Das Leben der Anderen

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jonesy
Beiträge: 546
Registriert: 25. Feb 2011, 17:42

Das Leben der Anderen

Beitrag von jonesy »

Hallo ihrs,
wollte mal berichten, wie weit ich schon gedungen bin mit meiner Selbstakzeptanz (von Selbstliebe zu sprechen, ist mir zu weit her geholt)
Es geht weiter vorran
So empfinde ich es jedenfalls, obwohl ich diverse vermeintliche " Freunde" im Galopp verloren habe und auch viel Alleinzeit verbringe.
Aber ich werte das nicht mehr, vergleiche mich nicht mehr mit Anderen, die nicht an Depressionen erkrankt sind.
Mein Leben gleicht momentan einem ruhigen Fluß und ich finde das gut.
Ab und an kommt ein Sog nach unten, ich lasse mich treiben und schwimme nicht mehr dagegen an und tauche um so schneller wieder an der Oberfläche auf.
Und ich bin stolz auf mich, ein bei mir sehr rares Gefühl.
Darauf, dass ich mir und meinen eigenen Kräften immer mehr zu vertrauen lerne.
Nicht was Andere leben oder denken ist wichtig für mich, sondern das was ich lebe und denke.
Diese ganzen angelernten und eingeprügelten Kernsätze über Bord zu werfen, sich eigene zu erschaffen, scheint mir manchmal ein Endlosweg und ist es vielleicht auch, aber mir scheint, als lohne es sich.
Im Vergleich zu meinem Leben vor der Depression bin ich langsamer gewordern, bedachter, vorsichtiger.
Irgend wie so insgesamt entschleunigt. Alles braucht viel Zeit, ich brauche viel Zeit.
Aber ich bin auch bestimmter geworden in meinem Wollen und Nichtwollen. Klarer.
Einmal im Monat treffe ich mich noch mit meiner Therapeutin, so lange, bis ich los lassen kann und sie vielleicht auch<g>.
Medikamente gibts schon lange nicht mehr.
Ich habe keine Angst mehr vor meinen Tiefen, vielleicht weil ich merke, es geht nicht weiter runter als ganz unten.
Mittlerweile habe ich schon wieder einiege schwierige Zeiten überstanden und habe fest gestellt, ja, ich kann das, eigenverantwortlich leben.
Ich danke euch allen sehr, die ihr mich gestützt, mir schriftlich über den Kopf gestrichen und mir gelegentlich auch einen Tritt in den Allerwertesten verpasst habt.
Ohne eure vielen klugen Gedanken wäre ich längst nicht da, wo ich jetzt stehe.
Keine Ahnung, wie es weiter geht, aber das es weiter geht, dass weiß ich jetzt und das es mein Leben ist und nicht das der Anderen.
Eine wärmende Gruppenumarmung von
Pauline
FrauRossi
Beiträge: 3166
Registriert: 2. Jul 2011, 11:23

Re: Das Leben der Anderen

Beitrag von FrauRossi »

Hallo Pauline,

deinen Beitrag finde ich sehr schön!
Er kommt für mich gerade zur rechten Zeit.

Beim lesen deiner Zeilen konnte ich mir wieder ins Gedächnis rufen was ich alles schon geschafft habe.

Mein Tag heute war furchtbar, endlich kam das letzte Formular das ich noch brauchte für Montag. Aber meine Daten darauf sind falsch. Ließ sich heute nicht mehr regeln.

Mein frisch kastrierter Kater sieht auf einmal komisch aus. Also in Panic zum Tierarzt.

Und aufeinmal ist die Küche voller unsortierter Papiere, der Drucker geht nicht. Ich habe Angst um meinen Kater, in zwei Tagen muss ich auf unbestimmte Zeit ins Ausland. Mein Steuerberater hat wieder Mist gebaut (jetzt reichts und ich such mir n anderen)

Und plötzlich lieg ich im Bett und heule. Lasse alles stehen, weil es mir über den Kopf wächst und ich nicht mehr weis wo ich anfangen soll. Ich heule und denke was soll das alles? Wozu das alles? Es ist sinnlos! Ich kann noch soviel strampeln und es wird doch nichts besser. Niemals. Ich schaffe das alles nicht. Ich will das alles nicht.

