Mein Alltag ist mir fremd geworden

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Juliana
Beiträge: 3
Registriert: 7. Jun 2012, 10:26

Mein Alltag ist mir fremd geworden

Beitrag von Juliana »

Hallo zusammen,

nachdem ich hier öfter mitgelesen habe und damals schonmal angemeldet war, möchte ich mich gerne zu Wort melden.

Ich leide bereits seit 15 Jahren an Depressionen und hoffe, mich hier ein wenig mitteilen und aufgefangen werden zu können. Um eine kurze Info über mich zu geben, bin ich jetzt fast Mitte Dreißig, lebe allein und habe weder einen Partner noch Kinder.

Wie es die Überschrift schon sagt, ist mir mein Alltag ziemlich fremd geworden, und zwar schon seit ca. 3 Jahren.

Zuerst begann es damit, dass ich wegen der Erkrankung nicht durchgehend arbeitsfähig war. Mittlerweile stehe ich schon eine Weile ohne Arbeit oder Tagesstruktur da und kann keiner Vollzeittätigkeit mehr nachgehen.

Soweit so gut. Ihr könnt euch vielleicht vorstellen, dass ich mit der Situation recht alleine dastehe und mir Menschen wünschen würde, mit denen ich mal reden und Verständnis bekommen kann. Sehr getroffen hat mich, dass sich mein Freundeskreis und der Kontakt zu einer nahestehenden Freundin vor ca. 3 Jahren komplett aufgelöst haben. Seitdem konnte kein anderer Mensch diese Personen ersetzen und ich bin sehr viel weniger aktiv als früher. Mehrfach habe ich mich über das Internet vergeblich um eine Betroffenen-, Freundes- und Partnersuche bemüht.

Leider ist das noch nicht alles, denn seit geraumer Zeit, nehme ich ein Medikament, welches nicht nur Vorteile hat. Ich habe seitdem das Gefühl, die Welt ein wenig wie durch einen Schleier wahrzunehmen, weniger Emotionen zu spüren und einen geringeren Antrieb zu haben. Belastend ist vor allem, dass ich seitdem fast 15 Kilogramm zugenommen habe und das Gewicht unaufhörlich steigen will, obwohl ich mich gesund ernähre und regelmäßig Sport treibe.

Inzwischen ist die Sache mit der Gewichtszunahme etwas, was meinem Selbstbewusstsein nicht gut tut und mich immer unzufriedener macht. So konnte ich mir früher ohne Reue mal einen Restaurantbesuch, Kuchen im Café, ein Eis oder so etwas gönnen, was ich mit damaliger Gesellschaft genossen habe. Ebenso habe ich mich zur Sommerzeit im Schwimmbad oder am Strand sehen lassen, ohne große Minderwertigkeitsgefühle zu haben. Insgesamt mochte ich mich auf verschiedenen Anlässen lieber zeigen als heute.

Meine finanzielle Situation hat sich auch wesentlich verschlechtert und ich musste in eine kleinere Wohnung ziehen, in der ich mich offenbar auf lange Sicht nicht sehr wohlfühle.

Kurzum habe ich das Gefühl, dass sich mein Alltag sehr nachteilig verändert hat und ich die arbeitsfähige, aktive, normalgewichtige, gesellige Frau von früher zurückgelassen habe. Ich merke, dass es so nicht weitergehen kann aber weiß einfach nicht, wie es mir gelingen kann, wieder ein zufriedenstellendes Leben zu führen.

Mein Psychiater hat leider kein alternatives Medikament für mich und Therapien habe ich schon mehrere hinter mir, so dass ich den Glauben daran beinahe verloren habe. Ich muss mein Leben ohnehin selbst in die Hand nehmen und aus eigener Kraft verändern.

Ich bin dankbar, dass ich euch diese Dinge hier mal erzählen kann und hoffe, es mag sich jemand von euch melden.

Viele Grüße
Juliana
Schwert10
Beiträge: 257
Registriert: 9. Mär 2011, 15:50

Re: Mein Alltag ist mir fremd geworden

Beitrag von Schwert10 »

Hallo Juliana,
Herzlich willkommen im Forum!
Ich kann gut verstehen, was dich bewegt, einiges davon trifft auf mich auch auf mich zu.Schon lange depressiv, kein partner und keine Kinder, Gewichtsprobleme und fehlende Tagesstruktur. Immerhin habe ich meinen Vater, der im gleichen Haus wohnt und wir kümmern uns umeinander.Außerdem habe ich einen 400-Euro Job, der allerdings immer an zwei Tagen am Stück stattfindet. Der bringt jede übliche Struktur total durcheinander, aber ich arbeite gerade daran, trotzdem für die restlichen Tage eine zu entwickeln. Das ist ein Problem, das viele hier haben.
Insofern hast du recht, daß wir uns im Wesentlichen selbst helfen müssen, aber mit so dämpfenden Medis wie du sie nehmen mußt ist das doppelt schwer. Meine sind eher aktivierend, dafür ist die Stimmung insgesamt nicht so gut. Ich glaube , du kannst hier sehr viel Unterstützung finden und Anregungen für den Alltag.
lg wakora
Das Leben ist wertvoll

ob es nun strahlend ist wie ein diamant

oder dunkel wie kohle

beide sind aus demselben stoff.
CHF
Beiträge: 172
Registriert: 9. Feb 2012, 20:04

Re: Mein Alltag ist mir fremd geworden

Beitrag von CHF »

Hallo liebe Juliana,

willkommen auch von mir mal im Forum.

