Zu den Eltern zurückziehen - kann das gut sein?

Antworten
Nachtflug
Beiträge: 253
Registriert: 3. Apr 2012, 23:15

Zu den Eltern zurückziehen - kann das gut sein?

Beitrag von Nachtflug »

Hallo ihr,

ich überlege im Moment wieder zurück nach Hause zu ziehen, weil ich mit meinem Studium nicht so zufrieden bin und gerne zumindest ein Fach wechseln möchte und auch an eine größere Universität mit mehreren Forschungsschwerpunkten möchte. Ein Fach würde ich behalten, ich kann mir auch Prüfungen (die auch jetzt noch ablege) wahrscheinlich anrechnen lassen. Das andere Fach würde ich durch ein anderes Austauschen - ich habe auf jeden Fall noch Fachstudienberatungen dazu.
Nun kommt für mich ein weiterer Neuanfang nicht in Frage, in meiner jetzigen Stadt müsste ich noch 2 Jahre bleiben, da ich das erste Jahr aufgrund einer sehr schweren depressiven Episode nicht studieren konnte. Ich bin aber nicht so glücklich hier, weil ich alles an der Stadt mit dieser Krankheit verbinde. Die Uni ist zudem sehr klein und vielen bin ich eben als "die, die Probleme hat" bekannt, das ist eine doofe Rolle für mich .

Ich bin zur Zeit fast jedes Wochenende aufgrund von Veranstaltungen wieder in meiner Heimatstadt gewesen und bin ganz gut zurecht gekommen. Ich habe hier einige sehr enge Freunde, die sich über meine Rückkehr freuen würden und mich unterstützen. Aber die Stadt ist eben sehr teuer und da mir meine Eltern nun schon zwei nicht so produktive Studienjahre finanziert haben und mein Bruder ausgezogen ist, würde ich erstmal wieder zu Hause einziehen, wir haben wirklich genug Platz. Also mit nicht produktiv meine ich, dass ich halt in den ersten zwei Semestern keine Prüfungen ablegen konnte. Die, die ich jetzt gemacht habe, da war ich schon ganz gut drin.

Also mein Hauptmotiv ist jetzt nicht, dass ich nicht eigenständig leben kann, sondern, dass ich hier studieren und leben möchte und keinen Neuanfang in einer weiteren Stadt wagen möchte.
Nun raten mir einige aber auch mit Horrorgeschichten ab "Sowas geht nie gut, die Leute die schonmal ausgezogen waren, halten es nicht länger als zwei bis drei Monate zu Hause aus etc." Ich bin mir auch wohl bewusst, dass meine Erkrankung zu einem großen Teil durch einen Abnabelungskonflikt ausgelöst wurde. Allerdings haben sich jetzt die Verhältnisse verändert, meine Eltern sind nicht mehr so auf mich fixiert, unternehmen mehr untereinander.
Ich weiß zwar, dass es sich manchmal wie eine Niederlage anfühlen könnte zurückzukehren, andererseits denke ich mir, es ist ja auf einen Zeitraum von zwei bis drei Jahren begrenzt. Wenn ich wieder Kraft tanke in meiner Heimatstadt, mir der Neuanfang in einer anderen Universität gut tut, habe ich vielleicht auch wieder Kraft für einen Nebenjob. Zudem würde ich gerne versuchen ein bis zwei Semester ins Ausland zu gehen, also wäre auch nicht die ganze Zeit nur zu Hause .
Und ich habe eben überlegt was für mich im Moment höhere Priorität hat - Bildung oder größere Eigenständigkeit und Bildung bedeutet mir im Moment mehr. (Mir machen intellektuelle Sachen einfach sehr viel Spaß.)

Ganz wichtig für mich - das habe ich auch mit meinen Eltern besprochen - ist, dass ich nicht in die Kinderrolle zurückrutschen möchte. Daher will ich mich (wie auch die letzten Jahre vor dem Auszug) regelmäßig am Haushalt beteiligen. Im Gegenzug erwarte ich eben nicht so stark beobachtet/kontrolliert zu werden.

Mich zieht es nach den eher schmerzlichen Erlebnissen der letzten zwei Jahre ziemlich zurück, ich vermisse mein Umfeld hier, meine Freunde, meine Tanten, meine Oma.
Ist es wirklich eine "Niederlage" und "unmöglich" wieder bei den Eltern einzuziehen, oder kann das nicht auch zur Stabilisierung ganz gut sein, wenn das Verhältnis wieder stimmt? Muss man denn wirklich räumlich getrennt sein um "eigenständig" und "selbstständig" zu leben?

Habt ihr vielleicht weitere Ideen, was man tun könnte um ein Zusammenleben auf Augenhöhe zu ermöglichen?

Alles Gute,
Nachtflug
Reve
Beiträge: 753
Registriert: 4. Jun 2008, 17:35

Re: Zu den Eltern zurückziehen - kann das gut sein?

Beitrag von Reve »

Hallo Nachtflug,

gäbe es denn nicht die Möglichkeit, dass du zu Hause fürs erste deine Zelte aufschlägst, aber eben mehr mit WG-Charakter.
Wir haben das teils so praktiziert...

Also sprich alleine essen, muss man sich halt manchmal etwas abstimmen, vielleicht sogar selbst waschen, bügeln.... der Rest verteilt sich dann ja eh.
Und wenn alles läuft, könntest du dich ja vielleicht nach einer richtigen WG umsehen.

LG, Carin
Nachtflug
Beiträge: 253
Registriert: 3. Apr 2012, 23:15

Re: Zu den Eltern zurückziehen - kann das gut sein?

