Was hält mich noch?

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Wueste
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Registriert: 28. Feb 2012, 16:21

Was hält mich noch?

Beitrag von Wueste »

Bin gerade ziemlich weit unten. Der Gedanke, dass ich noch über einen Monat warten muss, bis ich hier raus komme und in die Klinik darf, macht mich nicht gerade glücklich. Ich dachte, ich schaffe das schon irgendwie. Aber heute morgen ist alles wieder schlecht. Gestern auf der Arbeit habe ich mich schon wieder nach einer eigenen Wohnung umgeschaut. Ich sollte das eigentlich lassen und mich erst nach der Klinik darauf konzentrieren. Zur Zeit ist nichts für mich dabei.

Dann komme ich mit einer einigermaßen guten Stimmung von der Arbeit nach Hause. Mein Mann fragte nach dem Abendbrot, doch ich hatte keinen Hunger und verzog mich zum Klavierspielen in meinen Raum. Nach einer Stunde kam ich wieder hoch und habe es sogar geschafft, meiner Tochter die Gute-Nacht-Geschichte vorzulesen. Um um meinen guten Willen zu zeigen, ließ ich mich im Wohnhzimmer nieder und schaltete den Fernseher an. Doch ausgerechnet gestern wollte mein Mann ein Fussballspiel sehen (letzte Woche gab es doch schon 2 Abende mit Fussball, die ich mir mit ihm zusammen angetan habe - nur um ihn zu zeigen, dass ich mich nicht nur im Keller verkrieche - das wirft er mir ja immer vor). Es gab mal wieder schlechte Laune meines Mannes - ich könne doch Klavierspielen gehen, er möchte nun Fussball gucken - doch ich blieb hart. Er zog mit seinem Bier nach unten, wo der zweite Fernseher stand und er sich vorher erst noch einmal so richtig unter Geschrei am Boxsack austoben konnte. Warum bekomme ich dann immer ein sooo suuuper schlechtes Gewissen? War schon wieder drauf und dran ihn hochzuholen und das Programm zu ändern - doch ich blieb hart. Meine Nervern waren schon wieder blank und die Beine wippten rauf und runter. Ohne Wortwechsel gingen wir dann später ins Bett.

Die Nacht war mal wieder kurz und ich lag in den Morgenstunden lange wach. Warum steht mein Mann nicht auf und geht endlich zur Arbeit, dachte ich nur. Als er aufstand, war ich richtig erleichtert. Kurz darauf erschien er noch einmal und wollte den IBAN Code seiner Bank wissen. Natürlich stehe ich auf und laufe in den Keller, suche die Kontoauszüge und schrieb ihm die Nummer auf. Er verabschiedete sich noch kurz von der Tochter, warf mir noch ein Tschüss ins Zimmer und verschwand. Ich war sooooo erleichtert, dass er endlich weg war. In meinem Kopf wirbeln die Gedanken, was ich noch alles zu erledigen habe. Muss endlich mit der Einkommensteuer anfangen, habe nur noch ca. 1 Monat Zeit, bis dahin muss sie fertig sein. Brauche unbedingt die Originalunterlagen vom Anwalt für die Zwangsvollstreckung der Miete, die ich nun nach 17 Jahren von meinen ehemaligen Mietern noch bekomme. Muss mich noch um einen Bausparvertrag kümmern und der gemeinsamme Kredit muss auch in Angriff genommen werden. Es steht alles auf einer Liste, doch die wird und wird nicht kürzer.

Wäsche waschen, was wollen wir heute Essen? Muss die Sozialstation zum wiederholtem Male anrufen, um die Betreuung für meine Tochter während des Klinikaufenthaltes zu klären. Einkaufen, Flur wischen, Mittag muss um 12:00 Uhr auf den Tisch stehen. Alles geht mir durch den Kopf, doch der vorherschende Gedanke ist, dass ich nur noch weg muss. Mein Zuhause macht mich so krank, nichts kriegt mein Mann auf die Reihe, gar nichts, immer muss ich ran...

