Meine Eltern...

Salvatore
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Meine Eltern...

Beitrag von Salvatore »

Hallo liebe Foris,

ich kann eigentlich nicht behaupten, dass ich zu meinen Eltern ein schlechtes Verhältnis hätte. Trotzdem... tun mir die Besuche auch oft nicht gut.
Meine Eltern sind und waren auch immer beruflich sehr eingespannt, Arbeit hat eine hohe Priorität.
Sie sind also nie ganz für mich da und als Kind habe ich versucht, si emit Leistung auf mich aufmerksam zu machen, hat nicht geklappt.

Auch heute fühle ich mich noch oft ungeliebt und frage mich, ob meine Familie mich eigentlich überhaupt leiden kann, denn oft habe ich nicht den Eindruck.
Es sei denn, ich funktioniere und bin mit ihnen einer Meinung, dann ist alles gut. Nun bin ich aber nicht der "Nachläufer"-Typ und meine Meinung sage ich offen, seit zweieinhalb Jahren schon arbeite ich aufgrund der Depression nicht mehr. Offenes Unverständnis wurde zwar nie geäußert, aber ich habe feine Sensoren und bekomme das mit.

Ich mag meine Eltern, würde nur gerne das Gefühl haben, dass ich geliebt werde so wie ich bin, auch ohne Leistung, auch wenn ich anderer Meinung bin, auch wenn ich unangenehme Gefühle zeige.
Rückblickend hatte ich das Gefühl nie wirklich und schäme mich auch dafür, dass ich mich sosehr nach elterlicher Liebe sehne,

Nach dem letzten Besuch bei ihnen habe ich mich unglaublich schlecht gefühlt, so dass ich es kaum aushalten konnte.

Kennt ihr diese Ambivalenz zwischen "Ich sehne mich nach meinen Eltern" und "Nach einem Elternbesuch geht es mir schlechter"?
Wie geht ihr damit um?

Ich weiß überhaupt nicht, was ich in dieser Hinsicht machen soll.
Offen sprechen kann ich mit ihnen nicht, mein Vater äußert sich überhaupt nicht weiter und hört sich auch gar nicht viel von mir an. Und meine Mutter begreift nicht, dass ich die Zeitrente bekomme, weil es mir SCHLECHT GEHT und nicht, weil ich gerne meine Zeit zu Hause verbringe statt auf Arbeit.

Ich wäre euch sooo dankbar, wenn ihr mir eure Ansichten/Erfahrungen schreiben würdet.

Danke und Lg, Salvatore
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jonojo

Re: Meine Eltern...

Beitrag von jonojo »

Hallo Salvatore,

mir geht es auch oft schlecht nach einem Besuch bei meinen Eltern. Oft habe ich dann heftige Magenschmerzen.

Du schreibst was du dir von deinen Eltern wünscht. Ich glaube das wird so nicht funktionieren. Du wirst deine Eltern nicht ändern können.
Du kannst aber dich ändern.

Beispielsweise hab ich immer gesagt, ich hab von meinem Vater als Kind "Nichts" bekommen.
Irgendwann hab ich begriffen, dass ich nichts von ihm nehmen wollte.
Dieser Perspektivwechsel macht es möglich die Situation zu ändern. Es geht nicht mehr darum meinen Vater zu ändern (und zu kritisieren).
Jetzt geht es für mich darum meinen Vater anzunehmen (anstatt ihn abzulehnen).
Das ist nicht einfach und ich glaube es gibt dafür ein Patentrezept. Aber es ist möglich.
Und ich glaube (und hoffe) es hat bei mir endlich "geschnackelt".

Vielleicht kannst du irgendwas für dich aus meinem Beitrag rausziehen und auf deine Situation übertragen.

LG,
Norbert
angel63
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Re: Meine Eltern...

Beitrag von angel63 »

______________________________

Kämpfe um das, was dich

weiterbringt. Akzeptiere das, was du nicht ändern kannst. Und trenne dich von dem, was dich runterzieht!
Smaragd71
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Re: Meine Eltern...

Beitrag von Smaragd71 »

Hallo salvatore,

das stelle ich mir sehr schwer vor... Ich habe ein sehr gutes Verhältnis zu meinen Eltern, speziell der Mutter, ihr kann ich alles sagen und es wird auch angenommen und getröstet und geholfen. Mein Vater liebt mich auch, kann es aber nicht so sehr durch Worte zeigen, eher durch Taten. Ich bin genauso habe ich festgestellt. Ich verschenke viel und gern, aber tröstende Worte im Freundeskreis fallen mir sehr schwer... Das bringt mich jetzt zum nachdenken...

Du bist ein helfender Mensch hier in Forum, du hast immer auf alles eine Antwort und unterstützt jeden. Aber man will ja nicht nur geben, man muss auch nehmen. Da ist es schade, dass deine Eltern kein Gehör für dich haben.
Viel helfen konnte ich dir jetzt leider nicht...


Das Glück beruht oft nur auf dem Beschluss, glücklich zu sein.

Salvatore
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Re: Meine Eltern...

Beitrag von Salvatore »

Hallo,

habe grad - vorm Schlafengehen - nochmal reingeschaut.

@Norbert: Ich weiß kognitiv, dass sich meine Eltern in diesem Leben nicht mehr ändern werden. Und ich weiß kognitiv auch, dass meine Wünsche, die ich ihnen gegenüber habe, sich nicht erfüllen werden.
Mein Gefühl allerdings will das nicht wahrhaben und ich bin völlig ahnungslos, wie ich es "ihm" - dem Gefühl - beibringen könnte.
Ich habe schon einiges an mir ändern können, z.B. "funktioniere" ich ja schon seit Jahren nicht mehr.
Und dennoch bleibt dieses Gefühl, die Sehnsucht. Und gleichzeitig der Wunsch nach Autonomie sowie die empfundene emotionale Abhängigkeit - damit kann ich nicht umgehen.

Soll ich nun den Kontakt so weiterlaufen lassen wie bisher, oder ihn einschränken? (Bin jetzt so alle zwei-drei Wochen bei meinen Eltern.

@Angel: Auch bei mir sind einige Dinge ungünstig verlaufen, insgesamt würde ich aber scon sagen, dass ich sehr viel Glück im Leben hatte/habe.
Aber dies kommt mir doch auch sehr bekannt vor:
>So bin ich immer diejenige auf die man zurückgreifen kann
Schließlich bin ich ja "sowieso zu Hause" und muss nicht wie sie "am nächsten Tag arbeiten". Sollte sogar für zwei Wochen Urlaubsvertretung spielen, eigenverantwortlich in Vollzeit, kenne mich da nicht wirklich aus - ja nee ist klar - habe gesagt, dass ich das nicht packe und sowieso max. 3 Stunden/Tag arbeiten dürfte. Antwort: "Jaahhh, das muss ja keiner wissen."
Und absolut Null Verständnis, dass ich abgelehnt habe.
Naja, redne wir halt nicht weiter drüber.

