Therapieende - Wie damit umgehen?

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Jessi1980
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Therapieende - Wie damit umgehen?

Beitrag von Jessi1980 »

Hallo,

ich habe lang nichts mehr von mir hören lassen. Bin mittlerweile auf einem ganz guten Weg und habe mich endlich auch dazu entschlossen beruflich etwas Neues zu wagen. Mein bisheriger Job im Bankenbereich war nicht mehr zu ertragen.

Nun hat mein Therapeut gestern darauf hingewiesen, dass mir "nur" noch 30 Stunden bleiben. Das ist noch etwas über ein halbes Jahr. Ich selbst habe mich schon lange Zeit mit einem Therapieende auseinander gesetzt, aber die Aussage traf mich wie ein Schock!
Ich wollte damit "erwachsen" umgehen und habe auf die Aussage auch normal reagiert aber zu Hause stehe ich seit gestern komplett neben mir. Ich konnte die halbe Nacht nicht schlafen und habe nur geweint und jetzt ist es auch wieder so...

Mein Hauptproblem ist, dass ich in keiner der fast dreijährigen Therapiesitzungen je weinen konnte. Die Tränen blieben mir immer im Hals stecken und das weiß mein Therapeut.

Und jetzt sitze ich hier mit Gefühlen, die ich nicht sortieren kann und einem riesigen Stein im Magen und weiß nicht, was ich machen soll!? Mich zusammennehmen und bis nächsten Mittwoch warten? Meinen Therapeuten anrufen?...

Ich bitte um Rat, denn mir geht´s momentan richtig schlecht.

Lieben Gruß
Jessy
Reve
Beiträge: 754
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Re: Therapieende - Wie damit umgehen?

Beitrag von Reve »

Hallo Jessy,

Loslösung ist eine ernst Sache, die behutsam angegangen werden sollte.
Darum werden ja oftmals in der Ausschleichphase die Abstände zwischen den Stunden vergrößert. So kann man sich ganz langsam daran gewöhnen und Probleme – auch genau damit – mit dem Thera (gezielt) besprechen.

Vielleicht kannst du den Prozess mit deinem Therapeuten besprechen. Du hast noch 30 Stunden, wenn man die strecken würde,... also nach und nach Abstände vergrößern.... dann wäre das noch ein längerer Zeitraum.

Und vielleicht könntest du ihn auch „danach“ kontaktieren, (es gibt ja verschiedene Prozedere), wenn es brenzlig werden sollte, manchmal hilft eben auch nur das Wissen, „ich könnte, wenn ich wollte“...

„Alles“ kannst du eh nicht bearbeiten, in der einen (nicht mal) Stunde pro Woche, also ich meine damit, vieles wird „ungelöst“ bleiben....

LG, Carin
Jessi1980
Beiträge: 450
Registriert: 25. Jan 2010, 18:23

Re: Therapieende - Wie damit umgehen?

Beitrag von Jessi1980 »

Hallo Carin,

vielen Dank für deine Antwort.

Das Thema Loslassen ist auf jeden Fall ein Knackpunkt bei mir. Sicher ist es gut, dass er mir jetzt, ein halbes Jahr vor Beendigung der Therapie, bescheid gibt. Das diese Nachricht bei mir wie eine Bombe einschlägt hätte ich nie gedacht.

Da ich gestern den ganzen Vormittag mit unerträglichen Angstgefühlen und Weinen beschäftigt war, habe ich ihn angerufen, um mich selbst zu entlasten. Ich kam mir zwar wie ein Kind vor, aber das war mir in dem Moment tatsächlich mal egal. Letztendlich sind es ja kindliche Gefühle und Ängste. Das hat er mir klar gemacht, und auch, dass er nach der Therapie ja nicht aus der Welt sei. Die Aussage tat mir gut.

Ich denke, dass diese Phase des Loslassens die intensivste der ganzen Therpiezeit wird...Immerhin habe ich das erste Mal bei ihm geweint, wenn auch nur am Telefon.