Beitrag von Nachtflug »

Hallo Carin,

ja, das mit dem WG-Charakter stelle ich mir auch so vor. Also auf keinen Fall möchte ich betüddelt werden, aber das habe ich schon die zwei Jahre vor meinen Auszug nicht mehr zugelassen (meine Eltern waren deswegen beleidigt)! Ich werde mich auf jeden Fall am waschen, bügeln, putzen, kochen usw. beteiligen. Wobei wir da eher weniger sagen "jeder macht das selbst", als das wir uns abwechseln. Ist eben doch ökonomischer ne Waschmaschine mit Sachen von drei Leuten vollzumachen, als wenn jeder einzeln wäscht .
Wobei alleine essen, vielleicht doch komisch ist, wenn bei uns jemand kocht, dann meist von der Menge auch für alle anderen mit und wir essen zusammen. Das finde ich gar nicht so verkehrt, solange es nicht Pflicht ist und auf Freiwilligkeit beruht (also wenn ich koche und meine Eltern gehen zum Beispiel zum Sport, esse ich natürlich alleine. Wenn wir aber alle da sind, spricht meiner Meinung nichts dagegen zusammen zu essen )
Und sonst, also da ich jetzt etwas geisteswissenschaftliches mit was eher mathematisch-logisch-technischen kombinieren will und es auf ein 1,5-Studium hinausläuft, weiß ich noch nicht wie viel Zeit ich haben werde, zu jobben(Vorher hatte ich stattdessen ein wirtschaftswissenschaftliches Fach als Zweitfach).
ALso während der Schule habe ich seitdem ich 17 war schon immer auch nebenher gearbeitet, aber seitdem ich meine Hypomanie und danach mein Komplettabsturz in die Depression hatte, möchte ich meine Belastungsgrenze erstmal austesten. Also wenn ich merke ich habe locker Luft, werde ich vielleicht einen 400 Euro-Job in einem Nicht-Intelektuellen-Bereich als Abwechslung machen. Aber davon lässt sich hier nicht der Lebensunterhalt + Wohnung bestreiten.
Eine Wohnung/WG-Zimmer kostet hier meist so ~500 Euro warm und selbst wenn ich so sparsam lebe wie in der Kleinstadt mit geringen Lebenshaltungskosten, in der ich im Moment lebe, verbrauche ich dennoch so 300-350 Euro im Monat für Essen, Strom, Kleidung, Telefon, Freizeitaktivitäten .

Daher müssten meine Eltern mir - selbst wenn ich Kraft habe zu arbeiten - mindestens 400 Euro mitfinanzieren. Und in den letzten zwei Jahren haben sie mir eben alles finanziert (konnte nicht arbeiten aufgrund von psychischer Verfassung), auch wenn das in der Kleinstadt dann wesentlich günstiger war als es hier wäre.
Für mich wäre in erster Linie, da ich durch meine Krankheit 1-2 Jahre länger studiere also auch ein finanzielles Zugeständnis an meine Eltern erstmal hier zu leben. Dafür würde ich eben gerne versuchen, über Erasmus 1-2 Semester im Ausland zu studieren, um nicht die volle Zeit zu Hause zu hocken und auch neue Eindrücke zu sammeln, meine Sprachkenntnisse ausfeilen . Zumal ich eben in meinem Fachbereich eh schon einen sehr großen Teil der Vorlesungen, Seminare und Arbeiten auf Englisch absolviere und für mich sprachlich das kein Problem ist.

Aber ich würde schon gerne danach wieder ausziehen. Nur weiß ich eben noch nicht um meine Belastungsgrenze. Bei mir haben eben auch Manie und z.T. psychotische Symptome wie Wahn eine Rolle gespielt und ich möchte auf keinen Fall in diese Hölle zurück, weil ich mich überlaste! Nie wieder, nie!

Alles Gute,
Nachtflug
FrauRossi
Beiträge: 3166
Registriert: 2. Jul 2011, 11:23

Re: Zu den Eltern zurückziehen - kann das gut sein?

Beitrag von FrauRossi »

Hallo Nachtflug,

zurück in die Heimatstadt zu Freunden und Familie kann ich verstehen. Auch dass du nicht in eine noch andere Stadt möchtest.

Aber wozu zurück ins Elternhaus? Du kannst auch in der Heimststadt eine WG suchen, oder mit alten Freunden eine gründen, oder im Studentenwohnheim wohnen oder oder oder.

Warum muss es das Elternhaus sein? Nur der Finanzielle Faktor?

Wenn du Abnabekungsprobleme hattest, dann scheint mir das nicht die Lösung erster Wahl zu sein. Und zeig mir mal ne Mutter die sich ans nichtbetüddtln hält.

Wenn du dir keine Wohnung leisten kannst, weil du rs nicht schaffst neben dem Studium zu arbeiten. Tja dann bleibt dir wohl nichts anderes übrig. Bafög steht dir nicht zu?

LG FrauRossi
Nachtflug
Beiträge: 253
Registriert: 3. Apr 2012, 23:15

Re: Zu den Eltern zurückziehen - kann das gut sein?

Beitrag von Nachtflug »

Hallo FrauRossi,

Bafög steht mir eher nicht zu, wenn nur in sehr geringem Umfang.
Das Problem ist hier eher, dass man es sich auch trotz Nebenjob nicht selbst finanzieren kann . Zudem herrscht große Wohnungsnot, auf eine Wohnung kommen 70-140 Bewerber. Daher werden Studierende, die hier schon eine Wohnmöglichkeit haben auch eher angehalten diese zu nutzen, weil "Neuankömmlinge" sonst vielleicht bald gar keinen Wohnraum mehr finden. Anspruch auf Studentenwohnheim habe ich deshalb auch nicht. Und Neugründungen einer WG mit Freunden ist derzeit unmöglich, man kann sich lediglich ein WG-Zimmer bei Fremden suchen (wogegen ich nichts pauschal habe, aber kostet eben immer noch Viele Leuten suchen über ein Jahr, bis sie mal eine Wohnung finden.

Zudem ist das Studium eben heutzutage wesentlich straffer und ic habe mir eben auch zwei komplexere Fächer ausgesucht. Also mehr als 400 Euro nebenbei verdienen ist als Student eher utopisch und selbst das ist schon mit einer gewissen Belastung verbunden. Und da ich eben ein 1,5-Fach statt ein 1-Fach Studium mache, habe ich vom Studium her mit Vor- und Nachbereitung eine 40-Stunden-Woche, wenn ich es etwas schleifen lasse vielleicht eine 32-Stunden Woche.
Das ist für mich mittlerweile wieder machbar, vielleicht auch am Wochende einen Tag zusätzlich zu arbeiten, wenn ich zu Hause wohne. Aber, das würde ich erstmal austesten.
Ich möchte das jetzt nicht alles sofort im ersten Semester austesten, am Schluss katapultiere ich mich wieder hocheuphorisch in eine arbeitswütige, kreativ-sprudelnde Manikerin, die zwar kruzzeitig sehr erfolgreich ist in allem und 10.000 Projekte am laufen hat, aber dann für 1-2 Jahre aussteigen muss

Aber ich hatte ein sehr gutes Abi und vielleicht, wenn ich im ersten Semester es schaffe, wieder gute Prüfungen zu schreiben, könnte ich mich für ein Stipendium bewerben. Vielleicht kann ich so einen Auszug wieder beschleunigen?