Ich lasse meine Eltern nicht im Stich, wenn Not am Mann ist, spiele auch gerne den Chauffeur und mache mal Besorgungen. Aber über meine Krankheit reden darf ich nicht, weil das dann macht, dass sich meine Mutter schlecht fühlt.

In den Arm genommen werden, das kann ich heute gar nicht mehr ertragen, außer von meinem Mann. Werde nicht gerne berührt.
Aber zu Schulzeiten hätte ich das gern gehabt, in einer absoluten Krisenphase mit ca. 15 wwar es meine Lehrerin, die mich in den Arm genommen hat. Und verdammt noch mal, tat das gut! Mehr als tausend Worte.s

Aber wie soll ich mit meinen Eltenr in Zukunft umgehen, so dass es sich auch für mich wenigstens ok anfühlt?

So, jetzt muss ich dringend schlafen, alos guts Nächtle,

Salvatore
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Lerana
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Re: Meine Eltern...

Beitrag von Lerana »

Liebe Salvatore,

ich kann dich sehr gut verstehen.

Ich wollte schonmal zeigen, dass ich dich mit deinem Therad wahrgenommen habe, aber jetzt kann ich dir nicht mehr ausführlich antworten. Ich hole es nach!!

Herzliche Grüße
Lerana
Der Kopf ist rund, damit das Denken die Richtung wechseln kann. (Francis Picabia)
FönX
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Re: Meine Eltern...

Beitrag von FönX »

Hallo Salvatore,

ich habe deinen Thread heute schon dreimal aufgeschlagen, weil sich bei mir etwas rührt, und kann immer noch nichts dazu sagen. Mir liegt viel dazu auf dem Herzen, und ich hoffe, es doch irgendwann mal per Tastatur zu dir zu bringen. Aber erstmal muss ich schlafen. Der Tag war für mich anstrengend.

Gute N8!
FönX

Bei riesigen Nebenwirkungen essen Sie die Packungsbeilage oder schlagen Sie Ihren Arzt oder Apotheker.
jonojo

Re: Meine Eltern...

Beitrag von jonojo »

Hallo Salvatore,

>Und dennoch bleibt dieses Gefühl, die Sehnsucht. Und gleichzeitig der Wunsch nach Autonomie sowie die empfundene emotionale Abhängigkeit
Da bringst du genau den! psychologischen Grundkonflikt auf den Punkt.
http://www.seele-und-gesundheit.de/psyc ... flikt.html

Ich erlebe mich als kleinen, 4-jährigen emotional abhängigen Jungen und für mich stellt sich die Frage wie ich eine innere, erwachsene Instanz entwickle, um (das Bedürfnis nach Autonomie) leben zu können. Ein notwendiger Schritt für mich ist in jedem Fall meinen Vater anzunehmen.

>Soll ich nun den Kontakt so weiterlaufen lassen wie bisher, oder ihn einschränken?
Ich habe vor ca. 15 Jahren meine Eltern nur 2x im Jahr gesehen und selten telefoniert. Ich glaub das war ein unbewusster Versuch mich abzulösen. Das funktioniert aber nicht.
Inzwischen sehe ich meine Eltern ca. alle 4-6 Wochen. Und das ist für mich gut so. Zumal sie nicht mehr die Jüngsten sind. Es ist aber auch gut, wenn ich nach einem halben, gemeinsam verbrachten Tag wieder nach Hause fahren kann.

>Mein Gefühl allerdings will das nicht wahrhaben und ich bin völlig ahnungslos, wie ich es "ihm" - dem Gefühl - beibringen könnte.
Wie macht man Frieden mit seinen Eltern? Wie gesagt glaube ich nicht dass es dafür ein Patentrezept gibt und es ist glaube ich ein langer Weg.
In der Einzeltherapie war über Jahre immer wieder mein Verhältnis zu meiner Mutter Thema. Vor 5 Jahren rückte dann mein Vater mehr ins Zentrum meiner Aufmerksamkeit. Ich war dann in einer Männergruppe und hab mich auch sonst immer wieder mit dem Thema auseinandergesetzt. Männerliteratur. Männerforum. Vorträge. .................................................................................................
......................................................

Früher hab ich manchmal gesagt ich wäre mit einem Thema durch. Das traue ich mich inzwischen nicht mehr. Auch wenn ich es immer wieder heimlich hoffe.

LG,
Norbert
momadome
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Re: Meine Eltern...

Beitrag von momadome »

Hallo Salvatore,

hm, als ich deinen Text gelesen habe, dachte ich, das könnte von mir sein. Ich kenne all das, was du beschrieben hast. Vor allem die Sehnsucht so geliebt zu werden, wie ich bin, ohne etwas dafür leisten zu müssen.

Verstandesmäßig weiß ich natürlich auch, daß ich mich emanzipieren müßte von dieser kindlichen Sehnsucht, daß (in meinem Falle) meine Mutter auch ihre Geschichte mit sich rumträgt, die sie so werden ließ, wie sie nun mal ist.

Bloß, wie bringe ich das meinem Gefühl, meinem inneren Kind bei?

Ich denke, wie bei so vielem, was mit der Depression zusammenhängt, hilft vor allem Geduld. Der Weg von der kognitiven Erkenntnis zum gefühlsmäßigen Erleben ist lang und nicht zu beschleunigen. Aber er arbeitet sich voran, unmerklich, langsam und irgendwann wird einem bewußt, daß da ein neues, gutes Gefühl ist.

Ich sehe meine Mutter nur 1-2 mal im Jahr, wir wohnen weit auseinander, doch wir telefonieren regelmäßig. In der Zeit, als mir klar wurde, daß ich als Kind nur Liebe gegen Leistung bekam, habe ich den Kontakt vorrübergehend ganz eingestellt, ich konnte nicht mal mehr ihre Stimme ertragen.

Heute bin ich "ungehorsam" geworden, ich rufe nicht mehr jeden Sonntag an, sondern wenn ich das Bedürfnis habe. Und siehe da, meine Mutter meldet sich bei mir, wenn ihr das zu lange dauert.

