keiner sagen, ob Du nicht wieder erkrankt wärst, wenn Du das AD weitergenommen hättest. (Und wenn nicht, dann wegen des ADs - oder weil Du vielleicht auch sonst noch etwas anders gemacht hättest??) Auch das hätte so oder so ausgehen können.

Und Du hättest vielleicht auch mit "Schonung" wiedererkranken können. Oder??!? (... ich war ja nicht dabei und steckte ja vor allem nicht in Dir.)

1. wäre eine Möglichkeit gewesen. - ... und vielleicht erst mal informieren, nachfragen, ob es nicht eine andere Möglichkeit gebe, da ... Zumal Du Dir ja wohl nicht ganz sicher bist, daß dieser Chef-Chef die Hintergründe kannte.

>Das alte Arbeitsumfeld ist eben häufig keine Therapie für einen Rekonvaleszenten. Das berücksichtigen auch die Wiedereingliederungsmaßnahmen. Die Gefahr danach wieder in die alten Geleise zu geraten ist sehr groß.
... also als "Therapie" habe ich das bisher noch von keinem bezeichnen hören, nicht einmal von Leuten, die sehr "pro Arbeit" eingestellt sind.

Wiedereingliederungsmaßnahmen beziehen sich - so weit ich das weiß - immer auf den vorherigen Arbeitsplatz, man kann z.B. - soweit ich das weiß - nicht, an einem neuen Arbeitsplatz mit einer Wiedereingliederung anfangen. Und: Nicht jeder, der an einer Depression erkrankt war, fängt automatisch mit einer Wiedereingliederung an zu arbeiten. Ob das für mehr Menschen sinnvoll wäre, ist eine andere Frage. Ein Arbeitsplatzwechsel kann natürlich jeder von sich aus betreiben, sich auch innerbetrieblich bewerben, darum bitten, ... Falls da sinnvolle Vorschläge abgeblockt werden, wäre es natürlich zu begrüßen, wenn man das verhindern könnte.

Arbeit ist ein Faktor, u.U. ein großer, weil man da z.B. einen Großteil des Tages ist; er ist aber nicht der alleinige.

"Alte Geleise": Puh...! Ja, klar. Aber ist da nicht der einzelne selbst verantwortlich, muß er da nicht zumindest den Mund aufmachen?!

Daß es so etwas wie diese in einem neueren Thread gepostete Erklärung gibt, finde ich natürlich auch sehr gut. ... die Frage ist nur, wie das dann umgesetzt wird. ... meine Befürchtungen gehen in die Richtung, daß im negativen Fall ... z.B. auch jetzt schon die Personalabteilung Vorgesetzte informiert, wenn ein Mitarbeiter zusammengerechnet mehr als sechs Wochen krank war ... wenn daraus nur ein Gespräch resultiert, in dem sich der betroffene Mitarbeiter wegen seiner Fehltage angerüpelt vorkommt und daß er doch bitte gefälligst zukünftig ordentlich bei der Arbeit zu erscheinen habe, dürfte das kaum der eigentlichen Intention entsprechen.

LG, Zarra
otterchen
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Registriert: 3. Jan 2007, 10:43

Re: Politisches Statement und Patientenkongress

Beitrag von otterchen »

Guten Morgen!

"Ihr dürft mich nicht krank machen" lautet wohl die Forderung.
Aber die könnte man an jeden stellen, oder?
An die Eltern, die Mitschüler, die Lehrer.
An die Kommilitonen, an Nachbarn, Vermieter.
An Beziehungspartner, Ärzte, andere Behandler.
An Baustellen, Fluglärm, Autobahnen.......
Eigentlich an jeden, dem man nicht freiwillig begegnet.
Doch was ist schon freiwillig, was ist gezwungenermaßen? Was kann man sich aussuchen, was nicht? Wo ist man tatsächlich ausgeliefert?

Ich stelle mir gerade vor, ich sei Chef und an mich würde dieser Forderungskatalog herangetragen.
Oha.
Ich würde mich absichern. Aber sowas von.
Und am besten durch ganz gepfefferte, gezielte Einstellungstests. Nur so als erste Idee, für den Fall, dass diese Forderungen tatsächlich gesetzlich festgeschrieben wären.
Denn ich habe ja einen Anspruch: Leistung. Und zwar gute, konstante Leistung. Und eine gewisse Belastbarkeit. Und ich möchte, dass sich die Leute untereinander arrangieren und mich mit diesem Sozialkram in Ruhe lassen. Für mich zählen Umsatz, Märkte, Gewinn.
Sollte ich jemanden als "Schlichter" für diese Aufgabe einstellen müssen, muss das natürlich finanziert werden. Natürlich fallen dann erstmal Gehaltserhöhungen oder gar neue Einstellungen aus.