Alles Gute,
Nachtflug
Gerbera
Beiträge: 619
Registriert: 31. Mär 2013, 00:24

Re: Zu den Eltern zurückziehen - kann das gut sein?

Beitrag von Gerbera »

Hallo Nachtflug,

nach einer schweren Depression habe ich den Arbeitsplatz gewechselt. Das hat mir sehr gut getan, denn meine alte Arbeitsstätte verbinde ich ganz intensiv mit dem Ausbruch der Depression. Ich mache auch heute (etwa eineinhalb Jahre nach meinem Wechsel) noch immer einen großen Bogen um das frühere Betriebsgelände. Als ich zwischenzeitlich mal hin musste, hatte ich eine milde Panikattacke. Ich hoffe, das irgendwann in den Griff zu kriegen, aber das hat Zeit.
Aus dieser Erfahrung heraus kann ich Dir nur zustimmen, dass es gut ist, in Deine Heimatstadt zurückzukehren.

Nachdem Du wegen der Wohnungsnot keine Chance auf ein Studentenzimmer/WG-Zimmer hast, bleibt Dir wohl gar keine andere Wahl als die Rückkehr ins Elternhaus. Nachdem die Aufteilung der Aufgaben mit meiner noch bei uns lebenden und studierenden Tochter gut klappt: warum sollte es bei Dir und Deinen Eltern nicht funktionieren? Wir handhaben es so, dass mal meine Tochter uns bekocht (eher öfter) und mal ich uns alle bekoche, wir gemeinsam essen, Tisch abräumen, und dann unternimmt sie etwas mit ihrem Freund, ihren Freundinnen, arbeitet was fürs Studium oder wir setzen und auch mal gemütlich zusammen - ganz wie es uns in den Kram passt, ohne Zwang. Ich schalte oft morgens die Waschmaschine ein, für uns alle wohlgemerkt, und meine Tochter, die später aus dem Haus geht, hängt sie dann auf usw.. So ist beiden Parteien geholfen. Auf dieser Basis sollte es doch auch für Dich und Deine Eltern unproblematisch sein mit dem Zusammenleben und -wohnen, oder?

Aus meiner Sicht ist es besser, in eine vertraute Umgebung zurückzukehren als einen Neuanfang in einer völlig fremden Umgebung zu wagen. Es wird stressig genug sein, in Deiner Heimatstadt alles zu organisieren, Papiere zu beschaffen und an die richtigen Stellen zu bringen (insbes. was die Uni betrifft). Da brauchst Du Dir nicht auch noch den Stress mit der Wohnungssuche und dem Knüpfen neuer privater Kontakte zu machen. Das Risiko, dass daraus ein Rückfall entsteht, wäre mir zu groß.

Viel Glück mit dem Finden der richtigen Entscheidung - und viel Erfolg für den Wechsel Deines Fachgebiets !

Liebe Grüße
Gerbera
FrauRossi
Beiträge: 3166
Registriert: 2. Jul 2011, 11:23

Re: Zu den Eltern zurückziehen - kann das gut sein?

Beitrag von FrauRossi »

Hallo Nachtflug,

Hmm ok du scheinst in einer eher teuren Ecke zu wohnen. Hier ist das alles machbar, aber natürlich auch anstrengend.

Vielleicht gibt's ja bei deinen Eltern die Möglichkeit wirklich wie so eine Art Untermieter zu wohnen?
Vom Stressfaktor her ist bei den Eltern wohnen sicher viel entspannter, wenn du echt nur studieren brauchst.

Ich würde an deiner Stelle aber im Vorhinein klare Regeln vereinbaren, denn ich halte die Situation für sehr schwierig.

Alles gute und viel Glück.

LG FrauRossi
ndskp01
Beiträge: 2874
Registriert: 9. Feb 2008, 19:34

Re: Zu den Eltern zurückziehen - kann das gut sein?

Beitrag von ndskp01 »

Liebe Nachtflug,

ich habe ehrlich gesagt auch Bedenken. Die Situation zwischen dir und deinen Eltern hast du vor einem halben Jahr als so schwierig geschildert, dass ich mir schwer vorstellen kann, dass ein Wiedereinzug für dich gut ist. Auch wenn die Metropole (weiß nicht wo du wohnst) teuer ist, finden sich auch dort bestimmt individuelle und passende Lösungen. Nur wenn du gar nicht suchst, wirst du nicht finden, was zu deiner derzeitigen Situation passt. Ich glaube das Wohnen bei den Eltern kann nur eine Zwischenlösung sein.

Wie sehen eigentlich deine Eltern die finanzielle Seite? Würden die dich ggf. nicht doch trotz der verlorenen zwei Studienjahre weiter finanziell unterstützen?

Liebe Grüße, deine puk
Nachtflug
Beiträge: 253
Registriert: 3. Apr 2012, 23:15

Re: Zu den Eltern zurückziehen - kann das gut sein?

Beitrag von Nachtflug »

Hallo ihr Lieben,

@Gerbera: Ja, genau deswegen will ich den Ortswechsel. Ich möchte Abstand von diesen ganzen negativen Emotionen und ich merke jedesmal, wenn ich die Unigebäude, die Stadt sehe, wie ich alles mit dieser Phase assoziiere! Aber ich brauche gute Freunde (also bleibt nur hier oder in der alten Stadt), einen erneuten Umfeldwechsel würde ich mir erst wieder zumuten wenn ich länger stabil war. Denn komplett neue Leute suchen ist immer wahnsinnig anstrengend.

Danke insgesamt für die vielen Tips.

@ PUK: Also ja, das Verhältnis war wirklich sehr schwierig, wir hatten damals mehrere Probleme/Konflikte. Vielen von denen haben sich aber gelegt, meinen Eltern geht es wesentlich besser. Wir haben auch vernünftig darüber reden können und uns sogar gegenseitig beieinander entschuldigt. Die Krisenzeit scheint überwunden. Und vor dieser Krise, die 2-3 Jahren dauerte, bin ich auch recht harmonisch aufgewachsen.
Meine Eltern würden mich finanziell schon weiter unterstützen, nur finden sie es nicht unbedingt gut, mir hier eine eigene Wohnung zu finanzieren, wo wir doch zwei Zimmer leerstehen haben. Sie lassen auch mit sich reden, was den Umgang miteinander, mein Wunsch nach Selbstständigkeit angeht. Da sind sie wesentlich lockerer geworden. Generell klammern sie nicht mehr so, sie sind beide stabiler, haben wieder viele Hobbys und sind viel unterwegs. Das sehe ich als sehr positiv . Und auch für sie waren die zwei letzten Jahre eine Grenzerfahrung. Ich war immer sehr "brav", hab in allen Bereichen gut "funktioniert" und plötzlich diese 180°-Drehung und nichts hat mehr bei mir geklappt. Sie sind mittlerweile einfach froh, dass es mir wieder einigermaßen gut geht und stellen nicht mehr so hohe Anforderungen an mich. Ich haben ihnen auch direkt gesagt, ich möchte klare Ansagen, was sie vorhaben, was ihnen nicht passt und keine gegensätzlichen/doppeldeutigen Aussagen. Da kann ich psychotisch von werden, weil das mich verwirrt und ich keinen Lösungsweg finden kann (Wie auch wenn jemand "Hü" und "Hott" gleichzeitig sagt?). Ich reagiere auch so, dass ich nicht mehr so viel erzähle und sie akzeptieren das dann auch.