Und dann lese ich deinen Beitrag und denke: Nein! Heute war es zu viel, ja! Jetzt liegt halt alles rum, egal.
Morgen ist ein neuer Tag. Ein ganzer Tag noch Zeit alles in Ruhe zu machen. Ganz in Ruhe. Und Sonntag hab ich auch noch Zeit. Zeit mich auf die Reise vor zu bereiten.
Und dann weis ich plötzlich: Pauline hat recht! Weiter runter als ganz unten kann es nicht gehen. Und da war ich (beinahe) schon. (sozial hätte es noch weiter nach unten gehen können)

Ich weis du hast recht. Ich habe auch Leute im Gallop verloren. Aber ich habe auch einen guten Therapeuten gefunden. Ich habe eine e-mail Freundschaft gefunden. Ich habe beinahe eine neue Freundin gefunden. Ich habe einen neuen Job gefunden. Ich habe so wahnsinnig viel erreicht.

Du hast recht, der Weg ist immernoch irre lang. Aber ich bin schon auf dem Weg. Er mag Schlaglöcher haben, aber es ist ein Weg. Ich sitze nicht mehr im Sumpf.

Gut dass du mich erinnert hast. Und morgen ist ein neuer Tag.

LG FrauRossi
Lerana
Beiträge: 2088
Registriert: 4. Feb 2012, 18:42

Re: Das Leben der Anderen

Beitrag von Lerana »

Liebe, tolle Pauline,

wie schön es war, deinen Beitrag zu lesen und ich bin auch ganz furchtbar stolz auf dich!!!

Dein Beitrag berührt mich sehr, denn er ist so ehrlich. Ich freue mich für dich und hoffe, dass die Strudel, die dich nach unten ziehen, nie wieder in einem Wasserfall enden, der dich ganz verschlingt.

Dennoch und vielleicht unbedingt haben auch die normalen Strudel des Lebens Aufmerksamkeit verdient. Deshalb achte auf dich, kümmere dich um dich, tröste dich und denke nicht: Ah alles peanuts im Vergleich zu frührer!
Und melde dich hier, wenn du Zuspruch und Unterstützung brauchst!!!

Ich drücke dich jetzt mal fest zurück!!

Herzliche Grüße
Lerana
Der Kopf ist rund, damit das Denken die Richtung wechseln kann. (Francis Picabia)
jonesy
Beiträge: 546
Registriert: 25. Feb 2011, 17:42

Re: Das Leben der Anderen

Beitrag von jonesy »

Moin, meine Damen,
schön, dass mein thread ein bißchen Mut macht, sollte er auch.
Von toll bin ich weit entfernt, will ich aber,glaube ich, auch nich hin. Aber es entwickelt sich und ich kann mich und mein Sein besser annehmen. Befinde mich mehr in meiner Mitte und wenn dann so Sachen kommen( wie bei Frau Rossi beschrieben) habe ich nicht mehr das Gefühl, ich kann es nicht schaffen, bin dem Leben und den Widrigkeiten ohnmächtig ausgeliefert.
In meinem Urlaub habe ich mich schrecklich einsam gefühlt, heulend auf dem Bett gelegen und das Zimmer nicht mehr verlassen.
Keiner liebt mich, keiner versteht mich, alles Scheiße.
Nach zwei Tage habe ich dann gedacht: Hallo, du bezahlst hier einen Haufen Geld, um plärrend auf dem Bett zu liegen? Hätteste auch zuhause billiger haben können und außerdem sind da Taschentücher<g>.
Also mal vorsichtig Gardine weg ziehen, oh Sonne, oh Meer. Eigentlich gar nicht so übel.
Nach zwei Tagen das erste Mal geduscht(müffel) und dann raus ins Meer.
Ich war zwar immer noch die einzige Alleinreisende zwischen lauter Pärchen, aber meine Bewertung war eine Andere.
Man ist mal ne Wurst und mal ein Held. Niemand ist immer nur toll und selbst die, die uns so supertoll vorkommen, sind ab und an auch jammernde Babys, dass sieht man nur nicht.
Mein Leitspruch für diesen Monat ist ein bißchen heftig, trifft aber den Kern:
Es scheißen alle durch die gleich Brille.
Ich würde mir wünschen, es bliebe so, wie es jetzt ist mit mir, aber das wird es nicht.
Leben ist nie statisch. Leider oder Gott sei Dank.
Jetzt geh ich mit meinem fetten Kater spielen, ignoriere elegant die Bügelwäsche, mach mir später ein Honigbrötchen und lese dabei Tim&Struppi.
Ich muss nichts heute, einfach nur sein.
LG Pauline
Lerana
Beiträge: 2088
Registriert: 4. Feb 2012, 18:42