Ich kann die Problematik ja gut verstehen: Da ist jemand, der immer für mich da ist, immer freundlich, immer Zuwendung gebend. Auch wenn diese Beziehung sehr einseitig und professionell ist, so habe ich mich doch sehr an meinen Thera gewöhnt und mich, obwohl ich es nicht wollte, wieder abhängig gemacht. Er sagte mir gestern, dass ich viel zu lange für die Loslösung von meiner Mutter gebraucht habe, und wir jetzt in der Wiederholung nicht den gleichen Fehler machen dürften. Das verstehe ich gut. Nur ist er leider der einzige Mann in meinem Leben, der immer für mich da war. Alle anderen väterlichen Männer haben mich in meiner Kindheit verlassen und ebenso meine Mutter und Oma, die mich nur für die Befriedigung eigener Bedürfnisse benutzt haben. Soviel verstehe ich jetzt und konnte meine Reaktion von gestern für mich auch besser nachvollziehen. Mein Thera sagte mir, dass wir daran in den nächsten Monaten nun intensiver arbeiten würden.

Ich freue mich darauf irgendwann tatsächlich mal wieder alleinige Verantwortung für mich zu übernehmen, aber dennoch habe ich Angst vor dem Schmerz, der dahin führt...aber da müssen wir wohl alle durch...

Lieben Gruß
Jessy
Reve
Beiträge: 754
Registriert: 4. Jun 2008, 17:35

Re: Therapieende - Wie damit umgehen?

Beitrag von Reve »

Liebe Jessy.

Ich kann das gut nachvollziehen, mein allergrößtes Problem ist auch Loslassen.
Ich musste ja beispielsweise auch meine Kinder loslassen, obwohl es jetzt so ist, dass es eigentlich gar nicht so ist. Wusste ich aber doch nicht....

Gestern hat mich „jemand“ gefragt, wie es wäre, dass meine Tochter ausgezogen sei. Da hab ich ihn verständnislos angesehen, da sie im Grunde genommen in meinem Handy wohnt und somit in meiner Hosentasche... Ich weiß, ein unmöglicher Gedanke,... aber sie ist für mich nicht weg, weil wir so oft telefonieren, mailen, vom Hin- und Herfahren ganz zu schweigen.

Und so geht’s mir mit allem, ich mag kein Ende,...

Darum war/ist es mir auch wichtig, dass ich möglichst nie mehr in so eine enge Abhängigkeit rutsche, egal ob zum Therapeuten, zum Partner, zu Freunden, zu Menschen überhaupt. Das macht mich zumindest „krank“.

Und wie gesagt, Jessy, wenn ihr langsam daran arbeitet, dann ist das ein sanfter Entzug, und das wird dir nicht so wehtun. Und wie er sagte: "er ist nicht aus der Welt“.

Und es stimmt, es ist ein freies Gefühl, endlich (einigermaßen) „frei“.

Alles Gute für dich.
Carin
Bellasus
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Re: Therapieende - Wie damit umgehen?

Beitrag von Bellasus »

Hallo Jessy,

ich habe noch 38 Stunden und mir geht es ganz genauso wie dir. Nur dass wir das Thema schon immer mal wieder angesprochen haben. Und jedesmal wieder versetzt es mich in diesen Ausnahmezustand genau wie du beschreibst, wie es dir gerade geht. Total blockiert, der Verstand setzt aus. Und wie du habe ich das Gefühl, dass nun eine sehr intensive Therapiezeit folgt ... Bei mir geht es auch darum zu gucken, was eigentlich hinter der Angst vor dem Therapieende steckt - Angst davor, wieder zu den "Gesunden" gezählt zu werden, ohne die Therapie als "Beweis" dafür, dass ich nicht im vollen Besitz meiner Kräfte bin, in der Welt bestehen zu müssen, weil ich selber immer noch nicht voll zu mir stehen und sagen kann: Ja so ist es, dies und jenes kann ich nicht, weil ich Rücksicht auf mein Befinden nehmen und gucken muss, was FÜR MICH gut ist. Und nicht weiterhin jede Woche Absolution von der Thera erhalten, sondernmir selber sagen zu müssen, dass es i.O. ist, wenn ich auf mich achtgebe, auch wenn "die Anderen" verständnislos den Kopf schütteln.

Und es geht um die Erwartung an ein Leben, das man ohne Therapie bewältigen muss. Damit leben zu lernen, dass Leben an sich mit Problemen und Schwierigkeiten gespickt ist. Therapieerfolg ist nicht, keine Probleme mehr zu haben, sondern damit umgehen zu können ... O-Ton meiner Thera. Daran haperts bei mir - die Vorstellung, diese Mühsal geht immer weiter, wenn eins bewältigt ist, kommt das nächste und immer so weiter. Das macht mich fertig - ich habe das Gefühl, eine Menge auf die Reihe bekommen zu können, aber dann muss bitte Ruhe einkehren. Die jedoch gönnt einem der normale Alltag oft nicht. Oder man muss sie sich müshsam erkämpfen und hat hoffentlich genug Kraft dafür ...