Und dann: Ein Mitarbeiter schafft den Tag mit etwas Ächzen, der andere bricht zusammen. Mist, da ist ein Depressionsanfälliger! Was machen wir jetzt mit dem? Der hält den Druck nicht aus. Irgendwann landet das vor dem Kadi. Dort wird geprüft, ob die Arbeit ihn krank gemacht hat. Ich (der Chef) aber sage: wenn die Arbeit krank macht, warum ist dann nur diese eine Mensch krank geworden? Den anderen geht es doch gut. Wenn die Arbeit krank macht, dann wäre doch gewiss die ganze Abteilung erkrankt, oder?
Dann schauen wir doch mal, wo wir die Schuld beim Betroffenen finden können: wie robust muss man für ein Arbeitsleben sein, wie sehr muss man selbst gegensteuern können, wo sind dem Betroffenen selbst "Verfehlungen" vorwerfbar? Hat er den Mund nicht aufgemacht, war er nicht kritikfähig, war er nicht teamfähig, hat er sich womöglich selbst Druck gemacht, hat er seine persönlichen Animositäten mit in die Firma gebracht?



Ich zeichne das gerade so überspitzt,
weil ich deutlich machen möchte, dass das Ganze durchaus nicht einfach so umsetzbar wäre.

Und: wer mit dem Finger auf die Arbeitsumgebung zeigt, muss genauso auf die anderen zeigen, die ebenfalls depressiv machen können. Und das würde uns ganz schön lahmlegen - denn letztendlich wissen wir nicht, ob nicht irgendwann jemand auch auf uns selbst zeigt und sagt "die macht mich depressiv". Was dann?!?

Natürlich ist es prima, für bessere Arbeitsbedingungen zu sorgen, keine Frage. Aber ich würde mir da keine allzugroßen Hoffnungen machen; eher würde ich (!) etwas anderes anregen, sowas wie ein Angebot an Betroffene, wo sie lernen können, sich zu stärken (sei es, mehr Selbstbewusstsein zu bekommen oder auch mal Nein zu sagen oder sich besseren Ausgleich zu verschaffen oder auch den Mut zu finden, sich einen neuen Arbeitsplatz zu suchen oder was auch immer).
Ich denke (wieder nur meine Meinung), dass diese Forderungen an die Arbeitswelt genauso wenig durchsetzbar sind wie eine Art "Elternführerschein", damit Kinder richtig erzogen werden. Dieses Feld ist einfach zu groß, und selbst wenn man es irgendwo festschreibt, würde daraus nicht nur Gutes erwachsen, denn dann würden Chefs kaum noch Leute einstellen bzw. die Probezeit nicht verlängern.




LG
mein gelerntes Sammelsurium: https://otterchenblog.wordpress.com/
elas
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Registriert: 12. Mär 2009, 16:50

Re: Politisches Statement und Patientenkongress

Beitrag von elas »

Ohhh, otterchen auf der Pro_Arbeitgeber_Seite.
Mit den Argumenten wirst Du glatt in jeden Vorstand eines Unternehmens aufgenommen.


Ja, Arbeitsplätze machen krank, nicht immer, aber manchmal, körperlich krank oder seelisch krank.
Gerade die Tage mit einem netten Nachbarn etliche Jährchen jünger als ich geredet.
Seit zig Jahren bei einer Automobilfirma in der Produktion. Ein durchtrainierter Mann.
Jetzt machen die Knochen und Bandscheiben nicht mehr mit, haargenau, in der Position in der er sich tagtäglich begeben muss.

Arbeitsplätze mit hohem Publikumverkehr machen eher psychosomatisch krank.

Und nun, wenn wir uns da mal den Menschen ansehen.
Der Mensch ist ein Mensch und keine Maschine.

Jede Maschine fällt auch aus, braucht Wartung, Ersatzteile.

Und jeder Mensch, auch die Chefs, fallen irgendwann mal aus, weil sie irgendwas haben, die sind genauso wenig gefeit gegen körperliche Erkrankungen oder gar gegen Depressionen.

Doch, man darf sich den Arbeitsplatz wünschen, der den einzelnen Menschen würdigt.
In einer Gesamtleistung, und nicht an einem Ausfall wegen irgendeiner Erkrankung.

Doch es gibt Dynamiken, die eher gesunden lassen oder eher erkranken lassen. In jeder Hinsicht.

Nun ja, meine Energien daran zu verschwenden, was nun in einem Chef so vorgehen mag, mit Verlaub. Kontraproduktiv.


Selas
________________________________

Der Weg ist das Ziel



Lebensringe sind auch Themenringe
Salomon
Beiträge: 49
Registriert: 17. Apr 2013, 09:21

Re: Politisches Statement und Patientenkongress

Beitrag von Salomon »

Liebe Zarra, liebes Otterchen, lieber Selas, liebe Forianer

danke für eure vielen Beiträge zu meinen Thesen über den Zusammenhang zwischen Arbeitsweilt und Depression.

Ich habe in den letzten Woche gemerkt, dass mich die Teilnahme auf dem Patientenkongress und das Schreiben hier im Forum doch sehr viel Energie kostet und nicht wirklich gut tut. Deshalb ziehe ich mich endgültig aus dem Forum wieder zurück.