@All:
Was ich mir überlegt habe: Ich könnte das erste Semester probeweise bei meinen Eltern gucken und sehen wie's läuft. Nebenbei schonmal nach Alternativen für den Notfall gucken. Habe gesehen, dass ich eventuell, doch einen Wohnheimplatz bekommen kann, halt mit Wartezeit, nicht sofort. Die letzten 1-2 Semester möchte ich ja auf jedenfall ins Ausland, da wäre ich nicht zu Hause. Und eventuell wird auch die Wohnung von meinem Bruder 1-2 Semester frei, wenn er weg ist, dann könnte ich für die Zeit in sein Appartment ziehen und auch alleine dort leben. Das könnte sich auch ergeben.

Auf jeden Fall kann ich mir vor Augen halten, dass die Entscheidung keine Endgültige ist und das eine nicht unbedingt etwas mit dem anderen zu tun hat. So das ich vielleicht sagen kann: Ich will zurück in die Stadt, aber muss gar nicht unbedingt nach Hause. Wenn es nicht geht, werde ich gehen.

Denke, dass ist mir jetzt auf jedenfall mehr bewusst geworden. Ich werde mich vielleicht einfach mal für ein paar Zimmer bewerben, für einen Wohnheimplatz auf die Warteliste setzen - denn absagen kann ich ja immer noch, wenn ich mich dagegen entscheide.

Aber wie gesagt habe ich auch Verständnis für die Sicht meiner Eltern, dass es finanziell schon eine Belastung ist und vielleicht auch etwas unsinnig, wenn man hier Wohnraum hat.
Wenn ich jetzt alles finanzieren könnte, klar wäre's kein Problem, aber komplett unabhängig geht halt nicht, nur teilweise. Und zumindest muss ich meine Eltern dann halt überzeugen und ruhig mit ihnen darüber sprechen. Als Studierender ist man eben nicht komplett frei von den Eltern (außer Bafög/Kredit) und in gewissen Sachen muss man sich in den Lehrjahren eben einschränken, bis man für seinen Lebensunterhalt komplett selbst aufkommen kann. Außer man nimmt einen Kredit auf - aber das würde ich nur, wenn das Verhältnis total schlecht wäre, weil was wenn ich nochmal so krank werde? Vor dem Hintergrund einmal schwer erkrankt zu sein, ist man da vorsichtiger bei sowas.

Alles Gute,
Nachtflug
elas
Beiträge: 2102
Registriert: 12. Mär 2009, 16:50

Re: Zu den Eltern zurückziehen - kann das gut sein?

Beitrag von elas »

Guten Morgen liebe Nachtflug.


Du hast eine sehr schwere Depression nach einer hypomanen Phase hinter Dir.
Das Ganze ist kein Pappenstil, und davor hast Du den größten Respekt.

Ich finde es gut und richtig, dass Du Überlegungen anstellst, wie Du Deinen Übergang in die Heimatstadt und an die dortige Uni so gestalten kannst, dass Du stabil bleibst, und es Dir gut geht.

Ich kann auch ungemein gut nachvollziehen, dass Du lieber wieder in Deine Heimatstadt gehen willst um dort zu studieren, da Dir ein Neuanfang in einer neuen Universitätsstadt zu anstrengend und damit zu grenzwertig erscheint.
Bekanntes mit Unbekanntem zu kombinieren halte ich immer für hilfreich, in allen Lebenslagen. Also neue Uni, ein neues Studienfach, aber alte Bekannte Freunde, die Tanten und die Großmutter, die Du sehr magst.

Und nun das Thema mit Deinen Eltern.
Es wäre in der Tat die kostengünstigste Variante, wieder ins Haus Deiner Eltern zu ziehen.
Platz genug wäre ja auch da.

Aber, ich sags mal so ehrlich, wie ichs empfinde beim Lesen dieses Threads.
Mir schwindelt bei der Vorstellung. Und ich halte es für brandgefährlich.
Deine Eltern und Du, Ihr zusammen habt Euch einen gewissen Status Quo erarbeitet, ein gegenseitiges Gleichgewicht, wos einigermaßen funktioniert, ein sich gegenseitig Raum lassen, eben auch ganz besonders durch die RÄUMLICHE TRENNUNG.

Wie schnell könnte man da wieder ins alte Fahrwasser kommen, wenn Ihr wieder zusammenwohnt?
Unkenrufe, ich weiß.

Ich halte die Lösung, Dir ein eigenes Zimmer in WG, bzw. im Studentenwohnheim (Warteliste) zu nehmen für viel besser.
Oder, hat eine Deiner Tanten oder gar Deine Großmutter ein kleines Zimmer frei für Dich?

Hmmh, ich selber gehöre ja einer ganz andren Generation an , als Du.
Aber ich war irgendwie heilfroh, als ich mit 19 ausm Haus ging zum Studium.
Ich hatte das Gefühl, ich würde wahnsinnig werden, wenn ich weiter bei meinenEltern oder sogar in deren Nähe bleiben würde.

In diesem Alter ist man, frau doch dabei, -endlich-sein eigenes Leben zu stricken und viele, viele Erfahrungen zu sammeln, neue Erfahrungen, mit Studium, mit neuen Freunden, mit Festen, Weggehen, erotische Erfahrungen, kurzfristiger, längerfristiger.

Boah, ich wollte alle diese Erfahrungen damals ohne das Einmischen meiner Mutter machen, ohne deren ständige kontrollierende und zersetzende Kommentare.

Und eine freie Sexualität/Liebe zu genießen neben dem Schlafzimmer meiner Eltern, das wäre mir nie gelungen.

Ich habe jetzt von mir erzählt. Es sind meine Gedanken und Einstellungen zu diesem Thema.
Wenn Du nichts damit anfangen kannst, dann
diesen Beitrag einfach nicht beachten.