Ich kann dich sehr gut verstehen. Ich leide zwar noch nicht ganz so lange unter Depressionen, habe auch Mann und Kinder, aber ansonsten gibt es Punkte die ich durchaus auch erlebt habe.

Vorweg möchte ich dir aber mal ganz viel Mut zusprechen und dir sagen, dass du auf gar keinen Fall aufgeben sollst.

Du hast geschrieben, dass viele Menschen den Kontakt mit dir abgebrochen haben. Und du hast gesagt, dass diese Menschen für dich nicht zu ersetzten sind. Vor allem der Bruch mit deiner "besten" Freundin schmerzt dich sehr. Das kann ich gut verstehen. Zuerst bemerkt man nicht, wie die Umgebung einen ganz langsam aufgibt. Bis es dann immer mehr gibt, die sich nicht mehr melden. Man auf einmal merkt, dass nur noch die beste Freundin da ist, und die dann auf einmal auch noch weg bleibt.

Allerdings glaube mir, diese Leute sind zu ersetzen. Es dauert halt eben nur sehr lange bis du die alten Bekanntschaften verschmerzt hast. Und ebenso schwer ist es wirklich Leute zu finden, die einen mit der Krankheit akzeptieren und verstehen. Schon alleine deswegen ist es schon mal gut, dass du dich hier im Forum gemeldet hast. Wir können dich zwar nicht real umarmen, aber dann tue ich es jetzt erstmal virtuell.

Denke jetzt erstmal auch nicht an andere und mach dich nicht kirre wegen anderen Leuten die dich verlassen haben. Sie sind es nicht wert, dass du dich deswegen auch noch schlecht fühlst. Denn Leute die in schweren Zeiten nicht zu dir stehen, die brauchst du nicht.

In der Hinsicht habe ich auch vieles erlebt. Und ich habe auch sehr lange gebraucht um zu verstehen, dass einige von diesen Leuten mich eigentlich nur ausgebeutet haben. Viele haben mich benutzt, damit sie Gesellschaft hatten. Ob dies mir recht war oder nicht, danach hat keiner mich gefragt.

Das mit dem Gewicht kann ich auch seeeehr gut nachvollziehen. Als ich bis angefangen habe Anti-Depressionsmittel und auch andere Medikamente zu nehmen respektive nehmen musste habe ich auch sehr zugenommen. Ich hatte vorher Kleidergrösse 36 und bin jetzt bei Kleidergrösse 42. Also einiges mehr. Es ist dann auch leider so, dass Diäten nichts bringen. Ich weiss leider nicht ob es möglich ist auf andere Medikamente umzuschwenken, die weniger ans Gewicht gehen. Aber auch dann wird es sehr sehr schwer die Gewichtszunahme unter Kontrolle zu kriegen. (Würde dir jetzt gerne was anderes schreiben, aber dir rosarote Wolken zu zeichnen bringt ja nichts). Was jetzt deine Emotionslosigkeit betrifft, so kannst du ja mit deinem Arzt mal Rücksprache nehmen, ob das Medikament nicht zu hoch dosiert ist, oder ob es nur eine vorübergehende Nebenwirkung ist. Denn sowohl das ein als auch das andere kann diese Wirkungen mit sich ziehen.

Was nun die Restaurantbesuche, Eiscafé angeht. Lasse es dir nicht nehmen, trotz Gewichtszunahme, dir gutes zu tun und ab und zu ein Eis oder ein Stück Kuchen zu geniessen. Das ist zwar wahrscheinlich auch aufgrund deiner sich jetzt entwickelnden Schieflage finanzieller Natur nicht so einfach. Ausserdem bist du jetzt auf dem besten Weg der absoluten Isolation. Lass das nicht zu. Auch wenn du alleine gehen musst. Schau dir die Leute an, sie lachen zwar, das will aber nicht heissen, dass es auch wirklich jedem gut geht. Setzte dich wenn möglich genau dahin wo du willst, sei es in einer kleinen Ecke, wo du aus der Ferne alles beobachten kannst oder mittendrin wenn du das schaffst. Lasse dich bitte bitte nicht noch mehr in die Isolation drücken.

