Schweigen in geselliger Runde. Wer kennt diese Gefühle?

[AlterHase]

Ich, männlich, bin mittlerweile 60 Jahre alt, habe 3 erwachsene Kinder und bin zum zweiten Mal verheiratet. Aber ...

Meine Frau und ich haben gerade eine Woche Skiurlaub in einem 4 Sterne Hotel mit einer Gruppe von 16 anderen Skifahren verbracht. Zwei Personen aus der Gruppe kannte ich schon flüchtig, die anderen waren mir fremd. Die erste zwei Tage schaut man sich um, wer zu einem passt, beim gemeinsamen Frühstück, beim gemeinsamen Abendessen. Jeder erzählt etwas, von sich, einen Schwank aus seinem Leben oder auch nur Scherze, Witze oder macht lustige Bemerkungen, bringt sich ein in der Gruppe. Ich kann keine Schwänke erzählen, Witze kann ich nicht vortragen und auch sonstige Gedanken kann ich nicht zusammenhängend und überzeugend vorbringen. Ich habe ein schlechtes Gedächnis, bin nicht schlagfertig, und wenn ich doch mal etwas erzähle, verheddere ich mich unweigerlich. Wenn nicht offen, so würde doch jeder im Stillen über mich lächeln. Früher wurde ich gelegentlich noch aufgefordert, was von mir zu erzählen, im Alter hat das glücklicher Weise nachgelassen. Je länger ich in der Gruppe bin, desto schweigsamer werde ich, nein, nicht schweigsamer, ich war ja vorher schon still wie eine Kirchenmaus und habe nur zugehört. Mein Schweigen wird mir immer peinlicher und ich frage mich, was die anderen von mir denken. Wir werden eingeladen, abends mit an die Bar zu kommen, um an der fröhlichen Runde teilzuhaben. Für mich ist das wie ein rotes Tuch. Die Abende an der Bar kann ich auf zwei mal eine Stunde begrenzen, fühle mich aber saumässig beschissen, weil ich bei Smaltalk, Spass haben und lustigem Geplänkel nicht mithalten kann. Ich sehne mich nach dem Ende des Urlaubs. In der letzten Nacht liege ich morgens von 4 Uhr an wach und steigere mich in meine Minderwertigkeitsgefühle bis zu Suizidgedanken hinein.

Angefangen hat dieses Szenario, als ich mit ca. 5 Jahren in einem Kinderheim war und wir Kinder ein Stück aufführen sollten. Ich war als Spieler ungeeignet, da ich mir meinen Text nicht merken konnte und wurde so Statist, ein Fliegenpilz, in dem Stück. Trotz vielfacher Psychotherapien habe ich meinen Minderwertigkeitskomplex nicht überwinden können. Letztlich habe ich mich so durchgewurschtelt, mal unter grössten Anstrengungen einen Vortrag vor einem kleinen Publikum gehalten oder bei einem Fest drei Worte zur Begrüssung gesagt. Aber immer noch sehe ich, wie andere es besser und mit mehr Lockerheit machen. Das Berufsleben habe ich bald hinter mir. Aber im Privaten bleiben die gleichen gesellschaftlichen Anforderungen und natürlich auch Wünsche meinerseits an Geselligkeit, Offenheit und Sich-Einbringen bestehen, wenn man Kontakt zu anderen Menschen haben möchte.

Einerseits suche und brauche ich den Umgang mit Menschen, andererseits fehlt mir die soziale Kompetenz, um mit anderen in geselliger Runde mithalten zu können. Auch noch nach 60 Jahren stosse ich immer wieder in diesem Punkt (aber nicht nur) an die Grenzen (die sehr eng sind) meiner Fähigkeiten und leide dann darunter wie ein Hund.

Welchem Mann geht es noch so und wie geht ihr damit um?

[ChristianeL.]

Ich kenne das (Frau, frische 49, nie verheiratet und nie zum fröhlichen Skiurlaub gezwungen).

[Depremo]

Hallo alter Hase,

ich kenne bzw. kannte das. Bei mir heißt das Sozialphobie und dagegen nehme ich Cipralex - mit Erfolg. Ist bei Dir mal diese Diagnose gestellt worden?

Schöne Grüße

[ndskp01]

Hallo alter Hase,

das hab ich auch, inzwischen wurde ich mit einem Medikament (Fluoxetin) und einer Verhaltenstherapie erfolgreich behandelt und habe es nicht mehr immer. Es kommt auf die Gruppe und auf die Art des Kennenlernens an. Im Zweiergespräch ist es einfacher. Aber manchmal fehlen mir auch die Worte, besonders wenn ich denke, dass ich jetzt was sagen müsste.

puk (Ich bin auch weiblich, aber es gibt auch viele Männer mit diesem Problem, auch beruflich sehr erfolgreiche).