An Deinen Beiträgen hier in diesem Thread gefällt mir sehr, wie genau und differenziert Du dieses Thema angehst.

Du wirst den richtigen Weg für Dich finden.


Herzlich
Selas
________________________________

Der Weg ist das Ziel



Lebensringe sind auch Themenringe
Nachtflug
Beiträge: 253
Registriert: 3. Apr 2012, 23:15

Re: Zu den Eltern zurückziehen - kann das gut sein?

Beitrag von Nachtflug »

Liebe Selas,

danke für deinen Beitrag. Ich sehe es nicht mehr ganz so wie früher, dass man ausgezogen sein muss, um ein erwachsenenes Leben zu führen. Vieleicht auch deshalb, weil viele meiner Freunde länger zu Hause wohnen, wenn sie in der Metropole leben. Nicht aus Faulheit, sondern aus Gründen der gestiegenen Belastungen im Studium, dem Wissen um die eigene Grenze der Belastbarkeit und die immer höher werdenden Mieten. Das finde ich legitim und sinnvoller, als sich auszubrennen. Viele ziehen dann nach dem Bachelor aus, wenn sie schon einen Abschluss haben und als Werkstudent etwas besser bezahlte Jobs bekommen und so eher eine Miete bezahlen können.

Was mich betrifft - ja ich denke, ist kann gefährlich sein. Muss aber nicht. Ich werde mich auf jeden Fall noch weiter mit der Frage beschäftigen, mich für Alternativen bewerben.
Bei anderen Verwandten sieht es eher schlecht aus, was den Platz betrifft.

Und ja, ich wollte damals mit 19 auch unbedingt raus, alles mögliche erleben frei sein -- in der Zeit überrollte mich meine Hypomanie, ein zu unkrontrollierter und wenig zielgerichteter Befreiungsversuch. Meine Eltern waren nicht wirklich begeistert, vor allem waren sie schockiert von meiner vielen Energie - Hans Dampf in allen Gassen.

Und ich habe es kennengelernt, alleine zu leben - allerdings sehr krank. Es war eine schlimme, schlimme Zeit. Ich habe dennoch Freunde gefunden, so manche Dinge erlebt, auch mal sowas wie Fast-Partner gehabt.
Aber: Ich war nie so unbeschwert, wie ich mir das vorgestellt habe. Es war ein Kampf, um mein Leben, meine Gesundheit, meine Leistungsfähigkeit. Kein unbeschwertes Studentenleben, (fast) keine Partys, kein Alkohol, wenig Hobbys (ich habe früher immer sehr viel Sport gemacht), viel zu Hause sitzen. Die wenige Kraft die ich hatte gingen für Alltagsdinge drauf, oder Arztbesuche. Später, um erst wieder meine abgebrochenen Kontakte zu pflegen, mal mit Menschen zu reden, Dinge für die Uni zu erledigen. Mein größtes Hobby war kochen, das hat mir immer gut getan, in der schweren Zeit.
Ich habe viel, viel geschlafen, war sehr erschöpft, hatte Angst, Versagensängste, immer wieder Panikattacken in der Uni, als ich nach einem Jahr wieder hingehen konnte. Manchmal bin ich zusammengebrochen, als es mir besser ging, die Unihürde anstand und ich schon wieder auf 150%-200% anfangen musste. Über meine Belastungsgrenze gehen, von Anfang an. Und dann in diesem Ort, der mich an alles erinnert. Ich bin immer wieder aufgestanden. Einmal haben die Leute den Notarzt gerufen, weil ich durch eine anfangs höhere Dosis des Medikaments Muskelkrämpfe hatte, benommen war (Ich wusste damals nicht, dass das normal ist). Ich hatte trotzdem versucht ein Referat zu halten. Ich bin am selben Tag aus der Notaufnahme wieder nach Hause und habe am nächsten Tag im Seminar wieder ein Referat gehalten (die Ärzte hatten keine Bedenken), diesmal konnte ich es beenden. Aber ich musste sehr für solche einfache Dinge kämpfen, immer wieder.
Früher habe ich fast aus dem Stehgreif super Beiträge abliefern können. Jetzt stand ich manchmal vorne wie ein kleines, verschüchtertes Mädchen, das um jedes Wort ringen muss. Zu viel Angst in mir, Angst das wieder alles zerbrechen könnte, meine Realität, meine Wahrnehmung, meine Stimmung. Angst, weil ich eine Welt kennengelernt habe, von der ich nicht wusste, dass es sie gibt.
Nicht zurückweichen, nach dem Chaos des letzten Jahres, immer wieder mich den Alltagsdingen stellen. Meine Konzentrationsfähigkeit wiederherstellen. Lange Texte lesen, englische Bücher, Beweise, nur nicht aufgeben.
Auch wenn ich nur eine geringe Dosis nehme, das Medikament macht mich immer ein wenig benommen. Wenn ich viel Stress habe, ermüde ich so schneller als früher. Dennoch schaffe ich der Uni wieder das Pensum, aber es kostet Kraft.

Ich bin nicht mehr euphorisch und voller Elan die Welt zu erobern, ich habe gelernt auf viele Dinge zu verzichten und mit kleinen Sachen zufrieden zu sein. Kleine Schritte nach vorne. Zufriedenheit ist wichtiger als Euphorie. Authentizität und Ehrlichkeit wichtiger als Macht. Sich auf das besinnen, was man alles hat und versuchen diese Ressourcen zu nutzen. Ich muss niemanden etwas beweisen, nichtmal mir selbst. Ich möchte einfach etwas tun, was ich kann und was mir Spaß macht.

Freie Sexualität? Sowas ist mir momentan überhaupt nicht mehr wichtig... Zum Eeinen dämpft mein Medikament mein Bedürfnis danach. Zum anderen möchte ich erst wieder stabil werden, Boden unter den Füßen haben, bevor ich mir überhaupt wieder Gedanken um einen Partner mache. Ich habe meine Erfahrungen gesammelt, aber es ist auch nicht alles im Leben. Ohne Gesundheit ist alles nichts. Solange man sich nicht sehr verliebt und einen wirklich passenden Partner findet, spielt das für mich erstmal keine so große Rolle. Ich bin auch nicht unerfahren, ich muss jetzt nicht alleine leben, um mich auszutoben oder so.
Mir wäre irgendwann, wenn ich stabil wäre, eine stabile, tiefgründige Partnerschaft wichtiger. In der Metropole ist es leicht, junge Männer kennenzulernen, erst Recht an der Uni.
Aber im Moment pflege ich vor allem die engen Freundschaften, die ich schon habe. Mein Familie, auch meine weitere. Ich bin froh, dass ich all das nicht verloren habe. Ich bin froh, dass alle zu mir stehen. Ich habe sie sehr gerne. Ich möchte gesund bleiben, die Zeit genießen können.