Re: Das Leben der Anderen

Beitrag von Lerana »

Hallo Pauline,

nur ganz kurz, denn ich muss jetzt spülen!

>>Man ist mal ne Wurst und mal ein Held.>>
Genau das ist toll!! Alles andere eine Idealisierung eines Wortes zu etwas, dass man nie sein kann.

Ich bleibe dabei: Tolle Pauline!!!

Herzliche Grüße
Lerana
Der Kopf ist rund, damit das Denken die Richtung wechseln kann. (Francis Picabia)
Schöpfung
Beiträge: 548
Registriert: 29. Okt 2006, 22:06

Re: Das Leben der Anderen

Beitrag von Schöpfung »

Hallo Pauline,

vielen Dank für Deinen Beitrag, der Mut macht.
Kam gerade zur rechten Zeit. Ich hab gerade einen Heulkoller gehabt, weil gedacht hab, ich krieg mein Leben nicht auf die Reihe usw.
Aber durch Deinen Thread fühle ich mich nicht mehr so alleine damit und weiß, das kann auch wieder besser werden. Das Leben der anderen macht mich momentan einfach nur traurig, weil ich immer gucke, was die alles geschafft haben (Familie aufgebaut, Freundeskreis, feste Stelle, eigenes Haus, glatter Lebenslauf...) mich mit denen vergleiche. Manchmal denke ich aber auch, es hätte schlimmer kommen können. Wenn ich zum Beispiel Bilder aus Kriegsgebieten sehe. Dann denke ich, ich habs doch noch vergleichsweise gut.

Liebe Grüße, Amalia

@Frau Rossi, Du schreibst mir aus der Seele. ich empfinde meine Situation ähnlich wie Du.
aquamarin
Beiträge: 262
Registriert: 2. Jul 2011, 19:14

Re: Das Leben der Anderen

Beitrag von aquamarin »

Liebe Pauline,

als ich das gerade las...

"Jetzt geh ich mit meinem fetten Kater spielen, ignoriere elegant die Bügelwäsche, mach mir später ein Honigbrötchen und lese dabei Tim&Struppi.
Ich muss nichts heute, einfach nur sein."

musste ich lachen und fast heulen gleichermaßen. Du beschreibst da etwas, das so leicht klingt und doch so schwer umzusetzen ist. Sobald ich mein "einfach-nur-sein" im Vergleich zu meinen Mitmenschen betrachte, fühle ich mich lahm, undiszipliniert, langweilig... und schon ist der ganze Genuss des Seins verschwunden. Dabei ist es für mich ein Genuss, dieses "so-sein" und vor allem TUT ES MIR GUT.

Ich freue mich, dass du bereits den Weg gefunden hast, gut damit umzugehen. Ich übe noch und es macht mir Mut, dass du hier deine Erfolge beschrieben hast!

Und jetzt werde ich mein schlechtes Gewissen in eine luftdicht verschlossene Kiste packen, vielleicht noch einen Spaziergang machen, in meinem Buch weiterlesen - oder auch nicht und auf jeden Fall heute Abend schön für mich kochen

Liebe Grüße von aquamarin
jonesy
Beiträge: 546
Registriert: 25. Feb 2011, 17:42

Re: Das Leben der Anderen

Beitrag von jonesy »