Und nun sitze ich doch wieder am Computer, Tränen laufen mir über das Gesicht und ich komme wahrscheinlich wieder zu gar nichts! Warum lasse ich mich immer so runterziehen? Ich will mich doch sowieso trennen. Nur noch einen Monat, dann habe ich es geschafft. Wie schaffe ich den nur? Und dann noch Ostern, habe in einer guten Zeit schon das Ostergeschenk für die Tochter gekauft.

Heute geht gar nichts mehr. Nehme gleich die Tropfen und gehe wieder ins Bett. Es bleibt heute alles liegen ...

Das empfindliche Schaf
Spongbob
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Re: Was hält mich noch?

Beitrag von Spongbob »

Hallo Du liebes, trauriges Schaf,

ich kann Dir teilweise gut nachempfinden, wie es Dir geht, z.B. liegt die Einkommensteuererklärung auch noch unberührt neben mir, wie ein mahnender Pfeiler, der mich immer wieder daran erinnert wie unfähig ich doch bin mit der Aufgabe anzufangen, ich muss bis Ende Mai damit fertig werden. Wir bekommen auch immer etwas über 2.000 Euro zurück und das Geld soll ja auch fließen. Mein Mann ist Gott-sei-Dank einer von der Sorte, die auch alles allein hin bekommt, auch wenn er mir lieber alles überlässt. Wenn es mir wirklich schlecht geht, macht er alles, er kommt von der Arbeit geht einkaufen, kocht für uns Mittagessen, wäscht die Wäsche, wischt und saugt Staub und macht noch tausend andere Dinge und das alles ohne mir ein schlechtes Gewissen zu machen.

Vielleicht habe ich einfach nur Glück mit meinem Mann, er ist auch mein Seelenverwandter. Wenn ich an die Looser denke, die ich vor meinem Mann kennen gelernt habe, na dann mal Prost Mahlzeit. Das wäre auch nichts von Dauer geworden, ich bin froh, dass mein Vater mich damals für 3 Flaschen Bier an meinen jetzigen Mann verkauft hat als ich 16 Jahre alt war. Na ja, meinen jetzigen Mann habe ich dann erst mit 20 Jahren kennen gelernt!

Ich möchte Dir gern Mut zusprechen, weiß aber wie schlecht es einem gehen kann, der auf einen Klinikplatz wartet. Ich habe auch mal warten müssen, aber ein selbstgemachtes Warten, denn ich hatte noch einen Massagetermin, den ich nicht verfallen lassen wollte. Als der Termin noch nach hinten verschoben wurde, bin ich fast komplett zusammen gebrochen, hab es aber noch über mich ergehen lassen. Ich glaube so fühlst Du Dich auch ungefähr, Du lässt es über Dich ergehen. Das ist kein schönes Gefühl!

Ich sende Dir virtuell eine dicke Umarmung und wünsche Dir viel Kraft und Durchhaltevermögen, es wird besser, wenn Du erst in der Klinik bist. Solltest Du es gar nicht mehr aushalten, versuche doch in der Klinik nachzufragen ob Du nicht 1-2 Wochen eher kommen kannst. Da bedeutet aber auch, dass Du 1-2 Wochen weniger Zeit für die Vorbereitungen hast. Die Katze beißt sich in den Schwanz.

LG Mia
Wueste
Beiträge: 35
Registriert: 28. Feb 2012, 16:21

Re: Was hält mich noch?

Beitrag von Wueste »

Hallo Mia,

schön, dass jemand da ist. Ich frage mich schon die ganze Zeit, wer mir jetzt akut helfen kann, aber da ist leider niemand. Mein Mann weiss doch, dass es mir nicht so gut geht. Er meint, wenn er nach Hause kommt und sich um unsere Tochter (9 1/2 Jahre alt!) "kümmert", dann hätte ich ja endlich Zeit für mich. Er spielt mit ihr, liest ihr etwas vor und hört ihr zu, was so alles in der Schule passiert ist. Und genau das ist wahrscheinlich der Grund, warum es mir so schlecht geht. Er zieht unsere Tochter einfach vor, meint, er nehme mir einen Teil der Arbeit ab, aber meine Tochter kann sich in diesem Alter wirklich schon alleine beschäftigend (ie Erzählrunde findet eigentlich beim Abendessen statt). Da hat es im Frühjahr bei mir einfach Knax gemacht. Wenn er mich nicht mehr lieben kann (obwohl er das seiner Meinung nach tut), dann muss ich ebend gehen.