Alles Gute,
Nachtflug
elas
Beiträge: 2102
Registriert: 12. Mär 2009, 16:50

Re: Zu den Eltern zurückziehen - kann das gut sein?

Beitrag von elas »

Liebe Nachtflug.


Hab Dank, dass Du mich so an Deinen Gedanken und Deinem Leben teilnehmen lässt.

Ich sehe alle Deine Fürs und Widers, wieder bei den Eltern einzuziehen.
Lässt es sich wirklich selbständig werden, wieder bei den Eltern? Diese Frage stellst Du.

Darauf habe ich natürlich nicht die für Dich richtige Antwort, da es ja Dein Leben ist.
Und Du musst in Dich hineinhören, fühlen, was geht derzeit, was geht nicht. Was hat Priorität, was nicht. etc.

Bedenklich halt für mich, dass Du im Eingangsposting geschrieben hast, dass diese Episode durch diesen Trennungskonflikt
ausgelöst worden ist.

Ungemein beachtlich empfinde ich beim Lesen Deiner Beiträge, wie begabt und intelligent Du bist, und trotz psychischer Symptome so Vieles an der Uni hingekriegt hast.
Chapeau.

Das ist eine Ressource. Du wirst diesbezüglich Deinen Weg machen, Deinen Abschluss hinkriegen. So ein paar maue Semester, in denen nicht viel läuft, hmmmh, ich glaube, das ist Einigen im Leben so gegangen.

12.6.1973 Mein Abitur. 40 Jahre Abitur jetzt demnächst in diesen Tagen.
Irgendwie habe ich mich daran erinnert, bzw. Dein Thread hat mich daran erinnert.....

Oh nein, Du darfst Dir nicht vorstellen, dass alles so euphorisch und glatt gegangen wäre nach meiner Flucht aus meinem Elternhaus.
Es war ein wichtiger und richtiger Schritt. Mit allen Konsequenzen. Aber es waren sehr harte Jahre. Durchbeißen hieß die Devise.
Finanziell und auch ansonsten.

Wie heißt dieses blöde deutsche Sprichwort?
Lehrjahre sind keine Herrenjahre.
Blöd_aber wahr. Jedenfalls für mich.

Irgendwann habe ich schon meinen Platz als junge Frau in der Welt gefunden, natürlich später auch gehabt.
Aber es war auch ein Kampf.
Viele Irrungen und Wirrungen.

Ich glaube sowieso, dass das die schwierigste Phase im Leben von Menschen ist.
Dieses sich Abnabeln von Eltern, von der Kernfamilie, aus der Stadt, aus der man kommt, und sich dann aufmachen auf den eigenen Weg.

Dieses sich selber Finden. Wie will ich sein, was lässt sich mit welchen Ressourcen verwirklichen?
In welchen sauren Apfel muss ich beißen, um dieses oder jenes Ziel zu erreichen.

Ich meine, Du stellst schon die richtigen Fragen.

Ich glaube, in einem Punkt haben wir uns ein wenig missverstanden.
Es ist der Punkt mit der "freien Sexualität".
Ich habe von mir gesprochen, ich hätte damals vor 40 Jahren mein Frausein nicht entwickeln können, in meiner damaligen Partnerschaft, wenn ich neben dem Schlafzimmer meiner Eltern gewohnt hätte.

Ich spreche und erzähle nur von mir.

Ich habe es gerade gar nicht aufm Schirm.
Machst Du Psychotherapie?
Mich würde schon interessieren, was ein möglicher Therapeut/In zu Deiner derzeitigen Situation sagen würde.

Nein, ein Zurückziehen zu den Eltern muss nicht in jedem Fall ein Rückfall sein, ein Rückfall ins Kindliche.
Fußangeln sind da. Du siehst sie selber.

Lass Dir Zeit. Du wirst eine verträgliche Entscheidung finden für Dich.
Auf jeden Fall wünsche ich es Dir von Herzen.


Selas
________________________________

Der Weg ist das Ziel



Lebensringe sind auch Themenringe
Gerbera
Beiträge: 619
Registriert: 31. Mär 2013, 00:24

Re: Zu den Eltern zurückziehen - kann das gut sein?

Beitrag von Gerbera »

Hallo Nachtflug,

alles, was Du schreibst, klingt sehr durchdacht, mit anderen Worten wägst Du die Fürs und Wieders sehr genau ab. Die Idee, erstmal ins Elternhaus zurückzugehen, zu schauen, wie es läuft und eventuell parallel ein Wohnheimzimmer zu suchen, finde ich gut.

Deine Gedanken zu Selas' Beitrag sind für mich voll nachvollziehbar, die Angst vor dem Rückfall, das Wissen um eigene Einschränkungen - Du hast Dich sehr intensiv mit Deiner Situation auseinander gesetzt. Ähnliche Überlegungen habe ich auch angestellt - nach ein paar Monaten Therapie...

Ich komme übrigens eher aus der Altersklasse von Selas, wie meine erwachsene Tochter zeigt. Könnte es eigentlich sein, dass Du aus dem Süden Deutschlands stammst, meiner Heimatstadt, Deutschlands heimlicher Hauptstadt?

Wie immer Du Dich entscheidest, es wird der richtige Weg sein, DEIN Weg.

Ganz liebe Grüße
Gerbera
Mione
Beiträge: 284
Registriert: 17. Okt 2010, 16:41

Re: Zu den Eltern zurückziehen - kann das gut sein?

Beitrag von Mione »

Hallo Nachflug,

mich haben deine Posts sehr berührt, da ich vor einiger Zeit vor ähnlichen Überlegungen stand.

