Warum akzeptiere ich nicht, dass ich krank sein SOLL?

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Hoffentlich
Beiträge: 136
Registriert: 18. Nov 2011, 09:26

Warum akzeptiere ich nicht, dass ich krank sein SOLL?

Beitrag von Hoffentlich »

Hallo zusammen,

diese Frage beschäftigt mich täglich. Ich habe es gestern schon an anderer Stelle geschrieben, dass ich nicht akzeptieren kann.Es will einfach nicht in meinen Kopf, dass es krank ist, wie ich denke, fühle und handle. Bisher konnte ich mit meiner Therapeutin immer irgendwie herausarbeiten, was der Auslöser für meinen "Absturz" war - zumindest habe ich selbst nach tiefem Graben in meiner Seele immer einen gefunden.
Ich nehme seit 4 Jahren AD's - mal mehr, mal weniger. Sobald es mir gut geht, glaube ich nicht mehr, dass die Pillen geholfen haben, sondern dass ich es auch ohne sie geschafft hätte. Immer, wenn es mir gut geht, sage ich ganz schnell, dass die Tabletten weg müssen. Mir hat mal jemand gesagt, dass er nicht versteht, warum ich so denke. Wenn jemand z. B. Diabetiker ist, gibt er sich doch auch regelmäßig Insulin, damit es ihm gut geht. Das war ein so furchtbarer Vergleich in meinen Augen... Es tut mir auch nach 4 Jahren immer noch sehr weh, wenn mir gesagt wird, ich sei krank, obwohl ich bereits 2mal in einer Akutklinik war. Aber auch das kann ich mit allem Möglichen für mich begründen.
Ich habe trotzdem hier im Forum schon des öfteren mich irgendwie so gäußert, dass ich krank bin, aber geglaubt hab ich das nicht wirklich. Hab es nur getan, weil Ärzte und Therapeutin das sagen, und weil ich hier schreibe. Bin ich nun eine Lügnerin, oder bin ich krank, oder was bin ich denn nun???? Ich frage mich, wielange ihr gebraucht habt, um zu begreifen. Und ich frage das hier mal euch. Würde mich sehr über Antworten freuen, weil das MEIN ständiger Denk-Kreislauf ist.

L. G.
"Ready"
Joyce
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Registriert: 9. Mai 2012, 16:22

Re: Warum akzeptiere ich nicht, dass ich krank sein SOLL?

Beitrag von Joyce »

Hey Ready,
ich versuch mal eine Antwort und hoffe dir damit irgendwie helfen zu können.

Dein ständiger Denk-Kreislauf ist glaube ich völlig typisch für Depressionen.
Ich weiß nicht wie das bei dir und bei anderen ist, aber bei mir ist es so:
Bin ich in einer „schwarzen Phase“ kann ich nicht glauben, dass es auch nur jemals einen Tag anders war und niemals anders sein wird,
geht es mir besser ist das glücklicherweise ähnlich und ich kann gar nicht verstehen, warum ich so am Ende war.
Der Punkt ist: Man will nicht krank sein, sondern nur, dass es aufhört und man der Mensch sein kann, der man normalerweise ist (z.B. rel. sportlich, guter Koch etc.) und nicht das depressive Wrack (das nur schläft und es noch nicht mal schafft sich die Zähne zu putzen o.ä.). Das Ganze kann einen ja auch echt verrückt und an sich selbst zweifeln lassen.

Vielleicht ist deine Angst dir zu sagen „du bist krank“ auch in dem begründet, was das für dich heißen würde. Zu sagen dass man krank ist kann in einem die Angst hervorrufen, dass man daran nichts ändern kann und dem ausgeliefert ist – aber das stimmt nicht (auch wenn man das oft nicht glauben kann), es kann (in kleinen Schritten) besser werden.
Bei manchen Dingen frage ich mich allerdings auch warum die Art wie ich denke „krank“ sein soll. Was ist krank daran Einsamkeit vll. stärker zu spüren und sensibel auf Zurückweisung zu reagieren oder solche Dinge. Krank ist aber wenn sich daraus ein lähmendes Gedankenkarussel entwickelt, dass ein schon bei kleinen Auslösern in die totale Hoffnungslosigkeit stürzt.