Um das alles langsam zu üben, ist Stunden strecken ganz sicher sinnvoll, so werden wir es auch machen. Und auch meine Thera hat mir versichert, dass sie anschließend für mich erreichbar bleibt, mir sogar diese Quartalsstunden anbieten wird, oder ich zahle einen Teil selbst. Und sie meinte, abzüglich aller Urlaube und Krankheiten usw. rechnet man 30 Stunden reichen fast ein Jahr, auch wenn mir das ein wenig großzügig scheint. Meine 38 Std. reichen bei einer Stunde/Woche bis Ende Sept.

Jessy, nutzen wir diese Situation, denn so etwas scheint tatsächlich innere Mauern aufzubrechen, und ich wünsche dir alles alles Gute dafür!

Viele Grüße
Annette




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Jessi1980
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Re: Therapieende - Wie damit umgehen?

Beitrag von Jessi1980 »

Liebe Carin,

ich finde gut, dass du als Mutter mit dem Thema Loslassen deiner Kinder offensichtlich gut umgehst und reflektieren kannst.

Meine Mutter hat mich nicht erwachsen werden lassen; ich habe bis 27 Jahren, trotz Job und Freund, zu Hause gelebt, weil ich von ihr emotional erpresst wurde. Ich habe sie finanziell unterstützt und war seit meiner Kindheit ihr Partnerersatz. Ich hatte keine eigenen Gefühle, nur ihre. Es war so als sei ich sie. Ich war ihr hörig, weil ich immer Angst vor ihr hatte und habe gleichzeitig mein ganzes Leben lang versucht zu erreichen, dass sie mich liebt...ein auswegloser Kampf!!! Sie hat für sich selbst nie Verantwortung übernommen, stattdessen dachte ich immer, dies sei meine Aufgabe. Ich habe nicht gelernt auf mich zu achten, erst im Laufe der Therapie. Meine Mutter hat mich mit Füßen getreten, mir vorgeworfen, dass sie finanziell von mir abhängig sei, obwohl es ja nicht meine Schuld war. Doch das dachte ich. Ich habe immer mit einem Berg von Schuldgefühlen gelebt wg einer Mutter, die jähzornig war und mich benutzt hat für die Befriedigung eigener Bedürfnisse. Ich habe seit anderthalb Jahren keinen Kontakt mehr zu meiner gesamten Familie. Ich konnte sie alle nicht mehr ertragen. So geht´s mir besser!

Ich finde deinen Gedanken, dass deine Tochter in deiner "Hosentasche im Handy" wohnt, richtig toll!...

Auch mich machen diese Abhängigkeiten "krank", und ich werde immer versuchen auf mich zu achten, damit ich nicht wieder anderen Menschen hörig werde.

>>Und es stimmt, es ist ein freies Gefühl, endlich (einigermaßen) „frei“.<<
Das wünsche ich mir auch sehr!

Auch für dich alles Gute.
Jessy

Hallo Annette,

den Ausnahmezustand, den du beschreibst, kann ich 1000%ig nachfühlen. So war es die letzten beiden Tage bei mir. Auch mein Verstand war wie außer Kontrolle. Ich fühlte mich wie ein fünfjähriges Kind, das allein gelassen wird. Mein Thera fragte mich zu Beginn des Telefonats: "Na, ist Ihr inneres Kind wieder in Panik geraten?" Da wurde es mir klar.

Ich vermute auch, dass die Angst vor einem Therapieende darin begründet ist, vollkommen allein für sich selbst einstehen zu müssen, sich durchzusetzen und mit Problemen/Herausforderungen in Zukunft "erwachsen" umgehen zu lernen. In Zukunft werden wir sicherlich auch schneller "merken", wenn etwas nicht ganz rund läuft oder wir destruktive Muster wiederholen...

Ich werde auch versuchen, die letzten 2-3 Std. zu strecken, sofern sich mein Thera darauf einlässt. Noch mache ich aber kein Thema daraus. Nun werde ich mich in den kommenden Stunden meinem Schmerz, meiner Angst und Trauer widmen, denen ich trotz Therapie immer noch stark aus dem Weg gegangen bin. Ich stecke voll davon und konnte bis gestern nicht eine Träne in den Settings weinen.