Ich war damals zum Studienbeginn weiter weg von Zuhause gezogen, in eine eigene Wohnung und hatte dann im Laufe des ersten Semester meine erste depressive Episode. Danach war ich erstmal länger krank geschrieben. Als es mir dann irgendwann wieder besser bin, kam die Frage, was jetzt?
Obwohl meine Ärztin und meine Eltern gerne gesehen hätten, dass ich das Studium dort wieder aufgenommen hätte, wollte ich partout nich zurück in diese Stadt, an diese Uni. Für mich war das alles total mit den negativen Erfahrungen in der Depression verknüpft. Meine eigentlich schöne kleine Wohnung erinnerte mich nur noch an die Panik und Verzweiflung, die ich dort empfunden hatte, die Uni an die Prüfungen, die ich nicht hatte mitschreiben können und die Mitstudenten an die Frage, was denn mit mir los wäre...Ich wollte gerne einen Neuanfang. Erst hatte ich überlegt, zurück zu meiner Familie in die Stadt zu ziehen (wieder Zuhause zu wohnen wäre aus platztechnischen Gründen nicht gegangen) und dort eine Ausbildung anzufangen. Ich wollte in diesem Meer aus Unsicherheit und Ängsten, die ich nach der Diagnose hatte( Wie gehe ich jetzt damit um? Werde ich mein Leben so wie vorher führen können? Was mache ich, wenn ein Rückfall kommt?), unbedingt etwas Vertrautes um mich haben, das mir Halt gibt.
Letztlich bin ich dann in einer anderen, mir aber schon gut bekannten Stadt, wo ich schon liebe Menschen kannte, und in einem anderen Studiengang gelandet und heute sehr glücklich damit. Ich habe erst später erkannt, dass meine Ärztin recht hatte und das mit der Ausbildung nur ein Fluchtgedanke von mir war, weil ich so schreckliche Angst hatte nach meinen Erfahrungen, ein Studium nicht zu packen. Da mein Wunschberuf aber nur über ein Studium zu erreichen ist, bin ich sehr froh, in diesem Punkt auf meinen Doc gehört zu haben.
Was die andere Sache angeht - an der alten Uni zu bleiben - bin ich dagegen froh, auf mein Bauchgefühl gehört zu haben und doch die Uni und den Studiengang gewechselt zu haben! Ich fühle mich hier einfach wohl und ich bin mir sicher, dass das Studium an der alten, sehr großen Uni und das Leben in der Großstadt mir nicht gut getan hätten.
In diese Stadt hier zu ziehen, wo ich schon Leute kannte und in der ich mich wohler gefühlt habe als in meiner ersten Studienstadt, hat mir Sicherheit geben, mich dem zweiten Studiumsversuch zu stellen. Es war für mich ein guter Kompromiss aus Bekanntem und Unbekannten.

Ich würde auf jeden Fall bei der Entscheidungsfindung mein Bauchgefühl nicht außer Acht lassen, egal was andere einem raten. Nur du weißt, was dir gut tut und was nicht
Gleichzeitig würde ich aber auch kritisch für mich prüfen, ob ich wirklich hinter einer Idee stehe oder es vielleicht "nur" das typische depressive Denken ist, dass dazu führt, dass ich mir weniger zutraue, als ich eigentlich kann.
Ich finde solche Entscheidungen immer richtig schwierig (Womit über-, womit unterfordere ich mich in meiner Depression?) bin aber auch froh, selbst entscheiden zu können, wie mein Leben aussehen soll

Alles Liebe
Mione
Nachtflug
Beiträge: 253
Registriert: 3. Apr 2012, 23:15

Re: Zu den Eltern zurückziehen -kann das gut sein?

Beitrag von Nachtflug »

Hallo ihr Lieben,

ich wollte mich nur mal zurückmelden: Ich wohne im Moment wieder zu Hause und stecke in den Umzugsvorbereitungen, um mein ganzes Zeug noch nachzuholen.

Vielen lieben Dank für eure Denkanstöße. Ich hatte leider nochmal einen kleinen Rückfall in Richtung Depression an meinem alten Studienort und musste daher mit meinen Neuroleptikum etwas hochgehen. Aber die Dosis ist immernoch eher gering und seit der Erhöhung geht es mir besser. Ich schlafe nur leider viel zu viel - 10 bis 11 Std. am Tag , Quetiapin macht halt einen richtigen Komaschlaf...

Generell fühle ich mich in meiner Heimatstadt sehr wohl, ich mache oft was mit meinen Freunden, habe mein zukünftiges Zimmer schon renoviert und bin gerade kräftig am Ausmisten meiner alten Sachen .

Wieder Zuhause wohnen ist natürlich nicht ganz einfach - auch das mir wieder reingeredet wird und ich nicht mehr alles selbst bestimmen kann. Aber es ist einer Form in der das für mich ok ist, vor allem da meine Eltern mein ersten missglückten Studiumsversuch sowie den neuen nun finanzieren. Zuhausewohnen heißt eben auch ein paar Abstriche machen, aber andererseits auch Menschen zu haben, die sich um einen kümmern können. Ich habe das bewusst so gewählt und will aber auch spätestens in zwei bis drei Jahren wieder ausziehen. Wenn ich bis dahin stabil bin und genug eigenes Geld verdienen kann, aber das hoffe ich doch mal sehr .

Ab und zu gibt es mal kleine Konflikte - und ich finde das sogar gut so! Denn vor meinem Zusammenbruch haben wir oftmals alles runtergeschluckt und uns ignoriert, wenn wir kleine Meinungsverschiedenheiten hatten. Also besser so, und vor allem: Ich halte es aus, nicht nur die brave Tochter zu sein, sondern auch meine Meinung zu vertreten, auch mal wütend zu sein (ok, Neuroleptika machen natürlich auch etwas gleichgültiger, aber ich denke trotzdem, dass es nicht nur die Medis sind)!
Aber bis auf kleine Reibereien, die die Gewöhnung an die neue Wohnsituation für uns ergibt, ist es ganz harmonisch. Und ich habe genug Freiraum auch mein eignes Ding zu machen.
Ansonsten versuche ich mich auch etwas einzubringen, mal für meine Eltern zu kochen etc.

Eigene Wohnung/Zimmer anderweitig war für mich finanziell leider absolut nicht möglich - außer ich hätte meine Eltern zur Teilfinanzierung gezwungen, das wollte ich aber nicht .
Und da ich nochmal einen kleinen Einbruch hatte, sollte ich erstmal ausprobieren, ob und wie viel ich überhaupt nebenbei arbeiten kann (selbst das würde ja nichtmal reichen!)

Ich nutze die zwei freien Monate jetzt zur "Selbstbildung": Frische meine zweite Fremdsprache auf, lerne etwas Mathe und lese Bücher, die sich bei uns so in den Regalen finden. Es tut gut und hilft mir, mein Konzentrations- und Lernvermögen wieder aufzubauen.

Mache im August auch noch eine Woche lang eine Reise mit einer Freundin in eine schöne Kulturstadt in einem südlicheren Land - habe zum Glück noch Erspartes gehabt.