Momentan ist mir das Thema zu dicht und ich kann so keine für mich heilsame Distanz zu der Krankheit halten. Es ist fast wie eine Sucht: Eigentlich habe ich aber alles geschrieben, was ich beitragen kann, aber ich kann doch nicht aufhören.

Danke, dass ihr meine Thesen verfolgt und euch mit ihnen und mir auseinandergesetzt habt. Habt bitte Verständnis und ich wünsche euch alles Gute für euren weiteren Weg.

Viele verbundene und herzliche Grüße
Salomon
flora80
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Registriert: 24. Mär 2003, 18:48

Re: Politisches Statement und Patientenkongress

Beitrag von flora80 »

Hallo zusammen,

ich sehe es ähnlich, wie Otterchen. Selbstverständlich gibt es Arbeitssituationen, die krank machen können. Dennoch ist es nicht so pauschal zu sagen, in welcher Pflicht Arbeitgeber stehen. Denn: Einen Großteil macht eben auch eine persönliche Disposition aus und fehlende eigene Resilienz. Das ist keine Schuldfrage - ich bin nicht "selbst schuld" wenn ich auf Grund einer schwierigen Arbeissituation an einer Depression erkranke. Und sicherlich kann man auch Arbeitsbedingungen optimieren. Aber pauschale Forderungen bringen da meiner Ansicht nach nicht viel, sondern man müsste in jedem Unternehmen individuell schauen, wie die Arbeitszufriedenheit der Mitarbeiter hergestellt oder gefestigt werden kann. Und auch hier gilt die Regel: Man kann es nie allen recht machen. Wie Otterchen schon sagte, was den einen krank macht, damit kommt ein anderer vielleicht ohne Probleme klar.

Für jemanden, der an einer Depression erkrankt ist der wesentliche Schritt, zu schauen, was man selbst ändern kann, statt darauf zu warten, dass andere etwas ändern. Das erscheint zwar auf den ersten Blick ungerecht, ist aber doch eine gute Nachricht: Man ist selbstwirksam und nicht ausgeliefert, ob und wann andere etwas ändern.

Gruß, Flora
Zarra
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Registriert: 12. Mär 2010, 15:16

Re: Politisches Statement und Patientenkongress

Beitrag von Zarra »

Liebe Salomon,

Dir alles Gute!

LG, Zarra
Zarra
Beiträge: 5734
Registriert: 12. Mär 2010, 15:16

Re: Politisches Statement und Patientenkongress

Beitrag von Zarra »

Hallo,

ein Nachtrag aus ganz konkretem Anlaß sozusagen:

Ich kämpfe seit Montag mit Ärger und ZUSÄTZLICH zu anderem ist seither mein Schlaf nun ziemlich komplett durcheinander. Am Ärger ist mein direkter Personalvorgesetzter "schuld" (auch das könnte man sachlicher abtun, wie ich es oberflächlich bis gestern auch tat), der meinte, mein allen geltenden Ordnungen entsprechendes (!) Gleitzeitansinnen (vielleicht ungewöhnlich, doch es entspricht alles der festgelegten Ordnung; die Vertretung ist - bei uns: - SELBSTVERSTÄNDLICH auch organisiert) anders zu sehen.

Dieser Mann ist ungeeignet für Personalverantwortung (und vielleicht auch noch für anderes), auch wenn er an dieser Stelle sitzt - und das sehe nicht nur ich so, sondern meine nicht-depressiven KollegInnen würden das auch so sehen.

Trotzdem: Ist er nun schuld an der Verschlimmerung meiner Depression, auch wenn dies der Stein war, der ...? Nein; denn ich (!) reagiere so darauf. Kollege XY hätte ihn "den Hasen gegeben" und das Ganze zumindest gedanklich-psychisch abgehakt, so daß ihn dies zumindest nicht "verfolgt" hätte.

Meine frühere und immer noch eigentlich Chefin: ... Hm. Mein Vorteil: Wir mögen und schätzen uns (obwohl wahrscheinlich jede Seite auch etwas Negatives zu berichten hätte).

Fakt ist: Eine "politische" Vorgabe hätte mir heute nicht weitergeholfen, weder inhaltlich noch persönlich. (Gegenüber der eigentlichen Chefin. Und ihm gegenüber erst recht nicht, da ihn die nachlesbare Gleitzeit- o.ä. Ordnung ja auch "nicht interessiert", er das in seinem Gutdünken interpretiert und sich im Chef-Recht fühlt, auch wenn alles dagegen spricht.) Die Erwähnung von "Betriebsrat" (da "unglücklicherweise" ein paar eher direktere KollegInnen da drin sind, wußten die eh schon was) erzeugte eher Mißmut, Aufruhr und irgendwas - diese Gleitzeitordnung ist ja nicht nur mein Anspruch, sondern der aller!! -; als es dann persönlich wurde (... wir kennen uns immerhin schon über 20 Jahre ...), ... nach ... ging es dann.

Fazit: Es ist schwierig.

Und das als noch ganz harmloses Beispiel aus der Arbeitswelt, das genausogut einen Nicht-Depressiven hätte treffen können.

LG, Zarra
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