Allerdings kann man die Sache langfristig wohl nur angehen, in dem man akzeptiert, dass es was zu tun gibt WEIL man eben dach PECH hat depressiv zu sein.
Dendrit
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Registriert: 23. Mai 2003, 11:14
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Re: Warum akzeptiere ich nicht, dass ich krank sein SOLL?

Beitrag von Dendrit »

Hallo Ready,

Bin ich nun eine Lügnerin, oder bin ich krank, oder was bin ich denn nun????

Da ich über 9 Jahre fast am Stück depressiv war, mit ein paar Pausen von Tagen oder paar Wochen, traute ich mich lange Zeit gar nicht zu sagen, wenn es mir gut ging, dass es mir auch gut geht. Ich hatte/habe immer die Befürchtung, dass ich wohl "den Tag vor dem Abend lobe".

Selbst jetzt, wo es fast ein Jahr her ist, dass mich da was plagt, sag ich immer noch, "im Moment fühl ich mich depressiv". Ich lass die Depri soz. neben mir stehen - so dass ich nicht überrascht bin, wenn sie über mich herfällt. Aber ich versuch nicht, auf sie zu achten, ob und wann sie mich "überfällt". Nimm ich die Tabl., steht sie zwar da und kann mich (weniger) angreifen, weil die wie ein Schutzmantel wirken.

Vllt. fällt es mir leichter, weil ich sowieso Medi nimm, die ich bis zum Lebensende nehmen muss. Also ob im Dispenser eine Tabl. mehr oder weniger drin ist, spielt keine Rolle.

LG, Manuela
FrauRossi
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Registriert: 2. Jul 2011, 11:23

-

Beitrag von FrauRossi »

Hoffentlich
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Re: Warum akzeptiere ich nicht, dass ich krank sein SOLL?

Beitrag von Hoffentlich »

Hallo und vielen Dank für eure Antworten.

Es waren nur 3. Nun überlege ich schon wieder, ob so viele hier im Forum deutlich weiter sind als ich und sich demzufolge besser auf ihre "Gesundung" konzentrieren können. Ich würde das auch so sehr gerne tun. Aber irgendwie wehrt sich in mir alles dagegen.

Vielleicht liegt es ja mit daran, dass ich irgendwann beschlossen habe, jedem gegenüber immer eine Begründung zu "liefern", wenn es mir richtig schlecht geht. Und hier merke ich, dass das sowohl bei der Arbeit als auch in meinem weiteren Familien- und Bekanntenkreis sehr gut akzeptiert und verstanden wird. Die meisten wissen, dass ich schon 2mal in einer Akutklinik war. Sie kennen aber auch die jeweiligen Auslöser - wissen, dass ich die Diagnose "Depression" bekommen habe. Durch ihre Reaktion - nämlich, dass diese Auslöser natürlich psychisch äußerst belastend sein müssen, habe ich mir bisher auch immer sehr gut selbst glaubhaft machen können, dass ich nicht krank bin, sondern, dass es die Umstände waren/sind, die mich aus der Bahn geworfen haben.
Ich habe unendlich viel gelesen (Fachbücher, Internet etc.), sehe die Parallelen. Und trotzdem bekomme ich im Kopf nicht klar, dass diese Parallelen bedeuten, dass ich krank sein SOLL.
Ich befinde mich dadurch in ständiger Angst vor einem Absturz, den ich vielleicht mal nicht begründen kann. In letzter Zeit fange ich manchmal an zu zittern, wenn ich darüber nachdenke. Mein Herz fängt an zu rasen. Ich fürchte mich und weiß nicht, wovor ich mich fürchte.
So, nun hab ich schon wieder so viel geschrieben. Sorry dafür.