Ich habe auch vor kurzem erst gelernt, daß mein Bruder sich ihren Übergriffen gegenüber ganz anders verhält, als ich es immer getan habe. Er sagt einfach, das passt mir gerade nicht oder das mag ich nicht u.s.w., so wie er es fühlt. Ich habe mich immer zurückgenommen, wollte niemand verletzen, habe vieles abgenickt, was ich gar nicht wollte. Und mein Bruder wird deshalb nicht besser oder schlechter von ihr behandelt als ich......also muß ich auch mein Verhalten hinterfragen und ändern.

Was uns in der Kindheit gefehlt hat können wir nicht mehr ändern, aber wir können es betrauern. Mir passiert das oft beim Fernsehen oder Musik hören, wenn mich etwas triggert, dann kann ich plötzlich trauern, richtig weinen und schluchzen. Danach geht es mir meistens besser, dann habe ich wieder ein neues Puzzlestück bearbeitet.

Und meine Erfahrung aus den letzten Jahren hat mich gelehrt, daß all diese kleinen, bearbeiteten Puzzleteile irgendwann mein Gefühl beeinflussen. Also hoffe ich, daß die Sehnsucht meines inneren Kindes nach Liebe ohne Leistung weniger werden wird, langsam, kaum merklich, aber stetig.

Lieben Gruß

jojoma
bigappel
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Re: Meine Eltern...

Beitrag von bigappel »

Liebe Salvatore,

ich kann gut nachfühlen, wie es Dir ergeht.

Einmal, weil ich selber eine "komische" Beziehung zu meinem Vater habe
(Geschäft oberste Priorität, keine Zärtlichkeiten sowie z.B. keine Teilnahme
an mir wichtigen Veranstaltungen pp) und vor allem, weil ich aktuell Erlebe,
dass meine 15jährige Tochter genau denselben Weg der Entbehrung / der
Sehnsucht nach dem Vater geht, und ich muss völlig hilflos zusehen.

Heute, nach einem langen Weg der Auseinandersetzung mit mir, meiner
Sehnsucht bzw. der Sehnsucht von Klein-Pia habe ich einen guten Weg
gefunden, damit umzugehen, denke ich.

Ich habe all die Situationen, die mich so verletzt haben ("lieber" arbeiten
gehen, statt bei meiner 1. Hochzeit dabei zu sein, auf den
Abi-Ball widerwillig mitgegangen und solange rumqueruliert, bis vorzeitig nach Hause gegangen wurd, nicht auf meine Diplomierungsfeier - die Mutter meines bestens Freundes ist mit mir hingegangen - usw. usw. usw.) wirklich betrauert.

Zugelassen und gespürt, dass ich allen Grund habe, darüber traurig zu sein
und dass es nicht mein ureigenstes Problem ist, einen solchen Menschen
als Vater zu haben, sondern fühlen zu können, dass er wohl gewaltige
Probleme mit der Empathie - ich glaube wie die gesamte Kriegsgeneration -
hat oder sonst was.

Ich habe auf mich geschaut, was mir gut tut.

So war es wirklich weit über 20 Jahre so, dass z.B. Heiligabend bei meinem
Vater (früher Eltern, meine Mutter ist verstorben) gefeiert werden mußte, ausschließlich nach seinen Vorstellungen; ein bei mir zu Hause feiern gab
es nicht. Kann und will er nicht, hat er immer gesagt.

Da ich meine Eltern aber sehr liebe und Weihnachten halt doch für mich in
die Familie gehört, habe ich immer und immer nachgegeben und mich sowas
von schlecht gefühlt.

Letzes Jahr - erstmalig - habe ich ganz klar gesagt, ich feiere zu Hause, ich würde
mich sehr freuen, wenn Du dabei bist, wenn Du das nicht möchtest, halt nicht.
Ich werde nicht zu Dir kommen.

Und siehe da! Plötzlich konnte er außer Haus sein und es war sogar schön.

Liebe Salvatore: auch ich wußte immer, dass diese Sehnsucht niemals erfüllt
wird, weil diese Menschen einfach nicht verstehen können ….. und ich glaube
trotz des Wissens habe ich halt auf der Gefühlsebene nie losgelassen (wie immer
ich das gemacht habe).

Das Loslassen, in dem ich auf mich geschaut habe, was mir gut tut und danach
zu handeln, war ein schwerer Weg für mich, aber gut und richtig.
Und seitdem fühle ich mich richtig, richtig gut.

Ich weiß leider nicht, wie Dein Weg aussehen wird, aber ich wünsche Dir alles,
alles Liebe und Gute dafür und würde Dich gerne einfach mal virtuell in den
Arm nehmen!

Liebe Grüße
Pia

P.s.: zu dem Medi-Thread: 9 verschiedene Ad ´s. Au weia.
Aber ich finde es gut und richtig, dass Du alle Ideen, die Du hast (Ernährung)
umsetzen wirst. Schließlich geht es um Dich!
Ein Tier zu retten, verändert nicht die Welt, aber die ganze Welt ändert sich für dieses Tier.
FönX
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Re: Meine Eltern...

Beitrag von FönX »

Hi kleinerbatzel

hat dich mal jemand so genannt? Finde ich niedlich und lustig! Und es stellt dich in ein anderes Licht als "Salvatore". Das nur vorab.

Mittlerweile habe ich mir diesen Thread noch einmal durchgelesen. Bei mir war/ist es ähnlich. Besonders als Vater noch lebte. Mein Verhältnis zu ihm war, wie alle geneigten Leser wissen, schwierig. Ist es noch, was ich gerade gestern erleben musste, als ich mit der Therapeutin sprach. Immer noch kommen starke Gefühle hoch, wenn ich an ihn denke. Vor knapp zwei Jahren erlitt er einen Schlaganfall und starb im letzten Jahr ... und hat immer noch Macht über mich.

Als er noch bei einigermaßen Gesundheit war, hatte ich auch so eine ambivalente Phase. Wenn ich allein war und an Vater dachte, kam eine leicht warme mitleidsvolle Liebe hoch, und ich hatte ein leichtes Bedürfnis, ihn in den Arm zu nehmen. Dazu war er aber überhaupt nicht der Typ, und wenn wir das nächste Mal zusammentrafen, war wieder diese Kälte da.

Geredet haben Vater und ich nur über irgendwelche Tagesangelegenheiten, rein pragmatisch und sachbezogen. Ich hatte ihn mal darauf hingewiesen, dass wir noch nie richtig von Mann zu Mann oder Vater/Sohn oder Sohn/Vater auf persönlicher Ebene über Gefühle, Gedanken, Ziele, Meinungen oder so geredet hätten. Das hatte er prompt auch nicht verstanden und folgte recht schnell seinem Fluchtreflex (wenn er mal zu mir kam, war das grundsätzlich kurz vor Mittag, während Mutter mit dem Essen auf ihn wartete).