Ansonsten bereite ich mich auf mein neues Studium vor, fange an mir schonmal etwas IT-Kenntnisse beizubringen, gammle zwischendurch auch mal einen Tag etwas oder gehe Eisessen oder Fotografieren.

Habe auch noch vor mir für die freie Zeit einen unverbindlichen Nebenjob zu suchen, bei dem man sich bei Bedarf eintragen kann (gibt's in so ner großen Stadt zum Glück) und mal meine Belastung zu erpoben. Oder mal der Zeitung anzubieten, mal wieder für sie einen Artikel zu schreiben.
Zumindest gebe ich gerade schonmal einmal die Woche Nachhilfe und es tut mir gut.

Ich komme wieder mehr unter Menschen, ich mache Dinge, die mir Freude machen, ich habe das Gefühl es war absolut die richtige Entscheidung in meine gewohnte Umgebung zurckzukehren.

Meine finanzielle und räumliche Unabhängigkeit werde ich mir wohl erst noch wiedererarbeiten müssen - aber ich lasse mir Zeit dabei. Ich möchte solange ich zu Hause wohne auch meinen Teil dazu beitragen und mir die Zeit zur vollständigen Genesung nehmen.

Die Unabhängigkeit ist dann ein normales Nebenprodukt, aber ich kann sie nicht erzwingen. Dieses "Erzwingen-Wollen" hat mich das letzte Mal in eine Hypomanie und körperliche Überforderung katapultiert. " Unterdrückte Autonomiebestrebungen", die in Manien hervorbrechen, sind bei bipolaren Störungen ein großes Thema in der Therapie.
Besser ist es:
Teile der Manie, die als angenehm empfunden werden, in einem gesunden Maß (!) in den Alltag zu integrieren, sodass eine Manie nicht unbedingt nötig wird, um gewisse Dinge auszuleben. Ich versuche das nun:

Zuhause wohnen und Kompromisse schließen, aber trotzdem autonom sein.
Hilfe bekommen, aber auch selbst mitanpacken.

Aktiv sein, unter Leute gehen, aber auch mal passiv sein, ausruhen, lesen.

Ich hoffe ich schaffe es weiterhin die Waage zu halten. Ja, ich hoffe sogar darauf, vielleicht einmal keine Medis mehr zu brauchen in ein paar Jahren. Mein Arzt meinte, kann bei bipolaren Störungen mit nur leichten Manien, früher Behandlung, bisher wenigen Phasen und gutem Ansprechen auf Niedrig(-st)dosierung durchaus vorkommen. Mal sehen, was die Zeit bringt. Ich versuche, auf mich aufzupassen. Denn das Tal einer tiefen, langen Depression möchte ich nur einmal durchschreiten müssen .

Alles Gute,
Nachtflug
Quappe
Beiträge: 107
Registriert: 23. Apr 2012, 16:03

Re: Zu den Eltern zurückziehen - kann das gut sein?

Beitrag von Quappe »

Hallo Nachtflug,

es freut mich zu hören, dass Dein Schritt zurück nach Hause zu Deinen Eltern für Dich der Richtige war.

Ich bin damals mit 19 Jahren ausgezogen, weil ich unbedingt meine eigenen vier Wände und meinen Freiraum brauchte. Es gab ständig Konflikte, dazu konnten meine Eltern meinen damaligen Partner nicht leiden und ich wollte das so nicht länger mitmachen. Eine Entscheidung, die meine Eltern nicht verstehen konnten - aber die meiner Meinung nach immer noch die einzig Richtige war. Das Verhältnis zu meinen Eltern hat sich durch den Abstand schon sehr verbessert.

Nach einigen Jahren zog es mich für ein Jahr ins Ausland (mit Partner), zurück kam ich ein Jahr später (ohne Partner). Meine Wohnung musste ich dafür aufgeben, habe dann vor dem Auslandsaufenthalt einige Wochen bei meinen Eltern gewohnt und als ich zurück kam, bin ich dort auch fürs Erste wieder eingezogen. Der Deal war, dass ich mich sortiere, wieder einen Job vor Ort finde und dann anschließend ausziehe.

Das Zusammenleben gestaltete sich überraschend einfach. Kein Vergleich mehr zu der Zeit früher. Man begegnete sich mehr auf Augenhöhe, sprach mehr miteinander und nahm vor allem mehr Rücksicht auf die Bedürfnisse des Einzelnen. Zu meinem Vater hatte ich früher eher ein gespanntes Verhältnis. Während meines Auslandsjahres schrieb er mir täglich eine lange Mail, die mir oft die letzten Reserven zum Durchhalten gegeben hat. Als ich wieder zuhause lebte, begegnete ich meinem Vater endlich als "Person", nicht mehr nur als Teil der "Institution" Eltern. Heute fühle ich mich ihm sogar noch etwas verbundener als meiner Mutter.

Natürlich muss man Rücksicht nehmen wenn man miteinander leben möchte - und sich an Regeln halten, die es eben in einer eigenen Wohnung nicht gäbe. Aber es kann in einer schwierigen Situation sehr gut tun, sich wieder in eine "sichere" Umgebung zurück ziehen zu können. Und das Elternhaus bietet diese Möglichkeit oftmals auch, wenn man bereit ist, sich neu kennen zu lernen. Ich hab mich (nachdem ich es einmal vergessen hatte) sogar mit einer SMS nachts abgemeldet, wenn ich nach dem Ausgehen bei jemandem außerhalb übernachtet habe. Das mag im ersten Moment vielleicht einen Schritt zurück Richtung "Kind" bedeuten, wenn man darüber nachdenkt würde man es umgekehrt aber von den Eltern auch erwarten.

Ich blieb damals ein glattes Jahr bei meinen Eltern, lernte meinen Mann kennen und zog direkt um ins nächste "Nest" (gut, das musste erst noch fertig gestellt werden, aber es war vorhanden). Aussage meiner Mutter war damals: "Beim ersten Mal war ich so froh, als Du ausgezogen warst. Dieses Mal hab ich heimlich ein bisschen geweint."

Alles in Allem bin ich froh, diese Zeit vor gut zehn Jahren erlebt zu haben. Ich habe meine Eltern damals neu schätzen gelernt, dieses Jahr waren mein Mann und ich sogar gemeinsam mit ihnen auf den Kanaren im Urlaub. Für mich sind sie heute tatsächlich eher sehr zuverlässige und treue Freunde als die "Institution" Eltern.

Ich hoffe, dass es bei Euch zuhause auch weiterhin so gut läuft und wünsche Dir für Dein Studium alles Gute!
Antworten