Ist es bei Dir auch so, dass Du nur zu Hause so depressiv bist? Ich arbeite so gerne und dort fühle ich mich einfach angenommen. Nach der Klinik möchte ich noch mehr arbeiten, das wären dann 3 Tage in der Woche. Meinem Mann ist das nicht recht, aber das spielt dann für ihn eh keine Rolle mehr.

So langsam werde ich etwas ruhiger, die Tropfen tun ihre Wirkung, das schreiben ebenfalls. Jede Person, der ich erzählt habe, dass ich depressiv bin, hat mir erklärt, ich kann immer zu ihn kommen. Doch leider weiss keiner so genau, wie er mir helfen kann. Sie stehen dann bei mir und fragen mich, wie sie mir helfen können, doch ich weiss es nicht... Habe auch Angst, dass man mich in dieser Verfassung so sieht.

Und schon wieder kommen die Tränen... Verdammt, muss wohl doch noch einen Tropfen Alkohol zu mir nehmen, komme einfach nciht runter.

LG
empfindliches Schaf
Spongbob
Beiträge: 659
Registriert: 4. Feb 2011, 09:21

Re: Was hält mich noch?

Beitrag von Spongbob »

Hallo liebes, trauriges Schaf,

ich kann Dir echt gut nachempfinden, wenn es mir so schlecht geht möchte ich auch nicht das man mich so sieht. Ich sehe dann aber auch schei.. aus! Blass, eingefallen, traurig usw.

Vielleicht ist es im Moment so, dass Du die Liebe, die Dein Mann für Dich empfindet nur einfach nicht spüren kannst und Du deshalb annimmst, dass sie nicht da ist? Vielleicht ist er wirklich der Meinung Dir zu helfen, wenn er sich um eure Tochter kümmert. Sag ihm doch einfach mal, dass Du Hilfe im Haushalt brauchst, weil es Dir schlecht geht. Dass Du jemanden brauchst der stark ist und Dich auch mal nur so in den Arm nimmt, ohne dass Du was sagen musst. Sage ihm, dass Du seine Liebe nicht spüren kannst, weil die Depression Dir sämtliche Gefühle genommen hat und dass er Dir seine Liebe noch stärker zeigen muss, damit Du sie spürst. Sag ihm wie eifersüchtig Dich deine Depression auf Deine Tochter macht.

Was will ich eigentlich sagen, vielleicht redet ihr mal miteinander. Es gibt ein Buch, "mit dem schwarzen Hund leben" http://www.amazon.de/s/ref=nb_sb_noss_1 ... eben&ajr=0

Das ist toll geschrieben, vor allem sind die Texte schön kurz gehalten.

Ich habe das Problem, dass es mir auch in der Firma schlecht ging und das die Firma wohl auch der Hauptgrund ist, warum meine Depression so schwer geworden ist. Zuhause ist es schön, obwohl ich in den letzten 1 1/2 Jahren nur zu Hause war, war ich trotzdem 39 Wochen in der Klinik. Mein Mann hat auch schon gedacht es läge an ihm, aber das ist nicht so. Ich weiß das er mich liebt und das ist schon viel wert. Meine Diagnose ist "Double Depression" und das bedeutet das man also durchaus bei einem Patienten einerseits eine chronische Verlaufsform der Depression (Dysthymie) aufweist, die sich phasenweise durch noch schwere depressive Episoden zusätzlich verschlechtert. Das macht mir immer Hoffnung das ich nicht für meine Depressiven Phasen verantwortlich bin, sondern das die einfach so kommen und gehen wie sie wollen. Ich muss einfach lernen damit zu leben und das ist für mich das schwerste überhaupt. Ich kann die Depression schwer als Krankheit ansehen und soll lernen damit zu leben? Ach was soll ich sagen, ich bin wiedermal mehr bei mir als bei Dir!

Ich schicke dir virtuell ein frisches, weißes, weiches Taschentuch, das nach frischer Frühlingsluft duftet und sich zart anfühlt.