Waren mal beide bei uns zu Besuch, kam auch kein richtiges Gespräch auf. Kontroversen ließ er nicht zu, ihm lag stets eine Killerphrase auf der Zunge, mit der er sich sofort aus der Diskussion zog. Nach solchen Treffen hatte ich meist tagelang ein ganz schlechtes Gefühl, das ich noch heute kaum ergründen kann.

Mit meiner Mutter, heute Witwe, konnte und kann ich besser reden. Allerdings ist sie geprägt von einem Leben, das so aussah: Jüngste von 12 Geschwistern, auf dem Bauernhof aufgewachsen, Vater hat ihr nach der Heirat alles ferngehalten (sie hatte zu allem auch keine Lust, weil Vater eh alles besser wusste und nur er immer alles richtig machte, und hat ihn nur rumkommandiert und bemeckert), hat die ganze Zeit als Alleinverdiener die Familie versorgt. Meine Mutter hat trotz ihrer 84 Lenze einen nur rudimentären Lebenserfahrungsschatz (was wunder?) und eine Unzahl eigenwilliger und abstruser Meinungen.

Wie gehe ich damit um? Ich bin nett und freundlich, hielt/halte aber die persönlichen Kontakte auf ein kleines Level. Mir tut das nicht gut, und ich fühle mich, während ich sowas alles erzähle oder hier aufschreibe, als total undankbarer und schlechter Sohn ("Sie haben es doch nur gut gemeint"). Und nur langsam lerne ich, das das letztere nicht sein muss, weil ich einfach nur eine Situations- und Gefühlsbeschreibung abgebe und das nicht heißen muss, Vater und Mutter "nicht zu ehren". Sondern, dass ich eigentlich nur "AUA" sage, wenn mir was weh tut. Nur in Babyschritten nähere ich mich dem Ziel, auch diese Seite meines imaginären Lebensbuches aufzuschlagen, ohne negative Gefühle oder gar Wut hochkommen zu lassen.

Just my 2cents...

Lieben Gruß
FönX

Bei riesigen Nebenwirkungen essen Sie die Packungsbeilage oder schlagen Sie Ihren Arzt oder Apotheker.
iffy04
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Re: Meine Eltern...

Beitrag von iffy04 »

Hallo Salvatore,
da hast du ein Thema angesprochen, bei dem sehr viele hier mitfühlen können, da sie (leider) sehr ähnliche Erfahrungen machen.
Ich stehe an dem gleichen Punkt: mein Kopf weiß, dass sie mir heute nichts mehr anhaben können, mich nicht mehr emotional missbrauchen können, dass ich nicht mehr auf sie angewiesen bin und ich halte einen recht oberflächlichen Kontakt. Ich besuche sie ca. alle zwei Wochen (Anstandsbesuch), weil ich mit dem schlechten Gewissen (die armen alten Eltern im Stich zu lassen) nicht zurechtkomme. Da fällt mir gerade auf, dass ich sie nicht ihretwegen besuche, sondern es meine Entscheidung ist, weil ich eben mein schlechtes Gewissen nicht abstellen kann.
Bei Pias Schilderung von Weihnachten musste ich lachen, denn auch meine Eltern weigern sich Weihnachten zu uns zu kommen und brav wie ich bin, dackeln wir "alle Jahre wieder" zu ihnen hin.
Und was ich leider auch überhaupt nicht fassen kann ist dieses schreckliche Gefühl, welches ich nach Besuchen habe. Eigentlich gibt es dafür keinen Anlass und mein Mann pflegt dann zu sagen: Ist doch alles gut gelaufen! Grrrrrrrrrrr Da könnte ich platzen, weil für mich ist garnichts gut gelaufen, ich habe Kopf-u./o. Magenschmerzen, ich komme mir vor ein Dampfkochtopf kurz vorm Platzen.
Aber: Die Ursache dafür kann man nicht fassen, keiner versteht mich, denn "sie meinen es doch gut".
Sorry, wenn ich Dir nicht wirklich helfen konnte.
Clown
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Re: Meine Eltern...

Beitrag von Clown »

Moin FönX,

>Vor knapp zwei Jahren erlitt er einen Schlaganfall und starb im letzten Jahr ... und hat immer noch Macht über mich.
Das glaube ich nicht! Was genau ist es, wovon du glaubst, dass 'es' Macht über dich habe?

Naaa?

Salvatore, , zu deinem Thema: kenne ich auch, hatte dann für einige Jahre den Kontakt ganz abgebrochen, hat zum Teil geholfen. Des Pudels Kern immer wieder in Therapiestunden bearbeitet, nicht fortlaufend, aber ab und zu, wenn es eben auftauchte. Ich glaube auch, dass es ein Prozess ist, der Zeit braucht, wie Jojoma so schön beschrieb:

> Der Weg von der kognitiven Erkenntnis zum gefühlsmäßigen Erleben ist lang und nicht zu beschleunigen. Aber er arbeitet sich voran, unmerklich, langsam und irgendwann wird einem bewußt, daß da ein neues, gutes Gefühl ist.

Grüßle aus dem Sturm (Windstärke 6, 12m/sec )

Clown
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Re: Meine Eltern...

Beitrag von Lerana »

Liebe Salvatore,

auch ich habe ein recht gutes Verhältnis zu meinen Eltern. Ich fühle mich von ihnen geliebt, aber ich bin und war nie (bzw. sehr früh nicht mehr) in der Rolle des Kindes. Ich bin seit langem die Ratgeberin für meine Eltern.

Wie gehe ich damit um? In mir ist das Bedürfnis, ihnen gegenüber einmal klein zu sein. Aber das geht nicht.

Ich versuche es als solches anzunehmen. Jetzt bin ich erwachsen und jetzt ist es ok, dass ich die Große bin. Ich denke, man kann das Vergangene nicht wiederholen. Traurig macht es mich manchmal. Dann versuche ich, mir diese Trauer zuzugestehen.

Mit meinem Vater ist reden schlecht möglich. Mit meiner Mutter schon eher. Doch sie verstrickt sich dann in Mitleid und Selbstvorwürfen, sodass Sie am Ende weint und ich sie tröste, weil es mir nicht gut geht.