Was nun baden gehen und am Strand flanieren, da kann ich dir leider nicht helfen, da ich dieses leider nie getan habe. Selbst nicht als ich dünner gewesen bin. Was du aber vielleicht tun kannst, begnüge dich jetzt zu anfang erst mal damit einfach nur spazieren zu gehen. Gedanken schweifen lassen, Luft geniessen, Himmel sehen, Natur genau betrachten und vor allem versuche an nichts zu denken wenn du spazieren gehst. Kannst ja vielleicht Lieblingsmusik mitnehmen damit es dir leichter fällt an nichts sonst zu denken. Hat mir immer sehr geholfen, mir die Luft um die Nase wehen zu lassen und einfach dahin zu treiben.

Die alte Juliana ist nicht ganz weg. Sie ist zur Zeit etwas vergraben. Allerdings muss die jetztige Juliana, die nicht immer so bleiben wird wie jetzt, auch akzeptieren dass Neuerungen von Nöten sind und nicht unbedingt negativ gegenüber der alten Juliana sein müssen oder sein werden.

So, nun habe ich so zugetextet, dass du vielleicht nie mehr was von mir hören magst:lol:

Drücke dich lieb
CHF
Juliana
Beiträge: 3
Registriert: 7. Jun 2012, 10:26

Re: Mein Alltag ist mir fremd geworden

Beitrag von Juliana »

Hallo zusammen,

ich danke euch für das Lesen und die Antworten auf meinen Beitrag.

Unten habe ich nochmal geschrieben, wie es zur Zeit bei mir aussieht.

Viele Grüße
Juliana
Smaragd71
Beiträge: 469
Registriert: 25. Aug 2012, 17:40

Re: Mein Alltag ist mir fremd geworden

Beitrag von Smaragd71 »

Hallo Juliana,

bin noch relativ neu hier und kann dir daher wohl weniger Tipps geben, als du mir vielleicht..
Aber verstehen kann ich dich schon, zumindest einen Teil davon, wie dir zumute ist.
Partner (fest) und Kinder hab ich auch nicht. Freunde schon, aber die stoße ich oft vor den Kopf. Aber jetzt sind sie da, wo es mir sehr schlecht geht und wenigstens per Mail und SMS geht das bei mir auch.

Mit dem Gewicht kämpfe ich ebenso, habe in den traurigen Phasen ca. 15 kg zugenommen und fühle mich sehr unwohl, das kommt der Depression nicht gerade zugute.
Jetzt lese ich schon wieder hier, dass man von den AD zunimmt.

Ich drücke dir die Daumen, dass es bald wieder aufwärts geht und freue mich auf den Austausch hier.


Das Glück beruht oft nur auf dem Beschluss, glücklich zu sein.

Juliana
Beiträge: 3
Registriert: 7. Jun 2012, 10:26

Re: Mein Alltag ist mir fremd geworden

Beitrag von Juliana »

Hallo zusammen,

ich danke euch für das Lesen und die Antworten auf meinen Beitrag.

Eigentlich wollte ich an dieser Stelle etwas schreiben und vielleicht kann ich versuchen, mich nochmal mitzuteilen.

Seit ein paar Tagen geht es mir noch schlechter als oben beschrieben. Vermutlich deshalb, weil ich mein Medikament etwas reduziert habe und mein Arzt dem auch zugestimmt hat. Meine Nahrung habe ich ebenfalls nach Rücksprache reduziert. Dass es so schnell wieder bergab geht, hätte ich jedoch nicht gedacht und die Kraftlosigkeit sowie gedrückte Stimmung machen sich immer mehr bemerkbar. Auch leichte Ängste im sozialen Bereich kommen hinzu.

Während mir noch immer soziale Kontakte sowie eine berufliche Orientierung fehlen und die Gewichtszunahme mich belastet, habe ich über Wochen wohl zu sehr an einem Internet-Austausch mit einem Betroffenen festgehalten und dafür viel Zeit, Kraft und Vertrauen investiert. Anfangs tat es auch gut und war in Ordnung. Es fällt mir grundsätzlich auch schwer, Vertrauen zu anderen zu fassen oder Menschen an mich heranzulassen und merke, dass es mir schnell zu viel wird. Nach den Enttäuschungen und verlorenen Freundschaften von damals ist das wohl auch kein Wunder.

Dazu bin ich weder beruflich noch privat sehr belastbar und einfach schneller erschöpft. Nicht nur, dass es mir durch die Reduzierung meines Medikamentes schon schlechter geht, sondern meine Achtsamkeit und Selbstfürsorge bleiben ziemlich auf der Strecke. Auch Abgrenzung fällt mir immer wieder schwer.

Ich bin gerade etwas neben der Spur und mal wieder zuhause isoliert.

Viele Grüße
Juliana
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