[AlterHase]

Hallo miteinander,

erst einmal danke für Eure Tipps. Ich hatte in erster Linie Männer angesprochen, weil die Problematik meiner Ansicht nach für Männer schwerwiegender ist als für Frauen. Die gesellschaftliche Erwartung an Männer ist die, dass der Mann aktiv ist, entscheidet, voranschreitet, Verantwortung trägt etc. Diese männlichen Eigenschaften sind bei mir nur schwach ausgeprägt, deshalb meine Frage nach Leidensgenossen. Nichtsdestotrotz freue ich mich über Kommentare von weiblichen Foren-Mitgliedern.

@ChristianeL.: gezwungen wurde ich nicht zum Skiurlaub. Und für eine Gruppe habe ich mich auch entschieden, weil ich in einem Urlaub alleine, selbst mit Frau, mir oft sehr einsam vorkommen kann. Alleinsein ohne gesellschaftliche Kontakte ist für mich leider keine Lösung.

Ja, an die Lösung mit Psychopharmaka habe ich auch schon oft gedacht und ansatzweise auch schon ausprobiert. Interessant zu hören, dass es Euch geholfen hat, Depremo und PUK. Vor Jahren habe ich das Buch von P. Kramer "Glück auf Rezept" gelesen. Ich war begeistert und wollte mir Fluctin verschreiben lassen. Die Psychiater hatten mir aber andere SSRI verschrieben, ich glaube Cipralex war auch dabei, und die gewünscht Wirkung trat nicht ein. Und dann sind da noch die möglichen Nebenwirkungen, wie Impotenz und Gewichtszunahme (war bei mir der Fall), die gegen den Nutzen abzuwägen sind. Vielleicht sollte ich diese Option doch mal wieder ins Auge fassen und einfach länger (ein Jahr) dran bleiben.

[Omnia]

Hi!

Also ich bin zwar kein Mann ...
Aber ich kenne das, dass ich manchmal einfach keinen Einstieg in diese eher oberflächlichen Gespräch finde. Also manchmal auch so wie du überhaupt keinen.

Früher hatte ich dazu auch noch ziemlich Ängste, also bei mir hatte sich das dann so gesteigert, dass ich dann in solchen Situationen Angstsymptome hatte.
Heute ist das aber nicht mehr so, hatte auch unter anderem deshalb mal eine Verhaltenstherapie gemacht. Also ich denke die sozialen Kompetenzen kann man immer verbessern, wenn man bereit ist über längere Zeit wirklich an sich zu arbeiten.
Psychopharmaka habe ich nicht genommen.

Also heute mag ich Gruppensituationen immer noch nicht soooo besonders, aber es ist für mich ok.

Ich bin aber eher der Typ für so Zweiergespräche.

Wie ist denn das bei dir in Zweier-Situationen mit sympathischen Menschen?

Und wie ist es wenn man du erst mal Menschen in einer Situation kennenlernst, wo der Kommunikation erst mal nicht so sehr im Vordergrund steht? (also ich meine sowas wie Sportverein, Schachverein ...............- keine Ahnung, es gibt ja wirklich für jede Art von Interessen irgendwelche Gruppen).

>Mein Schweigen wird mir immer peinlicher und ich frage mich, was die anderen von mir denken.

Ja, kenn ich aber je mehr man sich mit sich selbst beschäftigt, desto mehr ist man ja quasi aus der Situation raus. Man kann ja nicht gleichzeitig denken, wie man wirkt usw. und sich auf das Gespräch konzentrieren. Klar, dass einem dann nichts einfällt, was man sagen könnte. Vor allem, wenn man sich dann noch unter Druck fühlt unbedingt was sagen zu MÜSSEN.

>fühle mich aber saumässig beschissen, weil ich bei Smaltalk, Spass haben und lustigem Geplänkel nicht mithalten kann.

Willst du in erster Linie dort mithalten, weil du denkst, dass GENAU DAS dir Spaß bringt und nur das dein Leben bereichert?

Oder willst du dort mithalten, weil du das Gefühl hast "die Anderen" erwarten das von dir?

[jep]

Noch ne Frau-entschuldigung! aber mit einem Mann verheiratet, der grundsätzlich in solchen Runden den Mund nicht aufbekommt. Die Depris habe aber ich, und wenns mir gut geht bin ich durchaus kommunnikativ. Nur oberflächlichen Smalltalk und billige Witze ertrage ich immer weniger.

Früher fand ich das irgendwie nervig bei meinem Mann, jetzt gehört das einfach zu ihm- nervige Dummschwätzer gibts genug, die sich selber soo toll finden, wenn sie richtig schlechte Witze reißen- sowas brauch ich nicht an meiner Seite.