Ich unterhalte mich shr gerne auf eine intelektuelle Art mit meiner Mutter. Ich schätze ihre Meinung zu vielen Dingen sehr. Ich verstelle mich nicht, wenn es mir schlecht geht, aber ich erwarte keinen Trost, denn meine Eltern KÖNNEN ES EINFACH NICHT. Und ich denke, ich werde es ihnen nicht beibrigen können.

Ich gernze mich ab, wenn ich zur Trösterin gemacht werden soll und ansonsten nehme ich all die guten Dinge mit und trauere um den Rest. Und dann bemuttere und bevatere ich mich selbst.

Das sind meiner Erfahrungen mit meinen Eltern. Ich weiß nicht, ob dir das was nützt, aber ich habe es dir trotzdem geschrieben.

Herzliche Grüße
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Re: Meine Eltern...

Beitrag von FönX »

Moin Clown

teilweise hatte ich es ja weiter oben beschrieben.

Deine Art der Fragestellung liest sich, als wenn du eine Ahnung hättest. Was meinst du?

Gespannte Grüße
FönX

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Re: Meine Eltern...

Beitrag von FönX »

Nachtrag:

Da ich nicht an ein Weiterleben nach dem Tod glaube, hat er natürlich nicht direkt Macht über mich. Aber was er mir mitgegeben hat, kann ich nicht so einfach abschütteln. Das dauert. Das meinte ich.

Liebe Grüße vom Fjord zum Deich
FönX

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Re: Meine Eltern...

Beitrag von Clown »

Hallo FönX,

ich denke da vor allem an die ganz sachliche Ebene des Nervensystems. Auch unsere Gefühle und Gedanken haben ja als Grundlage einfach nur Nervenverbindungen, die in Aktion treten.

Wie beim Pawlow'schen Reflex lernt unser Nervensystem Stress- und andere Reaktionen in erlebten Situationen und bildet dafür Nervenbahnen aus, die dann auch bevorzugt und schnell erregt werden, wenn der 'gelernte' Reiz (oder ein ähnlicher) auftaucht.

Insofern 'hockt' dir dein Vater sozusagen im Hirn ... so erlebst du es, nehme ich an. Aber es sind nur elektrische Impulse von Nervenzellen, die mit bestimmten anderen Zellen im Hirn eine Verbindung eingegangen sind. Die lässt sich wieder auflösen - durch Nichtbenutzen ( 'use it or lose it' ) und andererseits Aufbau von anderen, neuen Nervenverbindungen.

Die Feldenkrais-Arbeit nutzt ja dieses Prinzip und erreicht Verbesserung der körperlichen und geistigen (!) Beweglichkeit, die natürlich durch Veränderungen des Nervensystems entstehen.

Konkretes Beispiel: Bei einer Lektion sollten wir Bewegungen des Säuglings, der die Mutterbrust sucht (in der speziellen feldenkraismethodentypischen Weise), machen. Das löste bei mir heftigen Schmerz im Solar Plexus aus. (Gelernter Horror aus meiner Säuglingszeit: Mutter fütterte nach der Uhr, nicht nach dem Bedürfnis des Babys)

Also Pause mit der Bewegung und als der Schmerz nachließ nächsten Bewegungsversuch machen, aber noch langsamer und kleiner, und sofort Stopp beim kleinsten Schmerzgefühl.

Warum das? Das Gehirn verarbeitet Erfahrungen am besten in der Entspannung. Sobald ich Schmerz fühle, ist mein Organismus nicht mehr entspannt, das geht gar nicht, leuchtet ein, nicht?

Wenn ich also bei einer Bewegung die Schmerzgrenze sofort beachte und vorher stoppe, erfährt mein Nervensystem diese Bewegung neu, nämlich im schmerzfreien Zustand und baut diese Erfahrung sofort ein.

Ich muss gerade über mich selbst lachen, bei dem Thema komme ich schnell in Fahrt.
Das kommt auch daher, dass ich gerade die Ausbildung zur Feldenkraislehrerin in HH mache und mich der theoretische Hintergrund auch fasziniert, neben den praktischen Erfahrungen der Lektionen. Die Leichtigkeit und Beweglichkeit hinterher ist so toll!

Also nochmal zum Vater-im-Hirn-Thema: Ich weiß nicht, ob dir das etwas bringt, aber mich erleichtert diese nüchterne Sachebene total ... es sind einfach nur gelernte Verbindungen, weiter nichts! Und die kann man auflösen.

Liebe Grüße,

Clown
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Re: Meine Eltern...

Beitrag von Salvatore »

Hallo @all,

wow... Mit so viel Resonaz habe ich gar nicht gerechnet und auch nicht, dass es vielen irgendwie ähnlich geht.

Leider komme ich erst jetzt dazu, war heute kopfschmergeplagt und musste mit meinem Kaninchen zum Tierarzt, danach war ich erst mal platt und habe geschlafen.

@Miu: Danke für deine Worte, tut gut.
>kann es aber nicht so sehr durch Worte zeigen, eher durch Taten
Ich erlebe es grad andersherum: Meine Mutter sagt mir zwar, dass ich ihr so viel bedeute - aber das sind nur Worte, denen ich keinen Glauben schenken kann. Meine Eltern melden sich nur dann bei mir, wenn sie was wollen. Sie kommen mich und meinen Mann nie besuchen und wenn sie zum Geburtstag eingeladen werden fühlen sie sich nicht wohl wegen meiner Schwiemu.
Für alles und jeden ist Zeit da, wird sich Zeit genommen, überhaupt kein Problem, nur für mich nicht. Versprechungen fordere ich monatelang ein, bis sie dann - ein bisschen widerwillig, wie mir scheint - endlich eingelöst werden und immer mit dem Hinweis, dass sie ja so viel arbeiten müssen...


@Norbert: Ja, der Grundkonflikt ist auch schon lange Thema in der Therapie und passt wirklich haargenau auf mich. Das Dilemma ist, ich kann es nicht lösen.
Ich versuche es ja u.a. auch mit Informationsbeschaffung, weil es eben das ist, was ich bisher immer gemacht habe: alles kognitiv anzugehen. Klappt aber nicht.
Erst letztens habe ich was über "Selbstbeelterung" gelesen, das würde ich gern können, mir selbst genügend Eltern zu sein, sinnbildlich gesprochen.
Hast du es geschafft, deinen Vater anzunehmen?
Ich konnte bislang viel aus Gruppentherapie mitnehmen, weil ich es als hilfreich empfinde, andere Ansichten zu hören. Oder eben lesen, so wie hier.