LG Mia
Annalena2000
Beiträge: 134
Registriert: 10. Sep 2011, 12:43

Re: Was hält mich noch?

Beitrag von Annalena2000 »

Hallo liebes Schaf,

darf ich dich erstmal virtuell schwesterlich in die Arme nehmen?!
Ich kann dich so gut verstehen, schließlich habe ich ein ähnliches Exemplar der Gattung "Mann" zuhause.
Bei mir ist nach unseren letzten Streit jedoch innerlich etwas zerbrochen, dass mich all die Jahre immer wieder einlenken und eine Lösung suchen ließ.
Keine Ahnung, wie ich das nennen soll. "Empathie" ist das nicht mehr, eher die komplette Selbstverleumdung meinerseits.
Durch die vergangenen glücklichen Wochen nach dem Umzug, als mein Mann seine Tochter und seine Beziehung zu ihr offenbar in einem realistischen Licht zu sehen schien (und auf eine gesunde Distanz ging) und wir als Team so unendlich viel gemeinsam geleistet hatten, da spürte ich zum ersten Mal seit vielen Jahren eine riesengroße Lebensfreude! Es machte mir soviel Spaß, jeden Tag aufzustehen, ich plante die neue Küche und hatte soviele Ideen für meinen Minijob, die mir viel Lob einbrachten.
Und nun? Ein Scherbenhaufen.
Ach Schäfchen, du wirst sicher die richtige Entscheidung treffen, wenn du eine Weile aus diesem Umfeld herauskommst.
Wann fängt denn deine Reha an?
Ich wünsche dir, dass du auch wieder lernst, Freude und Leichtigkeit zu empfinden und vor allem dich selbst und deine Bedürfnisse wieder zu spüren
Ganz viele liebe Grüße
Annalena

P.S. Vielleicht hilft dir auch dieser Gedanke: Du hast doch von einem netten Bekannten erzählt, der dich so gerne mag. Denke doch mal daran, wie es sich angefühlt hat, als du ihn getroffen hast und nicht daran, welche Hindernisse möglicherweise noch zu überwinden sind.
Wueste
Beiträge: 35
Registriert: 28. Feb 2012, 16:21

Re: Was hält mich noch?

Beitrag von Wueste »

Liebe Mia, liebe Annalena 2000,

vielen Dank für die tröstenden Worte. Die kommen direkt bei mir im Herzen an. Ein Schlückchen Alkohol dazu haben mich bzw. meine Nerven etwas beruhigen können.

Auf die Klinik warte ich noch nicht sehr lange (4 Wochen erst) und der Termin ist Ende April. Es ist eine Akut-Klinik, keine Reha - kenne mich aber mit den Unterschieden nicht aus.

Die Gefühle für meinen Mann sind schon länger nicht mehr da (vor der Depression schon, habe es im Alltag nur nicht erkannt), doch was macht man nicht alles für die Tochter.

Dass ich Ausziehen werde, steht für mich fest, darin hat mich auch die Psychaterin bestärkt. Es fehlt mir halt nur die Kraft dafür.

Annalena, der nette Bekannte hat mir am vergangenen Freitag seine Liebe gestanden, die er schon seit mehreren Jahren in sich trägt. Aus irgendwelchen Gründen auch immer erzählte ich ihm von meinen Gedanken, mich zu trennen. Mein Mann ist darüber informiert, dass es nach der Klinik wahrscheinlich zu einer Trennung kommen wird, und er hat Angst davor. Aber ich habe bereits jetzt schon damit abgeschlossen, da ich (und jetzt kommt es) "ebenfalls Gefühle für ihn empfinde, die ich jahrelang verdrängt habe". Wir wollen es nach der Klinik recht ruhig angehen lassen.
Wie ihr also seht, bin ich nicht ganz gefühlslos. Und das baut mich auch wieder etwas auf, denn es war wirklich ein schöner Abend.

Annalena, ich muss wohl die letzten Beiträge von Dir noch lesen, bin nicht auf den neuesten Stand, was Deine eigene Wohnung angeht.

Liebe Grüße
ein empfindliches Schaf

So, und nun muss ich mich wirklich mal um die Sozialstation kümmern. Das ist wirklich wichtig, das andere kann liegen bleiben.
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