Ich habe natürlich auch gerechnet und gedacht, wenn ich noch ein paar Wochen Urlaub dazwischen schiebe und dies und das und er ja selbst auch noch welchen hat, dann strecke ich die Zeit. Aber ob mir das dann hilft!? Wenn ich ehrlich bin: Ich hätte meinen Thera ja am liebsten für immer - Selbstverantwortung hin oder her-

Ich wünsche dir auch alles Gute!
Jessy
Bellasus
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Registriert: 10. Jun 2004, 21:41

Re: Therapieende - Wie damit umgehen?

Beitrag von Bellasus »

Hallo Jessy,

es hört sich gut an, wie dein Thera reagiert - er hilft dir, dir klarzuwerden, was sich da in dir abspielt. Wenn es nur mit einer einmaligen Erklärung getan wäre .... stattdessen müssen wir immer wieder gucken, was hinter der Angst steckt und Schritt für Schritt lernen, erwachsen zu reagieren, ohne das Sicherheitsnetz und den doppelten Boden der Therapie Verantwortung für sich zu übernehmen. Solange das kleine vernachlässigte Kind in uns noch so im Vordergrund steht, fällt es schwer zu glauben, dass genug Kraft da ist, es zu schaffen. Bei mir ist es auch tatsächlich eine Kraft- und Energiefrage.

Ich dachte eher, die letzten 10 Stunden zu strecken - erst 14tägig, dann 3- oder 4wöchentlich. Ich brauch aber nur über solche Abstände zu schreiben und fühle mich wie im luftleeren Raum - Himmel, das wird noch Thema für viele Stunden sein...
Aber für immer kommt für mich irgendwie doch nicht in Frage - ich kann mir schon vorstellen, irgendann von selbst so weit zu sein, aber ich würde so gerne selber den Schritt tun, wenn er für mich paßt, und nicht dann, wenn das System sagt, jetzt sind die Stunden alle. Alle großen Schritte, die ich in den letzten Jahren zu dem Zeitpunkt machen durfte, zu dem ich mich ihnen gewachsen fühlte, gingen gut, ohne Rückfälle. Musste ich mich an Vorgaben anpassen, ging das auch schon mal schief leider.
Wenns gar nicht geht, wird meine Thera auch versuchen, mehr Stunden zu bekommen, aber wirklich nur dann, das hat sie schon signalisiert.

Ich finde es schwierig, zu unterscheiden: Was ist Angst vor etwas, was man aber schaffen kann und was ist berechtigte Angst vor Überforderung?

Viele Grüße
Annette




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Jessi1980
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Registriert: 25. Jan 2010, 18:23

Re: Therapieende - Wie damit umgehen?

Beitrag von Jessi1980 »

Hallo Annette,

mein Thera reagiert wirklich gut auf meine Ängste und nach dem 3:09 Minuten-Telefonat ging´s mir deutlich besser. Aber auch heute merke ich, dass ich einen Schmerz im Magen habe, wenn ich nur an das Ende denke...aber ich kann mich natürlich nicht ein halbes Jahr vorher verrückt machen. Auch bei mir ist es eine Kraft- und Energiefrage. Momentan bin ich zum ersten Mal in meinem Leben absolut frei von Problemen. Deshalb ist es jetzt sicherlich auch sinnvoll das Thema "Loslösung" zu behandeln. Sobald aber größere Probleme auftauchen würden, zehren diese an meiner Kraft. Natürlich bewältige ich diese, aber ich bemerke dann eine starke Labilität in meinem Selbstbild und meinen Kräften.

Meinetwegen könnte mein Thera die letzten 30 Stunden strecken...jeden Monat eine Und ich merke auch jetzt, dass ich nur darüber zu schreiben brauche und ein komisches Magengefühl bekomme. Die Entscheidung wann die Therapie zu Ende ist oder nicht, würde ich gern auch selbst treffen, aber wenn das so wäre, würden wir uns sicherlich unbewusst jahrelang abhängig machen.

Am Mittwoch habe ich wieder Therapie. Ich habe Angst vor dem Setting; davor mich komplett zu verlieren, aber ich denke, wenn nicht jetzt, wann dann?
Liebe Grüße
Jessy
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