@Jojoma: Auch meine Mutter trägt ihre Geschichte mit sich, meine Oma ist schon sehr früh gestorben und mein Opa war immer schwierig, mit meinem Wissen von heute würde ich vorsichtig eine Persönlichkeitsstörung "diagnostizieren", viell. Borderline - es gibt Anzeichen.
Ganz genau, verstandesmäßig verstehe ich das und auch, dass meine Mutter früher (und heute auch) leichte bis mittlere depressive Züge hatte und ich sie deshalb oft traurig gesehen habe.
Mein inneres Kind ist darüber aber bis heute irritiert und hat das Gefühl, etwas falsch gemacht zu haben oder einfach falsch "zu sein".
>Ich habe mich immer zurückgenommen, wollte niemand verletzen, habe vieles abgenickt, was ich gar nicht wollte.
DITO.
>wir können es betrauern. Mir passiert das oft beim Fernsehen oder Musik hören, wenn mich etwas triggert, dann kann ich plötzlich trauern, richtig weinen und schluchzen
Das wäre ein großer Fortschritt. Bislang steht mir (zu) oft der Verstand im Weg und ich komme meinen Gefühlen nur sehr langsam auf die Schliche. Und wenn es mir dann so schlecht geht wie erst gestern, ist das auch beängstigend: Was passiert denn, wenn es erst einmal richtig aus mir herausbricht?
So empfinde ich eine extreme innere Anspannung, die mich mürbe und müde macht. Ich lege mich dann schlafen. Auch eins meiner bevorzugten Coping-Strategien: Probleme versuchen wegzuschlafen. Klappt auch nicht.
Puzzle ist übrigens ein sehr treffendes Bild, so erlebe ich mich selber: Wie einen gorßen Haufen Puzzleteilchen, die ich zusammenfüge muss, ohne das Bild zu kennen.

@Pia: Drüxler angekommen, danke!
"Loslassen" ist genau das, was ich anstrebe. Und von meinen Eltern nur das anzunehmen, was sie mir geben können und wollen - und nicht mehr zu erwarten. Zu einem Kontakt zu finden, in dem sich nicht sämtliche ungesunden Muster wieder und wieder wiederholen. Mich nicht nach jedem Besuch zu fragen, ob die mich in menschlicher Hinsicht eigentlich mögen.
Schön zu lesen, dass es möglich ist. Ich hoffe, ich komme da auch hin, zur Zeit kann ich es leider nicht so sehen. Vielleicht kommt das ja noch.

@FönX: Mein Mann nennt mich so...
Mein Vater ist ein unruhiger Geist, der nur schwer stillsitzen kann und deshalb immer auf dem Sprung ist. Mit ihm kann ich über neutrale Themen sprechen, wir werden aber relativ selten persönlich.
Mit meiner Mutter ist das ein bisschen anders, und trotzdem schwierig. Wenn ich anderer Meinung bin, kann sie das nicht akzeptieren - auch nicht wenn ich sage: Ich verstehe, dass und warum du das so siehst, bin aber trotzdem anderer Meinung.
Kann sie so nicht stehenlassen und ich rechtfertige mich irgendwann dafür, eine eigene Meinung zu haben. Das wiederholt sich übrigens auch mit schöner Regelmäßigkeit in der Therapie.
Manchmal habe ich die Kraft nicht und wenn ich eine solche Diskussion vorahne, mache ich es wie du: ich nicke nur freundlich und wechsele das Thema. Aber wie du schon sagst.
befriedigend ist beides nicht.
Übrigens war es das Buch >>Sie haben es doch nur gutgemeint<< von Josef Giger-Bütler der allererste Anstoß für mich, der mir geholfen hat, meine Eltern im kritischen Licht zu sehen. Vorher hatte ich mir das verboten und bin mir dabei "gotteslästerlich" vorgekommen. Genau, schließelich soll man "Vater und Mutter ehren". Das Buch hat bei mir eine Tür geöffnet.

@iffy: Auch für mich sinds eher Anstandsbesuche. Wenn ich mich länger nicht gemeldet habe, kommen von meiner Mutter Vorwürfe deswegen. Wenn ich sage, ihr habt euch ja auch nicht gemeldet, kommt nur: Wir haben Stress, sind so beschäftigt, abends so müde.
Wie gesagt, auf der Prioritätenliste stehe ich nicht gerade an erster Stelle...
Wenn mein Mann dabei ist, ist es leichter, das fällt mir jetzt allerdings erst beim Lesen deines Postings auf und ich kann gar nicht sagen, woran das eigentlich liegt. Muss ich aber mal drüber nachdenken, danke für diese Anregung.
Doch, es hat geholfen, ich fühle mich nicht mehr ganz so "exotisch", wenn andere ähnlich fühlen wie ich!


So, jetzt mache ich mal ein Päuschen, melde mich später aber noch mal wegen der restlichen Antworten...

THX!!!
Salvatore
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Lerana
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Re: Meine Eltern...

Beitrag von Lerana »

Liebe Salvatore,

>>Übrigens war es das Buch >>Sie haben es doch nur gutgemeint<< von Josef Giger-Bütler der allererste Anstoß für mich, der mir geholfen hat, meine Eltern im kritischen Licht zu sehen. Vorher hatte ich mir das verboten und bin mir dabei "gotteslästerlich" vorgekommen. Genau, schließelich soll man "Vater und Mutter ehren". Das Buch hat bei mir eine Tür geöffnet.<<
Genauso ging es mir auch. Dieses Buch hat mir eine halbe Panikatacke beschert, als ich entsprechende Kapitel las. Da war ICH drin beschrieben. Mit Sätzen eins zu eins, wie ich sie in der Therapie gesagt hatte. Bis dahin konnte ich nie erkennen, dass ich depressiv war, aber dieses Buch hat mir dermaßen die Augen geöffnet, dass ich meiner Therapeutin meinen ersten Brief schrieb, in dem ich endlich meinen Kummer beschrieb.

Meine Eltern fand ich da auch. Vorher hatte ich ein Ich-hatte-eine-gute-Kindheit-Mantra und habe alles weggeschoben, was kritisch war. Ich habe selbst in der Therapie meine Eltern immer noch schützen wollen. Ich hatte eben da noch die Rolle der Erwachsenen und so wie man sein Kind beim Elternsprechtag verteidigt, habe ich wieder und wieder meine Eltern in der Therapie verteidigt. Es hat seeehr lange gedauert, bis ich erkennen konnte, dass mir das Kindseindürfen verwehrt wurde und daraus gewisse Muster entstanden sind.

Das Buch von Giger-Bütler war eine Art Schock und gleichzeitig eine Art Durchbruch ür mich!

Musste das eben los werden. Sorry!