L. G. an alle, die hier lesen
"Ready"
FrauRossi
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Beitrag von FrauRossi »

Hoffentlich
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Re: Warum akzeptiere ich nicht, dass ich krank sein SOLL?

Beitrag von Hoffentlich »

Hallo nochmal

@ Frau Rossi
Es waren schwierige private Veränderungen/Ereignisse, die jeweils die depressiven Phasen ausgelöst haben. Vor 4 Jahren waren das ein missglückter Versuch, eine Freundin, die einen Herzinfarkt erlitten hatte, wiederzubeleben. Sie ist also unter meinen und den Händen meines damaligen Mannes verstorben. Mein Sohn ist mit seiner Freundin zusammengezogen. Ich habe nach vielen Jahren meine Arbeit verloren (habe aber nach 6 Monaten Krankschrift wieder einen sehr guten Job gefunden). Meine Mutter kam in ein Pflegeheim wegen Demenz. Und es gab noch diverse kleinere Probleme.

Vor 2 Jahren war es die Trennung von meinem Mann und die folgende Ehescheidung, obwohl wir noch einen netten Umgang miteinander haben. Meine damals 24jährige Tochter ist mit ihrem Freund zusammengezogen. Mit Abschieden kann ich überhaupt nicht umgehen.

2011/Anfang 2012 - 2 Fehlgeburten bei meiner Tochter.
Meinem neuen Partner gegenüber ständig ein schlechtes Gewissen, weil ich ihm anfangs nichts von meinem psychischen Problemen gesagt habe.

@jonojo
Du schreibst Sätze, die meine Therapeutin auch gebraucht. Und ich möchte dich fragen, ob du sie für dich weitestgehend verinnerlicht hast und mit dem Aufarbeiten bzw. Verändern deiner Verhaltens-/Denk-/Fühlweise voran kommst, oder ob du "nur" die Erkenntnis dessen hast.

Lieben Dank für deinen Beitrag. Ich werde ihn noch mehrmals lesen.

"Ready"
FrauRossi
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Beitrag von FrauRossi »

FrauRossi
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Beitrag von FrauRossi »

Hoffentlich
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Re: Warum akzeptiere ich nicht, dass ich krank sein SOLL?

Beitrag von Hoffentlich »

Hallo nochmal.

@Frau Rossi
"Also nochmal die Frage: kannst du für dich ausmachen wann du den ersten Verlust hinnehmen musstest? War es die Freundin? Oder gab es vorher noch was?"

Hierzu fällt mir absolut nichts ein. Darüber haben wir schon häufig in der Therapiestunde gesprochen. Aber interessant bleibt diese Frage nach wie vor für mich. Was sich da in meinem Unterbewusstsein abspielt - noch hab ich nicht wirklich eine Ahnung.

@Norbert
"ich könnte mir vorstellen, dass deinem nicht-akzeptieren ein satz wie "ich muss funktionieren" zugrundeliegt oder etwas ähnliches.
den richtigen satz kannst du selbst (durch ausprobieren) finden und feststellen, ob er wirklich stimmig ist."

Ich denke, dass dies genau der Grund meiner Probleme ist. Wir waren 4 Kinder zuhause. Meine Mutter hat aber leider immer nur meine Schwester wirklich angenommen und geliebt. Dies ist auch heute noch so, obwohl meine Mutter inzwischen dement ist. Es kommen, wenn ich sie besuche, immer wieder von ihr Sätze, wie "Andrea fehlt mir so." oder "Du bist lieb und gut, aber ich möchte Andrea sehen." (Andrea ist meine Schwester)

Fazit: Ich habe mich immer besonders bemüht zu funktionieren, um irgendwie bei meiner Mutter "zu punkten" - als Kind und auch noch als Erwachsene. Aber es wurde niemals gesehen. Zwischen meine Mutter und meine Schwester gab/gibt es eine Liebe, die ich durch absolut nichts hätte ein wenig auch für mich beanspruchen können.

Ich finde es sehr schön, wie ich hier neben meiner Therapie zum Denken angeregt werde.

Vielen Dank und l. G. "Ready"
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