Also, ich weiß ja nicht, wie es euch damit geht, aber mir machen solche Leute Angst.
Die, die immer alles im Griff haben, bei denen es immer aussieht wie geleckt, die immer wissen wo alles ist.
Wenn meine Arbeitskollegin ihr Wochenendprogramm runter leiert, bin ich schon vom Zuhören erschöpft.
Innerlich frage ich mich dann, wovor läuft die eigentlich weg, dass jede Minute des Tages durchgeplant sein muss?
Klar muss nicht jeder so ein Chaot sein wie ich, dass ist manchmal auch blöd. Besonders wenn Besuch kommt und das Klopapier ist alle.
So was irgend wo in der Mitte wäre nett, aber man kann nicht alles haben.
Ich guck mir immer gerne die Messie-Sendungen an. Danach habe ich das Gefühl, ich sei Superwoman und bei mir ist es gerade zu vorbildlich aufgeräumt.
Alles eine Frage der Sichtweise<g>.
anna54
Beiträge: 3713
Registriert: 14. Sep 2010, 15:08

Re: Das Leben der Anderen

Beitrag von anna54 »

Liebe Pauline
bin etwas spät,dein Beitrag hat mir aber so sehr gefallen,dass ich noch antworte.
Der Strudel,den du beschreibst,das hat meine letzten Wochen bestimmt. Ich habe noch nie so klar eine Sichtweise empfunden.
Sich von dem Strudel gleiten lassen,langsam zu Boden gehen,wissend,es dauert nicht lang,es geht wieder nach oben.

Ich habe ein Bild gefunden,war bei einem Fahrradausflug an einen Fluss gekommen,da war ich schon früher,aber so hatte ich das Bild nie gesehen.
Der große breite Fluss,der ruhig dahingleitet wird plötzlich von einem Wehr aufgehalten,dann ein langes Stück über riesige Steine geleitet,da tobt er,wird laut und mächtig.
Dieses Bild war mir so wichtig,ich hab ganz viele Fotos gemacht,versucht es anderen zu vermitteln. Sie haben es nicht erkannt,für sie war das nur Wasser.
So ist mir ein Bild geschenkt,dass nur der erkennt,der sehend ist,sicher durch die Krankheit geworden.
Eine hohe Sensibilität,schmerzhaft,irre manchmal,aber sehend für mich und andere.
Danke,dass ich deinen Beitrag lesen konnte,es war sehr gut für mich.
Liebe Grüße
anna54
shehari

Re: Das Leben der Anderen

Beitrag von shehari »

Hallo Pauline,

deine Worte finde ich sehr inspirierend. D. Satz "Das Leben der Anderen" war und ist heute noch ein sehr dominante Begriff für mich geworden.

Es hat über die Jahre nachgelassen. Ob die Therapie Ihren Teil dazu beigetragen hat?! Ich denke ja. Ich habe mich ständig verglichen, verurteilt, bewertet, mich selbst erniedrigt..usw. Diese Gedanken sind noch sehr mächtig.

Für mich gestaltet sich diese Gedankennetz so: Ich wache auf und sehe Unordnung in meine Wohnung, also ist da ein starker Drang Ordnung herzustellen. Ich putze, räume auf, wenn Ordnung/Sauberkeit wieder hergestellt ist, kommt eine unangenehme Langeweile, was ich als Langeweile bezeichne, das ist wohl die Frage was ich mit mir "selbst" nun tun kann?! Ich muss dieses Gefühl die damit verbunden ist entfliehen also wird überlegt welche Ablenkungstaktik am besten geeignet ist?

Freunde habe ich kaum...

D. Gedanke, dass andere vielleicht Ihrem Leben evtl. mehr Sinn abgewinnen kann als ich, beschäftigt mich sehr stark.



Danke

Schöne Grüße
jonesy
Beiträge: 546
Registriert: 25. Feb 2011, 17:42

Re: Das Leben der Anderen

Beitrag von jonesy »

Hallo Anna,
es fällt schwer, sich einfach nur treiben zu lassen und nicht sofort mit schwimmen zu beginnen, wenn man den Abwärtstrend bemerkt.
Sich selbst zu vertrauen empfinde ich fast ebenso schwierig wie Anderen zu vertrauen.

Hallo Renai,
muss man immer etwas tun? Einen Plan haben, einen Sinn sehen?
Ich möchte großzügig mit mir sein und liebevoll.
Das kann ich nicht sein, wenn ich mich permanent unter Druck setze, mich kritisiere und abwerte.
Vielleicht haben Andere das vermeintlich bessere Leben, aber wer bestimmt das?
Wer bestimmt, wie dein Leben ist oder sein soll?
LG Pauline
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