Herzliche Grüße
Lerana
Der Kopf ist rund, damit das Denken die Richtung wechseln kann. (Francis Picabia)
jonojo

Re: Meine Eltern...

Beitrag von jonojo »

Hallo Salvatore,

>Hast du es geschafft, deinen Vater anzunehmen?
Wie gesagt ist das für mich seit Jahren ein Thema. Und es ging jahrelang keinen Schritt vorwärts.
Bei meinem letzten Besuch war ich, anders als sonst, etwas in Kontakt mit meinem Vater.
Seit ein paar Tagen habe ich meinem Vater innerlich als Rückenstärkung und Kraftquelle bei mir und fühle mich damit hervorragend.
Soweit der aktuelle Stand.

Anscheinend geht es für dich erstmal darum deine Eltern kritisch sehen zu dürfen und vielleicht auch wütend zu sein.

Mit den negativen Aspekte meiner Kindheit und meiner Eltern habe ich mich in meiner ersten Therapie ausgiebig beschäftigt.

LG,
Norbert
FönX
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Re: Meine Eltern...

Beitrag von FönX »

Moin Clown (und Salvatore),

faszinierender Ansatz. Ja, es hat mir etwas gebracht. Und ich denke, ich fange mal an mit "lose it". Über die Feldenkrais-Methode will ich mich noch weiter informieren. Vielen Dank.

Liebe Grüße
FönX

Bei riesigen Nebenwirkungen essen Sie die Packungsbeilage oder schlagen Sie Ihren Arzt oder Apotheker.
Salvatore
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Re: Meine Eltern...

Beitrag von Salvatore »

@Clown:
Ich denke auch manchmal (in meiner Wut und Enttäuschung) darüber nach, den Kontakt abzubrechen, aber das will ich ja gar nicht. Es ist eigentlich mehr wie eine Rachephantasie: für das Nicht-geliebt-werden-Gefühl räche ich mich durch Kontaktabbruch. Sozusagen die Rache des kleinen Mannes, wie es so schön heißt. Die Sehnsucht wäre aber immer noch da und außerdem noch das schlechte Gewissen einer Tochter, die mutwillig ihre Eltern verletzt.
Pawlow'scher Reflex ist es tatsächlich. Nur amche ich nur kleine Fortschritte bei der Desensibilisierung.
Habe übrigens gerade eine Feldenkrais-CD bekommen und werde das Programm in den nächsten Tagen mal machen.
Das Buch von Moshé Feldenkrais (Das starke Selbst) kann ich im Moment nicht lesen, es ist ein bisschen sperrig und dafür fehlt mir einfach die Konzentration.

@Lerana: Ja, ja, ja! Genau so ist es, du sprichst mir aus der Seele.
>Doch sie verstrickt sich dann in Mitleid und Selbstvorwürfen, sodass Sie am Ende weint und ich sie tröste, weil es mir nicht gut geht.
Dito. Meine arme Mutter, dass ich so leide ist auch wirklich gemein von mir! Das ist soooo anstrengend und sie sagt mir ja auch deutlich, dass es schlimm für sie (!) ist, wenn ich Depressionen habe. Also lieber nicht drüber reden...

>Ich gernze mich ab, wenn ich zur Trösterin gemacht werden soll
Ich vermeide alle Themen, die mich potenziell zur Trösterin machen könnten.

>und ansonsten nehme ich all die guten Dinge mit und trauere um den Rest. Und dann bemuttere und bevatere ich mich selbst.
Damit bist du ein wesentliches Stück weiter als ich. Hatte das weiter oben schon geschrieben, dass ich mir wünsche ich könnte mir selbst die Eltern sein.

>Vorher hatte ich ein Ich-hatte-eine-gute-Kindheit-Mantra und habe alles weggeschoben, was kritisch war. Ich habe selbst in der Therapie meine Eltern immer noch schützen wollen.
Das habe ich auch gemacht und war noch sauer auf meinen Therapeuten, dass der so auf meinen Eltern rumhacken will. Dachte mir, ist ja typisch, zur Not ist es immer die Kindheit. Das war mir zu einfach und zu viel Klischee. Und ich habe meine Eltern auch heftigst verteidigt, wie es sich für eine Tochter eben gehört, gell?

>Es hat seeehr lange gedauert, bis ich
erkennen konnte, dass mir das Kindseindürfen verwehrt wurde und daraus gewisse Muster entstanden sind.
Das Buch von Giger-Bütler war eine Art Schock und gleichzeitig eine Art Durchbruch für mich!
Ja, für mich auch. Bis dahin hatte ich zwar die Depression für mich akzeptiert, aber keinesfalls, dass meine Familie daran beteiligt sein sollte. Ich dachte auch, G-B schreibt über mich! (Woher wusste der das alles?)
Da konnte ich mir das erste Mal zugestehen, meine Eltern auch mal in einem anderen Licht zu betrachten. Tat weh, war aber auch ein wichtiger Erkenntnisschritt. Trotzdem hatte ich daran zu beißen.

So, Leute, ist schon spät und das Bett ruft.

Lg, Salvatore
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Clown
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Re: Meine Eltern...

Beitrag von Clown »

Guten Morgen Salvatore, FönX, alle,

>Das Buch von Moshé Feldenkrais (Das starke Selbst) kann ich im Moment nicht lesen, es ist ein bisschen sperrig und dafür fehlt mir einfach die Konzentration.
Ja, es ist sperrig und ich konnte es auch erst lesen, als das 1. Segment der Ausbildung begonnen hatte, ich täglich ca. 5 Stunden Feldenkrais-Arbeit erlebte und morgens und abends je für ca. eineinhalb Stunden im Zug saß!

Leichter zu lesen und hilfreich für das Verstehen von meinen Nervensystem-'Programmierungen' empfand ich von Gerald Hüther 'Biologie der Angst' (ich erwähnte es in meinem Feldenkrais-Thread schon mal).

>Es ist eigentlich mehr wie eine Rachephantasie: für das Nicht-geliebt-werden-Gefühl räche ich mich durch Kontaktabbruch. Sozusagen die Rache des kleinen Mannes, wie es so schön heißt.
Hier 'höre' ich Entwertung. Entwertung deiner Wut, deines Ohnmachtgefühls, deines Schmerzes.

Salvatore, JEDES Kind ist so 'gebaut', dass es dringenst und existenziell die Liebe (=Nähe, Berührung, liebevoll Angeschautwerden, Bejahung des eigenen Soseins) von Bezugspersonen braucht - bei dir waren es 'zufällig' diese beiden Menschen, die du Eltern nennst. Von ihnen hast du es gebraucht - und immerhin in solchem Maße bekommen, dass du überleben konntest.