Wenn du darunter leidest- vielleicht kannst du es einfach erstmal als eine Eigenschaft von dir annehmen?

grüßle
annette fee

[SAWA83]

Hallo,
und noch eine Frau....
Ich hatte gestern noch diese Situation, die Oma meines Ehemannes hatte Geburtstag und die ganze Familie war anwesend (ca. 10 Personen).
Alle waren gut drauf und unterhielten sich prächtig, und ich konnte nur da sitzen und versuchen zuzuhören, aber ich merkte wie ich immer öfter abschweifte und mir das alles sehr unangenehm wurde. Ich hatte sogar diese Angstgefühle dabei. Das war alles einfach zuviel für mich und ich war ziemlich froh als ich wieder zuhause war. Was man da tun kann?
Bis jetzt weiss ich nicht woran das liegt, das kam bei mir mit der Zeit.
LG
Sandra

[AlterHase]

@Omnia

>Wie ist denn das bei dir in Zweier-Situationen mit sympathischen Menschen?
Das geht dann.

>Und wie ist es wenn man du erst mal Menschen in einer Situation kennenlernst, wo der Kommunikation erst mal nicht so sehr im Vordergrund steht? (also ich meine sowas wie Sportverein, Schachverein ...

Der Anlass für meine Minderwertigkeitsgefühle war ja eine Skigruppe. Allerdings waren die meisten Skifahrer besser als ich. Ich konnte nicht mit tollen Abfahrten auf schwarzen Pisten oder im Tiefschnee prahlen.

>Willst du in erster Linie dort mithalten, weil du denkst, dass GENAU DAS dir Spaß bringt und nur das dein Leben bereichert? Oder willst du dort mithalten, weil du das Gefühl hast "die Anderen" erwarten das von dir?

Beides. Aber auch ersteres. Ich beneide die Menschen, wie sie miteinander lachen und Spass haben. Ebenso, wie ich Menschen beneide, die musizieren können. Ich habe eigentlich nichts, kein Hobby, das mich vollständig ausfüllt und befriedigt.

@annette fee: Mich annehmen, wie ich bin, so bin ich in den Urlaub gegangen. Aber nach einer Woche, den Mund nicht aufkriegen, hat es mich dann doch runtergezogen.

@TheDarkSide: Die Situation im Familienkreis, seien es Schwiegereltern oder die Familie der Schwiegertochter, kenne ich natürlich auch. Verwandte machen da keine Ausnahme.

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Aber wie schon gesagt, war die mangelnde Fähigkeit mich auszudrücken mir schon in die Wiege gelegt bzw. wurde mir in jungen Jahren beigebracht. Meine Stiefmutter hat mir gegenüber immer über meinen Vater gejammert, der nie den Mund aufkriegt.

Eine direkte Ursache für meine mangelnde Kommunikationsfähigkeit sehe ich in meinem schlechten Gedächnis. Ich kann mir keine Bundesliga-Spiele oder sonstige Sportergebnisse merken, an tagespolitischen Ereignissen kann ich mir allerhöchsten die Schlagzeilen merken bzw. später wieder abrufen, wenn überhaupt, etc.. Chemie habe ich nicht studiert, weil der Lernstoffe, die Menge der Formel, einfach zu gross ist. Ich glaubte mit einem anderen Fach, in dem sich alle Fakten logisch herleiten lassen, besser bedient zu sein. Aber auch hier ist Faktenwissen erforderlich, um erfolgreich zu sein, abgesehen davon, dass ich hier auch bald an die Grenzen meiner intellektuellen Fähigkeiten gestossen bin. Was ich sagen will. Bei mir ist entweder die Merkfähigkeit eingeschränkt oder die Fähigkeit, das Gemerkte abzurufen (Spontaneität) oder beides. Ich kann mir gut vorstellen, dass Psychopharmaka für letzteres eine Abhilfe anbieten. Es gibt ja auch die ganz selten Ausnahmen bei denen ich sagen kann, heute hat die Unterhaltung beim Neunuhrkaffee mit den Kollegen Spass gemacht.

[jonojo]

Hi alter Hase,

das kenn ich ähnlicher Form. Vielleicht findest du dich hier:
http://www.schizoide-persönlichkeitsstö ... index.html
Mir fällt auf dass du dich in deinem Beitrag sehr unter Druck setzt.
Vielleicht kannst du das reduzieren.

LG,
Norbert

[AlterHase]

Danke Norbert für den Tipp,

ich bin dank deines Links jetzt zu der Einschätzung gekommen, dass ich mich eher in die Kategorie "Selbstunsicher-vermeidende Persönlichkeitsstörung" einordnen kann und mir dort Gleichbetroffene und Hilfe suche.

Kannst Du oder jemand anderes ein Forum für diese Art von seelischen Problemen empfehlen?

[jonojo]

Forum weiss ich keines.

Evtl. kannst du dich hier nochmal testen:
http://www.seele-und-gesundheit.de/test ... erung.html