Den Rest musst du, muss ich, müssen wir alle, für uns selbst tun: sich bejahen - auch den Schmerz, die Wut, die Ohnmacht.

Liebe Grüße,

Clown
"Realize deeply that the present moment is all you ever have. Make the Now the primary focus of your life."
Eckhart Tolle
hope1962
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Re: Meine Eltern...

Beitrag von hope1962 »

Liebe Salvatore,

weil ich weiß, dass du Aphorismen gut leiden magst:

" Es gibt leider nicht sehr viele Eltern, deren Umgang für ihre Kinder wirklich ein Segen ist."

Marie von Ebner-Eschenbach, in "Aphorismen, Parabeln und Märchen" (erstmals erschienen 1880)
Gabriele
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Re: Meine Eltern...

Beitrag von Gabriele »

Hallo Salvatore,

ja, es war so ähnlich, wie Clown es beschreibt. Dass etwas nicht stimmt, das war mir schon lange klar. Dann kam langsam das Verstehen, von dem was nicht stimmt.
Keine Liebe, keine Anerkennung, keine Rückmeldung, dass ich gut bin, so wie ich bin. Ich habe um ein bisschen Liebe regelrecht gebettelt und dann doch nichts bekommen.
Ich frage mich heute manchmal, wie ich überhaupt fähig war, meinen Mann so zu lieben. Oder wie es mir möglich war, unserem Sohn so viel Liebe zukommen zu lassen, dass er nicht auch depressiv
wurde.

Das erste Gefühl, das sich zeigte, war Wut. Eine gewaltige, unsagbare Wut. Erst danach kamen langsam die anderen Gefühle. Aber nicht minder heftig. Ich fühlte mich gekränkt, gedemütigt, ausgenutzt, hintergangen, ohnmächtig, wortlos und eigentlich wertlos.

Wahrlich keine schönen Gefühle. Viel zu lange hat es gedauert, bis ich eine Therapie machen konnte.
Es ist ein langer, mühsamer Weg. Nur langsam verändern sich Gefühle und Gedanken. Manchmal spürt man es erst im Rückblick. Und zeitweise passte von meinem Innenleben nichts mehr zusammen.

Die Wut ist gewichen. Die ist eine Zeit lang in Ordnung, kostet aber auf Dauer viel zu viel Kraft. Geblieben ist die Verachtung.
Menschen, die immer noch nicht begriffen haben, dass ich nun endlich keine Rechenschaft mehr ablegen muss, mich nicht mehr kontrollieren lassen muss, mich nicht mehr abmelden muss und auch eine eigene (andere) Meinung haben darf, mich aber unter Druck setzen und mit Vorwürfen reagieren, zeigen, dass sie nichts verstanden haben. Für die habe ich nur Verachtung, weil sie ja auch gar nichts begreifen wollen.
Ein Gespräch ist nicht möglich. Auf alles wird nur mit Abwehr und Schlägen unter die Gürtellinie geantwortet. Also bleibt mir nur noch die Möglichkeit, mich zurückzuziehen.

Ich dachte immer, dass ich zu meinen Eltern eine Beziehung herstellen könnte, die zwar auf Distanz aufgebaut ist, aber immerhin vorhanden ist. Ein Unterfangen, das sich als ziemlich schwierig darstellt. Also fast nicht möglich ist.

Mein Vater stellt sich immer als intelligent dar. Er definiert sein ganzes Leben über seine Erfolge, die er in seiner Arbeit errungen hat. Aber warum konnte er denn überhaupt so erfolgreich sein? Weil ihm meine Mutter ermöglicht hat seine ganze Zeit mit seiner Arbeit zu verbringen.
Außerdem hat ihn nichts nach Hause gezogen. Meine Mutter war eigentlich die falsche Frau für ihn und wenn schon ein Kind, dann wollte er einen Jungen. (Na ja, da hat er tüchtig daneben gegriffen.)
Meine Mutter hat sich in ihre Arbeit und Interessen geflüchtet. Was blieb für mich übrig?
Nicht viel.

Und wenn er mich wieder einmal so richtig „zusammengefaltet“ hat, habe ich da ziemliche Zweifel an seiner Intelligenz. Ich sehe ihn heute ganz anders als vor der Therapie. Ich habe ihn ins rechte Licht gerückt und spüre genau, wenn er lügt oder sich aufspielt, ungerecht ist.
Ich lasse auch nicht gelten, dass unsere Eltern nun mal die Kriegsgeneration sind. Man hätte ja mal nachdenken können, ob die Erziehung immer noch vertretbar ist. Zu mal sich meine Mutter häufig beschwert hat, wie streng und ungerecht ihre Eltern doch waren.

Ne, Norbert, da ist nichts mit Akzeptanz zu machen.
>Seit ein paar Tagen habe ich meinem Vater innerlich als Rückenstärkung und Kraftquelle bei mir und fühle mich damit hervorragend.<
Das würde mir das Rückgrat brechen.

>Ich mag meine Eltern, würde nur gerne das Gefühl haben, dass ich geliebt werde so wie ich bin, auch ohne Leistung, auch wenn ich anderer Meinung bin, auch wenn ich unangenehme Gefühle zeige.<

Das wäre eine bedingungslose Liebe. Ist das bei solchen Menschen überhaupt möglich?
Als mir meine Mutter vor Kurzem sagte, sie hätte mich lieb, konnte ich das gar nicht annehmen. Ich habe mich so unwohl bei dieser Aussage gefühlt. Außerdem kommt es ein bisschen spät. Ich weiß noch nicht, was ich damit mache. Im Moment fühlt es sich eher als sehr fremd an.

Mir wird wieder einmal bewusst, welches Glück ich mit meinem Therapeuten habe. Er hat mir eine ganze Ecke weiter geholfen.
Ich habe ein ganz schönes Stück Weg zurückgelegt. Aber ich fühle auch noch die Defizite.
Mein Körper hat immer noch nicht die alten erlernten Verknüpfungen vergessen. Ich reagiere noch viel zu sehr psychosomatisch.
Ab Mittwoch bekomme ich osteopathische Behandlungen. Die Therapeutin hat mir schon erklärt, was sie tun wird. Das erinnert mich sehr an das, was Du Clown, beschrieben hast.

Und ich schaffe es noch nicht, gut zu mir zu sein. Aber ich bin überzeugt, das lerne ich auch noch.
Auch wenn es ein langer Weg ist, der Geduld erfordert.

Liebe Grüße
Gitte
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